Betrachtungstext: 30. Dezember

Die Prophetin Hanna kündigt die Ankunft des Messias an – Jesus wuchs heran wie jedes andere Kind auch – Die Zeiten Gottes

ALS TIEFES SCHWEIGEN das All umfing und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab (Weish 18,14-15). Mit diesem Vers beginnen wir die heutige Messe – in der Weihnachtsoktav wollen wir aus dieser umwerfenden Wirklichkeit leben: Gott hat uns sein Wort gesandt, er ist Fleisch geworden, er ist einer von uns geworden. Gerne wollen wir uns bei der Dreifaltigkeit für das Geschehene bedanken und uns mit den Stimmen der Engel vereinen, die fortwährend die Herrlichkeit Gottes, seine Glückseligkeit, das heißt unsere Erlösung, besingen. Der Himmel feiert, und die Erde wird von diesem Jubel erfasst.

Im Evangelium tritt heute Hanna auf, eine seit vielen Jahren verwitwete Frau – der heilige Lukas beschreibt sie als Prophetin. Es ist bezeichnend für Gott, dass er eine demütige Witwe erwählt, um seine Geburt zu verkünden, und nicht etwa eine bekannte oder angesehene Persönlichkeit des Volkes. Bis auf die heiligen drei Könige sind sämtliche Zeugen der Geburt Jesu einfache Menschen.

Vielleicht hielt man Hanna für verwirrt – sei es infolge des Leids und der Einsamkeit wegen ihrer langjährigen Witwenschaft oder infolge der Strenge ihres Fastens und Betens. Es ist uns nicht bekannt, ob man sie ernst nahm. Doch wollte Gott sich ihrer bedienen, um die Geburt des Messias anzukündigen: Zu derselben Stunde trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten (Lk 2,38). Auch andere Male erwählt Gott Zeugen, die auf den ersten Blick wenig glaubwürdig erscheinen – denken wir nur an die Hirten oder Jahre später an Maria Magdalena, der die Jünger nicht glaubten. „Nur diejenigen, die ein Herz haben wie die Kleinen, die einfachen Menschen“, lehrte hingegen Papst Franziskus, „können die Offenbarung empfangen: diejenigen, die ein demütiges, sanftmütiges Herz haben, das das Bedürfnis verspürt, zu beten, sich Gott zu öffnen, weil es sich arm vorkommt.1


DAS HEUTIGE Evangelium erzählt dann weiter von der Rückkehr der heiligen Familie nach Nazaret, nachdem sie alles erfüllt hatten, was das Gesetz vorschrieb. Und es endet mit einem kurzen, aber bedeutsamen Satz, der in wenigen Worten einen Gutteil des verborgenen Lebens Jesu zusammenfasst: Das Kind wuchs heran und wurde stark, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade ruhte auf ihm (Lk 2,40). Gott nimmt die Dauer des normalen Aufwachsens eines Kindes auf sich; er hat keine Eile, er möchte die Erlösung auf natürliche und unauffällige Weise vollziehen.

So verstehen wir auch die innige Bitte, die der heilige Josefmaria auf seiner Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau von Guadalupe in Mexiko an die Gottesmutter richtete: Mögen in unseren Herzen kleine Rosen wachsen, die des täglichen Lebens – gewöhnliche Rosen, aber erfüllt vom Wohlgeruch von Opfer und Liebe. Ich habe absichtlich ‚kleine Rosen‘ gesagt, weil das am besten zu mir passt. Mein Leben bestand immer nur darin, mich um normale, gewöhnliche Dinge zu kümmern, und selbst diese habe ich oft nicht zu Ende gebracht. Doch ich bin mir sicher, dass gerade in diesem einfachen, alltäglichen Tun dein Sohn und du auf mich warten.“ 2

Dreißig Jahre lang liegt Stille über dem Leben Jesu – eine Stille, die jener über seiner Geburt in Betlehem gleicht. Doch diese Stille ist keineswegs leer; sie spricht von der Tiefe und dem Geheimnis unserer Erlösung. Später werden viele erstaunt fragen: Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria und sind nicht Jakobus, Josef, Simon und Judas seine Brüder? (Mt 13,55). Die Natürlichkeit des gewöhnlichen Lebens war der Weg, den Jesus in seiner Kindheit, Jugend und Reife beschritt. In dieser Einfachheit liegt eine große Botschaft für uns: Sie lädt uns ein, die alltäglichen Dinge zu heiligen – unsere Arbeit, unsere Beziehungen und das, was uns unmittelbar umgibt.


WIR HABEN neun Monate lang auf die Geburt Gottes gewartet, und werden nun dreißig Jahre lang auf den Beginn seines öffentlichen Lebens warten. Wir wissen jedoch, dass die Erlösung seit der Verkündigung des Engels in Gang ist. Das „Ja“ unserer Mutter zu den göttlichen Ratschlüssen hat den Plan in Bewegung gesetzt, den Gott von Ewigkeit her zur Rettung der Menschen entworfen hat. Er entfaltet sich unaufhaltsam, macht keinen Schritt zurück, folgt aber nicht unserem Rhythmus. Benedikt XVI. bemerkte dazu: „Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet.“3 Oft überkommt uns die Routine, und wir sind unfähig, Gott im Einerlei des Alltags, im Gewöhnlichen zu entdecken – dort, wo er wirkt –, verborgen, geduldig und beständig.

In einer Weihnachtspredigt führte Papst Franziskus in das Geheimnis ein: „Dieses Kind lehrt uns, worauf es in unserem Leben wirklich ankommt. Jesus wird in der Armut geboren, weil für ihn und seine Familie kein Platz in der Herberge ist. Ein Stall wird ihr Unterschlupf, eine Futterkrippe die Wiege. Und doch strahlt aus diesem Nichts das Licht der Herrlichkeit Gottes auf. Von hier aus beginnt für Menschen mit einem einfachen Herzen der Weg der wahren Befreiung und der ewigen Erlösung.“4 Unsere Rettung hat bereits begonnen. Sie erfordert von uns Geduld und ein offenes Herz, das bereit ist, Gottes Wirken im Stillen zu erkennen.

Hanna, die Prophetin, wartete viele Jahre auf das Kommen des Messias. Durch ihr Warten schuf sie Raum in ihrer Seele, sodass der Herr zu ihr sprechen konnte. Vielleicht neigen wir manchmal dazu, Gott wegen seines Schweigens zu tadeln, obwohl es oft unser eigener Lärm ist, der uns hindert, seine Stimme zu hören.

Mitten in der Nacht und der Stille sandte Gott sein Wort – und diese Zusage ist endgültig: Sein Bund wird ihn nicht reuen. Maria bewahrte diese Stille neun Monate lang in ihrem Herzen und auch danach: Wir bitten sie, uns in unserer Stille zu begleiten und uns zu lehren, auf Gott zu hören, damit wir das Kommen ihres Sohnes nicht verpassen.


1 Franziskus, Tagesmeditation, 2.12.2014.

2 Hl. Josefmaria, persönliches Gebet zu Unserer Lieben Frau von Guadalupe, 20.5.1970.

3 Benedikt XVI., Homilie zur Amtseinführung, 24.4.2005.

4 Franziskus, Homilie, 24.12.2015.