Brief des Prälaten (28.10.2020) über die Berufung zum Opus Dei

In seinem neuen Pastoralbrief, betrachtet Prälat Fernando Ocáriz den Geist des Opus Dei und wie er sich je nach den persönlichen Lebensumständen jedes Einzelnen verwirklicht.

Inhalt

I. Das Geschenk der Berufung

II. Die Berufung zum Werk als Numerarierin und Numerarier

III. Die Berufung zum Werk als Auxiliarnumerarierin

IV. Die Berufung zum Werk als Assoziierte und Assoziierter

V. Die Priester der Prälatur

VI. Über den apostolischen Zölibat der Numerarier und Assoziierten

VII. Die Berufung zum Werk als Supernumerarierin und Supernumerarier

VIII. Die Berufung zum Werk als Assoziierter und Supernumerarier der Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz

Gott schütze euch, meine lieben Töchter und Söhne!

1 Der hundertste Jahrestag der Geburt des Werkes leuchtet schon am Horizont auf, und Gott stellt uns ein weites apostolisches Panorama vor Augen. Dies veranlasst mich, mit euch zusammen in Ruhe und mit Tiefgang die Lehre des heiligen Josefmaria zu betrachten, wie sich die universale christliche Berufung zur Heiligkeit für jeden einzelnen Menschen konkretisiert. Von Anfang an verstand unser Vater, dass die Universalität des Rufes die Möglichkeit beinhaltet, mitten in der Welt die Fülle der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen anzustreben – in unserer realen Welt mit ihren Licht- und Schattenseiten.

I. Das Geschenk der Berufung

Eine erhabene Gnade

2 Gott erwählt und ruft alle: „Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Grundlegung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor ihm“ (Eph 1,4). Das Bewusstsein dieses Geschenks und die daraus erwachsende Verantwortung – in unserer Seele präsent wie am ersten Tag – werden uns dazu führen, an der Heiligung der Welt mitzuarbeiten. Gemeinsam mit der ganzen Kirche wollen wir versuchen, auf unsere konkrete christliche Berufung zum Opus Dei eine großherzige Antwort zu geben.

Schauen wir auf die Größe dieses Rufes, der unserem Dasein in dieser Welt eine Dimension der Ewigkeit verleiht – und das trotz unserer Begrenzungen und Irrtümer und der Schwierigkeiten auf dem Weg, eben „trotz allem“, wie unser Vater zu sagen pflegte.

Der heilige Josefmaria sprach von „der erhabenen Gnade der Berufung“. Es handelt sich nicht um eine momentane Verfassung, sondern um eine dauerhafte Gnade: „Es ist eine neue Sicht des Lebens (…), so als entzünde sich ein Licht in uns“; und gleichzeitig ist es „ein geheimnisvoller Impuls“, eine „vitale Kraft, die etwas von einer mitreißenden Lawine hat“[1]. Kurz gesagt handelt es sich um eine Gnade, die unser gesamtes Leben umfasst und sich als Licht und Kraft zeigt. Licht, das uns den Weg sehen lässt, den Gott uns führen will; und Kraft, um fähig zu sein, auf den Ruf mit einem Ja zu antworten und in Treue diesen Weg zu gehen.

In einem seiner Briefe schreibt unser Vater, dass „bei der Berufung nur Gottes Gnade – als eigentliche Ursache – und die Großzügigkeit des von dieser Gnade bewegten Menschen zusammenwirken“[2]. Der Herr möchte, dass unsere Freiheit, die durch die Gnade nicht genommen, sondern vervollkommnet wird, immer eine entscheidende Rolle bei unserer Antwort spielt und daher die Berufung selbst mitgestaltet. Eine Freiheit, die für die vorausgehende Unterscheidung der Berufung auch mit dem Rat jener rechnet, die ihn geben können und müssen.

Ein und derselbe Geist

3 Wir alle im Werk – jeder innerhalb seiner persönlichen Lebensumstände – haben ein und dieselbe Berufung, nämlich Opus Dei zu sein und das Opus Dei zu verwirklichen, im selben Geist, mit derselben apostolischen Sendung und mit denselben Mitteln.

Wir alle haben denselben Geist, der uns antreibt, das alltägliche Leben und insbesondere die Arbeit zu heiligen. „Auf der Erde gibt es keine rechtschaffene Tätigkeit, die wir nicht vergöttlichen können, die nicht geheiligt werden kann. Es gibt keine Arbeit, die wir nicht heiligen sollen und die uns nicht heiligt.“[3] Dieser Geist führt uns dazu, in dem, was wir in jedem Augenblick unseres Lebens tun, die Verbindung mit Gott zu suchen. Darum ist die Heiligung der Arbeit die Achse, um die, dem Wirken der Gnade entsprechend, unser Streben nach Heiligkeit, nach der Gleichförmigkeit mit Christus kreist.

Diese Haltung schließt eine positive Sicht unserer gottgegebenen Aufgaben in der Welt ein. Wir lieben diese Welt, ohne zu übersehen, was sich in ihr dem Guten widersetzt (vgl. 1 Joh 2,15). Ihre Sorgen sind auch die unseren, und wenn schon ihre Freuden es uns normalerweise leichtmachen, sie zu lieben, so sollen ihre Traurigkeiten uns dazu führen, sie noch mehr zu lieben. Welchen Trost und welches Verantwortungsbewusstsein wecken in uns die Worte des heiligen Paulus: „Alles gehört euch; ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott“ (1 Kor 3,22-23).

Wenn die Heiligung der Arbeit die Achse unserer Heiligkeit ist, so ist das Bewusstsein der Gotteskindschaft ihr Fundament. Eine Kindschaft, die aufgrund der heiligmachenden Gnade unsere Einführung in das göttliche Leben der Dreifaltigkeit ist: als Kinder des Vaters im Sohn durch den Heiligen Geist. „Die Taufgnade hat uns zu Kindern Gottes gemacht. Durch diesen freien Ratschluss Gottes ist die natürliche Würde des Menschen unvergleichlich geadelt worden. Und auch wenn die Sünde dieses Wunder zerstört hat, so hat doch die Erlösung es noch wunderbarer erneuert, indem sie uns befähigt, noch enger an der göttlichen Sohnschaft des Wortes teilzuhaben.“[4]

Da die Gotteskindschaft die Grundlage ist, formt sie unser ganzes Leben, sie lässt uns mit dem Vertrauen von Kindern Gottes beten, mit der Leichtigkeit von Kindern Gottes durch das Leben gehen, mit der Freiheit von Kindern Gottes argumentieren und entscheiden, den Schmerzen und dem Leid mit der Gelassenheit von Kindern Gottes begegnen und die schönen Dinge schätzen, wie das ein Kind Gottes tut. Schließlich „ist die Gotteskindschaft gegenwärtig in jedem Gedanken, in jedem Wunsch, in jeder Gemütsregung“[5]. Und sie weitet sich unbedingt aus zur Geschwisterlichkeit. „Der Geist selber bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind“ (Röm 8,16). Dieses Zeugnis erfolgt in uns durch die kindliche Liebe zu Gott[6], die die geschwisterliche Liebe einschließt. „Andere nähren sich aus anderen Quellen. Für uns liegt die Quelle der Menschenwürde und Geschwisterlichkeit im Evangelium Jesu Christi.“[7]

Und schließlich ist das eucharistische Opfer Mitte und Wurzel unseres geistlichen Lebens. Es ist objektiv die Wurzel, denn „sooft das Kreuzesopfer, in dem Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde (1 Kor 5,7), auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung“[8].

Dass aber subjektiv das Leben wirklich in der Eucharistie seine Mitte hat, hängt auch von der persönlichen Antwort auf die Gnade ab: „Bemühe dich mit allen Kräften darum, dass das Heilige Messopfer Mitte und Wurzel deines inneren Lebens ist. Der ganze Tag wird so – zuerst als Verlängerung der vergangenen Heiligen Messe, dann als Vorbereitung auf die kommende – zu einem Gottesdienst, der sich immer neu entfaltet: in Stoßgebeten, im Aufsuchen des Altarsakramentes, in der Darbringung deiner beruflichen Arbeit und deines Familienlebens.“[9]

Aus der eucharistischen Mitte des christlichen Lebens entspringt auch die Entfaltung und die Wirksamkeit der apostolischen Sendung: „Wie viele Früchte der Heiligkeit und des Apostolates wirst du ernten, wenn dein ganzes Denken und Hoffen auf den Tabernakel gerichtet ist!“[10]

Ein und dieselbe apostolische Sendung

4 Wir haben ein und dieselbe apostolische Sendung. Wir sind alle gleichermaßen gerufen, uns zu heiligen und an der Sendung der Kirche mitzuwirken, die Welt christlich umzugestalten – in unserem Fall, indem wir nach dem Geist des Opus Dei leben. Die dem Werk eigene Sendung versteht man nur innerhalb der großen Sendung der Kirche, in der „wir alle gerufen sind, den anderen ein klares Zeugnis der heilbringenden Liebe des Herrn zu geben, der uns jenseits unserer Unvollkommenheiten seine Nähe, sein Wort und seine Kraft schenkt und unserem Leben Sinn verleiht“[11].

