Pastoralbrief 19. März 2022 über die Treue

Msgr. Ocariz fordert uns auf, anhand einiger Texte des heiligen Josefmaria, über verschiedene Aspekte der Treue nachzudenken. "Die Treue umfasst alle Dimensionen unseres Lebens, weil sie die ganze Person einbezieht: Verstand, Wille, Gefühle, Beziehungen und Gedächtnis. "

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Meine Lieben, Jesus beschütze Euch!

Bleibt treu, es lohnt sich!

1 Der heilige Josefmaria wiederholte oft diese Worte, die von einem alten Lied inspiriert wurden, um uns zu ermutigen, sehr treu zu sein. In diesem Zusammenhang kommt mir oft der 23. August 1963 in den Sinn. Wir besuchten einen Sommerkurs in Pamplona und sangen dieses Lied während eines Beisammenseins mit unserem Vater. Einige von uns merkten, dass er, als wir diese Strophe des Liedes sangen, leise vor sich hin wiederholte: „Es lohnt sich, es lohnt sich“. Wir empfanden dies als spontane Bekundung seiner eigenen lebendigen Erfahrung. Es hatte sich gelohnt, das Werk voranzutreiben: So viel Arbeit, so viel Leid, so viele Schwierigkeiten und zugleich so viel Freude. Die Treue macht notwendigerweise froh, selbst unter Schmerz, denn die Freude am Herrn ist unsere Stärke (vgl. Neh 8, 10).

Der Begriff Treue ist weit gefasst und hat verschiedene Bedeutungen: „Genauigkeit oder Wahrhaftigkeit bei der Ausführung eines Auftrags“, „getreue Abschrift eines Textes“, „präzise Erfüllung einer Aufgabe oder Einhaltung eines Versprechens“ usw. Von besonderer Relevanz ist die Treue in den zwischenmenschlichen Beziehungen und insbesondere in deren tiefstem Ausdruck: in der Liebe. „Die auf Dauer angelegte Treue ist der Name der Liebe“1. Die echte Liebe ist per se endgültig, treu, obwohl sie aufgrund menschlicher Schwächen scheitern kann.

Die Treue umfasst alle Dimensionen unseres Lebens, weil sie die ganze Person einbezieht: Verstand, Wille, Gefühle, Beziehungen und Gedächtnis. Der Zweck dieses kurzen Schreibens anlässlich des baldigen hundertjährigen Jubiläums der Gründung des Werkes ist, dass wir kurz innehalten und über einige wenige Aspekte nachdenken, insbesondere anhand einiger Texte des heiligen Josefmaria.

Treue zur Berufung, Treue gegenüber Jesus Christus

2 Die christliche Berufung ist in all ihren spezifischen Ausprägungen ein Ruf Gottes zur Heiligkeit. Die Liebe Gottes sucht unsere Liebe in einer Beziehung, in der uns Gott immer mit seiner Treue zuvorkommt:Gott ist treu (2 Thess 3, 3; vgl. 1 Kor 1, 9). „Unsere Treue ist nichts anderes als eine Antwort auf die Treue Gottes. Gott, der treu zu seinem Wort steht, der treu zu seiner Verheißung steht“2.

Der Glaube an die göttliche Treue stärkt unsere Hoffnung, obwohl unsere persönlichen Schwächen uns manchmal dazu führen, im Kleinen und vielleicht manchmal auch im Großen nicht ganz treu zu sein. Dann aber besteht die Treue darin, mit der Gnade Gottes den Weg des verlorenen Sohnes zu gehen (vgl. Lk 15, 11-32). „Die Treue gegenüber Jesus Christus verlangt von uns, stets wachsam zu bleiben, denn wir können uns nicht auf unsere armseligen Kräfte verlassen. Wir werden immer kämpfen müssen, bis zum letzten Augenblick unseres Lebens hier auf Erden: Das ist unsere Bestimmung.“3

