Priesterliche Seele – Seele Christi

Am Beginn jeden Tages können wir dem Herrn sagen, dass wir wollen, dass dieser neue Tag für Ihn sei. Wir möchten Ihm unser Leben, unser Herz und unsere Arbeit darbieten. – Wir können das sagen, weil jeder Christ über eine priesterliche Seele verfügt.

Unter den Fragen, die in einigen Gegenden für die Vorbereitung der Kinder auf die Erstkommunion aus dem Katechismus verwendet wurden, fand sich auch folgende: Wofür hat Gott den Menschen geschaffen? – Die Antwort ist einfach und leicht zu merken: „Gott hat die Menschen geschaffen, damit wir ihn auf Erden lieben und ihm gehorchen und mit ihm im Himmel glücklich werden“.

Damit ist das Wesentliche über unser irdisches Schicksal ausgesagt. Das Kompendium des derzeitigen Katechismus der Katholischen Kirche erläutert allerdings einen weiteren wichtigen Aspekt: „Der Mensch selbst ist geschaffen, um Gott zu erkennen, ihm zu dienen und ihn zu lieben, um ihm in dieser Welt in Danksagung die ganze Schöpfung darzubringen und zum Leben mit Gott im Himmel erhoben zu werden“1.

Tatsächlich bringt die Erschaffung des Menschen, der durch Gott ins Leben gerufen wird, mit sich, dass dieser sein Wirken in der Welt auf Gott ausrichtet und ihm die ganze Schöpfung in Dankbarkeit darbringt. Da Gott die menschliche Arbeit gewissermaßen mit seinem Schöpfungswerk verbunden hat, muss diese auf Mitarbeit ausgerichtet sein und die Güte und Schönheit des Wirkens Gottes aufleuchten lassen „Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so dass alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde“2.

Nach der Erbsünde hat diese im göttlichen Plan vorgesehene Aufgabe allerdings ein unüberwindbares Hindernis vorgefunden: den Mangel an Rechtschaffenheit im menschlichen Herzen. Wie die Bibel berichtet, haben wir, anstatt mit Gott beim Aufbau der Welt mitzuarbeiten, in diese vielmehr unsere eigene Unordnung hineingebracht, indem wir sie auf egoistische Weise gestaltet haben. Gott hat uns dann in seiner großen Barmherzigkeit seinen Sohn gesandt, um in der Schöpfung die Rechtschaffenheit des Lebens wiederherzustellen, die Gerechtigkeit des Herzens, sowie Worte und Taten, die Ihm wirklich wohlgefällig sind. Und mit diesem von Gott von Ewigkeit her vorgesehenen Erlösungswerk wurden wir Christen verbunden. Das Opfer und die Gnade Christi haben uns zu Gott zurückgebracht und ermöglicht, dass wir durch unsere Werke an der Erlösung der Geschöpfe mitwirken können.

Der Geist des Opus Dei betont diesen Ruf zur Mitarbeit am Schöpfungs- und Erlösungswerk Christi. Darüber hinaus schlägt er einen spezifischen Weg vor: die alltägliche gewöhnliche Arbeit perfekt auszuführen, sowie das Familienleben und die gesellschaftlichen Beziehungen so gut wie möglich zu gestalten und Gott täglich das gewöhnliche Leben so aufzuopfern, dass wir schließlich Seine Gegenwart auch in den tausenderlei kleinen Details zu erkennen vermögen.

Das erfordert eine tiefe innere Bereitschaft von uns: den übernatürlichen Wunsch, Gott in dem, was wir tun, zu dienen, Ihm die Menschen, mit denen wir Umgang haben, zuzuführen, Ihn zu verherrlichen und uns deshalb von dem Elend zu befreien, das seinen Ursprung in der Sünde hat und das sich wie ein Bodensatz in unserer Seele befindet und durch das Wirken des Heiligen Geistes nach und nach abgebaut wird. Dabei ist unsere Mitwirkung gefragt, eine Art des Seins, das von Christus herrührt und uns mit seinem Priestertum verbindet.

Allen Christen eignet eine priesterliche Seele, denn durch die Taufe sind wir alle zu Priestern unseres eigenen Daseins bestellt worden (...), damit wir jede unserer Handlungen im Geiste des Gehorsams gegenüber dem göttlichen Willen verrichten3. Darum sagen wir dem Herrn an jedem Morgen, bevor wir den Tag beginnen, dass auch dieser neue Tag für Ihn sein soll, dass wir Ihm unser Leben, unser Herz, unsere Arbeit und unsere ganze Existenz aufopfern.