Nur im mystischen Leib Christi, der Kirche, empfangen wir die Kraft, um dieser unserer Welt fruchtbar zu dienen. So teilen wir trotz all unserer Begrenzungen die Mühen, Sorgen und Leiden der Kirche in jeder Epoche und an jedem Ort. Wir alle – jeder und jede von uns – können uns jene Haltung des heiligen Paulus zu eigen machen: „Wer ist schwach, und ich bin nicht schwach? Wer kommt zu Fall, und ich werde nicht von brennender Sorge verzehrt?“ (2 Kor 11,29).

5 Die apostolische Sendung beschränkt sich nicht auf einige bestimmte Tätigkeiten, denn in der Liebe Christi können wir alles in einen christlichen Dienst an den Menschen verwandeln. Jeder verwirklicht mit seinem ganzen Leben die Sendung des Werkes: in der Familie, am Arbeitsplatz, dort, wo er lebt, unter seinen Freunden und Bekannten. Deshalb betonte der heilige Josefmaria immer wieder, dass im Werk „die persönliche apostolische Spontaneität und die freie und verantwortliche, vom Wirken des Heiligen Geistes geleitete Initiative von grundlegender und erstrangiger Bedeutung sind. Das ist uns wichtiger als durchstrukturierte Organisation“[12]. Und deshalb ist das erste Apostolat des Werkes das vertrauensvolle Gespräch unter Freunden, das von jedem und jeder Einzelnen persönlich verwirklicht wird.

In diesem Licht verstehen wir besser, in welchem Sinn „alle apostolischen Aufgaben und die Mittel, um sie zu verwirklichen, onus et honor sind, Last und Ehre aller, der Numerarier, der Assoziierten, der Supernumerarier und auch der Mitarbeiter“[13]. Die apostolische Aufgabe erfüllen wir durch die Gemeinschaft der Heiligen, überall und alle gemeinsam. Als der heilige Josefmaria sich auf alle Glieder der Kirche bezog, erinnerte er daher daran, dass „wir – wenn wir nur die Mittel anwenden – das Salz, das Licht, der Sauerteig der Welt sein werden und die Wonne Gottes“[14].

Dieselben Mittel

6 Um unsere Sendung zu erfüllen, ist Christus der Weg. Und um ihm als Jünger und Apostel zu folgen, haben wir im Opus Dei alle dieselben Mittel: dieselben Normen und christlichen Gebräuche und dieselben Mittel der geistlichen und doktrinellen Bildung. Je nach den persönlichen Lebensumständen werden sie in den Alltag integriert, aber das Ganze ist in seiner Substanz immer dasselbe.

Es handelt sich dabei wohlgemerkt um Mittel und nicht um Ziele. Sie helfen mit Gottes Gnade, im kontemplativen Leben mitten in den weltlichen Beschäftigungen zu wachsen, da wir von der Überfülle des Lebens in Christus genährt werden, die uns die Sakramente, besonders die Eucharistie, vermitteln.

Die Frömmigkeitsübungen sind Teil eines Gespräches voller Liebe, das unser ganzes Leben umfasst. So führen sie zu einer persönlichen Begegnung mit Christus. Es sind Augenblicke, in denen Gott uns erwartet, um sein Leben mit uns zu teilen. Das Bemühen, sie zu erfüllen, macht uns frei, denn „Heiligkeit hat etwas von der Geschmeidigkeit entspannter Muskeln. (…) Heiligkeit ist nicht starr wie Karton – sie vermag zu lächeln, ist biegsam und kann warten. Sie ist Leben – übernatürliches Leben.“[15]

Auf diese Weise werden wir im Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes danach streben, in unserem Leben stets die Vollkommenheit der Liebe zu suchen, gemäß dem Geist, den Gott uns gegeben hat. Heilig sein bedeutet nicht, jeden Tag mehr zu tun oder bestimmte Standards zu erfüllen, die wir uns auferlegt haben. Der Weg zur Heiligkeit besteht, wie der heilige Paulus uns erklärt, darin, dem Wirken des Heiligen Geistes zu entsprechen, bis Christus in uns Gestalt angenommen hat (vgl. Gal 4,19).

Einheit und Vielfalt

7 Unser Vater verstand die Arbeit des Werkes als „ein einziges Gewebe“, zusammengesetzt aus den unterschiedlichen Weisen, ein und dieselbe Berufung zu leben. Deshalb betonte er, dass es im Werk keine Mitglieder erster oder zweiter Klasse gibt, weder aufgrund der verschiedenen Modalitäten, in denen die Berufung gelebt wird, noch aufgrund der beruflichen Arbeit, die man verrichtet. Wie in jeder Wirklichkeit übernatürlichen Charakters ist das, worauf es ankommt, die Antwort auf die Liebe Gottes – etwas, das sich jedem menschlichen Urteil entzieht.

Der heilige Josefmaria drückte diese Einheit der Berufung folgendermaßen aus: „Eine einzige göttliche Berufung, ein einziges geistliches Phänomen, das sich flexibel den persönlichen Lebensumständen und dem Stand eines jeden anpasst. Die Identität der Berufung bringt eine gleiche Hingabe mit sich, indes innerhalb der natürlichen Grenzen, die diese unterschiedlichen Lebensumstände mit sich bringen.“[16]

Natürlich schließen Einheit und Vielfalt im Werk die von Männern und Frauen ein: also Einheit des Geistes, der apostolischen Sendung und der Mittel bei gleichzeitiger Trennung der jeweils eigenen Initiativen. Im Hinblick auf gemeinsame Angelegenheiten des ganzen Werkes besteht für Männer und Frauen außerdem eine einheitliche Leitung auf zentraler und regionaler Ebene. Dabei kommt den Leitungsorganen der Männer und denen der Frauen dieselbe Initiative und Verantwortung zu. In bestimmten Fällen von besonderer Wichtigkeit, die vom Recht festgelegt sind, haben sie dieselbe Kompetenz, die Vorschläge des Prälaten – in den Regionen die des Regionalvikars – anzunehmen oder abzulehnen.

Mit unserem ganzen Leben

8 Es könnte den Anschein haben, als widmeten sich die einen mehr, die anderen weniger der Sendung des Werkes. Das stimmt nicht. Alle leben dieselbe Hingabe, denn Opus Dei sein und das Opus Dei verwirklichen besteht nicht nur – und nicht einmal in erster Linie – darin, bei bestimmten Aufgaben oder in den körperschaftlichen Einrichtungen mitzuwirken. Die Berufung und die dazugehörige Sendung umfassen unser ganzes Leben, nicht nur einen Teil. Das ganze Leben ist Gelegenheit und Mittel, um Christus zu begegnen und apostolisch zu wirken.

Gerade zu diesem Thema schrieb der heilige Josefmaria, dass unser Ruf ein „vollständiges Ja zur Berufung voraussetzt, denn, wie immer der gesellschaftliche Status des Einzelnen ist, er widmet sich ganz seiner Arbeit und der treuen Erfüllung seiner Standespflichten nach dem Geist des Opus Dei. Gott im Opus Dei zu dienen bedeutet daher nicht, bestimmte Tätigkeiten auszuführen, und es verlangt nicht, mehr oder weniger Zeit unseres Lebens für gute Werke einzusetzen und dafür andere zu lassen. Das Opus Dei ist in unserem ganzen Leben gegenwärtig.“[17] Es ist ein vollständiges Ja zur Berufung, unser ganzes Leben umfassend, mit vollständiger Widmung. Denn in allem ist ein Ruf Gottes enthalten, ihn zu lieben und den anderen aus innerer Freiheit in Liebe zu dienen. Wie Don Alvaro sagte, „erfordert das Werk eine große Elastizität. Es verlangt ein Minimum an Reglement, weil das notwendig ist, aber so wenig wie möglich, damit der Buchstabe nicht den Geist tötet: Littera enim occidit, spiritus autem vivificat (2 Kor 3,6).“[18]

