DER HERR erwählte einmal zweiundsiebzig Jünger und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Orte, in die er selbst kommen wollte (vgl. Lk 10,1-2). Auch heute baut Christus auf jeden einzelnen von uns, damit viele Menschen die Botschaft des Evangeliums kennenlernen annehmen. Auf diese Sendung können wir auf zweierlei Weise reagieren.
Einerseits erfüllt es uns mit Freude, die Chance zu haben, den Schlüssel zu unserem Glück mit anderen zu teilen. Denn es geht nicht bloß darum, eine Lehre weiterzugeben oder bestimmte Vorschriften zu vermitteln, sondern vor allem darum, eine Freude zu bezeugen, die – wie Papst Franziskus sagt – „das Herz und das ganze Leben erfüllt“1.Es ist die Freude aus der lebendigen Begegnung mit Christus. Nur sie befreit uns aus einer engen, selbstbezogenen Lebensweise. In Evangelii gaudium lesen wir: „Unser volles Menschsein erreichen wir, wenn wir mehr als nur menschlich sind, wenn wir Gott erlauben, uns über uns selbst hinaus zu führen, damit wir zu unserem eigentlicheren Sein gelangen. Dort liegt die Quelle der Evangelisierung. Wenn nämlich jemand diese Liebe angenommen hat, die ihm den Sinn des Lebens zurückgibt, wie kann er dann den Wunsch zurückhalten,sie den anderen mitzuteilen?“2
Andererseits kann die Vorstellung, das Evangelium in der Welt zu verkünden, auch entmutigen. Denn der Weg ist nicht leicht: Missverständnisse, Rückschläge, fehlende Mittel gehören oft dazu. In solchen Momenten hilft uns ein Perspektivwechsel: Wir sind nicht die Hauptakteure – wir sind Werkzeuge. Entscheidend ist nicht, was wir aus eigener Kraft leisten können, sondern dass Jesus durch uns wirkt. Wir handeln nicht in unserem Namen, sondern im Namen Jesu Christi. Wie der heilige Josefmaria schrieb: „Du bist an den Schwierigkeiten des Apostolats gewachsen, denn du betetest: ,Gott, du bist der von immer. Schenke mir den Glauben jener Männer, die deiner Gnade zu entsprechen wussten und in deinem Namen große Wunder, wahre Zeichen vollbrachten …‘ Und du fuhrst fort: ,Ich weiß, du wirst es tun; aber ich weiß auch, dass du willst, dass wir dich darum bitten, dass wir dich suchen, dass wir laut an die Türen deines Herzens klopfen.‘“3
DAS APOSTOLISCHE birgt Risiken, und manchmal bleiben auch Wunden zurück. Doch das überrascht nicht. Der heilige Paulus schreibt in der zweiten Lesung: Ich trage die Leidenszeichen Jesu an meinem Leib (Gal 6,17). Wie Sklaven in der Antike ein Zeichen trugen, das ihre Zugehörigkeit zeigte, so versteht Paulus sich als Eigentum Gottes – gezeichnet vom Kreuz Christi. Widrigkeiten gehören zum Leben eines Apostels dazu. Aber egal wie schwer es wird: Wir stehen zu unserer Identität als Kinder Gottes. Darin liegt unsere Sicherheit. Alles – das Gute wie das Schwere – ist Teil seines Planes, um uns zu formen. Darum sagt der Prophet Jesaja: Wie einen Mann, den seine Mutter tröstet, so tröste ich euch (Is 66,13). Kinder verstehen das: Ein Sturz vom Fahrrad ist es wert, wenn danach der liebevolle Arm der Mutter wartet.
Tatsächlich durften die Jünger diesen Schutz während ihres ersten Abenteuers erfahren. Die Zweiundsiebzig kehrten voller Freude zurück und riefen: Herr, sogar die Dämonen sind uns in deinem Namen untertan (Lk 10,17). Sie sind glücklich, alle Strapazen sind vergessen, denn ihr Herz ist erfüllt von staunenswerten Erfahrungen. Auch wir dürfen solche Momente der Freude in Erinnerung behalten: die Entdeckung unserer Berufung, eine Geste, die jemandem half, Christus zu begegnen, die Wärme der christlichen Brüderlichkeit, die Nähe Gottes in einer dunklen Stunde. Papst Franziskus betont, wie wichtig es ist, „diese Momente nicht zu vergessen: Wir müssen zurückgehen und sie wiederaufgreifen, weil sie Momente der Inspiration sind, in denen wir Jesus Christus begegnen. (...) Die Erinnerung ist nicht nur ein Zurückgehen, sondern ein Zurückgehen, um voranzugehen. Erinnerung und Hoffnung gehören zusammen. (…) Erinnere dich an Jesus Christus, den Herrn, der gekommen ist, der mich losgekauft hat und der wiederkommen wird – der Herr der Erinnerung, der Herr der Hoffnung. Jeder von uns kann sich heute ein paar Minuten Zeit nehmen, um sich zu fragen: Wie steht es um meine Erinnerung an die Momente, in denen ich dem Herrn begegnet bin.“4
ALS SIE von ihrer Sendung zurückkehren, merken die Jünger, dass sie in der Welt Jesu Fußspuren weiterführen können. Und sie ahnen: Es geht um mehr als ein erfülltes Leben hier auf Erden – sie bereiten sich auf das ewige Leben vor. Jesus sagt: Freut euch nicht darüber, dass euch die Geister gehorchen, sondern freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind! (Lk 10,20). Dieses Denken in der Perspektive der Ewigkeit hilft, irdische Erfolge oder Misserfolge zu relativieren. Der heilige Josefmaria riet: „Sinn und Gespür für das Übernatürliche! Ruhe! Frieden! Betrachte so die Dinge, die Menschen, die Ereignisse…, gleichsam mit Blick auf die Ewigkeit. Sobald du deinen Blick wirklich zum Himmel richtest, ist jede Mauer, die dir den Weg versperrt – auch wenn sie menschlich gesehen echt beeindruckend ist – nur eine Kleinigkeit!“5
Das zeigt sich im Leben der Heiligen: Viele von ihnen haben große Schwierigkeiten durchgestanden – mit Freude, Gelassenheit, manchmal sogar mit Humor. Heute, im Himmel, sehen sie ihre Prüfungen in einem neuen Licht: Was ist all das Leid im Vergleich zur Freude, Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen? Auch wir dürfen hoffen, dass – wenn wir auf unserem Weg auf Widerstände stoßen – Gott gerade dann unsere Namen in den Himmel schreibt. Die Hindernisse werden vergehen, aber die Freude des Himmels bleibt. Der Gründer des Opus Dei schrieb: „Wir wollen in dem armen gegenwärtigen Leben den Leidenskelch bis zum letzten Tropfen leeren. – Was bedeuten zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre Leid …, wenn dann die Herrlichkeit kommt, für immer, für immer …, für immer? Und vor allem – besser noch als der erwähnte Grund propter retributionem –, was macht es aus zu leiden, wenn man leidet, um Gott, unseren Herrn, zu trösten, um Ihm zu gefallen, im Geist der Sühne, eins mit ihm am Kreuz, mit einem Wort: wenn man aus Liebe leidet?“6
Die Jungfrau Maria wird uns die nötige Hilfe geben, damit wir bei ihrem Sohn zu bleiben – und uns freuen können, denn unsere Namen werden im Himmel geschrieben stehen.
1 Franziskus, Evangelii Gaudium, 1.
2 Ebd., 8.
3 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, 653.
4 Franziskus, Predigt, 7.6.2018.
5 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, 996.
6 Hl. Josefmaria, Der Weg, 182.
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