Unternehmen sind Gemeinschaften, die Menschen dienen

Msgr. Fernando Ocariz hat in seiner Eigenschaft als Großkanzler der Universidad de Navarra eine Rede mit dem Titel „IESE und die Funktion des Unternehmen in der Gesellschaft“ gehalten. Anlass für seinen Besuch in Barcelona am 5. Juli 2019 war ein Kongress zur 60-Jahrfeier dieser Business School.

Die Teilnahme an diesem Kongress, der den Abschluss der Feierlichkeiten zum sechzigsten Jubiläum von IESE bildet, ist mir eine Freude und bietet zugleich die Gelegenheit, dem heiligen Josefmaria Escrivá, der diese Initiative als Gottes Werkzeug begonnen hat, noch einmal Dank zu sagen. Mein Dank gilt überdies auch allen anderen, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben und heute dazu beitragen, die damalige Initiative zur einer Business School von Prestige und Einfluss zu machen, die der Gesellschaft einen bedeutenden Dienst erweist.

Wenn ich heute IESE gratuliere, dann auch all den Business Schools, die diesem Beispiel folgen und diese Botschaft in die ganze Welt tragen. Jede einzelne hat ihre Besonderheiten, die von ihrem geografischen und sozialen Umfeld geprägt sind. Sie sind so konzipiert, wie es von ihren Gründern frei und verantwortungsbewusst vorgegeben wurde und wie es von ihren Führungskräften, Lehrern und Mitarbeitern, die – um nur diese zu nennen – heute unter uns sind, weiterhin umgesetzt wird. Ich schließe mich damit den vom früheren Prälaten des Opus Dei, Bischof Javier Echevarría, an IESE gerichteten Worte an, mit denen er sich auf die Arbeit bezog, die von IESE und von Bildungszentren geleistet wurde, IESE inspiriert hat: „Sie hat sich im aktuellen geschichtlichen Kontext und auch weiterhin als sehr notwendig erwiesen. Denn auch in diesem Tätigkeitsbereich müssen Christen das Salz der Erde und das Licht der Welt (vgl. Mt 5,13-14)”[1] sein und sich entsprechend verhalten.

Die Anfänge von IESE

Sechzig Jahre sind ein respektables Alter, auch für eine nachhaltige Bildungseinrichtung. Nachhaltig heißt eben nicht, stets monoton die immer gleichen Dinge zu wiederholen. Seit dem ersten Programm für die Ausbildung von Führungskräften, das im November 1958 begann, hat IESE bedeutende Veränderungen durchgemacht. Einige lassen sich an ihren Gebäuden und an den materiellen Ressourcen, an der Struktur, an den Menschen, an den Strategien und an den Richtlinien ablesen. Sie haben zur Verbesserung der beruflichen, menschlichen und sozialen Situation Tausender Frauen und Männer geführt, die hier ihre Ausbildung genossen und von dem tiefgreifenden und fruchtbaren Einfluss profitiert haben, den die IESE in der Gesellschaft entwicklt hat.

Was den Gründer des Opus Dei zur Unterstützung der IESE-Gründung bewog, war insbesondere der Wunsch, Spuren in der Gesellschaft zu hinterlassen. Professor Francisco Ponz Piedrafita, der in den 1940er Jahren in Barcelona lebte und später Rektor der Universidad de Navarra war, erzählte, dass der heilige Josefmaria auf seinen Reisen nach Barcelona „hin und wieder das apostolische Interesse an der Verbesserung der Ausbildung und des christlichen Lebens so vieler Menschen erwähnte, die in Katalonien mit der Leitung von Unternehmen aller Art beschäftigt sind. Er wies auf die spirituellen und sozialen Fernwirkungen hin, die es hat, wenn man den für die Förderung, Leitung und Entwicklung von Unternehmen Verantwortlichen dabei hilft, beispielhafte Christen zu sein und gemäß ihrem Glauben nach guten professionellen und christlichen Maßstäben zu handeln – wenn sie also der Lehre und den Moralprinzipien der Kirche folgen. Er sagte, sie sollten im Geist des Dienstes an ihren Angestellten und Arbeitern sowie an der gesamten Gesellschaft dementsprechend handeln, ohne sich von rein menschlichen Zielen oder vom simplen Wunsch nach materiellem Reichtum leiten zu lassen.“[2]

