MARIA hatte überrascht die Worte des Engels gehört: Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben (Lk 1,31). Doch vor dem göttlichen Plan, der ihre Gegenwart und ihre Zukunft verändern sollte, verschlug es ihr nicht die Stimme, vielmehr bekundete sie mit heiterer Überzeugung ihre Bereitschaft: Ecce ancilla Domini – siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast (Lk 1,38).
Es erfüllt uns mit Staunen, dass diese schlichten Worte das Tor sind, durch das Gott in unsere Welt eintreten will – sie sind auch das Tor, durch das wir in diese Weihnachtswoche eintreten. Papst Franziskus erklärte dazu: „Ecce – siehe da bin ich ist das Schlüsselwort des Lebens. Es markiert den Übergang von einem horizontalen Leben, das auf sich selbst und seine Bedürfnisse ausgerichtet ist, zu einem vertikalen Leben, das auf Gott hin entworfen ist. Ecce – siehe da bin ich heißt, dem Herrn zur Verfügung zu stehen; es ist das Mittel gegen die Selbstsucht, es ist das Gegenmittel gegen ein unbefriedigtes Leben, dem immer etwas fehlt.“1
Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben (Jes 7,14), so lautete die Prophezeiung des Jesaja. Eine demütige Frau wird zur Mutter Gottes – ein fast unbekanntes Volk zur Wiege des Messias. So handelt Gott. Auch in unserem Leben kann eine scheinbar schlichte, vom Glauben getragene Antwort den Alltag in ein großes göttliches Werk verwandeln. In den unscheinbarsten Momenten unseres Tages können wir Ja sagen zu dem Gott, der kommt: in einer zufälligen Begegnung, im manchmal eintönigen Rhythmus der Arbeit oder in der stillen Freude eines Familienabends.
In diesen Tagen werden wir wohl eifrig an unseren Krippen arbeiten. Wir stellen ein Schaf an seinen Platz, das sich verirrt und vom Kind abgewandt hatte, oder versuchen, das verdorrte Moos neben dem Stall einladender zu gestalten. Es sind kleine Gesten, die ein Abbild jenes Glaubens sein wollen, mit dem wir auf die leisen, beständigen Rufe Gottes antworten. Komm, Herr, zögere nicht! Wir brauchen dich und wollen uns mit Liebe auf dein Kommen vorbereiten.
WER DARF hinaufziehen zum Berg des Herrn, wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? (Ps 24,3). Diese erwartungsvollen Worte bringen eine der tiefsten Sehnsüchte des Psalmisten zum Ausdruck: im Haus Gottes zu wohnen und sein Angesicht zu schauen. Das Volk Israel hielt diesen Wunsch in Wirklichkeit für unerfüllbar. Man glaubte sogar, dass der Mensch sterben müsse, wenn er Gott sähe, da er die Größe seiner Herrlichkeit nicht ertragen könne. Umso größer ist unser Staunen darüber, dass sich der allmächtige Gott in der zarten Gestalt eines Kindes zeigen wollte. Daher möchten wir uns Bethlehem in diesen Tagen mit zwei Haltungen nähern, die einander ergänzen: mit Ehrfurcht vor dem Geheimnis – und mit liebevoller Nähe, die das Kind in die Wärme unseres Hauses aufnimmt.
Gott ist großzügiger gewesen, als es das menschliche Herz je ahnen könnte. Er wollte nicht nur voller Liebe vom Himmel aus auf uns herabschauen und uns besuchen: Gott ist einer von uns geworden. Er hat sich so sehr in seinen Weinberg eingelassen, dass er zu uns sagen konnte: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht (Joh 15,5). Alles in unserem Leben kann von dem Saft genährt werden, den Christus uns in den Sakramenten, im Gebet und in seiner ständigen Begleitung schenkt. Er wollte ein menschliches Leben führen, damit unser menschliches Leben eine göttliche Dimension erhält.
Der heilige Josefmaria schrieb: „Jesus wurde in einem Stall geboren, weil – so berichtet die Heilige Schrift – in der Herberge kein Platz für sie war. Es ist nicht weit hergeholt, wenn ich dir zur Auslegung dieser Textstelle sage: Jesus sucht immer noch eine Herberge ‒ in deinem Herzen!“2
Der Glaube lässt sich nicht auf eine Sammlung von Wahrheiten reduzieren, noch besteht er in einer Reihe abstrakter Regeln. An Gott zu glauben heißt vor allem, seinen Sohn aufzunehmen und das eigene Leben mit ihm zu teilen – kurzum, unsere Seele Bethlehem werden zu lassen. Wenn er sich in der Armut jenes Stalls – dank der Liebe Marias und Josefs und der Wärme einiger Tiere – wohlfühlen konnte, warum sollte er sich nicht auch in unseren Herzen zuhause fühlen, wo wir die Freuden und Sorgen jedes einzelnen Tages mit ihm teilen?
TAUT, IHR HIMMEL, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor (Jes 45,8). Der Eröffnungsvers dieses vierten Adventssonntags bringt die tiefe Sehnsucht nach einem Gott, der uns rettet, zum Ausdruck. Oft wird unser Gebet darin bestehen, dieses Verlangen aus der Tiefe unseres Herzens heraus vor ihn zu tragen – sei es im Bewusstsein unserer Begrenztheit und unserer Wunden oder in der stillen Freude über die kleinen Dinge des Alltags. Alles soll von seiner Liebe durchdrungen sein. Wir erkennen: Ein Leben mit Gott ist etwas grundlegend anderes als ein Leben, das nur um sich selbst kreist.
Der Sohn wollte Mensch werden, um uns zu retten. Diese Erlösung ist allein aus der großen Liebe des Vaters zu verstehen.Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe (Joh 3,16). Wenn wir das Kind von Bethlehem betrachten – wie könnten wir da nicht auf Liebe Gottes und Fürsorge vertrauen? In allem, was unser Leben ausmacht, dürfen wir gewiss sein: Gott spricht zu uns, und er rettet uns.
Wir können erahnen, wie schmerzlich es für Maria gewesen sein muss, ihren Sohn in der Armut eines Stalles zur Welt zu bringen. Und doch erkannte sie selbst in diesem für menschliche Augen dunklen Ereignis das Licht Gottes. Benedikt XVI. sagte: „Die wirklich großen Dinge geschehen oft unbemerkt, und die tiefe Stille erweist sich als fruchtbarer als die hektische Geschäftigkeit, die in unseren Städten herrscht.“3
Bitten wir Maria, unsere Mutter, uns ihre Sensibilität und ihr vom Glauben erfülltes Herz zu schenken, damit auch wir Gott in den unscheinbaren Einzelheiten unseres Lebens erkennen. So wie Johannes der Täufer im Schoß seiner Mutter vor Freude hüpfte, als Maria ihn besuchte, so wird auch unser Herz von Freude erfüllt sein, wenn wir uns an die Geburt Jesu erinnern.
1 Franziskus, Angelus-Gebet, 8.12.2018.
2 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 274.
3 Benedikt XVI., Ansprache, 8.12.2012.