9 Mit diesen Seiten möchte ich euch auch einladen, eure Dankbarkeit für das Geschenk der Berufung Gott gegenüber zu erneuern. Eine frohe Dankbarkeit, nicht nur für die Schönheit des Werkes, wenn wir es anschauen, wie Gott es als Ganzes gewollt hat; und Dankbarkeit auch, wenn jeder betrachtet, wie diese Schönheit sich vollständig verwirklicht in der persönlichen Art und Weise, in der jeder Gläubige der Prälatur diese selbe Berufung lebt: als Numerarier – bei den Frauen auch als Auxiliarnumerarierinnen – als Assoziierte, als Supernumerarier oder als Mitglieder der Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf das eingehen, was ich euch vor einigen Monaten geschrieben habe: Die Erfahrung der persönlichen Schwachheit – bei uns selbst und bei den anderen – darf uns, im Vergleich mit dem großartigen Angebot des christlichen Glaubens und des Geistes des Werkes, nicht entmutigen. Angesichts der Ernüchterung, die die Unverhältnismäßigkeit zwischen dem hohen Ideal und der armseligen Realität unseres Lebens hervorrufen kann, dürfen wir trotzdem die Sicherheit haben, dass wir jeden Tag mit der wirksamen Gnade des Heiligen Geistes wieder neu beginnen können.[19]

II. Die Berufung zum Werk als Numerarierin und Numerarier

10 „Im Herzen des Werkes stellen sich die Numerarier, die zu einer besonderen Aufgabe des Dienens gerufen sind, allen ihren Geschwistern ganz zur Verfügung, um ihnen den Weg der Heiligkeit liebenswert zu machen, ihnen in all ihren seelischen und körperlichen Bedürfnissen beizustehen, in ihren Schwierigkeiten zu helfen und mit ihrer eigenen Opferbereitschaft ein fruchtbares Apostolat aller zu ermöglichen.“[20] Auf diese Weise beleben die Numerarier ihre Geschwister, denn ihr Einsatz, „der in allen den Geist aktiv und wach hält, stärkt die Geschwisterlichkeit und die Einheit in außerordentlichem Maße“[21].

Bei den Numerarierinnen und Numerariern gehört zur Berufung zum Opus Dei das Geschenk des apostolischen Zölibats und der vollständigen Verfügbarkeit für die Aufgaben der Bildung und der apostolischen Arbeit. Diese Verfügbarkeit, die sie als eine besondere Sendung zum Dienst an den anderen verstehen und verwirklichen, wird im Prinzip dadurch erleichtert, dass die Numerarier in einem Zentrum des Werkes leben. Dennoch können sich mancherlei Umstände ergeben, die es nahelegen, dass es in bestimmten Fällen nicht so ist. Das berührt aber weder ihre Identität noch ihre Aufgabe, denn sie werden sich, ganz gleich wo sie wohnen, bewusst sein, dass sie für die anderen da sind.

Ein allzeit bereites Herz

11 Die Verfügbarkeit der Numerarier, den anderen zu dienen, besteht in einer echten Bereitschaft des Herzens, im freien Entschluss, nur für Gott und um seinetwillen für die anderen zu leben. Dieser freie Entschluss ist verbunden mit dem Willen, sich um die Aufgaben zu kümmern, die für das Werk erforderlich sind.

Für einige wird sich die Verfügbarkeit darin konkretisieren, dass sie bei Bildungsaufgaben und in apostolischen Initiativen mitarbeiten, während sie entsprechend ihren Begabungen, Studien und Präferenzen in einem Beruf tätig sind, um dort die Freude des Evangeliums zu verbreiten. Andere werden als berufliche Arbeit die Verwaltung der Zentren des Werkes oder Bildungs-, Leitungs- oder Führungsaufgaben übernehmen oder bei apostolischen Projekten mitwirken.

Andererseits beschränkt sich die Verfügbarkeit nicht auf eine passive Haltung, zu tun, um was man mich halt bittet, sondern sie äußert sich voll und ganz, wenn wir uns vor Augen halten, welche Talente wir von Gott erhalten haben und wie wir sie für die apostolische Sendung einsetzen können. Wir bieten uns an, aus eigener Initiative. Verfügbarkeit ist daher nicht passive Unbeweglichkeit, sondern ganz im Gegenteil der beständige Wunsch, im Schrittmaß Gottes voranzugehen.

Diese vollständige Verfügbarkeit kann man nur als Ausdruck der Freiheit begreifen und leben, in dem Sinn, keine andere Bindung zu haben als die der Liebe – also nicht notwendigerweise an eine Arbeit, einen Wohnort usw. gebunden zu sein, obwohl wir da, wo wir uns jeweils befinden, gut verwurzelt sind. Was uns frei sein lässt, sind nicht die äußeren Umstände, sondern die Liebe, die wir im Herzen tragen.

Als eine Konkretisierung dieser besonderen Aufgabe des Dienens hat unser Vater vorgesehen, dass die Leitungsarbeit im Opus Dei den Numerarierinnen und Numerariern zufällt. Sich diesen Tätigkeiten zu widmen ist notwendig für die Vitalität des Ganzen. Allerdings wäre es ein Irrtum zu denken, dass diejenigen, die sich den Aufgaben der Leitung oder der Bildung widmen, verfügbarer wären oder das Opus Dei mehr verwirklichten. In diesem Sinn schrieb Don Javier in einem seiner Briefe: „Es gibt keine andere Wahl, als dass einige meiner Töchter und Söhne ihre berufliche Tätigkeit einschränken. Manchmal müssen sie sie sogar ganz aufgeben, wenigstens für eine gewisse Zeit, um sich ihren Brüdern bzw. Schwestern zu widmen, ihnen in ihrem geistlichen Leben zu helfen und die apostolische Arbeit zu leiten.“[22]

Unser Vater bringt an vielen Stellen diese vollständige innere Bereitschaft zum Ausdruck, etwa wenn er schreibt: „Innerhalb der göttlichen Berufung aller ist es die Aufgabe der Numerarier, sich direkt und unmittelbar Gott als Ganzopfer darzubringen, alles Ihrige hinzugeben – ihr ganzes Herz, ihre Tätigkeiten ohne Einschränkung, ihren Besitz, ihre Ehre.“[23] Es geht darum, dass sie in Freiheit alles, was sie tun, bedingungslos zur Verfügung stellen, um das Werk zu verwirklichen. Natürlich ist klar, dass manchmal Umstände vorliegen, die objektiv die Möglichkeit einschränken, zu einem bestimmten Zeitpunkt Aufträge oder Aufgaben anzunehmen. Daher möchte ich noch einmal betonen, dass das Wichtige die innere Bereitschaft ist, aus Liebe zu Christus für den Dienst an den anderen ganz verfügbar zu sein.

Eine Gruppe, die ans Kreuz geheftet ist

12 Erinnern wir uns auch an diese anderen Worte des heiligen Josefmaria: „Unser Herr möchte sein Werk nicht für einige Zeit lang. Er verlangt von uns einen Einsatz auf immer, weil er möchte, dass es in ihm – im Werk – eine Gruppe gibt, die ans Kreuz geheftet ist. Das Heilige Kreuz wird uns Beständigkeit verleihen, immer mit demselben Geist des Evangeliums, der das tätige Apostolat als köstliche Frucht des Gebetes und des Opfers hervorbringen wird.“[24] Unser Vater erklärt nicht, wer diejenigen sind, die diese ans Kreuz geheftete Gruppe bilden. Aber Don Alvaro weist in seinem Kommentar darauf hin, dass man schon hier – als Ankündigung oder Anspielung – die verschiedenen Arten, die Berufung im Werk zu leben, erkennt. Aus dem Zusammenhang können wir schließen, dass er sich in diesem Fall vor allem auf die Numerarier und Numerarierinnen bezieht.

An einigen anderen Stellen spricht der heilige Josefmaria auch von den Priestern, die besonders ans Kreuz geheftet sind. Nun, in Wirklichkeit müssen wir alle, auch die Assoziierten und die Supernumerarier, ans Kreuz geheftet sein; denn dort finden wir den Herrn, wie unser Vater es als Ausdruck seiner tiefen persönlichen Erfahrung widergibt: „Am Kreuz teilhaben bedeutet, Christus ähnlich sein, bedeutet, Christus zu sein und darum Kind Gottes zu sein.“[25]

Auch wenn es manchmal den Numerarierinnen und Numerariern menschlich schwerfallen kann, einen erlernten Beruf eine Zeitlang aufzugeben, um beruflich eine andersartige Tätigkeit zu übernehmen – sei es die Verwaltung der Zentren des Werkes, die Leitung, die Bildung oder die Mitarbeit in apostolischen Initiativen –, so handelt es sich doch immer um eine fruchtbare Begegnung mit dem Kreuz, wo wir Christus in tiefstem Maße ähnlich werden und die häufig unerwartete Quelle einer großen übernatürlichen Freude finden.