Ich habe dieses lange Passage angeführt, weil sie sich als Einleitung zu dem Thema eignet, das man mir vorgeschlagen hat: IESE und die Funktion des Unternehmen in der Gesellschaft. Dabei werde ich natürlich keine fachlichen Aspekte behandeln. Sie liegen außerhalb meiner Kompetenz. Darin sind Sie die Experten. Als Großkanzler der Universidad de Navarra möchte ich vielmehr einige Überlegungen zur Soziallehre der Kirche anstellen, und zwar gemäß dem Mission statement von IESE, in dem es heißt: „Führungskräfte ausbilden, die aufgrund ihrer berufliche Exzellenz, Integrität und Dienstbereitschaft danach streben, bei den Menschen, den Unternehmen und in der Gesellschaft einen tiefgreifenden, positiven und nachhaltigen Einfluss zu hinterlassen.”[3]

Das Unternehmen

Schon seit ihren Anfängen sah die Business School Unternehmen nicht nur als Kapital, das Rendite abwerfen muss, oder als Einrichtung, die Menschen Arbeit gibt, nicht einmal als Projekt, das Dienstleistungen für Verbraucher und Arbeitnehmer erbringt, sondern vor allem als eine Gemeinschaft von Menschen. Mit der Sicht, dass die gesamte Geschäftstätigkeit auf der zentrale Rolle des Menschen basiert, nahm IESE gewissermaßen das Zweite Vatikanische Konzil vorweg, das erklären sollte: „In den wirtschaftlichen Unternehmen stehen Personen miteinander in Verbund, das heißt freie, selbstverantwortliche, nach Gottes Bild geschaffene Menschen” (Gaudium et spes, Art. 68). Einige Jahre später erläuterte der heilige Johannes Paul II. in der Enzyklika Centesimus annus: „Zweck des Unternehmens ist nicht bloß die Erzielung von Gewinnen, sondern auch die Verwirklichung als Gemeinschaft von Menschen, die auf verschiedene Weise die Erfüllung ihrer grundlegenden Bedürfnisse anstreben und zugleich eine besondere Gruppe im Dienst der Gesamtgesellschaft bilden (Art. 35).

Das Unternehmen ist also ein Ausdruck der Sozialkompetenz des Menschen, der Beziehungen mit anderen Menschen braucht, um seine materiellen und spirituellen Bedürfnisse zu erfüllen, um seiner Arbeit einen Sinn zu geben, um seinen Nächsten und der Gesellschaft zu dienen und um sich letztendlich selbst zu begreifen und so seine Vollkommenheit als Mensch wie auch Kind Gottes zu erreichen. Mit Worten Benedikts XVI. „verwirklicht sich der Mensch als Geschöpf von geistiger Natur in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Je echter er diese lebt, desto mehr reift auch seine eigene persönliche Identität. Nicht durch Absonderung bringt sich der Mensch selber zur Geltung, sondern wenn er sich in Beziehung zu den anderen und zu Gott setzt.” (Caritas en veritate, Art. 53) Wie ein vor kurzem veröffentlichtes Dokument des Heiligen Stuhls formuliert, „bildet jedes Unternehmen ein wichtiges Netzwerk von Beziehungen”[4]: In erster Linie sind es die Beziehungen innerhalb der Organisation selbst, die sich dann nach außen richten, an die Kunden, Lieferanten und Investoren sowie an die Gesellschaft insgesamt. Das Unternehmen ist eine Gemeinschaft von Menschen, die anderen Menschen in der Gesellschaft dient. Erst wenn das verinnerlicht ist, kann man sinnvoll über Kapital, Einrichtungen, Technologie und die rechtlichen Gegebenheiten reden.“.

Von dieser Sozialkompetenz und diesem relationalen Charakter leitet sich die externe Mission des Unternehmens ab: die Erfüllung der Bedürfnisse anderer Menschen, in erster Linie durch die Produktion von Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen, aber auch durch viele andere Weisen wie Innovationen und Kreativität, die Entwicklung einer Arbeits- und Dienstleistungskultur, die Erfüllung der fiskalischen und sozialen Pflichten, vorbildliche Dienstbereitschaft und vieles andere. All das zeigt, dass ein Unternehmen letztlich ein großer Veränderer der Gesellschaft ist, sei es zum Guten oder zum Schlechten.

Das Unternehmen erreicht seine soziale Funktion also durch die Freiheit und die kreativen Fähigkeiten der Menschen, an erster Stelle seiner Eigner und seiner Führungskräfte, aber auch aller Männer und Frauen, die sich zu seinem Erfolg vereinen, also die Mitarbeiter, Lieferanten, Händler und externen Partner. Diese soziale Funktion endet nicht mit der Gründung, sondern setzt sich in allen alltäglichen Tätigkeiten fort, damit dies alles Wirklichkeit wird – in der Arbeit, die manchmal freudvoll und abwechslungsreich, manchmal monoton und beschwerlich ist, in der kontinuierlichen Anstrengung und in der Ausübung der dazu notwendigen Tugenden.

