Benedikt XVI: „Träumt!“

„Ihr müsst eine starke Persönlichkeit haben!“ – „Habt keine Angst, zu träumen!“ – „Der Papst ist den durch Scheidung getrennten Familien nahe“ – „Gibt es unerfüllbare Träume, wenn sie Gott selbst in uns erweckt?“ - „Geht den Weg der Demut!“ – „Schwimmt gegen den Strom“ ... Und die Jugendlichen applaudierten dazu.

Und deshalb braucht Ihr, liebe Freunde, keine Angst davor zu haben, mit offenen Augen von wunderbaren Taten zu träumen; darum braucht Ihr Euch durch die Schwierigkeiten nicht entmutigen zu lassen.

500.000 Jugendliche aus Italien versammelten sich an diesem Wochenende in Loreto, um sich mit Papst Benedikt XVI auf den Weltjugendtag vorzubereiten, der im kommenden Jahr in Australien stattfinden wird. 

Im Heiligtum von Loreto befindet sich das Haus, in dem der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria erschien. Deshalb sprach der Papst über Mut, Hingabe und Demut zu den Jugendlichen. Hier eine Auswahl aus den Worten des Papstes:

Welcher Grund auch immer Euch hierher geführt hat, ich kann Euch sagen, auch wenn es gewagt klingt, dass es der Heilige Geist gewesen ist. Ja, genauso ist es: der Heilige Geist hat Euch geführt. Ihr seid mit Euren Zweifeln und Eurem Gewissheiten hierher gekommen, mit Euren Freuden und Euren Sorgen. Jetzt liegt es an uns und an Euch allen, das Herz zu öffnen und alles Jesus darzubringen.

Sagt ihm: Hier bin ich! Sicherlich bin ich noch nicht so, wie Du mich gerne hättest. Ich schaffe es ja nicht einmal, mich selbst ganz zu verstehen, aber mit Deiner Hilfe bin ich bereit, Dir zu folgen. Herr Jesus, ich möchte heute Abend mit Dir reden und mir die innere Haltung und die vertrauensvolle Hingabe jener jungen Frau zu eigen machen, die vor mehr als zweitausend Jahren ihr „Ja“ zum Vater gesprochen hat, der sie erwählt hatte, um Deine Mutter zu werden. Der Vater hat sie erwählt, weil sie fügsam und seinem Willen gehorsam war. So wie sie, wie die kleine Maria, soll jeder von Euch, liebe junge Freunde, voller Glauben zu Gott sagen: Hier bin ich, „mir geschehe, wie du es gesagt hast!“. (...)

500.000 Jugendliche aus Italien versammelten sich an diesem Wochenende in Loreto.

Leider sehen viele Jugendliche heutzutage ein erfülltes und glückliches Dasein oft als einen schwer erfüllbaren und manchmal nicht zu verwirklichender Traum. Viele Eurer Altersgenossen blicken besorgt in die Zukunft und stellen sich nicht wenige Fragen. Sie machen sich Sorgen: wie kann man sich in eine Gesellschaft einordnen, die von zahlreichen schweren Ungerechtigkeiten und Leiden geprägt ist? Wie soll man auf den Egoismus und die Gewalt reagieren, die manchmal die Oberhand zu gewinnen scheinen? Wie kann man dem Leben echten Sinn geben? Voll Überzeugung und Liebe sage ich es hier nochmals zu Euch, und durch Euch sage ich es zu Euren Altersgenossen in aller Welt: Fürchtet Euch nicht, Christus kann die tiefsten Sehnsüchte Eures Herzens erfüllen! Können denn die Träume unerfüllbar sein, die der Geist Gottes selbst im Herzen erweckt und wachsen lässt? Kann irgendetwas unsere Begeisterung bremsen, wenn wir mit Christus vereint sind? Der Apostel Paulus würde sagen, nichts und niemand kann uns scheiden von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn (vgl. Röm. 8, 35-39).

