Brief des Prälaten (Mai 2008)

In seinem Brief im Monat Mai lädt Bischof Echevarría dazu ein, den Umgang mit der Muttergottes im Gebet zu pflegen und so von ihr zu lernen, mit Christus zu sprechen.

Heute feiert die Weltkirche das Hochfest Christi Himmelfahrt; mancherorts wird es aus pastoralen Gründen auf den nächsten Sonntag verschoben. Mischen wir uns nach dem Rat unseres Vaters unter die Apostel und die heiligen Frauen, die Zeugen dieses letzten Mysteriums im Leben Christi auf Erden waren.

„Es ist nur gerecht, daß die heilige Menschheit Christi vom ganzen Chor der Engel und all den Scharen der Seligen im Himmel Huldigungen, Jubelrufe und Anbetung empfängt.“ (1) Wir wollen uns aus ganzem Herzen dieser Erhöhung Jesu anschließen. Es drängt uns, die Gnade der Erlösung, die er uns schenkt, mit beiden Händen zu ergreifen; wie den Elf ist uns klar, dass er unseren Unglauben tadeln könnte (2), und wir bitten ihn, er möge in unsere Seele ein neues Leben, das übernatürliche Leben, einprägen.

Christus hat uns verlassen. Er ist in den Himmel aufgefahren, um uns eine endgültige Wohnstatt zu bereiten; von dort aus, wo er nach den Worten der Liturgie zur Rechten des Vaters thront, gelangt die gratia Capitis, die Gnade des Hauptes, zu allen Gliedern des mystischen Leibes. Bevor er uns verließ, hat er uns den Auftrag gegeben, in alle Welt zu gehen und ohne Angst und ohne Menschenfurcht, voller Glauben und Optimismus seine Lehren zu verkünden.(3)

Es ist offensichtlich, dass der erhaltene Auftrag in keinem Verhältnis zu unseren Kräften steht. Was sind wir, wenn es um ein solches Unternehmen geht? Welche Sicherheit gibt uns jedoch sein Versprechen, uns nicht allein zu lassen und uns den Heiligen Geist zu senden, damit wir seine Zeugen sind bis an die äußersten Grenzen der Erde!(4) Die Himmelfahrt Christi stellt für jede und jeden eine große Herausforderung dar und erfordert ein absolutes Vertrauen in den Himmel.

„Aber du und ich, wir fühlen uns verwaist: traurig suchen wir Trost bei Maria.“(5) Mit diesen Worten beendet der heilige Josefmaria seine Betrachtung des zweiten glorreichen Geheimnisses. Suchen auch wir Trost bei Maria, sie soll uns erbitten, dass wir dieser Verpflichtung, Zeugnis für Christus und seine Botschaft zu geben, für immer treu bleiben.

Fast überall auf der Welt ist der Mai der Monat Mariens schlechthin. Mir kommt die Freude in den Sinn, mit der der heilige Josefmaria sich jedes Jahr darauf vorbereitete, seinem Leben in diesen Wochen ein marianisches Gepräge zu geben. Überlegen wir uns vom ersten Augenblick an, welche Blumen wir unserer Herrin in den nächsten Wochen bringen können: Feingefühl im Umgang mit ihrem geliebten Sohn Jesus und im Umgang mit ihr selbst; kleine Opfer bei der Arbeit, in den Beziehungen mit den anderen, in der Erfüllung unserer Pflichten in Familie, Beruf und Gesellschaft. Auch wenn uns diese Dinge meist klein erscheinen, verströmen sie doch, wenn wir sie mit Liebe und aus Liebe tun, den bonus odor Christi (6), den Wohlgeruch Christi, den jeder Christ durch sein Verhalten weitergeben soll, so dass auch die anderen Menschen Jesus kennen und lieben lernen. Hast Du schon einen konkreten Plan, wie Du Maria in diesen Tagen Ehre erweisen kannst?

Der Monat Mai ist voller Marienfeste und marianisch geprägter Ereignisse in der Geschichte des Opus Dei. Sie können uns dazu dienen, die kindlichen Gefühle unseres Herzens im Laufe dieser Tage lebendiger zu empfinden. Mit diesen Zeilen möchte ich Euch dabei helfen.

Morgen, am 2. Mai, ist der Jahrestag jener Wallfahrt des heiligen Josefmaria, die am Beginn der Gewohnheit der Maiwallfahrten stand. Seither sind bereits 73 Jahre vergangen, und viele Tausende, ja Abertausende, haben in aller Welt auf den Spuren unseres Vaters die Muttergottes besucht.