Die menschliche Arbeit

Es ist offensichtlich, dass Unternehmen vorrangige Orte menschlichen Arbeitens sind. Zweifellos sind sie nicht das einzige Umfeld, in der menschliche Arbeit verrichtet wird, denn auch die verschiedenen Aufgaben im Haushalt, in der Politik, in der öffentlichen Verwaltung, der Bildung und in den vielen wohltätigen und sozialen Organisationen sind Orte menschlicher Arbeit.

Der heilige Johannes Paul II. stellte zutreffend fest, dass „die wichtigste Ressource des Menschen in der Tat der Mensch selbst ist” (Centesimus annus, Art. 32). Eine mutige Aussage, die vielen aktuellen Vorschlägen entgegensteht, die vielleicht wohlgemeint, aber verfehlt oder zumindest unvollständig sind. Einige legen den Schwerpunkt auf die Technik, die Organisation, die Effizienz, auf das Geld oder auf die Macht, andere wiederum betrachten den Menschen misstrauisch als Raubtier, das den Fortbestand unserer Welt gefährde.

Andererseits stellt das Zweite Vatikanische Konzil fest: „So wie das menschliche Schaffen aus dem Menschen hervorgeht, so ist es auch auf den Menschen hingeordnet. Durch sein Werk formt der Mensch nämlich nicht nur die Dinge und die Gesellschaft um, sondern vervollkommnet auch sich selbst. Er lernt vieles, entwickelt seine Fähigkeiten, überschreitet sich und wächst über sich empor. Ein Wachstum dieser Art ist, richtig verstanden, mehr wert als zusammengeraffter äußerer Reichtum. Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz. Ebenso ist alles, was die Menschen zur Erreichung einer größeren Gerechtigkeit, einer umfassenderen Brüderlichkeit und einer humaneren Ordnung der gesellschaftlichen Verflechtungen tun, wertvoller als der technische Fortschritt. Dieser technische Fortschritt kann nämlich gewissermaßen die Basis für den menschlichen Aufstieg bieten; den Aufstieg selbst wird er von sich allein aus keineswegs verwirklichen.” (Ebda. Art. 35).

Die Funktion des Unternehmens in der Gesellschaft ist im Dienst am Menschen zu suchen, der gleichzeitig der Adressat, der Förderer, der Gestalter und der Regisseur all dessen ist, was unsere Organisationen bewirken. Denn im gleichen Moment, in dem der Mensch die Natur beherrscht, Dinge herstellt und Reichtum generiert, formt er sich selbst: Er formt sich und entwickelt sich weiter. Und wieder haben wir hier alle Komponenten der sozialen Funktion der Unternehmen: die Menschen, der Zweck oder die Ziele, die sie bewegen, die Leitung des Projekts und die Einbindung in das weite Feld der Gesellschaft, an der sie teilnehmen, der sie dienen, deren Ressourcen sie nutzen und zu deren Wohlstand sie beitragen. Als der heilige Josefmaria den zentralen Wert der Arbeit von Menschen betrachtete, die wiederum das Zentrum des Unternehmens und des Marktes sind, schlug er vor, von den Höhen der Organisation zur gewöhnlichen Realität der beruflichen Aufgabe hinabzusteigen, und hob dafür drei fundamentale Aspekte hervor: die Arbeit heiligen, sich durch die Arbeit heiligen und andere durch die Arbeit heiligen (vgl. Christus begegnen, Nr. 45).

„Wenn wir die Arbeit wirklich heiligen wollen”, erklärte er uns, „dann müssen wir sie zuallererst einmal ernst nehmen – vor Gott und vor den Menschen. Das heißt: wirklich gut arbeiten.” (Im Feuer der Schmiede, Nr. 698). Mir ist als hörte ich seine Stimme: „Grabe dein Talent aus! Ziehe Gewinn daraus: (...) Es kommt bei den Geschäften Gottes gar nicht auf einen Ertrag an, der die Bewunderung der Menschen findet. Wesentlich ist allein, dass wir alles hingeben, was wir sind und haben, dass wir mit Sorgfalt handeln und den Willen nicht verlieren, gute Frucht zu bringen“ (Freunde Gottes, Nr. 47), „denn „davon, dass du und ich so handeln, wie es Gott will, hängen viele große Dinge ab. Vergiss das nicht.” (Der Weg, Nr. 755)