Wir müssen beharrlich die Einheit mit dem Herrn suchen. Wir suchen und finden diese Vereinigung mit Jesus in der Arbeit, in der Familie, in allem, was wir tun, aber in besonderer Weise in der Eucharistie, im Bußsakrament und im Gebet. Und wir sind dabei nicht auf uns allein gestellt. Wir können mit der Hilfe der anderen rechnen, vor allem in der persönlichen geistlichen Begleitung. Wir sollen dankbar sein für diese Möglichkeit, unsere Seele aufrichtig zu öffnen und Rat und Ermutigung auf unserem Weg des Wachstums in der Liebe zu Gott zu erhalten. Und das, was unsere Liebe vermehrt, stärkt auch unsere Treue: „Verliebe dich, und du wirst ihn nicht lassen.“4

3 Die Treue kommt besonders zum Ausdruck, wenn sie Anstrengung kostet und Leid mit sich bringt. Auch hierin ist das Beispiel der Muttergottes Maria erhellend: „Treue aber kann man nur eine Haltung nennen, die das ganze Leben durchhält. Das fiat Mariens bei der Verkündigung findet seine Erfüllung im lautlosen fiat, das sie am Fuß des Kreuzes wiederholt.“5

Mit der Hilfe Gottes können wir treu bleiben und auf dem Weg, mit Jesus eins zu werden, voranschreiten. Lasst uns unser Denken, unser Lieben und unsere Sicht auf die Menschen und auf die Welt mit dem Denken, dem Lieben und der Sicht Christi vereinen, indem wir immer wieder beginnen und wiederbeginnen. „Unsere Umkehr vollzieht sich mit Freude, denn im Bewusstsein unserer Gotteskindschaft wissen wir, dass wir heimkehren zum Haus des Vaters.“6 So wird in unserem Leben die Ermahnung des heiligen Paulus an die Philipper Wirklichkeit werden: Habt die Gesinnung in euch, die auch in Christus Jesus war (Phil 2, 5).

4 Die Begegnung und die Vereinigung mit Jesus Christus finden in der Kirche statt, die sichtbar ein Volk aus vielen Völkern ist. Sie ist konstitutiv der Leib Christi und operativ ein Sakrament: jede Erlösung kommt von Christus durch die Kirche, insbesondere weil die Kirche die Eucharistie hervorbringt und die Eucharistie die Kirche hervorbringt.

Die stets offensichtliche Tatsache, dass die Kirche aus schwachen und fehlerbehafteten Frauen und Männern besteht, darf unsere Liebe zu ihr nicht schmälern. Haben wir immer vor Augen, dass die Kirche vor allem „Christus unter uns ist. Sie ist Gott, der auf die Menschheit zugeht, um sie dadurch zu heilen, dass Er uns mit seiner Offenbarung ruft, mit seiner Gnade heiligt und uns erhält durch seinen immerwährenden Beistand in den kleinen und großen Kämpfen des Alltags.“7

Die Treue zu Christus ist daher Treue zur Kirche. Und innerhalb der Kirche versuchen wir, die Einheit mit allen zu leben und zu fördern, insbesondere mit den Bischöfen und auf eine besondere Art und Weise mit dem Heiligen Vater, dem sichtbaren Prinzip der Einheit im Glauben und in der Kommunion. Lasst uns diesen Wunsch unseres Vaters in uns immer lebendig halten: „Omnes cum Petro ad Iesum per Mariam!“

Die Treue zu Jesus Christus und zur Kirche impliziert für uns die Treue zu unserer Berufung zum Opus Dei, indem wir nach dem Geist leben, den wir vom heiligen Josefmaria erhalten haben, der immer und wahrhaft unser Vater im Werk ist. Er drückte es in einem früheren Brief, den er an alle seine Kinder richtete, so aus: „Ich kann nicht aufhören, meine Seele in Dankbarkeit zum Herrn zu erheben, nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird (Eph 3, 15-16); denn er hat mir diese geistliche Vaterschaft anvertraut, die ich, mit seiner Gnade, angenommen habe im klaren Bewusstsein, dass diese zu verwirklichen meine einzige Bestimmung auf der Erde ist. Aus diesem Grund liebe ich euch mit dem Herzen eines Vaters und einer Mutter.“8 Treue Töchter und Söhne des heiligen Josefmaria zu sein, ist der Weg unserer Berufung, um treue Töchter und Söhne Gottes in Christus zu sein.