13 Wenn wir um die Aufnahme ins Werk bitten, kennen wir diese Haltung der Verfügbarkeit, die uns dazu führt, uns einem göttlichen Projekt anzuschließen, und wir machen sie uns aus freien Stücken – aus Liebe! – zu eigen. Zugleich entwickelt sich die wirkliche Reife in der Hingabe, wie alles im geistlichen Leben, im Laufe der Zeit. Dieses Wachstum erfolgt durch die Bildung, das innere Leben und anhand mannigfaltiger Erfahrungen mit dieser Verfügbarkeit, wie etwa kleinen Änderungen von Plänen, Aufträgen etc., die die Seele auf große Veränderungen vorbereiten, falls sie nötig werden. Natürlich werden die Leiter vorher immer die Meinung der Betroffenen einholen, wenn es sich um Aufträge oder Wechsel größeren Ausmaßes handelt. Diese äußern in aller Einfachheit, welche Schwierigkeiten sie eventuell sehen, sind aber weiterhin bereit, aus Liebe zu Gott und zu den Seelen für alles, was nötig ist, da zu sein.

Das Entscheidende ist, ich sage es noch einmal, dass jeder gewohnheitsmäßig diese innere Bereitschaft zur Hingabe an seine Geschwister und an viele andere Menschen hat, die mit unserem christlichen Dienst rechnen: „Erhebt eure Augen und seht, dass die Felder schon weiß sind zur Ernte!“ (Joh 4,35).

Diese Haltung ist vollkommen vereinbar mit einem gesunden beruflichen Ehrgeiz und mit einer logischen und verantwortlichen Sorge darum, sich finanziell zu tragen und die Bedürfnisse unserer übernatürlichen Familie zu berücksichtigen. Die Bereitschaft, die berufliche Arbeit zu wechseln, wenn das Werk dies verlangt, um sich für die Bildung anderer einzusetzen, geht Hand in Hand mit der Überzeugung, Frauen und Männer zu sein, die sich wie ihresgleichen den Herausforderungen dieser Welt stellen, weil sie helfen sollen, sie zu verwandeln und zu Gott zu führen. Und das tut man auf sehr wirksame Weise auch vom Platz der Leitung und der Bildung innerhalb des Werkes aus.

Ihr, Numerarierinnen und Numerarier, erlebt das Geschenk des apostolischen Zölibats als Fülle der Liebe in Christus, die sich zu einer geistlichen Vater- und Mutterschaft hin öffnet. Ihr seid gerufen, ein lebendiges Zeugnis der Ganzhingabe an Gott mitten in der Welt zu sein, vollständig verfügbar für den Dienst an allen Menschen: in Jesus, die Mitmenschen und die Welt verliebte Frauen und Männer. Ihr empfangt einen besonderen Ruf, über eine übernatürliche Familie zu wachen und euch um eure Geschwister zu sorgen.

Vor euch öffnet sich ein wunderbar weiter Horizont. Mit eurem hingegebenen Leben, das manchmal vielleicht verborgen und menschlich gesehen nicht glanzvoll ist, reicht eure Fruchtbarkeit bis in den letzten Winkel der Erde.

III.Die Berufung zum Werk als Auxiliarnumerarierin

14 Ihr, die ihr Auxiliarnumerarierinnen seid, übt einen spezifischen Dienst aus, durch den ihr in den Zentren des Werkes das Ambiente einer christlichen Familie schafft und bewahrt. Ihr verwirklicht diese Aufgabe mit eurer beruflichen Arbeit, die in eurem Fall die Hauswirtschaft ist. Wie ihr wisst, geht es nicht nur darum, eine Reihe materieller Arbeiten zu verrichten, die wir mehr oder weniger auch unter uns aufteilen können und sollen. Eure Aufgabe ist es, sie zu planen, zu organisieren und zu koordinieren, so dass genau die Familie Wirklichkeit wird, in der sich alle zu Hause fühlen, angenommen, bejaht, umsorgt und zugleich verantwortlich. Dies – was übrigens für jeden Menschen von großer Bedeutung ist – schlägt sich in der Physiognomie und in der geistlichen Verfassung des ganzen Werkes, aller Mitglieder und eines jedes Einzelnen nieder. So werdet ihr Frauen „zu einer unersetzlichen Stütze und einer Quelle geistiger Kraft für die anderen, die die große Stärke eures Geistes wahrnehmen“[26].

Der Vorrang der Einzelperson und der Familie

15 Mit eurer Arbeit tragt ihr Sorge für das Leben im Werk und dient ihm, da für euch der einzelne Mensch im Mittelpunkt eurer Arbeit steht. Das bringt sehr konkret zum Ausdruck, dass das Werk Familie ist, nicht in einem übertragenen Sinn, sondern eine echte Familie. Ihr erinnert euch sicher, dass unser Vater uns sehr oft gesagt hat, dass das Werk stärkere Bande verleiht als die des Blutes mit Konsequenzen für die Affektivität und die herzliche Liebe zueinander.

Der heilige Josefmaria betrachtete häufig, dass die Arbeit der Verwaltung dieselbe ist, die die Gottesmutter verrichtete. Daher muss das familiäre Ambiente des Werkes wie ein Abbild, eine Weiterführung der Atmosphäre sein, die im Haus von Nazaret herrschte – die wir zwar nicht erlebt haben, uns aber doch vorstellen können.

Auch wenn die hauswirtschaftliche Arbeit für die Zentren in den unterschiedlichen Kulturkreisen jeweils anders benannt wird, seid ihr Auxiliarnumerarierinnen in Wirklichkeit Schwestern und Mütter – ein wesentlicher Teil der Familie, genauso wie der Vater selbst und seine anderen Töchter und Söhne. Aufgrund der Gnade, die ihr von Gott dafür empfangt, euch um alle im Werk zu kümmern, sagte der heilige Josefmaria, dass er – wenn er gekonnt hätte – Auxiliarnumerarierin geworden wäre. Er nannte euch seine kleinen Töchter, weil ihr als letzte zum Werk gekommen seid, und nicht, weil er euch als minderjährig betrachtet hätte. Ganz im Gegenteil, er vertraute besonders auf eure reife und unverbrüchliche Treue, um die großen Anliegen des Werkes voranzubringen.

Aus allen Milieus

16 Es ist eine wunderbare Wirklichkeit, dass die Auxiliarnumerarierinnen aus allen Milieus hervorgehen. In der Tat zweifelt manchmal die eine oder andere junge Frau, ob Gott sie darum bittet, Numerarierin oder Auxiliarnumerarierin zu werden. Ein Faktor, den man unter anderem vor Augen haben sollte, ist die persönliche Neigung zu Arbeiten, die unmittelbar auf die Versorgung und Pflege von Menschen ausgerichtet ist. Die Unterscheidung des Berufungswegs hängt letztlich natürlich von jeder Einzelnen ab, wobei sie mit der Hilfe der geistlichen Begleitung und der Leiterinnen rechnen kann.

So versteht man, dass die Arbeit der Verwaltung eine große Würde besitzt, nämlich die, die Wärme eines familiären Zuhauses zu schaffen und zu bewahren. Außerdem üben diejenigen, die in der Verwaltung arbeiten, „dieser großartigen, lohnenden Aufgabe, die einen wirklichen und wertvollen Beruf darstellt, mit ihrer Tätigkeit oft eine erheblich weiterreichende Wirkung aus als viele andere Berufstätige, denn ihr positiver Einfluss umfasst, außer der eigenen Familie auch einen großen Kreis von Freunden, Bekannten und anderen Menschen, mit denen sie zu tun haben.“[27]

Apostolat der Apostolate

17 Für den heiligen Josefmaria hatte die Arbeit der Verwaltung einen so großen Wert, dass er sie sogar als Apostolat der Apostolate ansah, denn ohne sie könnte das Werk nicht gedeihen.

Apostolat der Apostolate ist sie in erster Linie, weil sie in sich ein ganz unmittelbares Apostolat ist. Ich wiederhole: Sie beschränkt sich nicht darauf, materielle Dienste zu leisten, die in sich notwendig und wichtig sind. Nein, diese Aufgabe – in Gebet verwandelt – hat vor allem einen ganz direkten Einfluss auf die menschliche und geistliche Bildung der Menschen, die in dem Zentrum, das ihr betreut, wohnen. Die Atmosphäre, die ihr schafft, bildet, und sie bildet in hohem Maß.