Das Unternehmen, eine positive Realität

Diese Worte lenken unsere Aufmerksamkeit wieder auf diese Gemeinschaft von Menschen, die das Unternehmen ausmacht. Alle, die jeden Tag zu einem Unternehmen gehen, tun dies aus sehr unterschiedlichen Gründen, die ihnen oft nicht voll bewusst sind: Sie versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihre Familie durchzubringen, persönliche Erfüllung zu erleben, Wissen zu erwerben und Kompetenzen zu entwickeln, Karrierechancen zu nutzen, Freunde zu finden, anderen zu helfen, sich nützlich zu fühlen, am gesellschaftlichen Fortschritt mitzuarbeiten. ... Einige dieser Zwecke sind im Arbeitsvertrag enthalten, viele andere aber nicht. Jedenfalls findet an unseren Arbeitsplätzen jeden Tag ein stetiger Austausch von Diensten statt. Man erhält viel, nicht nur sein Gehalt, sondern auch Glückwünsche für erbrachte Leistungen, Möglichkeiten zur Weiterentwicklung, Kenntnisse, Fähigkeiten, Beziehungen, Freundschaften. ... Und zugleich gibt man auch viel: Zeit, Anstrengung, Aufmerksamkeit, Engagement, Wissen, Erfahrungen. ... All dies wird dem Unternehmen und seinen Eigentümern weitergegeben, aber auch den übrigen Führungskräften und Mitarbeitern, den Kunden, Lieferanten und Händlern, benachbarten Gemeinschaften, der eigenen Familie und der gesamten Gesellschaft ... und man erhält von diesen allen etwas zurück. Man gibt private Güter, auch gemeinsame Güter, die Teil des Gemeinguts des Unternehmens sind, mit dem es zum Gemeinwohl der Gesellschaft beiträgt. Und man erhält private und allgemeine Güter – Güter, die von allen geschaffen werden und von denen alle profitieren.

Auch die größten Egoisten, die ihre Arbeit ausschließlich als Mittel zur Erfüllung ihrer persönlichen Interessen betrachten, dienen am Ende den Kunden, helfen ihren Kollegen, strengen sich an, um den Ertrag ihrer gottgegebenen Talente zu steigern. Aber die Ergebnisse sind gar nicht so wichtig, wichtig ist vielmehr allem der Wandel, den wir alle durchmachen. Wie schon erwähnt ist das Unternehmen zweifellos ein bedeutender Veränderer des Menschen, sei es zum Guten oder zum Schlechten.

Der heilige Johannes Paul II. sagte, dass das Unternehmen als eine Gemeinschaft von Menschen darstellt, die alle denselben Zweck verfolgen, nämlich „die Verwirklichung als Gemeinschaft von Menschen”, die zusammenwirken, um der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen (Centesimus annus, Art. 35). Und die Güter, die in dieser menschlichen Gemeinschaft generiert werden, entstehen nicht nur durch geschäftliche Beziehungen. So betont Benedikt XVI., dass „das Prinzip der Unentgeltlichkeit und die Logik des Geschenks als Ausdruck der Brüderlichkeit im normalen wirtschaftlichen Leben Platz haben können und müssen” (Caritas in veritate, Art. 36).

Dies mag als utopische Vision erscheinen, da die Unternehmen heute eine schlechte Presse haben und die Medien uns tagtäglich an ihre Fehler erinnern. Natürlich hat diese pessimistische Sicht ihre Gründe, weil wir die Schwächen und Fehler gut kennen, zu denen wir als menschliche Wesen fähig sind. Aber sie sind nicht das letzte Wort.

Als sich der heilige Josefmaria im November 1972 anlässlich seines Besuches bei IESE , mit den Lehrern, dem Personal sowie den Studenten und ehemaligen Studenten traf, sagte er: „Wer mit Geld hantiert, wird mit Misstrauen betrachtet. Ich tue das nicht (...) Die Gesellschaft verdankt euch die Arbeitsplätze, die ihr schafft. Das Land verdankt euch Wohlstand. Viele Menschen verdanken euch, was ihr für euer Land leistet. Ihr tut folglich eine sehr christliche Arbeit. (...) Ich bewundere eure Arbeit, die Berufe, die ihr ausübt. (...) Meine Kinder, eure geschäftlichen Mühen sind in das Evangelium eingebettet. Der Herr schaut voll Liebe auf euch. (...) Und auch ich betrachte euch mit besonderer Zuneigung.“

Aber das Treffen endete nicht mit diesem Lob für die Unternehmer und Führungskräfte, sondern er erinnerte sie auch an ihre Pflichten: „Vergesst den christlichen Sinn des Lebens nicht. Ergötzt euch nicht am Erfolg und verzweifelt nicht am Misserfolg.“ Mit anderen Worten erinnerte der heilige Josefmaria sie daran, dass es legitim ist, eine zufriedenstellende Rendite für das Kapital zu erreichen, wenn man dabei immer und vor allem die Versuchung vermeidet, es vorrangig um des Geldes, der Macht und des persönlichen Erfolges willen zu tun.