Sicherlich erinnert ihr euch an diese anderen Worte unseres Vaters: „Der göttliche Ruf verlangt von uns eine unantastbare, feste, jungfräuliche, frohe und unbestrittene Treue zum Glauben, zur Reinheit und zur Berufung.“9 Ich möchte jetzt hiervon nur die Freude unterstreichen. Eine Treue, die freie Antwort auf die Gnade Gottes darstellt, in Freude und auch mit guter Laune. Es wird uns sicherlich helfen, folgende andere Worte von ihm zu bedenken: „Im Menschlichen möchte ich euch die Liebe zur Freiheit und die gute Laune hinterlassen.“10

5 Wenn wir uns Gedanken über die Treue im Werk machen, wie könnten wir anders, als an den seligen Alvaro zu denken? Ich kann mich erinnern, wie der heilige Josefmaria am 19. Februar 1974 über Don Alvaro in dessen Abwesenheit sprach: „Ihr solltet ihn in vielen Aspekten nachahmen, aber insbesondere in seiner Loyalität. (…) Sein Lächeln und seine Treue waren immer unvergleichlich.“11 Ich betrachte oft die biblischen Worte vir fidelis multum laudabitur (Spr 28, 20: Ein ehrlicher Mensch erntet vielfachen Segen), die auf einem Türsturz in der Villa Vecchia eingraviert sind, nämlich über der Tür zum Arbeitszimmer, das über viele Jahre Don Alvaro benutzte.

Ich erhebe meine Seele auch in Dankbarkeit zu Gott für die Treue so vieler Frauen und Männer, die uns auf unserem Weg vorangegangen sind und uns ein kostbares Zeugnis von dem hinterlassen haben, was ich am Anfang dieses Briefes erwähnte: Es lohnt sich!

Unser Vater wollte, dass jede Person, die sich dem Werk nähert, auch wenn es nur für kurze Zeit ist, unsere ganze Zuneigung erfährt. Das gilt in besonderer Weise für diejenigen, die eine Zeitlang Mitglieder des Werkes waren und danach andere Wege gegangen sind. Diejenigen, die sich irgendwann einmal verletzt fühlten, bitten wir aus ganzem Herzen um Verzeihung.

Apostolische Treue

6 Die christliche Berufung zur Heiligkeit, zur Einswerdung mit Jesus Christus, ist in allen Ausprägungen auf die eine oder andere Weise immer eine apostolische Berufung. „Inneres Leben und Apostolat lassen sich nicht voneinander trennen, wie es ebensowenig möglich ist, in Christus den Gott-Menschen vom Erlöser zu trennen.“12

Zu allen Zeiten – auch zur jetzigen sehen wir es auf beeindruckende Weise – gibt es in der Welt eine immense Sehnsucht – wenn auch oft unbewusst – nach Gott. Es erfüllen sich immer aufs Neue jene prophetischen Worte: Seht, es kommen Tage – Spruch Gottes, des Herrn –, da schicke ich den Hunger ins Land, nicht den Hunger nach Brot, nicht Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn (Am 8, 11).

Wie oft haben wir jene Mahnung des heiligen Josefmaria betrachtet: „Meine sehr geliebten Kinder: Jesus drängt uns. Er möchte aufs Neue erhöht werden, aber nicht am Kreuz, sondern an die Spitze aller menschlichen Tätigkeiten, um alles an sich zu ziehen (Joh 12, 32).“13

Wenn wir die Schwierigkeiten spüren, die sich dem christlichen Lebensweg in dieser Welt widersetzen – Atheismus, Gleichgültigkeit, Relativismus, materialistischer Naturalismus, Hedonismus usw. –, kommt uns vielleicht die Aussage des heiligen Johannes in den Kopf:Liebt nicht die Welt noch was in der Welt ist! (1 Joh 2, 15).Er bezieht sich dabei auf alles, was sich in der Welt gegen Gott stellt, und das er in der dreifachen Begierde (vgl. 1 Joh 2, 16) zusammenfasst. Doch zugleich ist die Welt, als Geschöpf Gottes, gut:Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat (Joh 3, 16).

