Aus Predigten zur Heiligsprechung

Kardinal Wetter, Bischof Dammertz, Weihbischof Henrici u.a. über Escrivá

Friedrich Kardinal Wetter, Erzbischof von München und Freising

aus der Predigt am 09.November 2002 im Liebfrauendom zu München

Das Verständnis von Heiligkeit war im Laufe der Zeit verengt worden, als ob Heiligkeit nur etwas für besonders auserwählte Seelen wäre. Und weithin herrschte das Missverständnis, Heiligkeit sei das Ergebnis einer asketischen Akrobatik. Es war an der Zeit, mit diesen falschen Vorstellungen christlicher Heiligkeit aufzuräumen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat das getan. In Kapitel V der Kirchenkonstitution entfaltet das Konzil seine Lehre von der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit.

Josemaría Escrivá hat diese Lehre des Konzils mit vorbereitet. Die Liturgische Bewegung hatte die Erneuerung der Liturgie vorbereitet, die dann durch das Konzil in Gang gesetzt wurde; die Bibelbewegung hatte ein vertieftes Verständnis der Hl. Schrift, die ökumenische Bewegung den ökumenischen Aufbruch des Konzils vorbereitet, und die vertieften theologischen Studien der Heiligen Schrift und der Kirchenväter führten zu einem umfassenderen Verständnis der Kirche als Volk Gottes und Sakrament Jesu Christi.

So hat der heilige Josemaría für die Lehre des Konzils von der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit Vorarbeit geleistet. Dadurch leistete er zugleich einen wichtigen Beitrag für die Bedeutung und Stellung des Laien in der Kirche.

Heiligkeit ist kein Privileg einer bestimmten Kaste. Jeder ist zur Heiligkeit berufen. Jeder kann in seinem Beruf und in seinem Stand heilig werden (...) Das Kapitel V der Kirchenkonstitution gehört zu den wichtigsten Aussagen des Konzils überhaupt. Aber es wird kaum zur Kenntnis genommen. Man diskutiert über Dienste und Ämter in der Kirche, über das Verhältnis von Priestern und Laien. Dass aber alle Dienste und Ämter und das Leben aller Christen auf die Heiligung hingeordnet sind, nimmt kaum jemand wahr.

„In der Kirche“, so Escrivá, „gibt es verschiedene Dienste, aber nur ein einziges Ziel: die Heiligung der Menschen. Und an diesem Werk haben auf irgendeine Weise kraft des in Taufe und Firmung empfangenen Prägemales alle Christen teil. Alle müssen wir uns für diese Sendung der Kirche verantwortlich fühlen, die ja die Sendung Christi ist.“ Wir könnten uns in der Kirche manche Spannung und Auseinandersetzung und auch manchen Ärger ersparen, wenn wir dies ernst nähmen. Es ist an der Zeit, uns auf diese Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils zu besinnen und sie in unser Leben und das Leben der Kirche umzusetzen (...)

So persönlich der Ruf nach Heiligkeit ist, es geht dabei auch darum, die Welt menschlicher zu machen. „Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine menschlichere Weise zu leben gefördert“ (Lumen Gentium 40) sagt das Konzil. Und der Heilige Vater vertieft das noch, wenn er bei der Predigt am 6. Oktober ausführt, es gehe darum, “die Welt zu Gott zu erheben und sie von innen her zu verwandeln.“

Dass wir dabei auch auf Verständnislosigkeit und Spott stoßen, muss uns nicht überraschen. Denn unsere Art, als Jünger Christi zu leben, stammt nicht von dieser Welt. Wir leben in dieser Welt, sind aber zugleich auch Fremdlinge in der Welt (1 Petr 1,1). Das darf uns nicht mutlos machen. Im Gegenteil, es sollte uns zeigen, wie wichtig das Zeugnis eines nach Heiligkeit strebenden Lebens für diese Welt ist.

