AM HEUTIGEN TAG, etwa in der Mitte der Fastenzeit, lädt uns die Kirche ein, uns über die nahe Erlösung durch den Tod und die Auferstehung Jesu zu freuen. Deshalb ist dieser Sonntag als Laetare-Sonntag bekannt – als Sonntag der Freude. In den Lesungen begegnet uns ein besonders eindrucksvolles Gleichnis: das vom verlorenen Sohn, das die unendliche Barmherzigkeit des Vaters ebenso zum Ausdruck bringt wie den Schmerz über die Sünde und die Freude über die Umkehr.
Jesus erzählt dieses Gleichnis anlässlich des Murrens der Pharisäer, die sich darüber empörten, dass er Sünder aufnahm und mit ihnen aß. Um an ihre Herzen zu klopfen, beginnt der Herr zu erzählen: Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht! Da teilte der Vater das Vermögen unter sie auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen (Lk 15,11-13).
In der Geschichte des jüngeren Sohnes erkennen wir das Wesen der Sünde: Wir vergessen die Gaben, die Gott uns anvertraut hat, und verletzen dadurch unser eigenes Menschsein. „Dies ist die wahre Wirklichkeit“, erklärte Johannes Paul II., „auch wenn es manchmal scheinen mag, dass uns gerade die Sünde Erfolge einbringt. Die Abkehr vom Vater zieht jedoch immer eine große Zerstörung im Inneren des Menschen nach sich, der sie vollzieht, indem er den göttlichen Willen verwirft und sein Erbe verschleudert: die Würde der eigenen Person, das Erbe der Gnade.“1
Das Gleichnis macht deutlich: Die Sünde ist nicht einfach ein Verstoß gegen willkürliche Regeln, sondern schadet immer dem Menschen selbst – auch wenn der Teufel uns anderes weismachen will. Die wahre Freude – menschlich und übernatürlich – liegt in der Rückkehr zum Vater, in der Umkehr.
DER VATER sah ihn schon von Weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn (Lk 15,20). „Kann man die väterliche Liebe Gottes zu den Menschen noch eindrücklicher beschreiben?“, fragt der heilige Josefmaria. „Gegenüber einem Gott, der uns entgegeneilt, können wir nicht stumm bleiben, wir werden mit dem heiligen Paulus sagen: Abba, Pater! (Röm 8,15) Vater, mein Vater! Denn obwohl er der Schöpfer des Alls ist, legt er keinen Wert auf klingende Titel, auch geht es ihm nicht um feierliche Beteuerungen seiner Herrschaft. Er hat es gern, dass wir ihn einfach Vater nennen und dieses Wort freudig auskosten.“2
Unser Leben ist eine ständige Rückkehr zum Vater – ein immer neues Beginnen. Und bei jeder Rückkehr entdecken wir tiefer die Schönheit seiner barmherzigen Liebe. Gott ist kein eifersüchtiger Herrscher, der auf blinden Gehorsam pocht. Im Gegenteil: Mit zärtlicher Achtung respektiert er unsere Freiheit – und ist stets bereit, uns zu vergeben.
Ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein (Lk 15,21) – so denkt der jüngere Sohn. Doch gerade das Bewusstsein, Kinder eines gütigen und barmherzigen Vaters zu sein, lässt uns verstehen: Der Herr liebt uns bedingungslos, und er wird unserer Untreue niemals müde. Papst Franziskus sagte: „Die Umarmung und der Kuss des Vaters lassen den Sohn erkennen, dass er trotz allem immer als Sohn betrachtet wurde. Das ist eine zentrale Lehre Jesu: Unsere Gotteskindschaft ist Frucht der Liebe des Vaters – sie hängt nicht von unseren Verdiensten oder unserem Tun ab. Und deshalb kann sie uns niemand nehmen.“3
DIE TIEFE der väterlichen Barmherzigkeit zeigt sich nicht nur in der freudigen Begrüßung des verlorenen Sohnes – in der Umarmung, dem Kuss, dem neuen Gewand, dem Ring, dem Festmahl –, sondern auch in der geduldigen Zuwendung zum älteren Sohn. Als dieser erfährt, was im Haus vor sich geht, ist er empört. Wir sind oft versucht, den älteren Sohn hart zu beurteilen: Er wirkt starr und neidisch. Doch der Vater begegnet auch ihm mit Milde und Liebe – obwohl er dessen fehlende Dankbarkeit und seine verschlossene Haltung spürt. Papst Franziskus betont: „Der Vater erwartet jene, die sich als Sünder erkennen, und macht sich auf die Suche nach jenen, die sich für gerecht halten.“4
Tatsächlich sind sich die beiden Brüder ähnlicher, als es scheint. Beide leben in einer Welt selbstgewählter Sicherheiten – der eine im Ungeordneten, der andere in äußerlicher Pflichterfüllung. Und dennoch begegnen wir am Ende einem Älteren, der vom Guten ermüdet zu sein scheint. „Wir müssen uns wappnen gegen die Gefahr einer hinterhältigen Lauheit“, pflegte der heilige Josefmaria zu sagen, „die uns von Gott entfremdet und unsere Wirkkraft lähmt: die Lauheit jener, die meinen, sie hätten schon etwas getan, weil sie Freunde haben, weil sie sich äußerlich bewegt haben. Doch sie haben nicht ,gebrannt‘ – sie haben die Welt um sich nicht erwärmt.“5
Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein (Lk 15,31), sagt der Vater. Gott will sein Leben mit uns teilen, uns alles schenken – ja, sich selbst hingeben. Bitten wir Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, dass sie uns helfe, immer zuerst die vielen guten Dinge zu sehen, die Gott uns geschenkt hat – und die auch in unseren Mitmenschen verborgen sind. So werden wir uns nie vom Haus des Vaters entfernen. Und wir feiern auch die Sehnsucht nach dem Guten und nach Umkehr, die so tief im menschlichen Herzen wohnt.
1 Hl. Johannes Paul II., Predigt, 16.3.1980.
2 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 64.
3 Franziskus, Audienz, 11.5.2016.
4 Franziskus, Angelus-Gebet, 6.3.2016.
5 Hl. Josefmaria, Notizen von einem Familientreffen, London Okt. 1961.