7 Streben wir wie unser Vater danach, „die Welt leidenschaftlich zu lieben“14, denn sie ist der Ort unserer Begegnung mit Gott und der Weg zum ewigen Leben. Lieben wir sie mit einer Liebe, die jede Art von Verweltlichung ausschließt: Wir sind aus der Welt, wollen aber nicht verweltlicht sein, zum Beispiel auch, indem wir den Geist und die praktischen Folgen der Armut leben. Diese Tugend befreit uns von vielen Fesseln und ruft uns in einem positiveren Sinn die Worte des heiligen Paulus in Erinnerung: Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes (1 Kor 3, 22-23). Das Zeugnis eines nüchternen und genügsamen Lebens ist – heute und immer – eine Art, Salz und Licht zu sein in dieser Welt, die wir mit der Liebe zu Christus verwandeln wollen.

Im Anbetracht dieser Wirklichkeit – alles ist euer – freuen wir uns, wenn andere sich freuen, genießen alle guten Dinge, die uns umgeben, und fühlen uns von den Herausforderungen unserer Zeit angesprochen. Zugleich spüren wir tief in unserer Seele die Probleme dieser Welt, ganz konkret die traurige Wirklichkeit des Krieges und andere Situationen, die Not und Leid bei so vielen Menschen verursachen, vor allem bei den Schwächsten. Dennoch, so möchte ich betonen, dürfen wir nicht in Pessimismus verfallen. Ganz im Gegenteil, erneuern wir unseren Glauben an die Lebendigkeit des Evangeliums – das Gottes Kraft zum Heil für jeden Glaubenden ist (Röm 1, 16) – und den Glauben an die Mittel, über die wir verfügen: Gebet, Abtötung, Eucharistie! und Arbeit. So werden wir immer eine hoffnungsvolle Sicht auf die Welt haben.

Der Glaube ist die Grundlage der Treue. Nicht ein eitles Vertrauen in unsere eigenen menschlichen Fähigkeiten, sondern Glauben an Gott, der das Fundament der Hoffnung ist (vgl. Hebr 11, 1). „Gott ist das Fundament der Hoffnung – nicht irgendein Gott, sondern der Gott, der ein menschliches Angesicht hat und der uns geliebt hat bis ans Ende: Jeden einzelnen und die Menschheit als ganze.“15

Hören wir erneut auf unseren Vater: „Wenn ihr treu seid, wird der Herr durch eure Hände Wunder wirken, als Frucht eurer stillen und demütigen Hingabe. Ihr werdet aufs Neue jene Szene aus dem Lukasevangelium erleben: Die Siebzig aber kehrten mit Freuden zurück und sprachen: Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen (Lk 10, 17).“16

Treue zur Berufung und gewöhnliches Leben

8 Im Leben eines jeden von uns kann es manchmal Umstände geben, die aus dem Rahmen fallen. Wir wissen aber, dass die Vereinigung mit dem Herrn und – mit ihm – unsere apostolische Sendung hauptsächlich im gewöhnlichen Leben stattfinden: in der Familie, in der beruflichen Arbeit, im Freundeskreis, in unseren sozialen Verpflichtungen. „Dieser ist der wichtigste Ort unserer Begegnung mit Gott“17, erinnerte uns Don Javier in einem seiner ersten Briefe.

Dem Herrn im gewöhnlichen Ablauf eines jeden Tages zu begegnen, bedeutet, den Wert des Unscheinbaren zu entdecken, der kleinen Dinge, der Einzelheiten, in denen wir so oft unsere Liebe zu Gott und unsere Liebe zu den anderen Menschen zum Ausdruck bringen können. Jesus selbst sagte uns: Wer im Geringsten treu ist, ist auch in vielem treu, und wer im Geringsten ungerecht ist, ist auch in vielem ungerecht (Lk 16, 10). Eine Treue im Kleinen, die der Herr mit der Größe seiner Freude belohnt (vgl. Mt 25, 21).