Auf die Gnade gestützt

Wir können Gott weder aufgrund unserer Verdienste gefallen noch durch sie erreichen, dass unser Wirken die göttliche Liebe und Güte aufleuchten lassen, sondern nur durch die Gnade Christi, die uns innerlich gerecht macht. Denn, wie der heilige Paulus sagt: die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.4

Die priesterliche Seele kommt also von oben,5 aus der Tatsache, dass wir Kinder Gottes sind: Sie entfaltet im Christen das Leben Christi, des ewigen Priesters. Mit priesterlicher Seele zu handeln, erfordert oft Selbstüberwindung und das Überschreiten der Grenzen vertretbarer Widmung und Mühe. Es verlangt, dass wir die Schwierigkeiten und Hindernisse, die aus dem eigenen Charakter oder von äußeren Umständen kommen, überwinden oder außer Acht lassen, wenn wir erkennen, dass etwas zur Ehre Gottes gereicht oder für das Wohl des Nächsten erforderlich ist. Dies erfordert, dass wir die Zeit nötige finden, um das Gute zu tun oder die Angst überwinden, dass es uns an Fähigkeiten mangelt.

Deshalb müssen wir uns täglich einüben, danach trachten, kleine Fortschritte zu erzielen, großzügiger in einzelnen Dingen zu werden, nicht mutlos zu werden angesichts des Gefühls, dass wir zu wenig können oder wollen. So erreichen wir eine zunehmende Festigung unseres Innenlebens. Wenn wir nach vorne schauen und uns am Leben Christi orientieren, werden uns unsere Großzügigkeit und unsere Entsprechung angesichts des angestrebten Zieles nie ausreichend erscheinen.

Die priesterliche Seele Christi zeigt sich gut in seiner kurzen Aussage über den Sinn seines Kommens: Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.6 Es ist, als ob Jesus mit diesen Worten seine eigene Verfügbarkeit zum Ausdruck bringen wollte, jedes Limit zu überschreiten, um viele von der Sünde zu befreien und ihnen das Leben zu geben, sodass der Vater durch ihre Erlösung verherrlicht werde.

Außer von Jesus wissen wir nur von der heiligsten Jungfrau mit Sicherheit, dass sie auf dieser Erde imstande war, niemals zu sagen, es sei nun genug. Sie ließ sich von dem Verlangen leiten, unter allen Umständen Magd des Herrn zu sein. Wie niemand sonst begleitete sie Jesus am Kreuz und der Herr verband sie auf außerordentliche Weise mit seinem Priestertum, mehr als alle übrigen Menschen.

Die heilige Maria konnte ihre priesterliche Seele mit derartiger Vollkommenheit zur Geltung bringen, weil sie in besonderer Weise von der Gnade des Heiligen Geistes erfüllt war. Ihr Beispiel dürfen wir deshalb nicht mit bloß menschlichen Augen betrachten, da ein derartiger Verzicht und Opfergeist unsere Vorstellungskraft überfordert. Wir würden diesen Weg als für uns unmöglich erachten und würden uns damit abfinden, bewusst oder unbewusst nach einer bequemeren Lösung zu suchen.

Die Liturgie der Kirche sagt vom Heiligen Geist – der uns gegeben ist -, dass Er „der Armen Vater“, Spender der Gaben, „der Herzen Licht“ 7 sei. Wenn wir treu sind und Ihm vertrauen, werden wir auch seine Gaben erhalten: den „Preis für die Tugend, die Wirklichkeit der Erlösung, die ewige Freude“.8 Dadurch werden uns alle Gelegenheiten zur Betätigung unserer priesterlichen Seele mit Freude erfüllen. Gerade dann, wenn es Mühe macht, werden wir auf unerklärliche Weise größere Freude empfinden, die von innen kommt, aus jener Quelle (...), deren Wasser ins ewige Leben fließt.9

Communicatio Christi

Der heilige Paulus sagt: Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.10 Das Evangelium zeigt uns oft die Vielfalt der Wünsche und der Denkungsart Jesu. Man bemerkt vor allem, dass seine Seele ständig für Gott Vater lebt: es ist seine Speise, den Willen Gottes zu erfüllen, der Eifer für das Haus Gottes verzehrt ihn, ein Eifer, den er schon als Jüngling bewies, als er im Tempel den dringenden Wunsch fühlte, sich mit dem zu befassen, was seines Vaters ist. Viele Jahre später würde er erklären, dass dieser Wille das Entscheidende, ja seine Nahrung in seinem Leben ist, und dass es sein wahrhaftiges Verlangen sei, die Erfüllung des göttlichen Planes zu erleben11.

Aus diesem Eifer heraus wünschte unser Herr Jesus sehnlichst die Bekehrung der Menschen und deren Öffnung für die Liebe Gottes sowie zu deren gegenseitiger Liebe. Er konnte in den Herzen diesen Durst nach Glück wahrnehmen, der oft durch die Ketten der Sünde gefesselt war: bei Zachäus, bei der Samariterin, bei der Ehebrecherin, um nur einige selbstsprechende Zeugnisse zu nennen.

