Betrachtungstext: 14. Woche im Jahreskreis – Sonntag (C)

Die richtige Perspektive – Der Trost der Erfahrungen – Mit dem Blick auf die Ewigkeit

DER HERR erwählte zweiundsiebzig Jünger und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Orte, in die er selbst kommen wollte (vgl. Lk 10,1-2). Auch heute baut Christus auf solche Jünger, die die Menschen auf sein Kommen vorbereiten – eine Sendung, auf die wir auf zwei Weisen reagieren können. Einerseits drängt es uns, den Schlüssel zu unserem Glück mit anderen zu teilen und eine Freude zu bezeugen, die – wie Papst Franziskus schrieb – „das Herz und das ganze Leben erfüllt“1. Es ist die Freude aus der lebendigen Begegnung mit Christus. Nur sie befreit aus einer engen, selbstbezogenen Lebensweise: „Unser volles Menschsein erreichen wir, wenn wir mehr als nur menschlich sind und Gott erlauben, uns über uns selbst hinaus zu führen, damit wir zu unserem eigentlichen Sein gelangen.“ Und genau darin liegt auch die Quelle der Evangelisierung: „Wenn jemand diese Liebe angenommen hat, die ihm den Sinn des Lebens zurückgibt, wie kann er dann den Wunsch zurückhalten, sie den anderen mitzuteilen?2

Andererseits kann uns die Vorstellung, das Evangelium in aller Welt zu verkünden, auch entmutigen. Denn der Weg ist sicher nicht leicht, Unverständnis, Abweisung, fehlende Mittel gehören dazu. Bei solchen Zweifeln hilft uns ein Perspektivwechsel: Wir sind nicht die Hauptakteure – wir sind die Werkzeuge. Entscheidend ist nicht, was wir aus eigener Kraft leisten können, sondern dass Jesus durch uns wirkt. Wir handeln nicht in unserem Namen, sondern im Namen Jesu Christi. Wie der heilige Josefmaria schrieb: „Du bist an den Schwierigkeiten des Apostolats gewachsen, denn du betetest: ,Gott, du bist der von immer. Schenke mir den Glauben jener Männer, die deiner Gnade zu entsprechen wussten und in deinem Namen große Wunder, wahre Zeichen vollbrachten …‘ Und du fuhrst fort: ,Ich weiß, du wirst es tun; aber ich weiß auch, dass du willst, dass wir dich darum bitten, dich suchen und laut an die Türen deines Herzens klopfen.‘“3


DAS APOSTOLISCHE Abenteuer birgt Risiken – und manchmal bleiben auch Wunden zurück. Das überrascht nicht. So schreibt der heilige Paulus in der zweiten Lesung: Ich trage die Leidenszeichen Jesu an meinem Leib (Gal 6,17). Wie Sklaven in der Antike ein Zeichen trugen, das ihre Zugehörigkeit auswies, so versteht Paulus sich als Eigentum Gottes – gezeichnet vom Kreuz Christi. Widrigkeiten gehören zum Leben eines Apostels – und wir bekennen uns zu unserer Identität als Kinder Gottes. Darin liegt unsere Sicherheit. Und wir wissen: Alles – das Gute wie das Schwere – ist Teil seines Heilsplanes – auch zu unseren Gunsten. Darum sagt der Prophet Jesaja: Wie einen Mann, den seine Mutter tröstet, so tröste ich euch (Is 66,13). Kinder verstehen das: Ein Sturz vom Fahrrad ist es wert, wenn danach der liebevolle Arm der Mutter wartet.

Tatsächlich durften die Zweiundsiebzig diese Sicherheit während ihres ersten Abenteuers erfahren. Sie kehrten voller Freude zurück und riefen: Herr, sogar die Dämonen sind uns in deinem Namen untertan (Lk 10,17). Sie sind glücklich und alle Strapazen sind vergessen, denn ihr Herz ist erfüllt von staunenswerten Erfahrungen. Papst Franziskus betont, wie wichtig es ist, solche Momente nicht zu vergessen: „Die Erinnerung ist nicht nur ein Zurückgehen, sondern ein Zurückgehen, um voranzugehen. Erinnerung und Hoffnung gehören zusammen. (…) Erinnere dich an Jesus Christus, den Herrn, der gekommen ist, der dich losgekauft hat – und der wiederkommen wird: der Herr der Erinnerung – der Herr der Hoffnung. Jeder von uns möge sich heute ein paar Minuten Zeit nehmen, um sich zu fragen: Wie steht es um meine Erinnerung an die Momente, in denen ich dem Herrn begegnet bin.“4


ALS SIE von ihrer Sendung zurückkehren, eröffnet ihnen Jesus noch einen weiteren Aspekt: Es geht nicht nur um ein erfülltes Leben hier auf Erden: Sie arbeiten bereits für das ewige Leben: Freut euch nicht darüber, dass euch die Geister gehorchen, sondern freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind! (Lk 10,20). Dieses Denken in der Perspektive der Ewigkeit hilft, irdische Erfolge oder Misserfolge zu relativieren. So riet der heilige Josefmaria: „Sinn und Gespür für das Übernatürliche! Ruhe! Frieden! Betrachte die Dinge, die Menschen, die Ereignisse so: gleichsam mit Blick auf die Ewigkeit. Sobald du deinen Blick wirklich zum Himmel richtest, ist jede Mauer, die dir den Weg versperrt – auch wenn sie menschlich gesehen imposant ist – nur eine Kleinigkeit!“5

Das war die Erfahrung der Heiligen: Viele von ihnen hatten große Schwierigkeiten durchzustehen – und sie taten es mit Freude, Gelassenheit, manchmal sogar mit Humor. Heute, im Himmel, sehen sie ihre Prüfungen in neuem Licht: Was ist all das Leid im Vergleich zur Freude, Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen? Auch wir dürfen hoffen, dass gerade dann, wenn wir auf unserem Weg auf Widerstände stoßen, Gott unsere Namen im Himmel verzeichnet. Die Hindernisse werden vergehen – die Freude des Himmels bleibt. Der Gründer des Opus Dei ermuntert uns: „Wir wollen in dem armen gegenwärtigen Leben den Leidenskelch bis zum letzten Tropfen leeren. – Was bedeuten zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre Leid …, wenn dann die Herrlichkeit kommt, für immer, für immer …, für immer? Und vor allem – besser noch als der erwähnte Grund propter retributionem –, was macht es aus zu leiden, wenn man leidet, um Gott, unseren Herrn, zu trösten, um ihm zu gefallen, im Geist der Sühne, eins mit ihm am Kreuz, mit einem Wort: wenn man aus Liebe leidet?“6

Maria, unsere Mutter, wird uns beistehen, damit wir, wenn es einmal schwieriger wird, bei ihrem Sohn bleiben – und uns darüber freuen, dass unsere Namen im Himmel verzeichnet sein werden.


1 Franziskus, Evangelii Gaudium, 1.

2 Ebd., 8.

3 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, 653.

4 Franziskus, Predigt, 7.6.2018.

5 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, 996.

6 Hl. Josefmaria, Der Weg, 182.

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