Unsere eigene persönliche Erfahrung zeigt uns, dass diese Treue im Geringsten keineswegs eine Lappalie ist. Ganz im Gegenteil: „Beharrlichkeit in den kleinen Dingen, aus Liebe, ist Heroismus.“18 Die Liebe verleiht jedem menschlichen Bestreben seinen größten Wert. Die Treue ist immer Treue zu einem Liebesbündnis, und die Liebe zu Gott gibt der Freiheit ihren richtigen Sinn. Diese Freiheit des Geistes gewährt uns die Fähigkeit, das zu lieben, was wir tun müssen, auch wenn dies Opfer bedeutet und wir selbst die Bedeutung der Worte Jesu erfahren können: Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht (Mt 11, 29-30). Der heilige Augustinus deutet diese Worte so: „Denn in dem, was man liebt, spürt man entweder die Mühsal nicht, oder man liebt die Mühe selbst. (…) Die Anstrengungen derjenigen, die lieben, sind niemals leidvoll.“19

9 Wir wissen nur allzu gut, dass Gott zu finden und Gott zu lieben unmittelbar zur Liebe und zum Dienst an den anderen führt. Beide Gebote der Liebe sind nicht voneinander zu trennen. Mit unserer brüderlichen Liebe, die ein sicheres Anzeichen von übernatürlichem Leben ist, bauen wir unsere Treue auf und tragen dazu bei, die Treue der anderen froher zu machen: Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben (1 Joh 3, 14). Mit welcher Überzeugung ermutigt uns der heilige Josefmaria, die Brüderlichkeit zu leben: „Seid herzlich, meine Kinder. Dient einander mit ganzem Herzen. Wenn die Liebe geprägt ist vom Heiligsten Herzen Jesu und vom Liebenswerten Herzen Mariens, erlangt die brüderliche Liebe ihre ganze menschliche und göttliche Kraft. Eine solche Liebe ermuntert, die Lasten zu tragen, macht sie leichter und sichert uns die Freude im Kampf. Es ist nicht Gefühlsduselei. Es ist eine Liebe, die die Seele beflügelt, höher zu steigen. Die brüderliche Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil und lässt uns fliegen, um Gott zu loben in einem Geist freudigen Opfers.“20

In Anbetracht der Rolle, die die Arbeit in unserem gewöhnlichen Leben einnimmt, könnten wir über so viele Aspekte des bekannten Dreisatzes nachdenken und dabei unser Gewissen prüfen: „Die Arbeit heiligen, sich durch die Arbeit heiligen, andere durch die Arbeit heiligen“21. Jetzt möchte ich euch einladen, zusammen mit mir zu betrachten, wie wir unsere Arbeit besser in Gebet verwandeln können, was nicht nur darin besteht, fromme Übungen zu verrichten, während wir arbeiten. Unser Vater hat es uns auf verschiedene Art und Weise erklärt. Wir können uns nochmals folgende Worte von ihm vor Augen führen: „Verrichtet eure Arbeit immer in dem Wissen, dass Gott sich diese Arbeit anschaut:laborem manuum mearum respexit Deus (Gen 31, 32). Daher soll unsere Arbeit immer heilig und Gottes würdig sein, nicht nur bis zum Letzten vollendet, sondern auch mit moralischer Rechtschaffenheit, mit Anstand, mit Edelmut, mit Loyalität, mit Gerechtigkeit. Wenn ihr so arbeitet, wird eure berufliche Betätigung nicht nur gerecht und heilig, sondern sogar – aus eben diesem Grunde – echtes Gebet sein.“22

Oft genug müssen wir in unserer Arbeit auch unsere Grenzen und unsere Fehler erkennen. Doch wenn wir uns anstrengen und immer so arbeiten – „in dem Wissen, dass Gott uns zuschaut“ –, werden wir jene Worte des heiligen Paulus begreifen, die an uns gerichtet sind: Eure Mühe ist im Herrn nicht vergeblich (1 Kor 15, 58); oder mit Worten unseres Vaters: „Nichts geht verloren“.

