Aufgepasst auf diese beiden

Francesco Cossiga über Josemaría Escrivá und Thomas Morus: nahe Geistesverwandte

Nur einmal hatte ich die Möglichkeit, dem seligen Josemaría Escrivá zu begegnen. Ich gewann von ihm sogleich einen feinen, aber äußerst starken Eindruck! Sehr gut befreundet war ich hingegen mit seinem Nachfolger, Msgr. Alvaro del Portillo, der oft – manchmal ernsthaft, manchmal im Scherz – davon redete, wie restlos ich das geistliche Wesen der Lehre des Seligen und daher des von ihm gegründeten Werkes verstanden hätte.

An den apostolischen Initiativen des Opus Dei, die ich gründlich kennen lernen konnte, bewundere ich seit jeher die Arbeit, die dort geleistet wird, und insbesondere eine Art Ausbildungsmodell, das ich ohne weiteres als „höher“ bezeichnen würde und dem die staatlichen Behörden viel Aufmerksamkeit entgegen bringen sollten, vor allem in der heutigen Krise des italienischen Schulsystems.

Ich zögere nicht, dieses Modell mit jenem zu vergleichen, das von einem so großen Intellektuellen und Heiligen wie Kardinal John Henry Newman in seiner großartigen Schrift “The idea of a university“ verfochten wurde. Darin betont und beweist Newman unter anderem, dass das spezifische Ziel der Universität kein konfessionelles sein kann, sondern darin bestehen muss, Kultur im weitesten Sinn des Wortes zu vermitteln, im Vertrauen darauf, dass eine natürlich-menschliche Tätigkeit wie jene, Kultur zu vermitteln, den fruchtbarsten Grund bildet für jegliche religiöse und moralische Veredelung. Das Opus Dei ist mit dieser Art von Arbeit beispielgebend auf dem Gebiet der Bildung, die sich dann aber auch auf viele andere Aspekte der menschlichen Tätigkeit erstreckt. Dabei tut es letztlich nichts anderes, als dass es die wahre Rolle der katholischen Laien unterstreicht.

Heute scheint klar zu sein und von allen verstanden zu werden, dass der Laie der Kirche kein Christ zweiter Klasse ist und dass die Laienberufung nicht als Abwesenheit einer Ordensberufung zu verstehen ist, sondern als spezifische Berufung in der Kirche. Wer ist der Laie? Der Laie wurde definiert als derjenige, der nicht geweiht, nicht ordiniert war; kein Subdiakon; kein Diakon und kein Priester, kein Bischof; und auch kein Ordensmann. Während langer Zeit, bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, war der Laie ein Mitglied der Kirche „per Subtraktion“: Der Laie war derjenige, der … in der Kirche nichts anderes war!

Um diese tiefsitzende Überzeugung aufzuzeigen, genügt es, zu Newman zurückzukehren. Dieser hatte in der Zeitschrift The Rambler einen Artikel verfasst mit dem Titel „Ist es rechtens oder angebracht, den Laien in Fragen des Glaubens zu konsultieren?“. Nun, ein Monsignore der Kurie – Talbot mit Namen, wenn ich mich recht erinnere – verklagte den Verfasser ohne zu zögern bei den kirchlichen Autoritäten wegen der Aussagen dieses Essays. Er sagte, der Monsignore, die Funktion der Laien in der Kirche beschränke sich darauf, Karten zu spielen, Kinder zu zeugen und auf die Jagd zu gehen.

Derjenige, der vor dem Konzil die Autonomie der Rolle des Laien in der Kirche und das Laie-Sein als spezifische kirchliche Berufung erkannte, war Josemaría Escrivá. Das Opus Dei ist in der Tat eine dem Wesen nach laikale Institution, so sehr, dass der Gründer die ersten Mitglieder unter den zivilberuflich tätigen Laien suchte und fand und nicht unter den Priestern! Vor die Aufgabe gestellt, das Werk rechtlich einzuordnen, musste er sich anfänglich zu einer juristischen Formel herbeilassen, die die Berufung der Mitglieder des Opus Dei nicht angemessen auszudrücken vermochte. Als der selige Escrivá um das Jahr 1946 zum damaligen Substituten des Päpstlichen Staatssekretariates und späteren Kardinal Tardini ging, um ihm seine Ideen mitzuteilen, gab ihm dieser zu verstehen, dass seine Ideen für die Zeiten, die die Kirche damals durchlebte, noch völlig verfrüht seien: „In fünfzig Jahren, wer weiß …“, beschied er ihn. Doch Escrivá machte sich an die Arbeit, um die definitive juristische Lösung zu erhalten – eben die heutige Rechtsform der Personalprälatur, wie sie bereits in den Durchführungsdokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils vorgesehen war.

