Auf dem Hinweg im Zug fiel Josefmaria auf, dass unter den „männlich marianischen Übungen“ im Opus Dei noch „etwas für den Mai“ fehlte.„Da ging mir auf, berichtete der Gründer selbst, „dass eine ‚Maiwallfahrt‘ als fester Brauch in das Werk einzupflanzen war – und er wurde eingepflanzt.“
Escrivás Biograf Andrés Vázquez de Prada* schildert den äußeren Ablauf und die inneren Einsichten dieses Tages eindrucksvoll.
„Gegen Ende des akademischen Jahres 1935 wollte Josemaría Escrivá unserer Lieben Frau auf eine besondere Weise für alle Gnaden im abgelaufenen Studienjahr danken. So unternahm er am 2. Mai mit zwei Studenten von Madrid aus eine kurze Wallfahrt und berichtete später selbst darüber: „Als der Fußmarsch nach Sonsoles beschlossen war, wollte ich die heilige Messe … lesen, bevor wir Richtung Avila loszogen. Im Memento der Messe bat ich Jesus, dass er uns – im Werk – die Liebe zu Maria vermehren und dass sich das in Taten erweisen sollte. Ich bat mit besonderem Nachdruck, der nicht von mir kam. Im Zug musste ich dann unwillkürlich an dasselbe denken: Bestimmt ist unsere Herrin mit unserer Zuneigung zufrieden, die sich in männlich marianischen Übungen ausdrückt: Ihr Bild ist uns immer vor Augen, den Unsrigen immer vor Augen; unser kindlicher Gruß beim Betreten und Verlassen des Zimmers; die Armen der Muttergottes; die Kollekte am Samstag; omnes … ad Jesum per Mariam – alle … mit Maria zu Jesus; Christus, Maria, der Papst … Aber für den Mai fehlte noch etwas. Da ging mir auf, dass eine ‚Maiwallfahrt‘ als feste Gewohnheit in das Werk einzupflanzen war – und sie wurde eingepflanzt.“
Ohne erst die Stadt durch die Stadtmauer zu betreten, gingen die drei direkt Richtung Gnadenkapelle. Schon von weitem sahen sie die Wallfahrtsstätte hoch oben am Hang liegen. Sie beteten einen Rosenkranz auf dem Weg nach oben, einen weiteren im Inneren vor dem Gnadenbild inmitten von Votivbildern und Weihegaben und den dritten auf dem Rückweg zum Bahnhof von Avila.
Ein paar Begleitumstände: „Von Avila aus konnten wir auf die Wallfahrtsstätte sehen, und als wir zum Berghang kamen, entschwand das Haus Mariens wieder unseren Blicken. Wir sagten uns: So macht es Gott oft mit uns. Er zeigt uns deutlich das Ziel und lässt es uns betrachten, um uns auf dem Weg der Erfüllung seines liebenswerten Willens zu stärken. Und wenn wir ihm schon nahegekommen sind, hüllt er uns in Nebel und lässt uns scheinbar allein. Das ist die Stunde der Versuchung: Zweifel, Kämpfe, Dunkelheit, Ermüdung, der Wunsch sich der Länge nach hinzuwerfen … Aber nein: Vorwärts! Die Stunde der Versuchung ist auch die Stunde des Glaubens und die Stunde sich wie ein Kind dem Vater-Gott zu überlassen. Fort mit allem Zweifeln, Zögern und aller Unentschiedenheit! Ich habe den Weg gesehen und eingeschlagen, und ich folge ihm. Bergauf, immer voran, keuchend vor Anstrengung: Aber ohne mich aufzuhalten, ohne die Blumen rechts und links zu pflücken. Sie versprechen mir ein kurzes Verschnaufen und erfreuen mich mit ihrem Duft und ihren Farben … und mit ihrem Besitz: Aus bitterer Erfahrung weiß ich sehr wohl, dass ein Augenblick genügt, sie zu pflücken – und schon sind sie vertrocknet: Ihre Farben, ihre Düfte, ihr Frieden sind nicht für mich.“
Als Erinnerung an diese Wallfahrt bewahrte Josemaría in einem kleinen Kästchen eine Handvoll Ähren auf, ein Symbol für die Erwartung apostolischer Fruchtbarkeit im Monat Mai.
Seinen Bericht von der Wallfahrt setzte er mit einer kleinen Begebenheit fort und schloss ihn mit ein paar Überlegungen, die die drei Wallfahrer auf der Rückfahrt meditierten: „Auf dem Rückweg beteten wir den Rosenkranz – auf Latein! Da kreuzte ein Wiedehopf im Flug unseren Weg. Ich ließ mich ablenken und rief: Ein Wiedehopf! Nichts weiter: Wir beteten weiter. Ich war ein wenig beschämt. Wie oft wollen uns Vögel weltlicher Illusionen von deinen Apostolaten ablenken! Mit deiner Hilfe, Herr, nie wieder! Hier als letzte Einzelheit die Punkte, die wir auf der Rückfahrt im Zug betrachtet haben: 1. Wie Gott unser Vater mit gutem Grund jeden anderen für sein Werk hätte auswählen können und nicht gerade uns. 2. Wie wir der Erbarmenden Liebe Jesu nachkommen müssen, dass er uns für sein Werk ausgewählt hat (mehr oder weniger mit diesen Worten). 3. Sehen, wie prächtig das Apostolat des Werkes ist und wie groß das Unternehmen in wenigen Jahren – jetzt schon –, wenn wir mithalten. Die Bitte: Ein Geist vollständigen Opfers, der Knechtschaft, aus Liebe, für das Werk. Madrid, Mai 1935“
* Vgl. Vázquez de Prada, Andrés: Der Gründer des Opus Dei, Bd. 1 (Die frühen Jahre), Köln 2001, S. 519–521.