Eure gute Arbeit materialisiert einen Geist und vermittelt ihn durch greifbare Taten, konkret und beständig. Daher bemüht ihr euch, die Hausarbeit mit der größtmöglichen Professionalität zu verrichten, wie jedes meiner Kinder mit seiner eigenen Arbeit. Und indem ihr sie auf die Ebene der geheiligten Arbeit hebt, stellt ihr die berufliche Kompetenz direkt in den Dienst der Menschen. So wird dieser Dienst zu einem Faktor der Menschlichkeit und inspiriert die Berufsarbeit aller.

An zweiter Stelle ist die Arbeit der Verwaltung Apostolat der Apostolate, weil sie die anderen Apostolate ermöglicht. Dabei ist sie eine Art kraftvoller Antrieb, besonders in dem Maße, in dem ihr euch bemüht, sie in einen Dialog mit Gott zu verwandeln. „Mit eurer Arbeit in der Verwaltung“, schrieb euch der heilige Josefmaria, „seid ihr in allen Apostolaten aktiv dabei, arbeitet ihr in der ganzen apostolischen Arbeit mit. Ihr gutes Funktionieren ist unerlässlich und der größte Ansporn für das ganze Werk, wenn ihr sie aus Liebe zu Gott verrichtet.“[28] Man merkt es sehr, wenn in einem Land oder einer Stadt zu Beginn der apostolischen Arbeit noch keine Verwaltung da ist. Und man merkt auch, dass das Werk lebendiger und dynamischer wird, wenn sie dann da ist. Außerdem arbeitet ihr Auxiliarnumerarierinnen logischerweise in anderen apostolischen Tätigkeiten mit, soweit das jeweils möglich ist.

Wir sagen auch, dass die Verwaltung das Rückgrat des Werkes ist, weil sie den ganzen Körper stützt, der sich andernfalls nicht aufrechthalten könnte. Gott sei Dank ist es so. Es handelt sich um einen Aspekt, den wir immer wieder bedenken und wertschätzen sollen. Natürlich seid auch ihr anderen Numerarierinnen, die ihr in der Verwaltung arbeitet, dieses Rückgrat und verwirklicht dieses Apostolat der Apostolate.

Ihr, meine Töchter Auxiliarnumerarierinnen, habt die begeisternde Aufgabe, diese Welt, die heutzutage so voller Individualismus und Gleichgültigkeit ist, in ein echtes Zuhause zu verwandeln. Wenn ihr eure Aufgabe mit Liebe erfüllt, kann sie alle Milieus erreichen. Ihr schafft eine menschlichere und göttlichere Welt, denn ihr verleiht ihr Würde – mit eurer in Gebet verwandelten Arbeit, mit eurer liebevollen Zuwendung und dank der Professionalität, mit der ihr für den ganzen Menschen sorgt.

IV. Die Berufung zum Werk als Assoziierte und Assoziierter

Mit eigenem Charakter

18 Ihr, die ihr Assoziierte seid, verwirklicht das Opus Dei in erster Linie durch ein tiefgehendes persönliches Apostolat in eurem beruflichen und familiären Umfeld und ihr kümmert euch zusammen mit den Numerariern um die übrigen Gläubigen des Werkes. Mit eurem Leben zeigt ihr den absolut freien Charakter, den die apostolische Aktivität jedes Getauften hat, und bringt sie mit der ganzen Energie eines zölibatären Herzens voran. Daher konnte der heilige Josefmaria zu euch sagen: „Ich beneide euch, denn eure Hingabe an Gott ist so umfassend und vollständig wie die meine, aber ihr habt eine größere Reichweite.“[29] Was wollte er damit zum Ausdruck bringen? Er wollte damit herausstellen, dass das Wesentliche darin besteht, mitten in der Welt zu sein – mitten in allen Geschehnissen und beruflichen Tätigkeiten, mitten in den Familien –, um dort ein christliches Leben zu führen.

Eure Lebensumstände sind sehr unterschiedlich und eure beruflichen Situationen äußerst vielfältig. Vor euch liegt ein unbegrenztes Feld an Möglichkeiten, um den Geist des Opus Dei zu verwirklichen und zu verbreiten. Aufgrund der Vielfalt eurer Herkunft gelangt ihr in alle gesellschaftlichen Schichten; da ihr an jedem Ort eher dauerhaft lebt, erleichtert ihr dort die Verwurzelung der Apostolate; euer Lebensstil erlaubt euch, viele unterschiedliche Beziehungen dauerhaft zu pflegen: in der Familie, im Beruf, in der Nachbarschaft, im Dorf, in der Stadt oder in dem Land, wo ihr wohnt. „Ihr gelangt viel weiter“, bestätigte auch der heilige Josefmaria, nicht nur bei der Ausbreitung des Apostolates, sondern auch durch ihren Tiefgang, weil eure Umgebung spürt und erlebt, was eine Hingabe an Gott mitten in der Welt, mit ungeteiltem Herzen, bedeutet.

Deshalb versteht man gut, dass unser Vater wünschte, dass es doppelt so viele Assoziierte wie Numerarier gäbe; denn das Wesentliche ist nun einmal der apostolische Einsatz in den normalen Lebensumständen und der beruflichen Arbeit einer jeden und eines jeden von euch.

Wenn jemand, der über seine mögliche Berufung zum Werk nachdenkt, Zweifel hätte, ob er Numerarier oder Assoziierter werden sollte, könnte es nötig sein klarzustellen, dass es ein Irrtum ist zu denken, Numerarier zu sein sei mehr als Assoziierter. Dies ist für die richtige Unterscheidung der Berufung von großer Bedeutung. Es gibt Fälle, in denen die Art, wie sich jemandes Berufung zum Werk konkretisiert, eindeutig ist. Zum Beispiel kann ein verheirateter Mann Supernumerarier sein, jedoch weder Assoziierter noch Numerarier. Aber es gibt auch Fälle, die weniger offensichtlich sind. Die letzte Entscheidung muss natürlich die Person selbst treffen, denn sie spürt, was Gott innerhalb der einen und gemeinsamen Berufung konkret von ihr will. Verständlicherweise ist es aus Klugheit sehr angebracht, sich in der geistlichen Begleitung Rat zu holen, und ebenso bei den Leitern, die diese Person kennen und deren Wunsch es sein wird, mit ihr zu prüfen, was Gottes Wille ist.

Der Wohlgeruch Christi

19 In Bezug auf die Assoziierten schrieb der heilige Josefmaria: „Durch ihre berufliche Arbeit – die sie manchmal auch in körperschaftlichen Einrichtungen leisten – verbreiten sie überall, in allen gesellschaftlichen Gegebenheiten, an allen Orten, an den verschiedensten Ecken der Erde mitten unter ihren Kollegen den Wohlgeruch Christi. Und sie bemühen sich, allen sozialen, beruflichen, wirtschaftlichen usw. Tätigkeiten – öffentlicher oder privater Art – ihrer jeweiligen Gesellschaftsschicht eine christliche Orientierung zu geben. Das tun sie, ohne dass es für sie normalerweise erforderlich ist, ihren Wohnort oder ihre Arbeit zu wechseln.“[30] So habe ich von Don Javier selbst gehört, der eine Lehre des heiligen Josefmaria aufgriff, dass die Assoziierten, Männer wie Frauen, in besonders klarer Weise zum Ausdruck bringen, was das Opus Dei ist, nämlich den normalen Alltag, den Beruf und das Familienleben zu heiligen, ohne ihren Platz zu wechseln.

In manchen Fällen arbeitet ihr Assoziierten in körperschaftlichen Bildungseinrichtungen oder anderen apostolischen Initiativen. Dennoch ist das nicht eure erste und wichtigste Art und Weise, an der Sendung des Werkes teilzuhaben, denn das ganze Werk ist in euren Händen. Manchmal ist es nötig, dass ihr diese Aufgaben übernehmt, aber das Entscheidende ist und bleibt die Heiligung des Alltags, der freundschaftliche Umgang und das persönliche Gespräch mit den Leuten und, je nach Situation, eure Freunde zu den Bildungsmitteln der Arbeit vom Heiligen Raphael und vom Heiligen Gabriel zu begleiten … Mit einem Wort, Gott ruft euch, Sauerteig in der Masse zu sein. Das Wichtige für euch – ich möchte es noch einmal sagen – ist der tätige Einsatz in den alltäglichen Gegebenheiten und der beruflichen Arbeit eines jeden.