Dr. Viktor Dammertz, Bischof von Augsburg

aus der Predigt im Augsburger Dom am 26. Juni 2002, dem Gedenktag des damals Seligen

Die Sehnsucht, Gottes Willen zu ergründen und das eigene Wollen darin einzubetten, war die mächtige Triebkraft in Escrivás Leben: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“. Durch diese Vater-Unser-Bitte, die er besonders eindringlich zu sprechen pflegte, war er vorbereitet, es dem Petrus nachzutun, der auf die Einladung Jesu die hochherzige Antwort gab: „Herr, auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen“ (Lk 15,5).

Die Bereitschaftserklärung des Seligen war nicht weniger abenteuerlich als das Ja, das damals Petrus nach einer erfolglosen Nacht sprach.

Wohl gemerkt: Wenn der selige Josemaría von Heiligkeit spricht, meint er damit nicht eine selige Entrücktheit oder die vornehme Noblesse einiger Auserwählter. Es geht ihm um die unerkannten „Heiligen des Alltags" – mitten unter uns, auch heute, auch hier und jetzt. Die Radikalität eines solchen Ringens um Heiligkeit im Alltag ist mir deutlich geworden an einem Satz des seligen Josemaría: „Man muss das Herz ungeteilt und ganz geben, sonst heftet es sich an irgendeine Nichtigkeit der Erde. Meines heftet sich an meine Kinder. Ich verberge es nicht und glaube, dass ihr es merkt, aber es ist dies etwas, das mich zu Gott führt. Ihr spornt mich an, treuer zu sein, und ich möchte jedes Mal treuer sein, auch euretwegen!"

So war Josemaría, der sich selbst und den Seinen nicht wenig abverlangte, alles andere als ein „verklemmter“ oder gar „komischer Heiliger“. Er selbst nannte sich gern den „Troubadour Gottes“. Er kannte die spanische Literatur-Gattung der „Lieder der göttlichen Liebe auf menschliche Art“ – und sang statt dessen mit seinen Getreuen „Lieder der menschlichen Liebe auf göttliche Art“. Bei einer Rekreation mit den Studenten des römischem Kollegs vom Heiligen Kreuz hörte er, wie ein junger Mann einen modernen Schlager trällerte, in dem es heißt: „Dove c'è passione c'è peccato – Wo es Leidenschaft gibt, dort ist Sünde“. Er unterbrach den Sänger und stellte klar: „Das ist falsch! Um Gott lieben zu können, braucht man ein leidenschaftliches Herz. Die Leidenschaft ist gut, wenn sie im Dienste Gottes steht.“ (...)

Der selige Josemaría Escrivá war „verrückt aus Liebe“, und diese Liebe ließ ihn immer neue „Verrücktheiten“ wagen, die nur einem Heiligen einfallen können: Pilotprojekte zu starten ohne Geld und Mittel, Pläne zu verwirklichen, die mehr Widerspruch als Ehre erwarten ließen, Neubeginne im Raum des Unmöglichen. Doch seine Liebe zu Gott, das Sehen eines größeren Planes hat seinem Reden und Handeln den langen Atem der Leidenschaft gegeben. An ihm bewahrheitet sich ein Wort seines großen spanischen Landsmannes, Miguel de Unamuno: „Nur die Narren machen Ernst, die Gescheiten vollbringen nur Unsinn.“

Mehr denn je brauchen wir heute Menschen, die sich als „Troubadoure Gottes“ verstehen – auch auf die Gefahr hin, deswegen für Narren gehalten zu werden. In den Augen der Menschen mögen sie „verrückt“ sein, von Gottes Warte aus betrachtet sind sie Heilige.

Bitten wir den Herrn, dass er uns Seinen Plan mit uns sehen lässt! Bitten wir ihn um Mut, wenn wir in der Antwort auf seinen Ruf eingefahrene Gleise verlassen und unsere allzu angepassten Maßstäbe neu justieren müssen! Und danken wir ihm, dass er uns im seligen Josemaría Escrivá, den wir in Kürze als Heiligen anrufen dürfen, ein Beispiel dafür geschenkt hat, dass es sich lohnt, den Weg der Heiligkeit zu wagen: „Rabbuni, wir möchten dich wieder sehen können“.