Als ein ehemaliger Student bei diesem Treffen das Jahres 1972 den heiligen Josefmaria fragte, welche die höchste Tugend sei, um die sich ein Unternehmer bemühen solle, sagte er sofort, was ihm schon lange klar war: „Die Nächstenliebe, denn Gerechtigkeit allein reicht nicht. (...) Die Gerechtigkeit allein ist trocken und lässt viel zu wünschen übrig.“ Und er fügte hinzu: „Aber rede nicht über Nächstenliebe, leb sie einfach!“ In Christus begegnen hatte er es so gesagt: „Ein Mensch oder eine Gesellschaft, die auf die Not und die Ungerechtigkeit nicht reagieren und sich nicht bemühen, sie zu lindern, sind nicht Mensch und nicht Gesellschaft nach dem Maße des liebenden Herzens Christi” (Nr. 167). Einige Jahre später drückte sich Benedikt XVI. in der Enzyklika Caritas in veritate so aus: „Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem anderen von dem geben, was mein‘ ist; aber sie ist nie ohne die Gerechtigkeit (...) Ich kann dem anderen nicht von dem, was mein ist, ‚schenken“, ohne ihm an erster Stelle das gegeben zu haben, was ihm rechtmäßig zusteht. (...) Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus und vervollständigt sie in der Logik des Gebens und Vergebens” (Art. 6).

Wahrscheinlich ist die Sprache in der heutigen Geschäftswelt eine andere: Gerechtigkeit und Nächstenliebe haben der sozialen Verantwortung, der Solidarität und der Nachhaltigkeit Platz gemacht. Dieser Begriffswechsel darf jedoch die Realität nicht verbergen. Die Ideologien und die Medien wollen uns die christliche Moral manchmal als eine Ansammlung von Verboten, Belastungen und Pflichten verkaufen, die uns am Ende erdrücken. Oder als etwas Privates, das jeder zu Hause hinter verschlossenen Türen ausleben mag, aber nicht in die Öffentlichkeit tragen darf, weil es im öffentlichen Diskurs keinen Platz habe. Oder man kommuniziert wirtschaftliche Probleme als lediglich technischer Art, für die technische Lösungen ausreichen, ohne dass sie das Bewusstsein der Menschen angingen.

Das Unternehmen ist eine Gemeinschaft von Menschen und darf nicht nur nach bestimmten Teilen seiner Ergebnisse beurteilt werden, nämlich nach Gewinnen, Rentabilität, Effizienz oder Marktanteilen. Wie schon gesagt müssen die Protagonisten und die Nutznießer der Anstrengungen eines Unternehmens die Menschen sein. Die Menschen müssen dabei im Mittelpunkt stehen, und zwar nicht in der dritten, sondern in der ersten Person. Denn wir – besser gesagt jeder einzelne von uns – muss täglich die ihm zugeteilte Aufgabe erfüllen. Hören wir noch einmal den heiligen Josefmaria: „Gott ruft euch auf, ihm gerade in den materiellen, weltlichen Aufgaben des menschlichen Lebens und aus ihnen heraus zu dienen. Im Labor, im Operationssaal eines Krankenhauses, in der Kaserne, auf dem Lehrstuhl einer Universität, in der Fabrik, in der Werkstatt, auf dem Acker, im Haushalt, in diesem ganzen, unendlichen Feld der menschlichen Arbeit wartet Gott Tag für Tag auf uns. Seid davon überzeugt: Jede noch so alltägliche Situation birgt etwas Heiliges, etwas Göttliches in sich, und euch ist aufgegeben, das zu entdecken“ (Gespräche mit Monsignore Escrivá de Balaguer, Nr. 114).