V. Die Priester der Prälatur

20 Aus den Numerariern und Assoziierten gehen die Berufungen zum Priestertum im Werk hervor, die für die theologische und juristische Wirklichkeit der Prälatur ebenso wesentlich sind wie die Laien. Dieser Ruf ist nicht als Krönung der Berufung zum Werk zu verstehen, sondern als eine neue Art und Weise, sie zu leben, mit „einer größeren Verpflichtung wie die anderen, das Herz wie einen Teppich auf den Boden zu legen, damit ihre Geschwister weich auftreten[31].

Neben dem, was den priesterlichen Dienst in der Kirche ausmacht – dessen Mittelpunkt die Eucharistie ist –, widmen sich die Priester der Prälatur an erster Stelle dem pastoralen Dienst an den anderen Gläubigen und der priesterlichen Betreuung ihrer apostolischen Aktivitäten. Aufgrund der spezifischen pastoralen Sendung der Prälatur feiern sie vor allem die Sakramente der Eucharistie und der Buße, predigen das Wort Gottes und stehen für die geistliche Begleitung sowie für alle Arten theologischer Bildung zur Verfügung.

Die Tatsache, dass die Priester der Prälatur wie alle anderen den Geist des Werkes leben, impliziert einen bestimmten priesterlichen Stil: sie spiegeln in ihrem Dienst ganz selbstverständlich die Säkularität wider; sie respektieren und fördern mit großem Takt die Verantwortung und die Initiative der Laien; sie führen die Menschen auf übernatürliche Weise zu Gott und fördern in allen die Freiheit des Geistes, was schlicht heißt zu lieben; aktiv kümmern sie sich darum, reichlich priesterliche Arbeit zu haben. Natürlich arbeiten sie im Rahmen des Möglichen auch in Aktivitäten der Diözesen mit.

Im Dienst an den anderen

21 Am Anfang einer der Briefe, die der heilige Josefmaria besonders an seine Priestersöhne richtete, schrieb er: „Meine priesterlichen Söhne, ihr seid geweiht worden, um zu dienen. Lasst mich euch zu Beginn daran erinnern, dass eure Sendung als Priester eine Sendung zum Dienen ist. Ich kenne euch, und ich weiß, dass dieses Wort – dienen – all eure Wünsche, euer ganzes Leben, zusammenfasst und euer Stolz und mein Trost ist. Denn dieser gute und aufrichtige Wille bewegt euch – wie eure Brüder, die Laien sind, und eure Schwestern –, stets voller Eifer bereit zu sein, den anderen Gutes zu tun. Das gibt mir das Recht zu sagen, dass ihr gaudium meum, et corona mea (Phil 4,1), meine Freude und meine Krone seid.“[32]

Dieser Geist der Dienstbereitschaft bewegt euch Priester, euch als einer mehr unter euren Brüdern zu fühlen und es in der Tat auch zu sein, weil ihr wisst, dass es im Werk „nur eine Klasse gibt, auch wenn sie aus Priestern und Laien besteht“[33]. Gleichzeitig aber bemüht ihr euch mit eurem Beispiel und eurem Wort, in den anderen den Wunsch nach Heiligkeit zu wecken und Werkzeuge der Einheit im Opus Dei zu sein. Seid allen immer sehr nahe, aber wahrt einen angemessenen Umgangston sowie die priesterliche Würde im Auftreten, in Unterhaltungen usw.

Meine Söhne, wenn der heilige Josefmaria allen sagte: „Um Christus muss es uns zu tun sein, nicht um uns“[34], dann ist es für euch Priester ganz besonders angebracht, nicht glänzen und Hauptperson sein zu wollen. Vielmehr soll Christus in eurem Leben glänzen und die Hauptrolle spielen, und in jedem Fall sollen eure Schwestern und Brüder glänzen. Dazu – das wisst ihr gut und versucht, so zu leben – ist ganz besonders eure Verbindung mit Gott nötig, euer Gebet und euer freudiges Opfer, in der Einheit des Lebens.

VI. Über den apostolischen Zölibat der Numerarier und Assoziierten

22 Die Berufung zum Werk der Numerarier und Assoziierten, Männer wie Frauen, ist an den apostolischen Zölibat gebunden; er ist ein Geschenk Gottes und Antwort auf dieses Geschenk, die die Liebe Gottes mit Liebe erwidert. „Habt immer vor Augen, dass die Liebe zu Gott – die größte aller Lieben – das Motiv unseres Zölibates ist.“[35] Den Zölibat darf man daher nicht allein und nicht hauptsächlich rein funktional betrachten, das heißt, als ein geeignetes Mittel, damit wir uns mehr der Arbeit des Werkes widmen oder von einem Ort zum anderen wechseln können. Natürlich wird beides durch den Zölibat ermöglicht oder erleichtert, aber im Tiefsten ist er eine besondere Gabe, die unser Leben dem Leben Christi ähnlich macht. „Zölibat muss ein Zeugnis des Glaubens sein: Glaube an Gott wird konkret in der Lebensform, die nur von Gott her Sinn hat. Das Leben auf ihn setzen, unter Verzicht auf Ehe und Familie, das sagt aus, dass ich Gott als Wirklichkeit annehme und erfahre und ihn deshalb zu den Menschen bringen kann.“[36]

Der apostolische Zölibat trennt uns nicht von unseren Mitmenschen. Da er aber die Verpflichtung zu einem ungeteilten Herzen für Gott einschließt, muss er an einer hingegebenen Lebensweise wahrzunehmen sein, wie bei einer verheirateten Person, die sich nicht so verhält, als hätte sie keine Treueverpflichtung gegenüber ihrem Gatten.

Eine Berufung, die radikal gelebt wird, stößt manchmal mit den Standards der Welt zusammen. Auch darauf können wir diese allgemein gehaltenen Worte des heiligen Josefmaria beziehen: „›Wenn mein Leben mit diesem verheidnischten oder heidnischen Milieu zusammenstößt, wird meine Natürlichkeit da nicht künstlich wirken?‹ fragst du mich. Ich antworte dir: Ohne Zweifel wird dein Leben mit dem Leben anderer zusammenstoßen; der Kontrast, der dadurch entsteht, dass du deinen Glauben in deinen Werken bestätigst, ist genau die Natürlichkeit, die ich von dir erwarte.“[37]

Erneuern wir immer wieder die Überzeugung, dass das Geschenk des apostolischen Zölibats Zeichen einer göttlichen Vorliebe ist, der Ruf zu einer spezifischen Gleichförmigkeit mit Christus, der zudem – sogar menschlich, vor allem aber übernatürlich – eine größere Fähigkeit mit sich bringt, alle Menschen zu lieben. Darin liegt auch begründet, dass der Zölibat, der auf die physische Vaterschaft und Mutterschaft verzichtet, eine noch viel größere geistliche Mutter- oder Vaterschaft ermöglicht. In jedem Fall wird aber de facto derjenige Christus ähnlicher sein, der Gott mehr liebt, ob er nun zölibatär oder verheiratet ist, denn auch die Ehe ist ein „göttlicher Weg auf Erden“[38].

VII. Die Berufung zum Werk als Supernumerarierin und Supernumerarier

Eine große Gnade Gottes

23 Den größten Teil der Gläubigen des Opus Dei bildet ihr Supernumerarier, die ihr darauf bedacht seid, alle Facetten eures Lebens zu heiligen, ganz besonders – das ist das Normale – das Leben in Ehe und Familie. Im Jahr 1947 schrieb der heilige Josefmaria folgendermaßen an seine Söhne in Spanien, als Antwort auf einige Überlegungen über die Supernumerarier, die er erhalten hatte: „Ich habe deine Anmerkungen zu den Supernumerariern gelesen (…). In der nächsten Woche werde ich sie dir mit dem einen oder anderen konkreten Hinweis zurückgeben. Jedenfalls sage ich dir schon jetzt, was wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen: es geht nicht darum, dass sich einige Herren in einen bestimmten Verein einschreiben (…). Es ist eine große Gnade Gottes, Supernumerarier zu sein!“[39] Es ist Gott, der diese Gnade gibt. „Viel Gnade“, wie der heilige Josefmaria sagt, und daher eine große Gnade, nämlich die der Berufung zum Werk. Für die Supernumerarier geht diese Berufung mit einer besonderen Hilfe für den eigenen Weg der Heiligung einher, den Weg, der von der Taufe und in den meisten Fällen vom Empfang des Ehesakramentes und der Gründung einer Familie gekennzeichnet ist.