Das Dauerhafte und das Veränderliche im Leben des Werkes

10 Die persönliche Treue zur eigenen Berufung im Werk ist notwendigerweise mit der institutionellen Treue verbunden, das heißt, mit dem Fortbestand des Werkes als Institution in Treue zu dem, was Gott für das Werk bestimmt hat, so wie es von unserem Gründer übermittelt wurde.

Don Javier erinnerte uns im Jahre 2016 an diese Worte des heiligen Josefmaria: „So wie die Identität der Person gleich bleibt über die verschiedenen Etappen ihres Wachstums hinweg – Kindheit, Jugendzeit, Reife … –, so gibt es in unserer Entwicklung eine Evolution. Sonst wären wir tote Materie. Unveränderlich bleibt der Kern, das Wesentliche, der Geist, aber die Weisen, sich auszudrücken und zu handeln, entwickeln sich weiter, immer alt und immer neu, immer heilig.“23

Als Kommentar zu diesem Text überlegte ich damals, dass vor allem das persönliche Apostolat – die wichtigste Art des Apostolates im Werk – und unser Bestreben, alle Berufe, alle Institutionen und alle menschlichen Strukturen mit christlichem Geist zu beseelen, die beiden Bereiche sind, wo wir mit Initiative und Kreativität versuchen, einen aufrichtigen, freundschaftlichen Umgang mit zahlreichen Personen zu pflegen und so das Licht des Evangeliums in die Gesellschaft zu tragen. Dieser selbe Geist der Initiative und Kreativität führt auch dazu, neue apostolische Felder zu suchen innerhalb des weiten Meeres, das der Geist des Werkes darstellt.

11 Diese Kreativität kann auch als eine Ausprägung von dem verstanden werden, was manche dynamische Treue oder kreative Treue nennen. Diese Treue schließt sowohl einen oberflächlichen Drang zu Veränderungen aus als auch eine Haltung, die sich a priori gegen alles, was wie eine gewisse Neuheit erscheint, verschließt. „Durch diese unsere Berufung sind wir genau dort präsent, wo die vernünftigen Veränderungen in der Gesellschaft ihren Ursprung haben, und machen uns die Fortschritte zu eigen, die in jeder Zeit stattfinden.“24 Aus diesem Grund müssen wir einerseits die Sehnsüchte unserer Zeit verstehen und teilen, andererseits aber nicht nachgeben und uns jeder Mode oder jedem Trend anpassen, egal wie aktuell und verbreitet sie sind, wenn diese dem Geist, den Gott uns durch unseren Gründer übermittelt hat, widersprechen; auch dann, wenn diese mit dem menschlichen Niveau und der familiären Atmosphäre, die dem Werk eigen sind, unvereinbar sind. In diesem Sinne „wird es nie notwendig sein, sich der Welt anzupassen, weil wir selbst aus dieser Welt sind. Wir werden auch nicht dem menschlichen Fortschritt hinterherlaufen, weil wir diejenigen sind – ihr, meine Kinder, seid es – die zusammen mit allen anderen Menschen, die auch in der Welt leben, diesen Fortschritt mit eurer gewöhnlichen Arbeit fördern.“25