„Etwas Heiliges, etwas Göttliches in alltäglichen Situationen” – das ist zuinnerst die Liebe Gottes. Sie geht uns voraus, begleitet uns und schaut uns jederzeit an. Sie ist Gott selbst, denn „Gott ist Liebe” (Joh 4,8). Dieser Ruf, in allem die Liebe Gottes zu entdecken und dieser Liebe zu entsprechen, ist letztlich die universelle Berufung zur Heiligkeit, die Gott den heiligen Josefmaria 1928 klar sehen ließ, als Er das Opus Dei ins Leben rief. Er wollte, dass die Botschaft des heiligen Paulus alle erreicht: „Das ist der Wille Gottes: eure Heiligung” (I Thes.4, 3). Also die Heiligkeit am Arbeitsplatz, im gewöhnlichen Leben suchen. „Auch wenn er“ – der Christ – „ganz mit seiner gewöhnlichen Arbeit beschäftigt ist, mit Aufgaben überhäuft und in dauernder Anspannung wie alle anderen Menschen, muss der Christ zugleich doch ganz in Gott geborgen sein” (Christus begegnen, Nr. 65). „Nur so werden wir diese großartige, gewaltige, nie endende Aufgabe übernehmen können: Von innen her alle zeitlichen Strukturen zu heiligen und sie mit dem Sauerteig der Erlösung zu durchdringen“ (ebda., Nr. 183).

Sie haben sicher bemerkt, dass alle diese Betrachtungen die Ebene gewechselt haben. Zunächst wurden äußere, ökonomische Motivationen betrachtet, danach andere innere und soziale Motivationen, und anschließend bezogen sich die Betrachtungen auf eine transzendente Dimension, die sich an den anderen und schließlich an Gott orientiert.

Im Berufsleben muss man wohl zunächst erfüllen, was der Arbeitsvertrag verlangt, um ein Anrecht auf die vereinbarte Vergütung zu erlangen. Doch schnell wird klar, dass uns die Arbeit von innen verändert, Wissen und Fähigkeiten generiert und unseren Mühen eine neue Bedeutung verleiht. Man entdeckt den Dienst an den anderen, die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Aufgaben und wird sich bewusst, dass man nicht nur man selbst, sondern Teil von etwas Größerem ist. Das eröffnet dann neue Horizonte... bis man am Ende erkennt, dass Gott das letzte Ziel unseres Lebens ist.

Ich komme auf den heiligen Josefmaria zurück, auf das, was er am 8. Oktober 1967 auf dem Campus der Universidad de Navarra in einer Homilie sagte: „Es gibt keinen anderen Weg. Entweder lernen wir, den Herrn in unserem alltäglichen Leben zu entdecken, oder wir werden ihn niemals finden. Es tut unserer Zeit not, der Materie und den ganz gewöhnlich erscheinenden Situationen ihren edlen, ursprünglichen Sinn zurückzugeben, sie in den Dienst des Reiches Gottes zu stellen und sie dadurch, dass sie zum Mittel und zur Gelegenheit unserer ständigen Begegnung mit Jesus Christus werden, zu vergeistigen.” (Gespräche mit Monsignore Escrivá de Balaguer, Nr. 114).

Der christliche Manager

Aber wenden wir uns noch einmal dieser Gemeinschaft von Menschen in jedem Unternehmen zu, von der wir eben gesagt haben, dass sie die Menschen verändert. An dieser Stelle möchte ich kurz Sie ansprechen, die Studenten und ehemaligen Studenten, die nun Unternehmen leiten, und Sie, die Lehrer und das Personal von Business Schools, deren Hauptaufgabe es ist, Fähigkeiten, Kenntnissen und Tugenden von Unternehmensleitern zu entwickeln und zu begleiten.

Als Ausgangspunkt dient mir folgendeFeststellung aus dem Kompendium der Soziallehre der Kirche: „Die Rolle des Unternehmers und des Managers sind vom sozialen Standpunkt aus von zentraler Bedeutung, weil sie mitten in jedem Netz von technischen, kommerziellen, finanziellen und kulturellen Verbindungen angesiedelt sind, die die moderne Unternehmenswirklichkeit kennzeichnet“ (Nr. 344). Auf den ersten Blick scheint es sich um einen ausgesprochen technischen Fokus zu handeln, der jedoch unmittelbar an die Verantwortung dieser Personen und insbesondere an die Fürsorge für die Menschen appelliert. Papst Franziskus drückte sich direkter aus: „Die Tätigkeit eines Unternehmers ist eine edle Arbeit, vorausgesetzt, dass er sich von einer umfassenderen Bedeutung des Lebens hinterfragen lässt; das ermöglicht ihm, mit seinem Bemühen, die Güter dieser Welt zu mehren und für alle zugänglicher zu machen, wirklich dem Gemeinwohl zu dienen.“ (Evangelii gaudium, Nr. 203).