Weihbischof Dr. Peter Henrici SJ, Generalvikar des Bistums Chur für den Kanton Zürich

aus einer Predigt am 10. Januar 2002 in der Züricher Liebfrauenkirche

Josefmaria Escrivá „war eine der grössten Gestalten im vergangenen Jahrhundert in unserer katholischen Kirche. (...) Er war einer der ersten, die die Bedeutung der Laien für die Kirche erkannt und für sie eigens eine Spiritualität des Laienlebens vorgelebt haben.

Aus einem Interview in forum – Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich, 26.05. / 02.06.2002

„Konservativ“ und „progressiv“ sind ziemlich nichtssagende Schlagworte. Jede Gruppierung, die von der katholischen Kirche anerkannt ist, hat das Recht auf ihre je eigene Spiritualität, mag sie mir nun persönlich näher oder ferner stehen. Die Spiritualität ist sicher nicht die meinige, aber sie hat ihre Existenzberechtigung. Mir scheint zudem wichtig, dass man das Opus Dei auch von seiner Gründungszeit her versteht (... Es ist) sicher durch die Entstehungszeit geprägt, aber andererseits auch dieser Zeit wiederum voraus. Das grosse Verdienst Escrivás besteht nämlich darin, die Laien in einer ganz neuen Form aktiviert zu haben. Das Laienapostolat, bei dem diese nicht mehr nur der verlängerte Arm des Klerus, sondern eigenständige Glaubenszeugen und -verkünder sind, das hat er lange vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gefördert, und insofern war das Opus Dei sogar progressiv.“

Weihbischof Dr. Felix Genn, Trier

aus einer Predigt am 22. Juni 2002 in St. Paulin, Trier

Es geht Josemaría um den Weg der Heiligkeit aus der Begegnung mit dem Herrn in die ganz konkrete Gestalt des Alltags einer säkularen Welt.

Christliches Leben ist Ausfahrt in die Tiefe der Gestalt Jesu Christi, um Ausfahrt zu werden in die Weite der Welt, um mitzuwirken an ihrer Heiligkeit und so, wie es im Tagesgebet heißt, „dem Werk der Erlösung mit Liebe und brennendem Eifer“ zu dienen. Sein grundlegendes Werk „Der Weg“ will nichts anderes als „Wege des Gebetes und der Liebe“ aufzuzeigen. So heißt es im Vorwort; und dann kommt die erstaunliche Bemerkung: „Damit du am Ende ein Mensch bist, der klar sieht“. Ein heiliges Leben zu führen geht nur aus der Liebe und aus dem Gebet. Ein heiliges Leben bringt einen klarsehenden Menschen hervor. Hinter dieser Aussage steht sicherlich auch das persönliche Ringen des am 9. Januar 1902 Geborenen. Immer wieder hat er die Geschichte der Blindenheilung aus dem Markusevangelium betrachtet und die Worte des Bartimäus wiederholt: „Ich möchte wieder sehen können.“ Er, der sehr viel darum gebetet hat, dass der Herr ihm das Sehen schenkt, hat durch sein bekanntestes Werk „Der Weg“ unzähligen Menschen die Klarsicht der Liebe und des Gebetes vermittelt. Dass seine Sehkraft in seinen letzten Lebensjahren merklich abnahm und er auf diese Weise den Worten des Bartimäus leiblich folgen musste, hat ihn nicht daran gehindert, hinauszufahren in die Weite der Welt. Vielleicht hat die äußere schwache Sicht sein inneres Licht umso stärker gemacht. (...)