Leben wir diese marianische Sitte des Opus Dei so, dass sie nicht den familiären Charakter verliert, den der heilige Josefmaria für sie gewollt hat. Er bezog sich auf die Wallfahrt am 2. Mai 1935, als er später schrieb: „Es war keine Wallfahrt im gewohnten Stil. Wir gingen nur zu dritt. Ich respektiere und schätze jene öffentlichen Erweise der Frömmigkeit, aber ich ziehe es vor, Maria durch persönliche Besuche oder in kleinen Gruppen dieselbe Liebe und Begeisterung zu erweisen – in der Stille und Abgeschiedenheit persönlicher Hingabe.“(7)

Die Muttergottes tritt unendlich oft für ihre Kinder ein. Meistens sind es Hilfestellungen, die in der Geschichte der Menschheit verborgen bleiben, die aber das Leben ihrer Empfänger innerlich erleuchten und ihnen Kraft verleihen, besser zu werden und sich das hohe, aber erreichbare Ziel der Heiligkeit, der Vereinigung mit Gott, vorzunehmen. Diese Hilfen und auch die großzügigen Antworten, die sie hervorrufen, werden am Jüngsten Tag in ihrer ganzen Bedeutung offenbar werden. Bemühen wir uns daher, wie unser Vater alle Ereignisse und Umstände mit den Augen der Ewigkeit zu betrachten.

Außerdem scheut sich unsere Herrin nicht – das entspricht ganz dem Willen Gottes –, allgemein zu Gunsten der Menschen einzutreten, vor allem in Zeiten, in denen diese es besonders nötig haben. Guadalupe, Lourdes, Fatima … und andere Erscheinungen Mariens, die von der Kirche anerkannt sind, stellen nur ein kleines Zeichen dieser Fürsorge dar, die sie ihren Kindern in reichem Maß zukommen lässt. Sie ist eine gute Mutter, die alle Mittel einsetzt, um uns zur Reue zu bewegen, um uns von neuem zu Christus und näher zum Herzen Gottes zu führen.

Am 13. Mai gedenken wir eines dieser Zeichen, der ersten Erscheinung der Muttergottes in Fatima. Hören wir aufmerksam die Botschaft von Gebet, Bekehrung und Sühne für die Sünden, die von diesem Marienheiligtum ausgeht. Natürlich werden wir Maria besonders für den Schutz danken, den sie Papst Johannes Paul II. gewährt hat, als sie sein Leben bei jenem Attentat vom 13. Mai rettete; und denken wir auch voller Dankbarkeit daran, dass der heilige Josefmaria sich viele Male in der capelinha vor ihr niederkniete, um ihre mütterliche Hilfe für die Kirche, das Werk und alle Menschen zu erflehen. Er sagte oft, dass dieser Ort seine „Zuflucht“ sei.

Ich habe Lourdes erwähnt, wo in diesem Jahr der 150. Jahrestag der Erscheinungen gefeiert wird. Und auch da fallen mir die Anlässe ein, bei denen unser Gründer unsere Mutter in jenem Winkel der Pyrenäen besuchte. Ich bitte ihn, die Liebe zu Maria und ihre Verehrung möge in allen Gläubigen des Opus Dei und in denen, die mit seinen Apostolaten in Kontakt stehen, täglich wachsen, wie es beim heiligen Josefmaria der Fall war.

Auch die Anrufung Unserer Lieben Frau von Guadalupe, die in enger Verbindung mit der Evangelisierung der Neuen Welt steht, hat in der marianischen Geschichte des Opus Dei ihren Platz. In den nächsten Tagen erinnern wir uns an die Novene des heiligen Josefmaria zur Muttergottes in ihrer Basilika in Mexiko Stadt vom 16. bis zum 24. Mai 1970. Sie war der wichtigste Grund seiner ersten Reise auf den amerikanischen Kontinent. Damals hatte ich das Glück – ich betrachte es als eine ganz besondere Gnade Gottes –, bei unserem Vater zu sein, als er für die Kirche und das Werk betete. Jahre später, Ende April 1983, kam ich wieder nach Guadalupe, dieses Mal in Begleitung unseres geliebten Don Alvaro. Wir wollten unserer Herrin Dank sagen, weil sie die flehentlichen Gebete unseres Vaters erhört hatte.

Wir können zahlreiche Lehren aus jenen Tagen von 1970 ziehen. Ich lade Euch ein, die Seelengröße unseres Gründers zu betrachten. Wie gut erinnere ich mich an den 24. Mai, den letzten Tag der Novene. Wir beteten wie jeden Tag die drei Teile des Rosenkranzes. Bevor wir den glorreichen Rosenkranz begannen, forderte der heilige Josefmaria uns auf, die ganze Welt in unsere Bitten einzuschließen. Anhand der Worte unseres Vaters zogen vor unseren Augen Europa, Asien, Afrika, Amerika und Australien vorbei, während wir die Wünsche, Sorgen und Nöte der Millionen Menschen, die die Erde bevölkern, in die Hände der Muttergottes legten. Ahmen wir ihn nach in seinem Eifer, die Früchte der Erlösung durch Jesus Christus überallhin und zu allen Menschen gelangen zu lassen.

