Gewalt ist kein taugliches Mittel

Interview mit Bischof Javier Echevarría, dem Prälaten des Opus Dei: "Nur der Frieden der Gewissen führt zum Frieden der Völker"

Die Religion hat in der Werteskala vieler Bürger an Bedeutung verloren...

- Es gibt heute mehr Katholiken als jemals zuvor in der Geschichte. Doch wichtiger als die Zahl ist die Wirklichkeit einer lebendigen Kirche. Die Kirche muss wie seit zweitausend Jahren herausfordernd und anziehend sein. Sicher gibt es Länder und Gesellschaften, in denen die Glaubenspraxis schwindet. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wo etwa der Mensch allen möglichen Leidenschaften frönt, drängt er Christus an den Rand.

Wie soll man den Menschen begreiflich machen, dass Opfer und Nächstenliebe mehr Glück bedeuten als Lust und Geld?

- Wir alle erfahren die Kluft zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir sein sollten. Aber wenn man entdeckt, wie großartig der christliche Glaube ist, dann sieht man auch, dass er allem Streben nach Genuss und Geld überlegen ist. Deshalb lädt uns der Herr zum Kampf ein: Damit wir nicht die Gefangenen von Annehmlichkeiten und Neigungen bleiben, die verknöchnern und die die Seele verderben. Es gibt nichts Wunderbareres als ein ganz mit Christus vereintes Leben.

Das Opus Dei lädt dazu ein, sich durch die Arbeit zu heiligen. Wie viele Menschen glauben heute noch, daß sie für irgendetwas anderes als für ihren Lohn arbeiten?

- Jede Beschäftigung hat nicht nur einen wirtschaftlichen Wert. Im Plan Gottes vervollkommnet die Arbeit den Menschen und läßt ihn reifen. Daher hebt es seine Würde, wenn er Einfallsreichtum und Interesse in eine gut ausgeführte Tätigkeit investiert. Es geht nicht nur darum, Geld zu verdienen, sondern Gott und den Nächsten loyal zu dienen. In unserer sehr vom Kommerz bestimmten Gesellschaft kann es befreiend wirken, den christlichen Wert der Arbeit zu entdecken. Sie kann dazu beitragen, brüderlicher zu leben.

Sie lehnen Geburtenkontrolle ab. Aber ist es denn verantwortlich, bei einem Einkommen von 600 Euro ein halbes Dutzend Kinder in die Welt zu setzen?

- Wenn Löhne zu knapp sind, um Kinder würdig aufziehen zu können, wenn es kaum Wohnungen für Kinderreiche gibt, wenn überall Hindernisse aufgebaut werden, um ein harmonisches Berufs- und Familienleben zu führen, ... dann ist jeder Bürger und jeder Abgeordnete gefordert, hier vernünftige Lösungen zu finden. Das ist nicht nur eine ökonomische Frage: viele Menschen, die Geburtenkontrolle praktizieren, verdienen mehr als 600 Euro. Was die Kirche ablehnt, ist eine Sicht des Lebens, die das materielle Wohlergehen über den menschlichen und christlichen Wert der Ehe stellt.

Angesichts einer Reihe von Mißbrauchsfällen unter Priestern, fühlt sich die Kirche da gleichermaßen legitimiert, weiterhin Keuschheit vor der Ehe zu verlangen?

- Die Enthaltsamkeit gründet in der christlichen Moral, also in einem Verhalten, das die Würde der Person achtet und das wahre Glück sucht. Die kirchliche Ehelehre wird sich nie ändern. Auch wenn man einen katholischen Gläubigen – egal ob Priester oder Laie - beim Stehlen erwischen würde, würde die Kirche ihre Lehre über das Stehlen nicht ändern.

Sollen sich Kirchenführer zur Politik äussern?

- Jeder Laie kann sich, genauso wie jeder andere Bürger, politisch so betätigen wie er es für richtig hält. Das einzige, was von ihm erwartet wird, ist, dass er seinem Glauben gemäß handelt. Das bedeutet nicht, dass ihm irgendeine politische Option aufgezwungen würde, sondern fordert nur Unbestechlichkeit, Fair Play und aufrichtige Dienstgesinnung der Gemeinschaft gegenüber.

Ist es hinnehmbar, dass die Religion der Grund für kriegerische Konflikte ist, wie etwa bei der Konfrontation zwischen Palästina und Israel?

- Es ist zutiefst traurig, dass Menschen einander töten, aus welchem Grund auch immer. Aber ich meine nicht, dass der Konflikt im Heiligen Land religiöse Gründe hat. Hier wird doch um Land gekämpft. Unter Palästinensern und Israelis gibt es Männer und Frauen, die in der Lage sind, brüderlich zusammenzuleben. Der Friede ist ein Segen des Himmels, der auf Erden Menschen guten Willens braucht.

Wie würden sie diesen Frieden ins Baskenland bringen?

