Betrachtungstext: 28. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Das Gute im Tun entdecken – Die Reinheit, eine freudige Bejahung – Unsere Wünsche umleiten

JESUS befindet sich im Haus eines Pharisäers. Überrascht beobachtet dieser, wie der Herr sich zu Tisch begibt, ohne sich vorher die Hände zu waschen. Jesus, der seine Gedanken kennt, spricht ihn unmissverständlich an: O ihr Pharisäer! Ihr haltet zwar Becher und Teller außen sauber, innen aber seid ihr voll Raffsucht und Bosheit. Ihr Unverständigen! Hat nicht der, der das Äußere schuf, auch das Innere geschaffen? (Lk 11,39-40).

Jesus verurteilt nicht die äußere Reinigung an sich, sondern den Wunsch, dies nur zu tun, um den äußeren Anschein zu wahren. Ihm liegt nur daran, dass der gläubige Mensch aus einem reinen Inneren heraus handelt. Ein christlicher Autor des 4. Jahrhunderts beschrieb die Haltung vieler Pharisäer treffend: „Die Pharisäer achteten sorgfältig auf den Zehnten von Anis und Kümmel, vernachlässigten jedoch die wichtigeren Belange des Gesetzes. Sie waren überaus genau in äußeren Dingen, übersahen jedoch, was das Heil der Seele betrifft.“1

Heiligkeit besteht nicht darin, äußerlich gute Taten zu sammeln, sondern darin, sicherzustellen, dass die eigenen Taten auch wirklich gut sind – dass sie aus einem guten, inneren Antrieb heraus geschehen und auf ein wertvolles Ziel hin ausgerichtet sind, selbst wenn sich das Ergebnis nicht gleich zeigt. Nehmen wir etwa das Bemühen, unsere Wut zu zügeln: Tun wir es bloß, um Konflikte zu vermeiden oder unser inneres Gleichgewicht zu bewahren, können unsere Motive unvollkommen bleiben. Entspringt unsere Sanftmut hingegen dem Wunsch, Frieden und Liebe in unserer Familie oder im Freundeskreis zu fördern, wird uns das, trotz Schwächen und Rückschlägen, innerlich verwandeln. Mit der Zeit – und durch die Gnade Gottes – reift so der aufrichtige Wunsch, sanftmütig und gütig zu sein, und öffnet uns für höhere Ideale: etwa im Alter ein Mensch der Güte und des Verständnisses zu werden.


DER HEILIGE JOSEFMARIA sprach von der Reinheit als einer „freudigen Bejahung“2 – eine Sichtweise, die sich deutlich von einem bloß negativen Verständnis unterscheidet. Oft denkt man bei dieser Tugend nur an Verzicht: daran, bestimmte Dinge nicht zu tun, nicht zu denken oder nicht zu sehen. Doch die Reinheit ist mehr als Enthaltsamkeit: Sie ist ein Ja zur Liebe – diese gibt ihr Sinn und Wert. Natürlich bedeutet sie auch, bestimmte Handlungen oder Haltungen zu meiden, dies aber deshalb, weil sie der Liebe widersprechen. Somit bleibt die Reinheit eine ausgesprochen positive Wirklichkeit.

Wie bei jeder Tugend kann es im Bereich der Reinheit erforderlich sein, gegen die eigenen Neigungen zu handeln, sodass die Verneinungen stärker in den Vordergrund treten. Diese Kämpfe sind jedoch nur Schritte auf einem längeren Weg. Würden wir dabei stehen bleiben, entwickelten wir lediglich die Fähigkeit, uns zu zügeln und unseren Willen zu unterdrücken. Das eigentliche Ziel liegt aber viel höher: Die Tugend strebt danach, unsere natürlichen Neigungen zu Schönheit und Freude in unser gesamtes Leben zu integrieren, sodass unser Inneres zu einer Einheit findet. Reinheit ordnet das Begehren, reinigt das Herz und führt zur Einheit der Person. sodass unsere Gefühle und Sehnsüchte immer mehr mit unserer wahren Identität übereinstimmen und diese stärken. Das unreine Herz ist zersplittert und richtungslos; das reine Herz hingegen hat gelernt, den verschiedenen Aspekten des Lebens eine harmonische Ausrichtung zu geben.

Darum schätzte der Gründer des Opus Dei das maßvolle Lebens so sehr. Es ist nicht an vergängliche, irdische Dinge gebunden, die zwar glänzen, aber wertlos sind. Ein maßvoller Mensch, so sagte er, „kann auf das verzichten, was seiner Seele schadet, und weiß, dass dies kein wirkliches Opfer ist: Denn ein solches Leben befreit ihn von vielen Fesseln und lässt ihn im Innersten seines Herzens die ganze Liebe Gottes erfahren. Das Leben gewinnt dann die Farben zurück, die durch Maßlosigkeit verblasst waren, und es wird wieder möglich, zu teilen, sich um andere zu kümmern und sich großen Aufgaben zu widmen.“3


IN UNSEREM LEBEN entdecken wir manchmal Neigungen, die unserer wahren Identität widersprechen. Sie zu erkennen, ist der erste Schritt, um unsere Wünsche erneut auf das auszurichten, was uns wirklich glücklich macht. Missachten und verdrängen wir hingegen die Stimme unserer Leidenschaften und Gefühle, kann es zu einer Spaltung kommen, wie Jesus sie mit dem Bild des Bechers beschreibt: außen sauber, innen schmutzig. Die Spaltung könnte auch so ausschauen: außen zahlreiche gute Werke, innen ein Herz, das sein Leben nicht in vollen Zügen genießt. Die Reinigung, die Jesus von uns möchte, betrifft daher manchmal nicht so sehr unser äußeres Verhaltens als vielmehr unsere verborgenen Herzenswünsche. Er möchte, dass wir diese in seine Hände legen, damit er sie heilt und läutert.

Papst Franziskus erinnert uns: „Gott hat uns so geschaffen: durchwirkt von Sehnsucht. Wir können ohne Übertreibung sagen: Wir sind das, wonach wir uns sehnen. Denn unsere Sehnsüchte erweitern unseren Horizont und treiben unser Leben voran: über die Grenzen der Gewohnheit hinaus, über ein oberflächliches, konsumorientiertes Leben, einen ermüdeten Glauben und die Angst hinaus, uns für andere und das Gute einzusetzen.“4

Wenn wir lernen, unsere Wünsche im Licht der Liebe Gottes zu reinigen, werden wir die Wirklichkeit mehr schätzen. Wir erkennen dann in jedem Augenblick eine Gelegenheit, unser Ideal zu leben, und finden jene innere Einheit, die Frieden schenkt: weil unser Tun und unser Wollen eins werden in Gott. Wir bitten die Jungfrau Maria, uns zu helfen, unser Herz besser zu verstehen und es auf jene Liebe auszurichten, die unser Leben trägt.


1 Hegemonius, Acta disputationis Archelai episcopi Mesopotamiae et Manetis haeresiarchae, 21

2 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 5.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 84.

4 Franziskus, Predigt, 6.1.2022.