Teil 1 des Interviews: „Im Charisma vertiefen, aus Fehlern lernen und zuversichtlich in die Zukunft blicken“
Wie reagiert das Opus Dei auf den Vorwurf einer übermäßigen Normierung des Lebens in den Zentren, basierend auf Kriterien in Unterlagen, die nur Personen in Leitungsposition zugänglich sind? Welche Lehren wurden daraus gezogen und welche Veränderungen gab es?
Die Zentren des Opus Dei wollen Orte der Bildung und der Liebe sein – ein Zuhause, in dem sich die Mitglieder treffen, einander unterstützen, Evangelisierungsprojekte vorantreiben und geistliche Begleitung sowie Anregungen zur Aktualisierung ihrer christlichen Bildung erhalten.
Das Zentrum gehört allen und ist für alle da, die zölibatären Mitglieder – die gerade einmal zwölf Prozent aller Mitglieder des Werkes ausmachen – leben jedoch dort und haben die Aufgabe, ein familiäres christliches Umfeld zu schaffen. Dieses gemeinsame Projekt ist anspruchsvoll, denn es verfolgt ein hohes Ziel: die persönliche Heiligkeit jedes Einzelnen und eine beständige Aussaat des Guten.
Wie überall braucht es auch hier Mindestregeln, um ein harmonisches Zusammenleben zu ermöglichen. Für alle soll es Zeit und gute Voraussetzungen geben, um beten, sich ausruhen und neue Kraft schöpfen zu können. Dabei handelt es sich um informelle Regeln – ein einfacher gemeinsamer Zeitplan, Absprachen zur Nutzung gemeinsamer Räume usw. – und ebensolche Traditionen, die auf der Grundlage gemeinsamer Wurzeln und Geschichte das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Diese Regeln sollten flexibel und spontan gelebt werden, da sie sonst als belastend oder einengend empfunden werden können.
Wie in vielen Familien oder Institutionen wurde auch im Opus Dei erkannt, dass ein flacherer Organisations- und Leitungsstils notwendig ist. Zusätzlich geht es darum, jeden einzelnen einzubeziehen, die Generationenvielfalt liebevoll und großzügig anzunehmen, sich füreinander Zeit zu nehmen und kreativ die Spannungen zu lösen, die – wie für viele andere Menschen auch – aus der Notwendigkeit entstehen, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Der heilige Josefmaria erkannte bald, dass der Weg des Werkes durch Versuch und Irrtum geprägt sein würde. Manches erwies sich als hilfreich, anderes nicht. Bemerkenswert ist, dass er mit allen, die sich dem Opus Dei anschlossen, rechnen wollte. Und so bat er sie, ihre Erfahrungen festzuhalten, damit alle daraus lernen konnten. Diese – ausgehend von positiven wie negativen Erlebnissen – über Jahrzehnte gesammelten Erkenntnisse wurden in den 1970er, 1980er Jahren in formale Kriterien überführt, die mehr Verbindlichkeit erhielten, als sie eigentlich besaßen.
Ein entscheidender Faktor war die Nähe zum Gründer: Viele glaubten, dass die Beibehaltung bestimmter Praktiken der sicherste Weg sei, an seiner Vision festzuhalten. Dies führte jedoch dazu, dass nicht immer sorgfältig genug hinterfragt wurde, ob diese Praktiken auch weiterhin sinnvoll waren.
Mit der Zeit sah sich das Werk neuen Kontexten gegenüber und ist durch junge Generationen bereichert und durch Menschen mit vielfältigen kulturellen Hintergründen herausgefordert worden. Die Überprüfung „altbewährter“ Praktiken mit dem Ziel, dass jeder seinen Weg zu Gott in Freiheit und Freude gehe, hat langsam begonnen, wird aber seit Jahren vorangetrieben.
Die angesprochenen Unterlagen für die Bildung standen dem Heiligen Stuhl stets zur Verfügung. Früher waren sie vorrangig jenen bekannt, die Bildungsaufgaben innehatten. Heute sind sie im Sinne der Transparenz zunehmend offen zugänglich. Nur noch wenige Schriftstücke haben einen normativen Charakter, wobei sich die Statuten des Werkes derzeit in Überarbeitung befinden. Darüber hinaus gibt es ein Kompendium zum Geist und den Bräuchen des Opus Dei, das den Mitgliedern zur Verfügung steht, sowie Erfahrungen für die Bildung auf lokaler Ebene.
Inwieweit gibt es eine Anhörung der Mitglieder, auch derjenigen, die einen kritischeren Blick haben und bestimmte Dinge in Frage stellen?
Parallel zu gesellschaftlichen und familiären Entwicklungen arbeiten wir in den letzten Jahren daran, unsere Antworten zu verbessern und unterschiedliche Perspektiven in die Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Dazu haben partizipative Prozesse, die bereits vom heiligen Josefmaria vorgesehen und an die heutige Zeit angepasst wurden, an Bedeutung gewonnen. Diesbezüglich war die Abhaltung der bereits erwähnten Regionalversammlungen eine klare Ansage und Ausdruck des Wunsches, die Stimmen aller zu hören und in die Überlegungen einzubeziehen. Zusätzlich war uns wichtig, dass das Feedback in diesem gesamten Prozess höchste Priorität hat, und haben veranlasst, dass in allen Ländern aktiv damit gearbeitet wurde.
Die Türen derjenigen, die im Werk Leitungsaufgaben innehaben, stehen allen offen. Wir nehmen uns bewusst Zeit zum Zuhören. Persönlich empfinde ich es als besonders wertvoll, mit Menschen zu sprechen, die mich mit schwierigen Fragen herausfordern.
Wie wird geleitet und kommuniziert? Wie werden Änderungsprozesse von Rom aus gesteuert?
Aus meiner Sicht lässt sich ein Großteil der Irritationen und Vorwürfe gegenüber dem Werk auf eine unzureichende interne Kommunikation mit zu wenigen effektiven Kanälen zurückführen. In einer Welt, in der Informationen in Echtzeit ausgetauscht und Transparenz sowie Rechenschaftspflicht erwartet werden, ist es essenziell, Änderungen und ihre Hintergründe klar zu kommunizieren. Ich kann sagen, dass wir in vielen Bereichen Fortschritte erzielt haben – vielleicht nicht immer in dem Tempo, wie wir es uns wünschen würden, nicht in allen Ländern zugleich und nicht in allen Fällen gleichermaßen.
Der Vater, Prälat Fernando Ocáriz, der großen Wert darauf legt, jeden einzelnen Menschen im Opus Dei direkt zu erreichen, geht hier mit seinem Beispiel voran. So hat er sich ausdrücklich dafür eingesetzt, dass sämtliche Informationen über die jüngsten kanonischen Änderungen über die offizielle Website allen gleichermaßen zugänglich gemacht werden. Erkundigungen bei regionalen Leitungsgremien ließen so manchen staunend erkennen, dass selbst hier dazu auch nicht mehr Wissen vorhanden ist.
Weiter zu Teil 3 des Interviews: „Im Opus Dei haben wir alle denselben Lebensplan“