DER HERR zeigte seine Göttlichkeit auf vielfältige Weise. Er heilte Kranke, speiste hungrige Mengen und gab sich den Zwölfen als der kommende Messias zu erkennen. So entstand eine Atmosphäre der Verheißung, welche Jesus jedoch im gegebenen Moment mit folgenden Worten an seine Jünger zurechtrückte: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach (Mt 16,24). Die Botschaft ist klar und deutlich. Der Herr möchte verhindern, dass die Apostel fälschlicherweise meinen, das Reich Gottes sei eine gemachte Sache. Sie haben unterwegs mit ihm viele Wunder erlebt, es wird aber auch für sie der Moment des Kreuzes kommen.
Starkmut ist die Tugend, die uns hilft, den Wunsch zu hegen, Jesus unter allen Umständen zu folgen, sei es in Zeiten von Wundern oder in Momenten der Schwierigkeit. In unserem täglichen Leben gibt es viel Erfreuliches, es treten unvermeidlich aber auch Schwierigkeiten auf. Dabei hängt unser Glück auf Erden weniger davon ab, wie sehr es uns gelingt, die guten Zeiten maximal zu verlängern, als davon, wie sehr wir in der Lage sind, den guten Momenten einen Sinn zu verleihen und ebenso den schwierigeren – wenn nichts so läuft, wie wir es uns vorgestellt haben. Der Starkmut hilft uns dabei, Widrigkeiten in Gelegenheiten zu verwandeln, unser Verlangen nach Gott weiter zu vertiefen und zu aktivieren. Auf diese Weise formt er nach und nach unsere Gefühlswelt, sodass wir Gott verkosten können, auch wenn die persönlichen oder äußeren Umstände dies scheinbar nicht begünstigen.
Als die begeisterte Menge Jesus zum König ausrufen wollte, ließ sich der Meister, wie Papst Franziskus darlegt, „von diesem Triumphalismus nicht täuschen, denn er war innerlich ganz frei – wie in der Wüste, als ihn der Satan versuchte und er mehrmals Nein sagte. Und die Freiheit, die er hatte, bestand darin, dem Willen des Vaters zu folgen. (…). Wir wollen heute über unsere Freiheit nachdenken (…)“, lädt der Papst ein: „Bin ich frei? Oder bin ich Sklave meiner Leidenschaften, meines Ehrgeizes, vieler Dinge, des Reichtums, der Mode?“1 Für Jesus gab es kein Hindernis, das ihn davon abhalten konnte, sein Ziel zu erreichen: uns von der Sünde zu befreien. Die Tugend des Starkmuts hilft uns, so zu leben, wie er es tat: ohne uns von den äußeren Umständen einschränken und lähmen zu lassen, und immer mit dem Wunsch, Gottes Willen zu erfüllen.
MANCHMAL können wir meinen, Starkmut bestehe vor allem in der Anstrengung, gegen unseren Willen zu handeln, uns zu überwinden. Wir denken dann, dass es ausreicht, um etwas Wertvolles zu erreichen – zum Beispiel einen Fehler zu überwinden, in der Freundschaft mit anderen Menschen oder mit Gott zu wachsen oder eine Aufgabe zu erfüllen –, den auftretenden Schwierigkeiten tapfer entgegenzutreten, bis wir schließlich unser Ziel erreicht haben. Das wird nicht funktionieren. Wenn wir unseren Kampf so anlegen, werden wir uns am Schluss erschöpft fühlen und unempfindlich werden gegenüber der Vielfalt der Gaben, mit welchen der Herr uns auf unserem Weg beschenkt. Stark zu sein, besteht vor allem darin, unsere Überzeugungen zu festigen, die Liebe, die uns antreibt, immer wieder zu erneuern und die wahren Güter in uns stärker zum Strahlen zu bringen; mit anderen Worten, unsere Stärke auf den Glauben an die Liebe Gottes zu gründen. Dann werden wir uns leicht und sogar gerne für das entscheiden, was wir wirklich wollen: für den besseren Teil, von dem Jesus spricht (vgl. Lk 10,42).