Welche Hauptaufgabe hat eine Führungskraft in einem Unternehmen? Entschuldigen Sie, dass ich mich in Ihre Aufgabe einmische. Diese Aufgabe ist zweifellos, das Team von Menschen zusammenzubringen, auszubilden, zu orientieren, zu motivieren, zu fordern und mitunter auch zu heilen, das das Unternehmens leitet. Allen diesen Funktionen kann ein Mensch allein natürlich nicht nachkommen, außer es handelt sich um ein Kleinstunternehmen. Aber wenn es um ein Team geht, in dem die Aufgaben unter den Führungskräften aufgeteilt sind, darf niemand, so technisch sein Arbeitsplatz auch erscheinen mag, seine Verantwortung für die Menschen vernachlässigen. Natürlich dürfen die anderen fundamentalen Bereiche nicht vergessen werden, also Planung, Organisation, Führung, Koordination und Kontrolle, die gewöhnlich einem Manager übertragen werden. Aber auch diese Aufgaben spielen sich immer im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen ab. Das Unternehmen ist letztlich ein Ort des Zusammenlebens. Es hängt von allen ab, aber vor allem von denen, die es leiten,. Deshalb müssen sich die Führungskräfte stets vor Augen halten, dass jeder Mensch wichtig ist, nicht nur und nicht hauptsächlich, weil er dem Unternehmen etwas einbringt, sondern weil er oder sie eine Person ist. Wenn dies schon aus rein menschlicher Sicht so ist, gilt es umso mehr aus christlicher Perspektive. In diesem Sinne sagt der heilige Josefmaria ganz allgemein: „Ein Mensch oder eine Gesellschaft, die auf die Not und die Ungerechtigkeit nicht reagieren und sich nicht bemühen, sie zu lindern, sind nicht Mensch und nicht Gesellschaft nach dem Maße des liebenden Herzens Christi.“ (Christus begegnen, Nr. 167).

Aber seien wir auch keine Utopisten: Ein guter Manager hat Schwächen wie wir alle. Er macht Fehler, aber er gibt sie zu und behebt sie. Er beginnt von neuem, ohne sich entmutigen zu lassen. „Der Christ ist nicht krampfhaft darauf bedacht, von Gott einen tadellosen Leistungsnachweis zu erhalten“ (Christus begegnen, Nr. 75) und handelt immer frei, weil Gott „keine unfreien Knechte, sondern freie Söhne will” (Freunde Gottes, Nr. 33).

Es ist wichtig, dass Manager in ihrem Leben eine spirituelle Dimension haben, die nicht nur darin bestehen kann, ein paar fromme Verrichtungen in der Tagesablauf eingeplant zu haben. Es verlangt vielmehr, in jeder Situation wirklich christlich zu leben und zu handeln. Dafür ist wichtig, dass man ein Leben wie aus einem Guss führt. Das bedeutet, dass man klare Prinzipien und Kriterien seine für Entscheidungen hat und sie kohärent anwendet. Ein anderer fundamentaler Aspekt, um den sich jeden Christ positiv bemühen sollte, ist die Heiligung seiner beruflichen Arbeit. Das heißt, sie nicht nur technisch gut zu tun, sondern sie im Dienst an den anderen Gott anzubieten.

Die Zukunft

In einer Gesellschaft, die vielfach vom Säkularismus dominiert wird, scheint der einzige Wert die Anhäufung von Reichtum und Macht zu sein. Kann es in einem derart individualistischen und utilitaristischen Umfeld, in dem das vorherrschende ethische Bezugssystem letztlich zum Relativismus führt, Raum geben für eine Managementschule wie diese, die seit ihren Anfängen von der christlichen Botschaft ausgeht? Die Antwort ist eindeutig Ja. Und die sechzig Jahre des Bestehens von IESE belegen, dass eine christliche Sicht des Lebens nicht nur möglich ist, sondern ein exzellentes Fundament für das rechte Verständnis von Unternehmen und ihrer Rolle in der Gesellschaft abgibt und die Ausbildung und die Weiterentwicklung von Führungskräften leiten kann, die fachliche und menschliche Exzellenz anstreben.

Als Teil der Universidad de Navarra hat IESE kein eigenes Konzept für ökonomische oder soziale Theorien: Es gibt so manche Theorien, die mehr oder weniger mit der Anthropologie und der Ethik der Soziallehre der katholischen Kirche kompatibel sind. Das Mission statement von IESE bekräftigt lediglich, dass „die ethischen und moralischen Werte der Business School auf der christlichen Tradition beruhen. Diese Werte unterstreichen die Rechte und die Würde, die jedem Menschen innewohnen und die wir als den Angelpunkt jedweder Organisation und der Gesellschaft insgesamt betrachten.“ Und an anderer Stelle: „Wir pflegen und vermitteln die Integrität, den Geist des Dienens, die berufliche Exzellenz und den Verantwortungssinn derer, die unsere Schule durchlaufen.“ Diese Werte, die auf der christlichen Wahrheit beruhen, können alle Menschen jeglichen Glaubens teilen, auch Religionslose.