Der Ruf setzt eine Erwählung voraus und zielt, wie ich zuvor geschrieben habe, auf eine Sendung: in der Kirche Opus Dei sein und das Opus Dei verwirklichen. In der Instruktion vom Heiligen Gabriel schreibt der heilige Josefmaria in Bezug auf die Supernumerarierinnen und Supernumerarier: „Ich sehe diese große Auswahl und ihr Wirken (…). Alle – jeder Einzelne im Bewusstsein, von Gott erwählt zu sein, seine persönliche Heiligkeit mitten in der Welt zu erreichen; und zwar gerade an dem Platz, den er in der Welt einnimmt, mit einer soliden und theologisch fundierten Frömmigkeit, bereit, die Pflicht jeden Augenblicks freudig zu erfüllen, selbst wenn es schwerfällt.“[40] Daher sollen wir niemals die Berufung als ein Bündel von Forderungen und Verpflichtungen verstehen, auch wenn es diese logischerweise gibt, sondern vor allem als eine Erwählung Gottes, als ein großes Geschenk Gottes.

Der Horizont, der eurer Sendung ihren Sinn verleiht, ist der, „Sauerteig zu sein, der die Menschen vergöttlicht und sie gerade dadurch zugleich wahrhaft menschlich macht“[41]. Wie Aquila und Priscilla, die den heiligen Paulus in Korinth aufnahmen (vgl. Apg 18,2) und diejenigen waren, die Apollos und vielen anderen das Evangelium verkündeten (vgl. Apg 18,26; Röm 16,3; 1 Kor 16,19); wie so viele jener ersten Christen, die ein normales Leben wie das ihrer Zeitgenossen führten, gleichzeitig aber Salz und Licht in einer Welt waren, die im Dunkeln lag.

„Unter den Supernumerariern gibt es die ganze Bandbreite der gesellschaftlichen Schichten, der Berufe und sonstigen Tätigkeiten. Alle Umstände und Situationen des Lebens werden von diesen meinen Kindern – Männern und Frauen – geheiligt, die innerhalb ihres Standes und ihrer beruflichen Position mit ganzem Herzen und aus einer vollgültigen Berufung heraus die christliche Vollkommenheit suchen.“[42] Beachtet, wie unser Vater auf der „vollgültigen Berufung“ besteht. Was die Vielfalt angeht, so ergibt sie sich aus der Tatsache, dass das Werk ein Weg der Heiligung und des Apostolates im Alltag, in einem gewöhnlichen Leben ist, und daher alles, was menschlich und rechtschaffen ist, zulässt.

Ehe und Familie

24 Die Berufung als Supernumerarier entfaltet sich in erster Linie im Umfeld der Familie. „Euer erstes Apostolat vollzieht sich in eurem Zuhause.“[43] Der heilige Josefmaria wünschte sehnlich, dass die Häuser der Supernumerarier und Supernumerarierinnen „hell und freundlich“ seien, „Zentren, die die Botschaft des Evangeliums ausstrahlen“[44]. Denn das ist das Erbe, das ihr der Gesellschaft hinterlasst. Daher schrieb er euch auch: „Die Bildung, die euch das Werk gibt, lässt euch die Schönheit der Familie schätzen, die Gründung eines Zuhauses als übernatürliches Werk erkennen und die Quelle der Heiligung entdecken, die sich in den ehelichen Pflichten verbirgt.“[45]

Außerdem seid ihr gerufen, positiven Einfluss auf andere Familien auszuüben. Insbesondere sollt ihr ihnen helfen, ihr Familienleben christlich zu gestalten, und ihr sollt die Jugendlichen auf die Ehe vorbereiten, damit viele junge Leute sich darauf freuen, weitere christliche Familien zu gründen, und auch in der Lage sind, es zu tun. Aus diesen Familien können wiederum die zahlreichen Berufungen zum apostolischen Zölibat kommen, die Gott will.

Auch die Ledigen und die Witwen – und selbstverständlich die kinderlosen Eheleute – können in der Familie ihr erstes Apostolat sehen, denn ihr werdet immer auf die eine oder andere Weise ein familiäres Umfeld haben, für das ihr Sorge tragt.

Auf die eigene Umgebung einwirken

25 Der heilige Josefmaria sah euch als eine umfassende Mobilisierung von Christen, die in ihre Arbeitswelt und ihr gesellschaftliches Umfeld die Liebe Christi ausstrahlt, und das insbesondere durch ihr Apostolat der Freundschaft und des vertrauensvollen Umgangs. Dadurch trägt sie auch dazu bei, die gesellschaftlichen Strukturen zu verbessern, sie immer menschlicher werden zu lassen, sie in Einklang zu bringen mit dem Leben, das die Kinder Gottes führen, und wirkt damit aktiv mit an der Lösung der Probleme unserer Zeit. „Euer Apostolat wird sehr fruchtbar sein, wenn ihr euch bemüht, die Berufe, Institutionen und Einrichtungen, in denen ihr arbeitet und euch bewegt, in christlichem Geist zu orientieren.“[46]

Es ist klar, dass die Berufung und die daraus folgende Sendung der Supernumerarierinnen und Supernumerarier sich nicht darauf beschränkt, ein paar Frömmigkeitsübungen zu verrichten, an einigen Bildungsveranstaltungen teilzunehmen und bei dem einen oder anderen apostolischen Unternehmen mitzumachen. Nein, sie umfasst euer gesamtes Leben, weil euer ganzes Leben eine Begegnung mit Gott und ein Apostolat sein kann. Das Opus Dei verwirklichen bedeutet, es im eigenen Leben zu verwirklichen und aufgrund der Gemeinschaft der Heiligen dabei mitzuwirken, es in der ganzen Welt Wirklichkeit werden zu lassen. Anders gesagt, mit einem anschaulichen Satz unseres Gründers: das Opus Dei zu verwirklichen, indem jeder Opus Dei ist.

Das Werk als etwas Eigenes zu betrachten bringt euch dazu, lebendiges Interesse an der persönlichen Ausbildung zu haben, um die anderen Menschen zu Christus zu führen und wohlbegründet über euren Glauben sprechen zu können. In der Tat „ist die Bildung, die man euch vermittelt, flexibel, sie passt sich eurer persönlichen und gesellschaftlichen Situation an wie ein Handschuh der Hand. (…) Wir haben alle denselben Geist und dieselben asketischen Mittel, aber sie können und sollen in jedem Einzelfall ohne Starrheit verwirklicht und angewendet werden.“[47]

Die Flexibilität, die Starrheit vermeidet, bedeutet nicht, dass die Berufung zum Supernumerarier weniger Heroismus oder Entschiedenheit in der Nachfolge Christi verlangt. Es ist darum angebracht, nicht so sehr die Verschiedenheit der Situationen in den Blick zu nehmen, als vielmehr uns auf das Wesen dessen zu besinnen, was in diesen Situationen der Anruf Gottes, ein von Gott gegebener Auftrag ist. Ganz gleich, wie die Umstände sind, es handelt sich darum, bei Christus zu sein, Christus zu lieben, mit Christus zu arbeiten und ihn überall hinzubringen.

Als der heilige Josefmaria schrieb, dass „die Supernumerarier sich teilweise dem Dienst am Werk widmen“[48], bezog er sich auf die faktische Verfügbarkeit für die konkreten apostolischen Initiativen, nicht aber auf eine teilweise Verwirklichung des Werkes, denn diese Aufgabe – ich möchte es noch einmal sagen – vollzieht sich mit dem ganzen Leben. Als er über die apostolische Sendung der Supernumerarierinnen und Supernumerarier sprach, schrieb daher unser Vater auch: „Es handelt sich nicht um ein Apostolat, das sie nur sporadisch oder unter bestimmten Umständen ausüben, sondern beständig und aus Berufung, da es ein Ideal für das ganze Leben ist.“[49]

Gott rechnet damit, dass ihr euch spontan und initiativ wie ein Fächer öffnet und zu allen Menschen die Freude des Evangeliums bringt. „In eurer apostolischen Tätigkeit sollt ihr Initiativen ergreifen innerhalb des weiten Rahmens, den unser Geist vorgibt. So werdet ihr an jedem Ort, in jedem Umfeld und zu jeder Zeit die Aktivitäten ausfindig machen, die am besten zu den jeweiligen Umständen passen.“[50]

Das ist die großartige Sendung meiner Töchter und Söhne Supernumerarier, die keine Grenzen kennt: „Es soll kein Dorf mehr geben, wo nicht irgendein Supernumerarier unseren Geist ausstrahlt.“[51]

VIII. Die Berufung zum Werk als Assoziierter und Supernumerarier der Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz

26 „Ihr seid genauso vom Opus Dei wie ich.“ Das sagte der heilige Josefmaria zu den Priestern und Diakonen, Assoziierte und Supernumerarier der Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz, die nicht in die Prälatur inkardiniert sind.