Erlaubt mir, es Euch heute Abend nochmals zu sagen: jeder von Euch kann Großes vollbringen, wenn er mit Christus vereint bleibt. Und deshalb braucht Ihr, liebe Freunde, keine Angst davor zu haben, mit offenen Augen von wunderbaren Taten zu träumen; darum braucht Ihr Euch durch die Schwierigkeiten nicht entmutigen zu lassen. Christus vertraut auf Euch und wünscht, dass Ihr alle Eure edelsten und höchsten Träume vom echtem Glück verwirklichen könnt. Nichts ist unmöglich für den, der auf Gott vertraut und sich ihm anvertraut. Schaut auf das Mädchen Maria! Der Engel stellte ihr wirklich Unfassbares vor Augen: Sie sollte auf unvorstellbar direkte Art in den großartigen Plan Gottes, die Erlösung der Menschheit, einbezogen werden. Das Evangelium berichtet, dass Maria angesichts dieses Vorschlags verwirrt wurde, da sie sich der ganzen Unbedeutendheit ihres Daseins der Allmacht Gottes gegenüber bewusst war, und so fragte sie sich: Wie ist denn das möglich, warum gerade ich? In der Bereitschaft, den göttlichen Willen zu erfüllen, sprach sie jedoch sogleich ihr „Ja“, das ihr Leben und die Geschichte der ganzen Menschheit verändert hat. Auch wir befinden uns heute Abend hier dank ihres „Ja“.

Ich frage mich selbst und Euch: Können die Forderungen, die Gott an uns stellt, so eindrucksvoll sie uns auch erscheinen mögen, jemals an das heranreichen, was Gott vom jungen Mädchen Maria verlangt hat? Liebe Jungen und Mädchen, wir wollen von Maria lernen, unser „Ja“ zu sagen, denn sie weiß wirklich, was es bedeutet, großherzig auf die Forderungen des Herrn zu antworten. Maria, liebe Jugendliche, kennt Eure tiefsten und nobelsten Sehnsüchte. Sie kennt vor allem genau Euer tiefes Verlangen nach Liebe, Euer Bedürfnis, zu lieben und geliebt zu werden. Wenn Ihr auf sie schaut und ihr aufmerksam folgt, dann werdet Ihr die Schönheit der Liebe erkennen, die freilich keine vergängliche und trügerische Liebe ist, ein „Einmalartikel“, der in einer egoistischen und materialistischen Mentalität gefangen bleibt, sondern eine tiefe und wahre Liebe. Im Innersten jedes jungen Menschen, der ins Leben tritt, lässt sie den Traum einer Liebe heranwachsen, die der eigenen Zukunft vollen Sinn verleiht. Für viele erfüllt sich dies in der Entscheidung für die Ehe und in der Gründung einer Familie, in der die Liebe zwischen Mann und Frau als Geschenk gegenseitiger Treue gelebt wird. Dieses Geschenk ist definitiv und wird am Tag der Trauung durch das „Ja“ vor Gott besiegelt, das ein „Ja“ für das ganze Leben ist. Ich weiß wohl, dass dieser Traum heute immer schwerer zu verwirklichen ist. Wie viele Liebebeziehungen scheitern in unserer Umgebung! Wie viele Paare geben auf und trennen sich! Wie viele Familien zerbrechen! Wie viele junge Menschen, auch unter Euch, müssen die Trennung und die Scheidung ihrer Eltern erleben! Denen, die sich in einer so heiklen und komplexen Lage befinden, möchte ich heute Abend sagen: Die Muttergottes, die Gemeinschaft der Gläubigen, der Papst sind bei Euch und beten dafür, dass die Krise der Familie unserer Zeit nicht zu einem unumkehrbaren Scheitern wird. Mögen die christlichen Familien mit Hilfe der göttlichen Gnade jener feierlichen Liebesverpflichtung treu bleiben, die sie am Hochzeitsfest voller Freude vor dem Priester und der Gemeinschaft der Gläubigen auf sich genommen haben.

Angesichts so vieler scheiternder Beziehungen wird nicht selten die Frage gestellt: bin ich vielleicht besser als meine Freunde und als meine Eltern, die es versucht haben und gescheitert sind? Warum sollte es mir, ausgerechnet mir, gelingen, wo doch so viele versagt haben? Solch menschliche Furcht kann auch die verwegensten Gemüter bremsen, aber in dieser kommenden Nacht wiederholt Maria hier bei ihrem heiligen Haus jedem von Euch, meine lieben jungen Freunde, die gleichen Worte, die der Engel an sie selbst gerichtet hat: Fürchtet Euch nicht! Habt keine Angst! Der Heilige Geist ist mit Euch und wird Euch niemals verlassen. Demjenigen, der auf Gott vertraut, ist nichts unmöglich. Das gilt für die zur Ehe Bestimmten, und mehr noch für diejenigen, für die Gott ein Leben der völligen Abkehr von den irdischen Gütern vorgesehen hat, damit sie sich ganz seinem Reich widmen. (...)