Das also war die Intuition. Der Laie besitzt eine eigene, spezifische Berufung. Oder, um es mit meinen eigenen Worten zu sagen, der Laie ist der Priester des Zeitlichen, er ist Priester der Geschichte, er ist Priester der zeitlichen Gemeinschaft. Die spezifische Berufung des Laien ist jene des Priestertums der weltlichen Angelegenheiten – in der Forschung, in der Technik, und dann auch, füge ich hinzu, in der Politik, die der zeitliche Ausdruck der Tugend der Gerechtigkeit und der Liebe ist. Denn entweder wird die Politik als zeitliche Projektion der Liebe, das heißt des höchsten Dienstes an den anderen aufgefasst, oder die Politik kann für den Christen schlechterdings nicht als Berufung gelten.

Diese Gewissheit Escrivás, den Laien als mit einer eigenen Mission in der Kirche betraut zu betrachten, lässt verstehen, weshalb er stets Thomas Morus als ideale, ihm sehr nahe stehende Persönlichkeit betrachtet hat. Thomas Morus ist sozusagen der Erste, der eine laikale Berufung gehabt hat, und zwar nicht ohne die Drangsale, die sie ihm eintrug. Er war Sohn eines großen Rechtsanwalts, der viermal verheiratet gewesen war. Thomas wurde zuerst als Page an den Hof des Kardinals und Erzbischofs von Canterbury geschickt, dann studierte er an der Saint Mary Hall in Oxford. Danach wurde er Rechtsanwalt und entschloss sich zu heiraten: Er erachtete die Ehe nicht als einen niedrigeren Stand im Vergleich zum Ordensleben oder dem Priestertum, sondern als eine spezifische Berufung. Er war ein begabter Rechtsgelehrter, Sheriff von London, ein großer Diplomat, Mitglied und dann Speaker des Unterhauses und bekleidete schließlich als Lordkanzler von England das höchste Amt im Königreich. Er war ein ausgezeichneter Ehemann und ein glücklicher Vater. Vor allem war er ein vorbildlicher Freund; man hat ihn charakterisiert als einen, der „zur Freundschaft geboren“ war, born for friendship, und als „Mann für alle Jahreszeiten“, womit hierzulande zwar ein Wendehals gemeint ist, in England aber ein Mensch, der in allen Umständen seiner Zeit als Christ zu leben weiß. Er verteidigte die Prärogativen der Krone sogar gegenüber dem Papst. Doch als der Augenblick kam, dem eigenen Gewissen treu zu bleiben, verweigerte er, dem das eigene Gewissen heilig war, dem König ohne zu zögern den Gehorsam, denn der König konnte den Untertanen keine religiöse Wahrheit aufzwingen! Morus war ein Laie und vielleicht der erste laikale Heilige. Ich würde sogar sagen, dass er möglicherweise dem Opus Dei angehört hätte, wenn er heute lebte, … oder mindestens mit ihm befreundet gewesen wäre, so wie ich es bin! Er war der erste Heilige mit einer ausschließlich laikalen Berufung.

Da ich bemerkt hatte, dass die Regierenden und die Politiker als einzige Berufsgruppe keinen heiligen Patron hatten – Gott weiß, wie sehr sie einen Patron brauchen! – begann ich 1984 mit der Ermunterung und Unterstützung des Prälaten des Opus Dei, Unterschriften zu sammeln für eine entsprechende Ernennung von Thomas Morus. Ich bekam Unterschriften von Leuten der Rechten, des Zentrums und der Linken, innerhalb und außerhalb Italiens: Tausende. Und ich machte solange weiter, bis das Ziel im Heiligen Jahr anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten für die Politiker erreicht war.

Thomas Morus war eine außerordentliche Figur, und man begreift sehr gut, weshalb der heilige Escrivá ihn derart schätzte: Er musste in ihm den Vorläufer der Laienberufung erblicken, wie er sie verstand, denn Thomas Morus lebte sein Laien-Sein in vollem Umfang: als Anwalt, als Diplomat, als Politiker, als Ehemann und Vater, bis zu den letzten Konsequenzen. Und ohne zu wissen, dass er dereinst zum Märtyrer werden sollte. Man versteht, wie das Denken von Escrivá und das Leben von Thomas Morus einander entsprechen und wie es zu jener nicht zufälligen Verbindung zwischen der Spiritualität des Gründers des Opus Dei und der „gelebten“ Spiritualität von Thomas Morus gekommen ist.

Übersetzung: Beat Müller

Liberal (Italien) 12/2002