Und nun sieh dieses Kind in der Krippe

„Als tiefes Schweigen das All umfing, die Nacht die Mitte hielt in ihrem Lauf, da kam aus dem Himmel, vom Königsthron her, o Herr, Dein allmächtiges Wort“ (Weish 18,14-15).

Nicht die Antwort auf unsere Fragen, nein, "das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Joh 1,14). Isaias legt ihm in den Mund: " Ich ließ mich finden von solchen, die nicht nach mir gefragt" (Is 65,1). Erst wenn du schweigen kannst, wirst du inne, dass dein Gott ist.

Und nun sieh dieses Kind in der Krippe! Auch wenn du kein Lächeln in seinen Zügen interpretieren willst wie die Mutter, die das Neugeborene aufhebt, oder wie entzückte Tanten. Auch wenn du seine Händchen nicht zum Segen erhoben siehst wie geschäftstüchtige Devotionalienfabrikanten. Begreifst du nicht die Kontur, die Gestalt? Macht dich das Kind da auf dem Stroh in der Krippe nicht verrückt wie später der Mann der Schmerzen, genagelt ans Kreuz, wie seine demütige "Erniedrigung in der Heiligen Hostie, mehr als im Stall, als in Nazareth und als am Kreuz" (hl. Josefmaria Escrivá, Der Weg, Nr. 533). Dieses hilflose Kind das ist dein Gott, der Emmanuel, "Gott mit uns"!

Schau diese hilflose Kind, das sich dir anvertraut, um deine Liebe bettelt, weil es dich liebt. Kraft seines Todes und seiner Auferstehung "hat er uns hinausgeführt in die Weite, hat uns heil gemacht, denn er wollte uns wohl" (Ps 17,20); allen will er "den Frieden bringen, den die Welt nicht geben kann" (Jo 14,27). "Frieden auf Erden, den Menschen seines Wohlwollens" (Lk 2,24). "Jubeln sollen deshalb die Himmel, auftanzen die Erde vor dem Antlitz des Herrn! Denn er ist da". "Er hat alles wohl gemacht: den Tauben gibt er das Gehör, den Stummen ihre Stimme" (Mk 7,27). Und du und ich – gestatten Sie mir, dass ich hier vor der Krippe so familiär mich ausdrücke – wir können nicht still bleiben, weil "heute selbst ein neues Wirken Christi und ein geheimnisvolles Geschehen" sich unter uns vollzieht (Gregor von Nazianz, Homilie in Epiph. PG 36,336). "Betrachte das Schönste und Größte auf der Erde. Was die Vernunft und die geistigen Kräfte erfreut. Was dem Körper und den Sinnen wohltut. Die Welt und die anderen Welten, die in der Nacht herüberleuchten. Das ganze Universum. – Denke dir alle Wünsche deines Herzens erfüllt. Das alles ist nichts, nichts und weniger als nichts im Verhältnis zu diesem meinem Gott. Diesem menschlichen Schatz, dieser kostbarsten Blume, gedemütigt, Sklave geworden, zum nichts geworden in der Gestalt des Knechtes in dem Stall, da er geboren werden wollte..." (hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 432).

Wenn wir, du und ich, vor dem innerlich strahlenden Geheimnis der Fleischwerdung des Wortes stehen und das Kindlein in der Krippe sehen, und wenn wir in der heiligen Messe ja nicht nur in unserer Vorstellung, sondern real greifbar unserem Gott im Fleische begegnen und das Heilswerk seiner Erlösung an uns neu erfahren, sind wir da nicht überwältigt von der Liebe Gottes? Schmilzt da nicht unser Stolz? Löst sich da nicht unsere Zunge? Brennt da nicht unser Herz und läutert sich in der Glut der Reue, der Liebe, der Bitte um Verzeihung? Kommen wir da nicht wie die Hirten zur Krippe und bringen als bescheidene Geschenke unsere Vorsätze, unseren schwachen aber guten Willen: wieder neu anzufangen? "Sie gingen eilends hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag" (Lk 2,16).

Welche "geistigen Opfergaben" (1 Petr 2,5) machen wir dem Kindlein zum Geschenk? Welche Werke froher Buße und innerer Umkehr? Hast du dir das schon überlegt? Hast du dir schon ein paar ausgesucht, die ihm besondere Freude machen? Ich habe mir das auch überlegt. Komm, zeigen wir sie auch seiner Mutter, sie weist gerne ihren Sohn darauf hin. Und dann wollen wir zu dem Kinde beten: "Halte mich fest – verlass mich nicht! Pass auf mich auf wie auf ein Kind. Dass ich stark sei, mutig und standhaft. Hilf mir wie einem unbeholfenen Geschöpf, nimm mich an der Hand, Herr, und lass auch deine Mutter mir zu Seite stehen und mich beschirmen" (hl. Josefmaria, Christi Triumph in seiner Demut, 26)

von Msgr. Dr. Klaus M. Becker, Köln