Es kann jemandem, dem es an Starkmut fehlt, zum Beispiel schwerfallen, eine spitze Bemerkung zurückzuhalten oder zu lächeln, wenn er müde ist. Seine Reaktionen werden in diesem Zustand vor allem von der Müdigkeit bestimmt sein; für andere Gründe, die es wert sein könnten, sich trotz Müdigkeit zu bemühen, hat er keinen Sinn. Wer dagegen Starkmut besitzt, weil er diese Tugend auf dem Fundament des Glaubens in sich entwickelt hat, ist nicht nur fähig, die Müdigkeit zu überwinden, sondern er tut dies auch, weil er sieht, wie gut es ihm und den anderen tut. Er entdeckt darin sogar einen Weg, Gott zu lieben. Auf diese Weise werden Handlungen – wie zum Beispiel auf ein kleines Vergnügen zu verzichten, zu einer bestimmten Zeit aufzustehen, sich nicht zu beklagen oder jemandem eine Gefälligkeit zu erweisen, zu der wir spontan nicht bereit sind – zu einem Weg der Selbstbildung: Wir erziehen uns selbst dazu, ein Gut wahrzunehmen, das in Reichweite liegt, das sich vielleicht aber weniger deutlich zeigt, wenn Hindernisse wie Müdigkeit auftreten.
Der Kampf, starkmütiger zu werden, stellt sich anfangs vielleicht bloß als Herausforderung zur Selbstüberwindung dar, macht uns letztlich aber freier. Denn unsere Freude und unser Frieden werden dann mehr von dem abhängen, was wir wirklich wollen, und weniger von den kleinen Tyranneien des Augenblicks. Der Kampf, starkmütiger zu werden, besteht genau darin, jene blinden Flecken aufzudecken, die uns daran hindern, den einen oder anderen Aspekt des Guten zu sehen, nur weil sie Anstrengung verlangen. Wer lernt, starkmütig zu leben, wird in der Lage sein, im Guten auszuharren, auch wenn die Entscheidung dafür nicht unmittelbar attraktiv erscheint. Starkmut ist die Haltung eines Menschen, der den wahren Wert der Dinge wahrnimmt.
„UM DAS GLÜCK zu finden“, schrieb der heilige Josefmaria, „bedarf es nicht eines bequemen Lebens, sondern eines verliebten Herzens!“2 Der christliche Weg ist anspruchsvoll, weil er eine immer tiefere Liebe verlangt; und wie ein spanisches Volkslied sagt: „Ein Herz, das nicht bereit ist zu leiden, sollte sich ein Leben lang von der Liebe fern halten.“3 Das Leben Jesu zeigt uns, wie wir mit Schwierigkeiten umgehen sollen. Er ist vor dem Kreuz nicht weggelaufen. Er hat es auch nicht bloß akzeptiert: Er wollte es umarmen. Und als er die Last der Erschöpfung spürte, entschied er, lieber zusammenzubrechen, als es loszulassen.4 Für die Menschen war dieses Holz ein Symbol des Todes, für Jesus war es das Werkzeug seiner Liebe: der Thron, von dem aus er uns von unseren Sünden erlösen würde.
Starkmut hilft uns, den Schmerz anzunehmen. Gleichzeitig drängt uns diese Tugend dazu, die Gründe zu sehen, die unseren Kämpfen ihren Sinn geben, wenn Schwierigkeiten auftreten. Jedes Opfer, das wir freiwillig bringen, jeder Widerspruch, den wir geduldig ertragen, jede Überwindung, die wir aus Liebe auf uns nehmen, bestärkt uns in der Überzeugung, dass unser Glück in Gott liegt, mehr als in jeder anderen Wirklichkeit. Der tägliche Kampf wird so zu einer fortschreitenden Eroberung des höchsten Gutes, sodass wir einen Vorgeschmack der künftigen Herrlichkeit verkosten, nach der wir streben: Der Kampf wird zu einem Weg der Hoffnung.
Deshalb verzweifelt der starkmütige Mensch nicht und verliert nicht die Fassung, wenn Bemühungen keine Ergebnisse erbringen oder die Früchte der Arbeit auf sich warten lassen. Starkmut befähigt uns, „bis zum letzten Augenblick aus Liebe zu kämpfen“5, wie der heilige Josefmaria sagte, mit dem Blick auf das Ziel, das wir anstreben. Die Jungfrau Maria verstand es, die Apostel zu stützen, als Jesus gestorben war. Sie lässt auch uns nicht im Stich, wenn es scheint, dass ihr Sohn nicht aufzufinden ist – sie erfüllt uns mit ihrem Starkmut und lädt uns ein, unseren Blick auf die Auferstehung Jesu zu richten.
1 Franziskus, Tagesmeditation, 13.4.2018.
2 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 795.
3 A los árboles altos, spanisches Volkslied.
4 Vgl. hl. Josefmaria, Kreuzweg, VII. Station, Nr. 1.
5 Hl. Josefmaria, Zeit der Sühne, Nr. 4, in: Im Zwiegespräch mit dem Herrn.