Sein überaus liebenswürdiges Herz wurde von der Not der Menschen, ihrer Bedürftigkeit und ihren Schmerzen tief bewegt: Das zeigen die Auferweckung seines Freundes Lazarus, die der Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus und jene des Sohnes der Witwe von Naïn; das Elend der von Lepra Befallenen, des Blindgeborenen, der kranken blutflüssigen Frau, die ihr ganzes Vermögen ausgegeben hatte, etc.

Wie sehr schätzte Christus die Herzensreinheit der Kinder, die Demut der Syrophönizierin, den Edelmut seiner Jünger. Zu den Seinen empfand Er eine tiefe Freundschaft, Er freute sich über ihre Fortschritte im Glauben und über ihre Teilnahme an seinen Zielen. Er sagte zu ihnen:Ihr habt in meinen Prüfungen bei mir ausgeharrt12. Tiefen Schmerz empfand Er angesichts des Verrats des Judas, des Unglaubens jener, die Ihn verließen, der Borniertheit seiner Gegner. Jesus weinte angesichts des auf Jerusalem zukommenden Schicksalsschlages.

Wir haben uns der Seele Christi zugewandt, denn in ihr finden wir die wichtigsten Regungen der priesterlichen Seele, die jeder Christ haben sollte, um an jenem Erlösungswillen teilzuhaben, der Jesus zum Tod am Kreuz für uns geführt hat. Die priesterliche Seele drängt dazu, den Willen Gottes in jedem Augenblick zu erfüllen, sich in Verbindung mit Christus und dank des Wirkens des Heiligen Geistes Gott Vater darzubieten. Es bedeutet, dass wir in unserem Herz Gefühle haben, die vom Heiligen Geist eingegossen sind, der nach Worten des heiligen Irenäus communicatioChristi ist, also Verbindung mit Jesus und damit Übertragung seiner Intimität, seiner Gedanken und Bestrebungen, die dadurch in zunehmendem Maß zu unseren eigenen werden. „In der Kirche hat sich der Heilige Geist festgesetzt, das heißt, die Übermittlung Christi“13.

Im Gebet erwecken wir den Wunsch, dass es so sei. Dabei wird uns oft die Lesung des Evangeliums helfen, wenn wir uns bemühen, uns in die jeweiligen Szenen zu versetzen und uns darauf zu konzentrieren, was uns Jesus damit sagen will und was sein Herz bewegt. Auch wenn wir Ihm dabei manchmal wieder sagen müssen, dass uns dazu nichts einfällt, dass wir kalt bleiben oder nichts fühlen, oder wenn wir Ihn bitten müssen, dass Er uns wenigstens den Wunsch erfüllen möge, den Wunsch nach Heiligkeit zu empfinden, wie das der heilige Josefmaria geraten hat. Wenn wir das mit Demut machen und uns dabei sicher sind, dass wir damit das Beste erbitten, dann wird sich der Herr unserer Armseligkeit erbarmen, unseren Glauben belohnen und Wunder in uns wirken: Seine göttliche Macht, die das Leben vieler in den Evangelien genannten Personen umgewandelt hat, wird unserer Seele die gleichen Erlösungswünsche einprägen.

Wenn wir so mit den Augen Christi die Welt, die Menschen und unser Leben betrachten, dann werden wir Ihn demütig bitten, uns zu helfen, dass es uns gelingt, das zu tun, was Ihm gefällt, Ihm in unseren Tätigkeiten zu dienen und Ihm die Menschen aus unserer Umgebung zuzuführen, ohne dabei zu fürchten, dass wir uns verausgaben könnten.

Wir wenden unsere Augen während der Gebetszeiten - und immer in unserem Leben - unserer Mutter Maria zu und bitten sie, dass im Herzen aller Christen diese heiligen Ambitionen kräftig wachsen mögen, dass wir uns von der Seele Christi umwandeln lassen, um so wirklich an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene unter vielen Brüdern sei14.

1 Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 67.

2 II Vatikanisches Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes, Nr. 34.

3 Christus begegnen, Nr. 96.

4 Röm 5,5.

5 Vgl. Joh 3,3.5.

6 Mk 10,45.

7 Sequenz Veni Sancte Spiritus.

8 Ebd.

9 Joh 4,14.

10 Phil 2,5.

11 Vgl. Joh 4,34; Lk 12,49-50.

12 Lk 22,28.

13 Irenäus von Lyon, Adversus haereses, III, 24,1.

14 Röm 8,29.

A. Ducay