Liebe Jugendliche, wenn der Herr Euch ruft, Euch näher in seinen Dienst zu stellen, dann gebt ihm eine großherzig Antwort. Seid dessen gewiss: ein Gott gewidmetes Leben wird niemals vergebens sein.

Gott „hat auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut“. Die Demut Mariens ist das, was er an ihr am meisten schätzt. Folgt nicht dem Weg des Stolzes, sondern dem Weg der Demut. Schwimmt gegen den Strom, hört nicht auf die verführerischen Stimmen, die ihre eigensüchtigen Interessen verfolgen und heute überall Lebensmodelle propagieren, die Arroganz, Gewalt, Präpotenz und Erfolg um jeden Preis beinhalten. Sie suchen den schönen Schein; das, was man hat, nicht das, was man ist. Habt keine Angst, liebe Jugendliche, „alternative“ Wege zu bevorzugen, die uns die wahre Liebe weist: ein nüchterner und solidarischer Lebensstil; Reinheit und Aufrichtigkeit in den affektiven Beziehungen; ehrliche Anstrengung im Studium und bei der Arbeit; wahre Sorge um das Gemeinwohl...

Der Demütige wird als Versager betrachtet, als Gescheiterter, der der Welt nichts zu sagen hat. Und doch ist gerade dies der Königsweg; nicht nur, weil die Demut eine großartige menschliche Tugend ist, sondern vor allem deshalb, weil sie die Art darstellt, wie Gott selbst zu handeln pflegt. Sie ist der Weg, den Christus gewählt hat, der Mittler des Neuen Bundes, der „äußerlich als ein Mensch erfunden wurde und sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil. 2,8).

Ich denke jetzt an die vielen Mädchen und Jungen im Verzeichnis der „anonymen“ Heiligen, die aber für Gott keineswegs namenlos sind. Für ihn ist jeder Mensch einzigartig, mit eigenem Namen und eigenem Gesicht. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen, und ihr wisst das ganz genau!

Liebe Mädchen und Jungen, im Namen Jesu möchte ich Euch heute ganz entschieden sagen: Geht hin, lebt, und liebt! In den Augen Gottes ist jeder von Euch wichtig. Ihr seid wichtig für Eure Familien, für Eure Freunde, für Eure Lehrer, für alle, die Ihr liebt, für Euer Land, für die ganze Welt, für die Kirche, für Jesus Christus. Da es kein Leben gibt, das nicht wichtig wäre, sollt Ihr Euch wirklich wichtig fühlen, als Hauptpersonen, weil Ihr im Zentrum der Liebe Gottes steht.

'Jetzt, Loreto. In einem Jahr, Sidney... wenn Gott will!'.

Wenn Ihr nach vorne blickt, werdet Ihr voll Freude entdecken, dass die Zukunft in Eurer Fähigkeit enthalten ist, auf die Einladung Christi zu rückhaltloser Liebe zu antworten.

In Christus findet Ihr die Antwort auf die tiefsten Fragen Eures Herzens, denn Er, nur Er allein, ist imstande, Euch wirklich frei zu machen und fähig zur Liebe. Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, denn sogar wenn Euch vorkommt, Er bliebe vor Euren Fragen stumm, ist Er Euch nahe, ja mehr noch: Er hält Euch an der Hand.

Den anderen Christus zu zeigen, bedeutet nicht, ihn ihnen aufzuzwingen. Dort, wo es Zwang und Gewalt gibt, kann Christus nicht sein. Ihr müsst junge Leute mit starker Persönlichkeit sein, das erwartet der Papst von Euch, das erwarten Eure Bischöfe, Eure Familien und die heutige Gesellschaft von Euch.

Schon jetzt möchte ich mich jedenfalls mit Euch Jugendlichen in Sydney verabreden, wo in einem Jahr der nächste Weltjugendtag stattfinden wird. Ich weiß, dass Australien für die jungen Italiener weit entfernt, im wahrsten Sinne des Wortes am anderen Ende der Welt liegt... Beten wir, dass der Herr, der alle Wunder wirkt, vielen von Euch gewähren möge, dabei zu sein. Möge er es mir und Euch gewähren. Das ist einer unserer vielen Träume, die wir heute Nacht im gemeinsamen Gebet Maria anvertrauen wollen.