Wir sollten auch vor Augen haben, dass die Angemessenheit von Abweichungen von den Festlegungen, die für das ganze Werk Gültigkeit haben – zum Beispiel in Bezug auf die geistlichen Bildungsmittel, wie Kreise, Betrachtungen, Einkehrtage usw. –, logischerweise in letzter Instanz eine Angelegenheit ist, die dem Vater zusammen mit dem Generalrat und dem Zentralassessorat zusteht. Zudem ist nicht jede Änderung auf dieser Ebene ohne Einfluss auf den Geist, und sie soll immer mit Klugheit geprüft werden. Was euch betrifft, habt keine Angst, neue apostolische Projekte denen, die Leitungsaufgaben wahrnehmen, vorzuschlagen, mit Initiativgeist und auch im Geist der Einheit – ohne aufzuhören, zusammen in einem Boot zu rudern –, mit dem Wunsch, die Freude des Evangeliums mit vielen Personen zu teilen. In jedem Fall sollen wir sicher sein, dass „wir nicht alleine sind in unseren Anstrengungen, das Werk zu verwirklichen, und dass wir nicht nur auf unsere armseligen Kräfte bauen, sondern mit der Kraft und der Macht des Herrn rechnen“26.

12 Mit der persönlichen Treue eines jeden von uns und mit der gemeinsamen Verantwortung für die Erhaltung der institutionellen Treue werden wir, trotz unserer persönlichen Begrenzungen und mit der Gnade Gottes, mitten in den veränderlichen historischen Gegebenheiten die Kontinuität des Werkes in Treue zu seinem Ursprung sichern können. Es geht um die wesentliche Kontinuität zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft als Wesensmerkmal jeder lebendigen Wirklichkeit. Don Javier ermunterte uns im Jahre 2015, den heiligen Josefmaria zu bitten, damit das Werk den 2. Oktober 2028 mit dem Elan und der Geistesfrische feiern kann, die unseren Vater am 2. Oktober 1928 auszeichnete.

So wird durch die Barmherzigkeit Gottes jene Vision des heiligen Josefmaria Wirklichkeit werden können: „Ich sehe das Werk aus einer Perspektive von Jahrhunderten, immer jung, anmutig, schön und fruchtbar, als Verteidiger des Friedens Christi, damit die ganze Welt in diesem Frieden leben kann. Wir werden dazu beitragen, dass in der Gesellschaft die Rechte jeder menschlichen Person, der Familie und der Kirche anerkannt werden. Unsere Arbeit wird bewirken, dass der brudermörderische Hass und das Misstrauen unter den Völkern abnehmen, und meine Töchter und meine Söhne –fortes in fide (1 Petr 5, 9), standhaft durch den Glauben – werden alle Verletzungen mit dem feinen Balsam der Liebe Christi lindern können.“27

Ich empfehle die stete Erneuerung unserer Hingabe unserer Mutter, der heiligen Maria, der treuen Jungfrau, und dem heiligen Josef an, und segne euch in aller Liebe.

Euer Vater

Rom, 19. März 2022.

1 Benedikt XVI., Ansprache, 12.5.2010.

2 Franziskus, Homilie, 15.4.2020.

3 Brief 28.3.1973, Nr. 9.

4 Der Weg, Nr. 999.

5 Hl. Johannes Paul II., Homilie, 26.01.1979.

6 Christus begegnen, Nr. 64.

7 Christus begegnen, Nr. 131.

8 Brief, 6.5.1945, Nr. 23.

9 Brief 24.3.1931, Nr. 43.

10 Brief 31.5.1954, Nr. 22.

11 Hl. Josefmaria, Notizen aus einem Familientreffen, 19.02.1974.

12 Christus begegnen, Nr. 122.

13 Instruktion 1.4.1937, Nr. 1.

14 Gespräche, Nr. 118.

15 Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, Nr. 31.

16 Brief 14.3.1930, Nr. 23.

17 Javier Echevarría, Pastoralbrief 28.11.1995, Nr. 16.

18 Der Weg, Nr. 813.

19 Hl. Augustinus, De bono viduitatis, 21, 26.

20 Brief 14.2.1974, Nr. 23.

21 Christus begegnen, Nr. 45

22 Brief 15.10.1948, Nr. 26.

23 Brief 29.9.1957, Nr. 56.

24 Brief 14.2.1950, Nr. 21.

25 Brief 9.1.1932, Nr. 92

26 Javier Echevarría, Pastoralbrief 28.11.1995, Nr. 11.

27 Brief 16.7.1933, Nr. 26

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