Ich bin Ärztin in einer Privatklinik in Nairobi in Kenia, bin verheiratet und habe vier Kinder.
Geboren und aufgewachsen bin ich in einer ländlichen Gegend im Distrikt Machakos. Mein Vater hatte eine einfache Arbeit in Nairobi, so dass meine sieben Schwestern und ich die meiste Zeit allein mit unserer Mutter waren.
Diese arbeitete in einem halbtrockenen Gebiet als Bäuerin, um die Einkünfte meines Vaters zu ergänzen. Meinen Schwestern und mir brachten beide bei, viel zu arbeiten und das Familienleben zu schätzen, denn wir waren eine glückliche Familie.
Mein Vater war einzigartig in dem Sinn, dass er zufrieden damit war, nur Töchter zu haben und zu erziehen, und das in einem Land und in einer Zeit, als Mädchen nicht sehr geschätzt waren. Als mein Vater starb, war ich 18 Jahre alt. Meine Mutter hatte dann eine schwere Zeit, da sie es wünschte und auch erreichte, dass meine kleinen Schwestern weiter zur Schule gingen, obwohl einige Verwandte dagegen waren.
Ich habe schon früh, zu Beginn meines Medizinstudiums, geheiratet. Dem Beispiel meiner Eltern folgend arbeitete ich während meines Studiums ziemlich hart und schaffte es dazu, mich um eine wachsende Familie zu kümmern. Interessanterweise hatte ich in dieser Zeit an der Universität das Glück, auf einen Gebetszettel des heiligen Josefmaria zu stoßen. Ich weiß nicht mehr, ob mir jemand von ihm erzählte oder ob mich seine Botschaft faszinierte. Jedenfalls stand auf dem Gebetszettel, dass er das Opus Dei gegründet hatte, das ein Weg zur Heiligkeit mittels der Aufgaben des alltäglichen Lebens ist. Während mehrerer Jahre betete ich treu das Gebet, dessen Botschaft mich innerlich bewegte.
Irgendwann kaufte ich ein Exemplar vom Weg und las ein bisschen darin, aber es interessierte mich nicht sehr. Erst als unser drittes Kind in die Grundschule von Strathmore ging, lernte ich "diesen Weg der Heiligkeit in den gewöhnlichen Lebensumständen" genauer kennen. Ich bewunderte, wie sich die Lehrer um die Schüler kümmerten und wie sie es auf sich nahmen, uns an ihrer Erziehung der Kinder teilnehmen zu lassen. Es war erstaunlich, dass die Elternversammlungen nicht während ihrer Arbeitszeit stattfanden und wir auch nichts dafür zahlen mussten.
Als ich von einer Reise zur Seligsprechung von Josemaría Escrivá erfuhr, überlegte ich es mir nicht zweimal und fuhr als Freundin des Opus Dei nach Rom. Seit der Zeit hat sich mein Leben völlig geändert. Kurz vor der Fahrt nahm ich zum ersten Mal an Besinnungstagen teil, die mich tief berührten und mir neue Horizonte öffneten. Mit der Zeit kaufte ich mehrere Bücher über den heiligen Josefmaria und sein Leben und las sie mit großem Interesse.
Mein Ausblick auf das Leben hat sich seither geändert. Ich lebe nicht mehr mit dem Gefühl der Frustration, das meine Vollzeitarbeit in Verbindung mit der täglichen Sorge um Mann, Kinder und Verwandte zu begleiten pflegte. Ich habe entdeckt, dass die Freude mit dem Leid vereinbar ist.
Zu wissen, dass wir Söhne und Töchter Gottes und Brüder und Schwestern Christi sind, hilft mir, meine Patienten zu achten und mich ihnen geduldig zu widmen. In den Kranken sehe ich wie der heilige Josefmaria einen Schatz und ich versuche, ihnen beizubringen, ihre Leiden Christus aufzuopfern, während ich sie natürlich gleichzeitig zu lindern suche. Jeden Tag mache ich mir bewusst, dass ich für Gott arbeite und nicht nur für Geld oder um des Prestiges willen.
Von Anfang an war mir klar, daß der heilige Josefmaria die Institution der Ehe liebte und gelehrt hat, dass die Familie die Basiszelle der Gesellschaft ist, welche zerfällt, wenn man die Familie zerstört. Deshalb richte ich meinen Tagesplan so ein, dass ich immer wieder Zeit für meinen Mann und meine Kinder finde.
Um das durchzuhalten, musste ich auf einige Dinge verzichten. Einmal etwa darauf, Universitätsprofessorin zu werden, denn ich konnte diese Aufgabe nicht gut erfüllen und mich gleichzeitig meinen Kindern widmen, zumal mein Mann zu dieser Zeit außerhalb von Nairobi arbeitete. Jedes Mal, wenn ich die Versuchung hatte, meine Entscheidung im Nachhinein zu beklagen, sagte ich zu mir selbst: Wenn Gott mich darum bittet, mich um die Seelen der Menschen zu kümmern, dann muss ich bei meiner Familie damit anfangen.
Inzwischen würde ich keine Arbeitsstelle annehmen, die weit weg von zu Hause ist und weniger noch mit meiner Familie umziehen. Das würde im Normalfall das allgemeine Wohlbefinden sehr stören und auch ein lukrativer Job würde das nicht wert sein. Den Sonntag verbringen wir in der Familie; wir nehmen alle Mahlzeiten zusammen ein und versuchen auch, zusammen zur Messe zu gehen.
Da wir nicht reich sind, fahren wir in den Ferien in unseren Geburtsort, wo wir die Tage mit meinen Schwiegereltern verbringen und meine Mutter und Verwandten besuchen. Immer wenn wir es uns leisten können, versammeln wir die gesamte Familie, die Eltern, die Kinder und ihre Familien. Das bedeutet viel Arbeit, aber ich verdanke diese Anregung dem heiligen Josefmaria, der sich sehr um das Familienleben kümmerte. Er lehrte uns, vom Beispiel der Heiligen Familie zu lernen, die ein einfaches, aber frohes und hoffnungsvolles Leben führte.
Immer wenn mir die Kräfte schwinden, erhebe ich mich und fange wieder von vorne an, so wie es der Heilige sagte: "Nunc coepi", "Jetzt beginne ich".
Familie und Beruf, eine tägliche Herausforderung. Prof. Nuria Chinchilla, CD vom Internationalen Kongreß „Die Größe des Alltags“, Rom, 8. bis 11. Januar 2002