Opus Dei lebt aus dem Geist der Heiligung des Alltags. Es ist nicht eine Struktur, es ist nicht eine Methodik, sondern es lebt aus der Erfahrung der Taufe, aus dem Geist der Gotteskindschaft. In diesem Geist sind wir Kirche, die das Opus Dei schlechthin ist. Sie ist das Werk des allmächtigen Gottes zur Heiligung der Welt, Sakrament und Werkzeug für die innerste Vereinigung Gottes mit der Menschheit, wie das Konzil sagt (Lumen Gentium 1). Den Herrn nicht loszulassen, das bedeutete für den seligen Josemaría, die Kirche, seine Braut, nicht loszulassen, immer mehr zu lieben, ihr zu dienen – und das alles „auch auf Kosten des Besitzes, der Ehre und des Lebens“ (Der Weg 519), wie er selber sagt. Auch dann, wenn der Weg der Heiligkeit und der Heiligung der Welt nicht verstanden wird, wenn unsere Ausfahrt auf den See die Ausfahrt in die Welt der Verdächtigungen und des Leidens, der Angriffe und Beschuldigungen einschließt, bleibt das Wort des heiligen Petrus grundlegend: „Auf dein Wort hin, Herr“. Der Herr sagt auch zu uns: „Fürchte dich nicht.“ Von jetzt an wirst du Menschen ins Leben führen.

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels OP, Trier

aus einer Predigt am 19. Oktober 2002 in St. Andreas, Köln

Die Präsentation seiner Grundideen kommt nicht auf hohen akademischen Stelzen daher und verzichtet bewusst auf den „modernen“ Anspruch unbedingter theologischer Originalität. Nebenbei bemerkt: „Originalität“ offenbart oft nur einen Mangel an Belesenheit. Und die theologische „Moderne“ hat nicht selten das Neue von der Tradition abgelöst und schon deswegen für das Bessere gehalten, weil es als neu erscheint. Escrivás Gedanken hingegen bewegen sich in der Sphäre des Bewährten, der kirchlich tradierten Spiritualität und Lehre – und beleben diese durch überraschende Sichtweisen, spannende Akzente und kräftige Anstöße. Daraus erwuchsen jene, den praktischen Lebensstil christlicher Nachfolge entscheidend prägenden Kombinationen von Grundeinsichten, die später durch das Zweite Vatikanische Konzil eine kirchenamtliche Bestätigung erfahren sollten. Sie umfassen, kurz skizziert, folgende drei Vermittlungen:

Erstens die Verbindung von Glauben und Leben: Christliches Leben lässt sich nicht auf bestimmte Situationen und Zeitabschnitte reduzieren, es beschränkt sich nicht auf fromme Momente oder liturgische Ereignisse an Sonn- und Feiertagen. Vielmehr bewährt es sich im normalen Alltag, besonders in der Arbeit, die von spiritueller Bedeutung ist.

Zweitens die Verbindung von Laikalität und Heiligkeit: Zur Nachfolge Christi und zur Heiligkeit sind alle Christen berufen, nicht nur eine charismatische Avantgarde oder Elite, ein klerikaler Stand (Diakone, Priester) oder die Ordensleute. Angesprochen sind also die gewöhnlichen Laien in ihrer laikalen Spiritualität.

Drittens die Verbindung von Selbstheiligung und Heil für alle Menschen: Christliches Leben hat nicht nur das eigene Heil im Blick und bleibt nicht egoistisch bei der Selbstheiligung stehen, sondern nimmt am Erlösungswerk Christi und seiner Kirche teil, indem es sich missionarisch für die Neu-Evangelisierung der Welt einsetzt.

Weihbischof Rainer Klug, Freiburg i.Br.

aus einer Predigt am 30. Oktober 2002 in St. Martin, Freiburg

Am 6. Oktober hat der Papst das Leben des Priesters Josefmaria Escrivá der ganzen Kirche als Geist-geleitetes und Geist-erfülltes Leben vor Augen gestellt. Das Beispiel seines Lebens und die Kraft seiner Fürbitte sollen uns heutigen Christen helfen, unsere eigene Berufung zu erkennen, Ihr „nachzujagen“ (Hebr 12,14) und uns ganz dem Wirken der Gnade zu öffnen und Werke des Geistes zu tun (Gal 5,22 f.) (...) Der Gedanke der Heiligung des alltäglichen Lebens ist eine Grundfrage des christlichen Lebens. (...) Die Berufung zur Heiligkeit hat eine persönliche Seite, aber auch eine die Kirche aufbauende und die Gesellschaft heilende Seite.