Auch am 31. Mai ist ein Fest unserer Mutter Maria. Kaum hatte der Erzengel Gabriel ihr die bevorstehende Geburt des Täufers angekündigt, „machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.“(8) Ihr könnt Euch diese Szene leicht vorstellen, denn wir betrachten sie täglich im zweiten Geheimnis des freudenreichen Rosenkranzes: die Ankunft Mariens, die Worte Elisabeths, die freudigen Bewegungen des noch ungeborenen Täufers … Maria blieb etwa drei Monate im Haus ihrer Verwandten, um ihr bei allem Notwendigen zur Hand zu gehen. Wie viel vermag die Gegenwart Mariens! In Bezug auf diese Tatsache schreibt der hl. Ambrosius: „Wenn schon ihr Eintritt [in jenes Haus] eine solche Wirkung hervorbrachte, dass durch den Gruß Marias das Kind vor Freude im mütterlichen Schoß hüpfte und seine Mutter vom Heiligen Geist erfüllt wurde – wie werden wir je den Wert der Gegenwart Marias über so lange Zeit ermessen?“(9)

Wir können die Worte dieses Kirchenvaters und Kirchenlehrers auf unsere Antwort dem Herrn gegenüber anwenden. Wenn wir uns im Mai und auch sonst bemühen, der Muttergottes ganz nahe zu sein, wie viele Gnaden werden unserer Seele geschenkt! Unter anderem die große Freude, uns als Gottes Freunde und Kinder zu fühlen.

Die Gegenwart der Muttergottes an jedem unserer Tage wird zur besten Schule des Gebetes. So sagte es auch Papst Benedikt XVI. vor einigen Monaten. „Der hl. Lukas sagt uns zweimal, Maria »bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Lk 2,19; vgl. 2,51). Sie war ein Mensch im Gespräch mit Gott, mit dem Wort Gottes und auch mit den Geschehnissen, durch die Gott mit ihr sprach. Das Magnificat ist aus Worten der Heiligen Schrift »gewoben« und zeigt uns, wie Maria in einem fortwährenden Gespräch mit dem Wort Gottes und auf diese Weise mit Gott selbst gelebt hat. (…) Wir lernen daher von Maria, mit dem Herrn persönlich zu sprechen, indem wir die Worte Gottes in unserem Leben und in unserem Herzen erwägen und bewahren, damit sie echte Nahrung für einen jeden werden. Auf diese Weise leitet uns Maria in einer Schule des Gebets, in einem persönlichen, tiefen Kontakt mit Gott.“(10)

Bevor ich schließe, bitte ich Euch, für die Gläubigen des Opus Dei zu beten, die am 24. Mai in Rom zu Priestern geweiht werden. Gott mache sie auf die Fürsprache seiner Heiligen Mutter heilig, gelehrt und froh.

Im gerade vergangenen Monat habe ich zwei kurze Reisen unternommen – eine nach England und eine nach Österreich. Ich wollte den Gläubigen und Mitarbeitern der Prälatur für ihre apostolische Arbeit zum Wohl der Kirche Mut zusprechen. In Erinnerung an unseren Vater und Don Alvaro habe ich in London vor Unserer Lieben Frau von Willesden und in Wien vor Maria Pötsch gebetet. Wie in Aparecida, Luján, Lo Vásquez u.a vertraute der heilige Josefmaria auch an diesen Orten das Werk dem Schutz Mariens an. Lernen wir, ebenfalls diesen Weg der sicheren Hilfe zu gehen.

In Wien wollte ich das Gebet des heiligen Josefmaria von 1955 fortsetzen und habe die Stella Orientis besucht. Ich habe sie um ihre Unterstützung bei der apostolischen Aufgabe gebeten, die wir in mehreren Ländern Zentral- und Osteuropas verrichten, die früher unter kommunistischer Herrschaft standen, und auch in den Ländern, wo man uns erwartet: Rumänien, Bulgarien, die Ukraine, Weißrussland … Denkst Du daran, alle zu begleiten, die in der ganzen Welt eine Wallfahrt zu unserer Mutter machen? Wie sprichst Du in Deiner Umgebung von der Größe Mariens und ihrer allmächtigen Fürsprache? Hast Du Dir überlegt, wie Du ihre Bilder mit mehr Liebe anschauen kannst? Betest Du die Avemarias mit größerer Frömmigkeit?

Normalerweise ist am 1. Mai das Fest des hl. Josef, des Arbeiters. Ich bitte den heiligen Patriarchen, er möge uns lehren, sehr feinfühlig mit seiner jungfräulichen Gattin umzugehen – im Laufe der nächsten Wochen und immer.

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(1) Hl. Josefmaria, Der Rosenkranz, 2. glorreiches Geheimnis

(2) Vgl. Mk 16, 14

(3) Vgl. Mt 28, 19-20; Mk 16, 15

(4) Vgl. Joh 14, 15-18; Mt 28, 20

(5) Hl. Josefmaria, Der Rosenkranz, 2. glorreiches Geheimnis

(6) 2 Kor 2, 15

(7) Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 139

(8) Lk 1, 39-40

(9) Hl. Ambrosius, Darlegung des Evangeliums nach Lukas, 2, 29

(10) Benedikt XVI., Treffen mit Priestern aus der Diözese Rom, 22.2.2007