Wir bringen einige Feststellungen über den Zölibat zur Zeit der frühen Kirche. Sie beruhen auf einem Referat, das Prof. Dr. Stefan Heid vom Päpstlichen Institut für christliche Archäologie in Rom über die heutige historische Forschung zum Zölibat gehalten hat. Der Vortrag fand statt im Rahmen einer Tagung über den Zölibat an der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Santa Croceam 4. und 5. März 2010 in Rom.
War der Zölibat in der Urkirche allgemein verpflichtend? Im heutigen wissenschaftlichen Denken gilt eine Erkenntnis nur so lange als historisch gesichert, als zu dieser These kein Widerspruch auftaucht. In unserem Fall wird aus der Tatsache, dass damals viele Kleriker Kinder hatten, der Schluss gezogen, dass der Zölibat in der frühen Kirche nicht verpflichtend gewesen sein kann. Die historische Erfahrung zeigt jedoch, dass es in der ganzen Geschichte der Kirche niemals radikale Brüche gegeben hat.
Keine Neuerung des 4. Jahrhunderts
Die Päpste erfinden nie etwas Neues. Dies vorausgesetzt könne man davon ausgehen, dass die berühmte Anordnung des Papstes Siricius (384–399) aus dem Jahre 385 (386) in seinen Dekreten „Directa“ und „Cum in unum“, durch die der Zölibat für die ganze Priesterschaft (Bischöfe, Priester und auch Diakone) obligatorisch gemacht wurde, nichts radikal Neues gebracht haben kann. Der Papst hätte sich lächerlich gemacht, wenn er Tausenden von höheren Geistlichen unvermittelt etwas auferlegt hätte, was es bis dahin nicht gab. Das Argument, der Bischof Pafnuzius habe sich gegen den Zölibat in der Urkirche ausgesprochen, ist nicht stichhaltig. Seine Beweisführung richtete sich lediglich gegen die zwangsweise Enthaltsamkeit bereits verheirateter Priester. Ohnehin ist der ganze Text neuerdings als Legende entlarvt worden, die aus dem Umfeld der Sekte der Novatianer hervorging.
Die Enthaltsamkeit der Priester war also zur Zeit des Papstes Siricius im vierten Jahrhundert keine Neuerung. Die gegenteilige Annahme hieße die Möglichkeiten des Papsttums überschätzen. Im Übrigen hat sich Siricius der Zustimmung von achtzig Bischöfen versichert, denen sich kurz darauf die Bischöfe der Synode von Karthago (390) anschlossen. Die Bischöfe von Italien, Spanien und Gallien zogen wenig später nach.
Welche Grundlage hatte diese neu formulierte Entscheidung? Die Bischöfe kamen zusammen mit dem Papst zu dem Schluss, dass die Enthaltsamkeit der Kleriker auf die Zeit der Apostel zurückgeht. Die Frage ist, ob das wirklich so war.
Zunächst scheint jedoch das Gegenteil der Fall zu sein. Im ersten Timotheus-Brief heißt es: „Der Bischof soll... der Mann nur einer Frau“ sein (1 Tim 3,2), der „Diakon nur einmal verheiratet...“ (1 Tim 3,12), „ein Ältester (Presbyter) nur einmal verheiratet“ sein (Tit 1,6). Wenn also ein Kandidat verheiratet ist (er musste es nicht sein), dann musste in jedem Fall seine Frau die erste Frau sein. Ein logischer Kurzschluss würde annehmen, dass diese Anweisungen gegen den Zölibat gerichtet seien. Das Wort „nur einmal verheiratet sein“ beinhaltet aber, dass z.B. ein Witwer, der wieder heiratet, nicht Priester sein kann. Ähnliches gilt übrigens analog für den Stand der Witwen, zu dem eine Frau nicht gehören konnte, wenn sie vorhatte wieder zu heiraten. Im ersten Brief an die Korinther sagt Paulus, wer sich nicht sexuell enthalten könne, also wer „brennt“, solle heiraten.
Enthaltsamkeit ab der Weihe
Wenn also die zur Priesterweihe zugelassenen verheirateten Kandidaten – so wie die Frauen, die dem Witwenstand angehörten – die Fähigkeit besitzen mussten, die vollkommene Enthaltsamkeit zu leben, und auch keine Erlaubnis bekamen, nach der Priesterweihe eine Ehe einzugehen, so kann daraus geschlossen werden, dass die vollkommene Enthaltsamkeit vom Augenblick der Ordination an zu leben war: Die jungfräulichen Kandidaten bekamen nicht die Erlaubnis zu heiraten, die verwitweten Männer durften nicht wieder heiraten. Demnach sollten die verheirateten nicht „brennen“, das heißt keine Kinder zeugen.
Wie kommt es aber, dass eine solche Vorschrift nicht in den Pastoralbriefen enthalten ist? Antwort: In diesen Paulusbriefen steht überhaupt nichts über das Leben nach der Weihe. Es wird lediglich aufgeführt, wer nicht zu den Weihen zugelassen werden kann.
Nach unseren heutigen, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorstellungen ist der Weg zur Priesterweihe sehr subjektiv unterlegt. So wie man heute für die Ehe eine persönliche Liebesbeziehung voraussetzt, spricht man beim Priester von einer Berufung als von einer persönlichen Inspiration. Das war nicht das Denken der Urkirche. Von niemandem wurde erwartet, dass er sich zum Priestertum berufen fühlte. Wenn das vorlag, war es natürlich willkommen. Jesus hatte Petrus oder Andreas nicht gefragt, ob sie sich ein Leben im Zölibat vorstellen konnten. Er hat sie berufen, weil er sie dazu disponiert sah. Das war auch das Vorgehen der Urkirche. Berühmte Beispiele sind Ambrosius, Augustinus, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa.
Wir können festhalten, dass in dem großen Zeitraum vom 1. zum 4. Jahrhundert die Vorstellung vom priesterlichen Zölibat in Ost und West als selbstverständlich angesehen wurde. Die Synoden und die Kirchenväter in Kleinasien, Syrien, Ägypten, Nordafrika, Spanien und Rom geben darüber reichlich Zeugnis. Berühmte Zeitzeugen sind Klemens und Origenes von Alexandrien, Hippolyt von Rom, Tertullian und Zyprian von Karthago, Eusebius von Caesarea, Kyrill von Jerusalem, Athanasius von Alexandrien, Hieronymus, Epiphanius von Salamis und schließlich Sinesius von Cyrene.
Interessanterweise sind die Zeugnisse über den Zölibat der Kleriker im griechischen Osten reichlicher als im lateinischen Westen. Die Disziplin bleibt immer die gleiche. Allerdings wurde sie ab dem fünften Jahrhundert in einigen Regionen der Ostkirche nach und nach fallen gelassen.