WENN EINER von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? (Lk 15,4). Wenn wir diese Worte Jesu heute im Evangelium hören, fühlen wir Gott gegenüber Dankbarkeit in uns aufsteigen. Denn wir erinnern uns an die vielen Male, in denen wir erfuhren, wie er nach uns suchte, nachdem wir uns verirrt hatten. Ich sage euch, fährt Jesus fort, ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren. Diese „Freude im Himmel“, von der Christus spricht, würden wir gerne besser verstehen. Warum freut sich Gott so sehr über einen reuigen Sünder? Wiegen unsere guten Taten oder unser Bemühen, seine Gebote zu befolgen, nicht viel mehr?
Das Bild vom Guten Hirten kann uns weiterhelfen. Der heilige Josefmaria bewunderte die Zärtlichkeit, mit der Jesus von Schafen und Hirten redete.1 Er hatte auf dem Land selbst berührende Szenen beobachtet: „Wenn ein Schaf sich ein Bein brach oder sich am Fuß verletzte, passierte immer das Gleiche: Man nahm es auf die Schultern. Ich habe sogar gesehen, wie einer der Hirten – raue Gestalten, die zur Zärtlichkeit unfähig scheinen – ein neugeborenes Lamm liebevoll in den Armen trug.“2
Die „Freude im Himmel“ über ein wiedergefundenes Schaf offenbart uns das wahre Antlitz von Gott Vater: Er vergibt alles und immer. Papst Franziskus sagte: „Wenn Jesus seinen Jüngern vom Antlitz Gottes erzählt, beschreibt er es voll zärtlicher Barmherzigkeit. Von ihm wissen wir, dass im Himmel mehr Freude herrscht über einen reuigen Sünder als über eine Menge Gerechte, die keine Umkehr nötig haben (vgl. Lk 15,7.10).“3 Darauf will Jesus hinaus: Dass wir erkennen, dass wir Gottes Barmherzigkeit dringend benötigen – und dass wir den ganzen Himmel erfreuen können, indem wir zu ihm, dem Hirten, immer wieder zurückkehren.
FREUT EUCH mit mir; ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war (Lk 15,6). Der Besitzer des Schafes lädt alle ein, sich mit ihm zu freuen und sein Glück mit ihm zu teilen. Ebenso erfüllt es Gott mit Freude, wenn er uns vergibt. Warum? Einmal, weil uns auf diese Weise seine grenzenlose Liebe erhalten bleibt. Tatsächlich bedeutet „vergeben“ in seinem tiefsten Sinn, etwas in vollem Umfang zu schenken, ein vollkommenes Geschenk zu machen. Der heilige Josefmaria fragte sich: „Was habe ich für dich getan, Jesus, dass du mich so sehr liebst? Ich habe Dich gekränkt ... und dich geliebt. Dich lieben: Das ist es, worauf mein Leben hinauswill.“4
Wenn ein Mensch um Vergebung bittet, drückt er dem gegenüber, den er verletzt hat, oft mehr aus, als er in Worte fassen kann: „Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.“ „Ich möchte die Zuneigung, die wir füreinander hatten, wiederherstellen.“ Darin steckt mehr als bloßes Bedauern. Ein Kind, das seinen Vater um Vergebung bittet, zeigt seine Liebe, sein Vertrauen und seine Verbundenheit. Es schmerzt das Kind, den Vater leiden zu sehen. Wenn wir Gott um Vergebung bitten, wollen wir die Distanz überwinden, die die Sünde geschaffen hat – eine Distanz, die letztlich durch die Ablehnung seiner Liebe entstanden ist. Die Freude, die wir empfinden, wenn uns vergeben wird, ist dennoch nur ein schwacher Abglanz dessen, was Gott fühlt, wenn er uns zurück ins Leben ruft.
Papst Benedikt zitierte das Beispiel des Beters des Psalms 27, der, von Feinden umgeben, in tiefem Vertrauen bekennt: Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf. Und der Papst fuhr fort: „Gott ist ein Vater, der seine Kinder nie verlässt – ein liebevoller Vater, der uns stützt, hilft, annimmt, vergibt, erlöst, mit einer Treue, die jede menschliche Treue unendlich übersteigt und bis in die Ewigkeit hineinreicht.“5 Doch das ist noch nicht alles. Gott sagt uns, dass es seine größte Freude ist, uns zu vergeben.
IN DER BEICHTE können wir das Geheimnis der göttlichen Freude und des Glücks tiefer erfahren. Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebhabe (Joh 21,17) – mit diesen oder ähnlichen Worten sagen wir Jesus eingangs, dass wir ihn im Innersten unseres Herzens lieben, auch wenn unsere Taten manchmal anderes vermuten lassen. Wir bekennen unsere Sünden, vor allem aber erfahren wir seine Güte, seine Liebe und sein Erbarmen. Obwohl wir es nicht verdienen, wagen wir es, um Vergebung zu bitten. Das Sündenbekenntnis führt uns aus der menschlichen Logik heraus und in die göttliche hinein. Wir legen das Urteil über unser Leben in Gottes Hände und überlassen ihm das letzte Wort.
Und dieses Urteil lautet eindeutig: „Ich erkläre dich für unschuldig.“ In der Beichte erleben wir, wie Christus unsere Fehler, Sünden und Verantwortung auf sich nimmt. Er übernimmt unsere Lasten, um uns davon zu befreien: Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt (Jes 53,5). Papst Franziskus betonte: „Vergebung ist nicht das Ergebnis unserer Anstrengungen, sondern ein Geschenk, eine Gabe des Heiligen Geistes, der uns in die Barmherzigkeit und Gnade eintauchen lässt, die unaufhörlich aus dem geöffneten Herzen des gekreuzigten und auferstandenen Christus strömt.“6 Und als wäre dies nicht genug, erklärt Jesus auch noch, dass es Gott Freude bereitet, uns zu vergeben. Wo sonst ist so etwas zu finden? Wenn wir anderen von diesem Geschenk erzählen, zeigen wir, dass wir es schätzen und von Herzen dankbar dafür sind. Bitten wir die Jungfrau Maria, Apostel der Beichte zu sein, um unseren Freunden die Umarmung der göttlichen Vergebung nahe zu bringen.
1 Vgl. hl. Josefmaria, Aufzeichnungen von einem Beisammensein, 13.3.1955.
2 Hl. Josefmaria, Briefe 27, Nr. 22.
3 Franziskus, Audienz, 24.4.2019.
4 Hl. Josefmaria, Persönliche Aufzeichnungen, 5, 358-359, 29.10.1931.
5 Benedikt XVI., Audienz, 30.1.2013.
6 Franziskus, Audienz, 19.2.2014.