Jedenfalls sind die humanistischen und ethischen Inhalte dessen, was bei IESE unterrichtet wird, kein Ersatz für professionelle Qualität, wie Sie sie unter Unternehmern und Managern fördern, sondern deren Teil. Wenn bestimmte Tugenden und Werte fehlen, weist das oft auf mangelhafte professionelle Qualität hin, sofern diese nicht nur nach externen Ergebnissen gemessen wird (Erträge, Gewinne, Umsatz, Reputation, soziale Anerkennung usw.), sondern auch anhand interner Lernprozesse (der Tugenden), der Fähigkeit, Menschen zu ändern und des Einflusses auf Dritte (Kollegen, Mitarbeiter usw.)

Für diejenigen unter Ihnen, die bei IESE oder an anderen Einrichtungen arbeiten, die ein ähnliches Leitbild wie das von IESE inspiriert, und für alle, die künftig kommen werden, passen auch heute die folgenden Worte recht gut, die der heilige Josefmaria auf die Universität im Allgemeinen gemünzt hat: „Die Universität“, sagte der erste Großkanzler der Universidad de Navarra, „kehrt keiner Ungewissheit, keiner Unruhe, keinem Bedürfnis der Menschen den Rücken zu. Es ist nicht ihre Aufgabe, unmittelbare Lösungen zu liefern. Aber, wenn man die Probleme wissenschaftlich und gründlich untersucht, wühlt es auch die Herzen auf, spornt die Untätigen an, weckt schlafende Kräfte und formt Bürger, die zum Aufbau einer gerechteren Gesellschaft bereit sind. Somit trägt die Universität mit ihrer universalen Arbeit dazu bei, Barrieren zu beseitigen, die das Verständnis der Menschen untereinander erschweren, die Angst vor einer ungewissen Zukunft zu verringern, den wirklichen Frieden und die Eintracht der Seelen und der Nationen – mit Liebe zur Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit – zu fördern” (Ansprache in Pamplona, 9.5.1974). Diese vor mehr als einem Vierteljahrhundert gesprochenen Worte sind heute hoch aktuell!

Das ist die Aufgabe, die Ihnen, den Lehrern, Führungskräften und Mitarbeitern, Studenten und ehemaligen Studenten von IESE zukommt, wie auch denen von Ihnen, die heute zu dieser Jubiläumsfeier gekommen sind und an anderen Hochschulen und Universitäten arbeiten.

Ich habe eingangs gesagt, dass sechzig Jahre bereits ein respektables Alter für eine akademische Einrichtung sind. IESE hat gute Arbeit geleistet, ich gratuliere Ihnen dazu. Aber es bleibt noch viel zu tun: Laufend kommen neue Generationen in Ihre Hörsäle, Ihre Programme werden mehr, Sie sind in immer mehr Ländern präsent, Ihre Forschungsarbeiten erhalten wohlverdientes Lob. ... An diesem Punkt möchte ich Sie noch einmal an das erinnern, was der heilige Josefmaria den Unternehmern und Führungskräften anlässlich des Treffens vom November 1972 sagte: „Vergesst den christlichen Sinn des Lebens nicht. Ergötzt euch nicht am Erfolg, verzweifelt nicht am Misserfolg.“ In diesem Sinne können auch Sie – können auch wir –immer unsere Arbeit „fröhlich in der Hoffnung” (Röm 12,12) tun, wie der heilige Paulus den Römern schrieb.

Ein Video sowie ein Audio der Rede im spanischen Original (34 Min.) finden Sie hierund eine leicht gekürzte Fassung des Textes in englischer Sprache hier.


[1] „Dirigir empresas con sentido cristiano” in Dirigir empresas con sentido cristiano (Unternehmensleitung im christlichen Sinn). Pamplona: EUNSA, 2015, S. 47-48.

[2] Relación testimonial de Francisco Ponz Piedrafita (Zeugnis des Francisco Ponz Piedrafita), Oktober 1998. Francisco Ponz war von 1944 bis 1966 Professor für Organographie und Tierphysiologie an der Universidad de Barcelona und von 1966 bis 1979 Rektor der Universidad de Navarra.

[3] https://www.iese.edu/es/conoce-iese/mision-valores/

[4] Kongregation für die Glaubenslehre und Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen, Oeconomicae et pecuniariae quaestiones. Consideraciones para un discernimiento ético sobre algunos aspectos del actual sistema económico y financiero (Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte des gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems), 17. Januar 2018, Art. 23.