- Frieden lässt sich nicht auf die Abwesenheit von Krieg reduzieren, sonst reichte ein militärischer Sieg oder eine Waffenruhe aus. Echter Frieden ist nicht zu trennen von der Gerechtigkeit und entspringt einem herzlichen Umgang untereinander. Der wiederum erfordert eine Haltung des Verstehens und Verzeihens, sowie das Bemühen, einander kennenzulernen und Mißverständnisse zu bereinigen, - und viel Gnade Gottes. Der heilige Josefmaria wiederholte unermüdlich, dass nur der Frieden in den Gewissen den Frieden zwischen den Völkern und in den Völkern hervorbringen kann. Und er fügte hinzu, dass Gewalt nie ein taugliches Mittel sei, weder um zu siegen noch um zu überzeugen. Stets ist am Ende derjenige besiegt, der sie anwendet.

Hat das Opus Dei Papst Johannes Paul II. viel zu verdanken?

- Die ganze Kirche schuldet Johannes Paul II. Dank, sehr viel Dank für seine beständige Hingabe. Es würde hier zu weit führen, auf alle möglichen Gründe dafür einzugehen. Man braucht sich nur anzusehen, wie er sich in seinem Alter und bei seinem physischen Befinden keine Anstrengung im Dienst an Kirche und Welt erspart.

Kann er den Krieg im Irak aufzuhalten?

- Johannes Paul II. ist das beste Beispiel für wahre Friedensliebe. Ich nutze die Gelegenheit, um alle, die diese Zeilen lesen, zu bitten, dass sie sich mit dem Papst solidarisieren und für das beten, was der Papst schon immer und auch heute zugunsten des Friedens unternimmt.

Hat der Prälat des Opus Dei schon einmal Glaubenskrisen?

- Keine Krisen, aber doch Prüfungen. Denn der Glaube kennt notwendigerweise harte Momente angesichts des scheinbaren - bzw. realen, aber nicht dauerhaften - Sieges des Bösen. Der unerwartete Tod geliebter Menschen, Gesundheitsbeschwerden, Widersprüche im Leben sind persönliche Begegnungen mit dem Kreuz, die einen schon etwas durcheinanderbringen können. Der Herr lässt uns auf diese Weise reifen, als Menschen und als Christen.

Wie lange beten Sie täglich?

- Ich widme einige Zeit dem betrachtenden Gebet vor der Heiligen Eucharistie, und viele Stunden der Arbeit, was beten ist, denn alle Aktivitäten lassen sich in Gebet verwandeln. Doch im Zentrum meines Lebens steht, wie bei jedem katholischen Christen, die Heilige Messe.

Was unterscheidet ein Mitglied des Opus Dei von einem gewöhnlichen Christen?

- Ein Mitglied des Opus Dei ist ein gewöhnlicher Christ, der den Ruf Gottes vernommen hat, mit Jesus Christus eins zu werden und ihn den anderen von seinem Platz in der Welt aus bekannt zu machen: in seinem Zuhause, in seinem Berufsleben, in seinem sozialen Umfeld.

Ist der Glauben ein ausreichender Panzer gegen Depressionen?

- Depressionen können jeden befallen. Der Glaube kann helfen, sie zu ertragen, denn er verleiht dem Leiden wie allen Schwierigkeiten im Leben Sinn. Der Glaube fordert uns auf, geduldig zu sein und mehr auf Gott zu vertrauen. Wie jede Krankheit lassen sich Depressionen in eine besondere Gelegenheit der Heiligung verwandeln.

Das Opus Dei hat die Heiligsprechung von Escrivá zusammenfallen lassen mit einer Solidaritätsaktion für Erziehung und Bildung in Afrika. Was tun sie sonst für sozial Benachteiligte?

- Das Werk arbeitet auf dem afrikanischen Kontinent seit mehr als einem halben Jahrhundert. Mir fallen beispielsweise das Medizinische Zentrum Monkole in Kinshasa ein, die Kianda School und das Strathmore College, die ersten rassenübergreifenden Erziehungseinrichtungen in Kenia; oder die Landwirtschaftsschule Iroto in Nigeria.

Hegen Sie Hoffnungen, dass sich die Gotteshäuser eines Tages wieder füllen? Wie soll das geschehen?

- Es gibt viele Orte, wo die Kirchen jeden Tag voll sind. Das sehe ich auf meinen Reisen. Das Christentum bewahrt seine immerwährende Jugend auch nach zweitausend Jahren, selbst wenn es neben seiner Vitalität auch immer Erscheinungen von Verfall oder von Gleichgültigkeit gibt, wie das immer der Fall war. Was sich zu ändern hat, ist nicht die Lehre der Kirche, die zu allen Zeiten dem Evangelium Treue schuldet. Wer sich zu ändern hat, sind wir selbst, und zwar täglich und mit Blick darauf, wo der Herr Bekehrung von uns erbittet.

Was ist ihr Beitrag zum Opus Dei?

- Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich bemühe mich, dem Erbe, das ich empfangen habe, treu zu sein und es dem, der nach mir kommt, so lebendig zu hinterlassen, wie ich es empfangen habe. Ich sage dem Herrn häufig ein Gebet, das ich vom heiligen Josefmaria gelernt habe: „Herr, leuchte Du durch meine Erbärmlichkeiten hindurch, zeig´ Dich!“

von Montserrat Lluis/ El Correo (Bilbao, Spanien), 23. Februar 2003.