Natürlich betrifft der Ruf zur Heiligkeit mitten in der Welt auch die in den Diözesen inkardinierten Weltpriester. Die Berufung zum Werk ist dieselbe: Der göttliche Ruf, die Heiligkeit anzustreben und apostolisch zu wirken in den jeweils eigenen Lebensumständen und in der Erfüllung der eigenen Pflichten, mit demselben Geist und denselben asketischen Mitteln als Teil der Familie des Opus Dei.

Gewiss ist der Rechtscharakter der Zugehörigkeit zum Werk verschieden für die Gläubigen der Prälatur und die Mitglieder der Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz, die nicht in die Prälatur inkardiniert sind. Trotzdem vermindert die Verschiedenheit der rechtlichen Bindung (unter Jurisdiktion die einen, die anderen assoziativ) in keiner Weise die Identität des Rufes, nämlich die Heiligkeit in demselben Geist und mit den spezifischen Mitteln des Opus Dei anzustreben.

Der juristische Unterschied macht es möglich, dass der Ruf zum Werk euch nicht von eurem Platz wegnimmt, denn ihr bleibt in eure jeweiligen Bistümer inkardiniert. Auch ändert sich nicht im Geringsten die Beziehung zu eurem Bischof und den übrigen Priestern. Eure Berufung stärkt und erleichtert dank der geeigneten Mittel die treue und großzügige Erfüllung der priesterlichen Verpflichtungen und der Aufgaben eures Amtes und macht euren Weg der Heiligkeit liebenswerter. Außerdem kommt es euch vor allem zu, Priesterberufungen zu fördern, und ihr seid auch gerufen, ein Ferment der Einheit mit den Bischöfen und der Brüderlichkeit innerhalb des Presbyteriums eures Bistums zu sein.

Wie sehr ermutigte euch unser Vater in dieser Hinsicht! „Bemüht euch, einander beizustehen, auch menschlich. Habt ein Herz aus Fleisch, denn aus Fleisch ist das Herz, mit dem wir Jesus, Gott Vater und den Heiligen Geist lieben. Wenn ihr seht, dass es einem eurer Brüder schlechtgeht, dann geht zu ihm und wartet nicht, bis er euch ruft.“[52]

Der Gedanke, dass die Heiligung der Arbeit – die Achse des geistlichen Lebens – für die Mitglieder der Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz im Wesentlichen bedeutet, die priesterliche Tätigkeit zu heiligen, ist ein Grund zur Freude. In ihren wichtigsten Aspekten ist sie schon objektiv eine sakrale Tätigkeit. Aber gleichzeitig ist sie, wie jede Arbeit, Ort und Weg persönlicher Heiligung und apostolischen Wirkens.

***

27 Der hundertste Jahrestag jenes 2. Oktober 1928, an dem Gott den heiligen Josefmaria das Werk sehen ließ, rückt näher. Auch damals gab es in der Welt und in der Kirche – und daher auch im Werk – viel Freude und viel Leid, und so wird es bleiben.

Am 27. März 1975 hielt unser Vater eine Betrachtung, bei der er sich die noch relativ kurze Geschichte des Opus Dei in Erinnerung rief: „Welch unermessliches Panorama: so viel Schmerz, so viel Freude! Und jetzt nur noch Freude, nur Freude … denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Schmerz der Meißel des Künstlers ist, mit dem er aus jedem Einzelnen von uns, aus dieser unförmigen Masse, die wir sind, ein Kruzifix formen will, einen Christus, eben den alter Christus, der wir sein sollen. Herr, Dank für alles! Vielen Dank!“[53]

Die Schönheit der christlichen Berufung, so wie Gott sie im Werk für jeden Mann und jede Frau konkretisiert hat, sollte uns mit Freude erfüllen. Auf der einen Seite mit einer gesunden menschlichen Freude angesichts so vieler guter Menschen und Dinge. Und auf der anderen Seite in besonderer Weise mit dieser übernatürlichen Freude, die, wie unser Vater versicherte, „Wurzeln in Form des Kreuzes“ hat. Es macht uns froh zu wissen – betrachten wir das von neuem –, dass „das Heilige Kreuz uns Beständigkeit verleihen wird, immer mit demselben Geist des Evangeliums, der das Apostolat des Tuns als köstliche Frucht des Gebetes und des Opfers hervorbringen wird“[54].

Bitten wir die Gottesmutter, sie möge uns segnen und mütterlich daran erinnern, dass das Werk in unser aller Händen ist. Wenn wir dem Willen Gottes und seiner Gnade entsprechen, wird die Geschichte, die am 2. Oktober 1928 begann, weitergehen bis zum Ende der Zeiten, trotz unserer Schwachheit und unserer Irrtümer. Wir werden mit großer Freude weiterarbeiten und versuchen, Christus an die Spitze aller menschlichen Tätigkeiten zu stellen, zur Ehre Gottes.

In Liebe segnet euch

euer Vater

Rom, 28. Oktober 2020


[1] Brief 9.1.1932, Nr. 9.

[2] Brief 12.12.1952, Nr. 35.

[3] Brief 31.5.1954, Nr. 17.

[4] Brief 19.3.1967, Nr. 93.

[5] Freunde Gottes, Nr. 146.

[6] Vgl. Thomas von Aquin, Kommentar zum Römerbrief, Kap. 8, Lekt. 3.

[7] Papst Franziskus, Enz. Fratelli tutti, Nr. 277.

[8] II. Vatikanisches Konzil, Konst. Lumen gentium, Nr. 3.

[9] Im Feuer der Schmiede, Nr. 69.

[10] Ebd., Nr. 835.

[11] Papst Franziskus, Apost. Schreiben Evangelii gaudium, Nr. 121.

[12] Gespräche, Nr. 19.

[13] Brief 31.5.1954, Nr. 34.

[14] Christus begegnen, Nr. 74.

[15] Im Feuer der Schmiede, Nr. 156.

[16] Brief 24.12.1951, Nr. 137.

[17] Brief 25.1.1961, Nr. 11.

[18] Sel. Alvaro del Portillo, Anmerkung 135 zur Instruktion über das Werk vom Heiligen Michael.

[19] Vgl. Botschaft, 20.7.2020.

[20] Brief 29.9.1957, Nr. 8.

[21] Ebd., Nr. 76.

[22] Javier Echevarría, Pastoralbrief, 28.11.1995, Nr. 16.

[23] Instruktion über das Werk vom heiligen Gabriel, Nr. 113.

[24] Instruktion über den übernatürlichen Geist des Werkes, Nr. 28.

[25] Betrachtung, 28.4.1963.

[26] Hl. Johannes Paul II., Apost. Schreiben Mulieris dignitatem, Nr. 30.

[27] Gespräche, Nr. 88.

[28] Brief 29.7.1965, Nr. 11.

[29] Beisammensein, 15.9.1962.

[30] Brief 29.9.1957, Nr. 13.

[31] Brief 8.8.1956, Nr. 7.

[32] Ebd., Nr. 1.

[33] Ebd., Nr. 5.

[34] Christus begegnen, Nr. 163.

[35] Instruktion über das Werk vom Heiligen Michael, Nr. 84.

[36] Benedikt XVI., Ansprache, 22.12.2006.

[37] Der Weg, Nr. 380.

[38] Gespräche, Nr. 92.

[39] Brief an den Generalrat des Opus Dei, 18.12.1947.

[40] Instruktion über das Werk vom Heiligen Gabriel, Nr. 9.

[41] Brief 9.1.1959, Nr. 7.

[42] Ebd., Nr. 10.

[43] Ebd., Nr. 53.

[44] Christus begegnen, Nr. 30.

[45] Brief 9.1.1959, Nr. 53.

[46] Ebd., Nr. 17.

[47] Ebd., Nr. 33.

[48] Instruktion über das Werk vom Heiligen Gabriel, Nr. 23.

[49] Ebd., Nr. 15.

[50] Brief 24.10.1942, Nr. 46.

[51] Brief 9.1.1959, Nr. 13.

[52] Aufzeichnungen aus einem Familientreffen mit Priestern, 26.10.1972; im Generalarchiv der Prälatur, Abteilung P04 1972, II, S. 767.

[53] Worte aus seiner Verkündigung, im Generalarchiv der Prälatur, Abteilung P01 1975, S. 809.

[54] Instruktion über den übernatürlichen Geist des Werkes, Nr. 28.

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