Für Christoph Keese, Chefredakteur der „Welt am Sonntag" und Moderator des Gesprächs, war die Frage am Ende des Abends klar beantwortet: „Glauben befördert das Kinderkriegen!" Entscheidend für die Verwirklichung des Kinderwunsches sei dabei die Intensität des Glaubenslebens. Der Glaubensmangel wäre demzufolge einer der Hauptgründe für den Kindermangel in Deutschland. Braucht man Glauben, das heißt ein bedingungsloses Vertrauen in die Zukunft, um sich auf das „Abenteuer Kinder" einzulassen? Wo es konkret wurde, gingen die Meinungen der Teilnehmer des Gesprächsforums auseinander. Gravierende Differenzen zwischen den Konfessionen bestehen beispielsweise in der Abtreibungfrage, einem der Hauptfaktoren für den Kindermangel in Deutschland.
Religiöse Menschen haben mehr Kinder
Die Referenten des 4. Berliner Demographiegesprächs - Prälat Christoph Bockamp, Landesbischöfin Margot Käßmann und Professor Gisela Trommsdorff - betonten am Mittwoch gemeinsam die Wichtigkeit einer stabilen Ehe als Grundlage für das Aufwachsen von Kindern. Die letztlich unkündbare Beziehung der Eltern zum Kind brauche eine stabile Basis. In der Ehe zeige sich nach katholischer Auffassung eine „Berufung Gottes": „Man heiratet, um Kinder zu haben", so Christoph Bockamp, Regionalvikar des Opus Dei in Köln. „Kinderkriegen hat mit Gottvertrauen zu tun", ergänzte die niedersächsische Landesbischöfin. Die Ehe sei eine wunderbare Lebensform, „die Lebenslust und Lebenslast mit Kindern" zu gestalten.
Statistisch lässt sich die Bereitschaft zum Kinderkriegen mit einer Fülle von Daten untermauern. So weisen die Orte Deutschlands mit der höchsten Geburtenrate pro Frau eine besonders hohe Gläubigkeit auf. Nach einer Studie des Institutes für Demoskopie in Allensbach wünschen sich 61 Prozent der Religiös-Orientierten Kinder, während dies bei Nicht-Religiösen nur bei 31 Prozent der Fall ist. Gisela Trommsdorff, Inhaberin des Lehrstuhles für Kulturvergleich in Konstanz, erläuterte, dass in den von ihr weltweit untersuchten acht Kulturen die Religion eine signifikante Bedeutung für die Kinderzahl habe. Hinduistische und islamische Frauen hätten besonders viele Kinder. Ähnliches gelte für praktizierende Katholiken und gläubige Protestanten. Demgegenüber lasse sich belegen, dass beispielsweise atheistisch orientierte Schweizer die wenigsten Kinder zur Welt bringen würden.
Wäre daher eine vermehrte Anstrengung zur Missionierung die geeignete Gegenmaßnahme zur niedrigen Geburtenrate? Dies mochte keiner der Teilnehmer offensiv vertreten. Vielmehr trat die Uneinigkeit zwischen den christlichen Konfessionen zu Tage, was die Frage der Abtreibung betrifft. Sieben, vielleicht fast neun Millionen ungeborene Kinder, im Durchschnitt 280.000 pro Jahr, wurden in Deutschland in den vergangenen dreißig Jahren nach seriösen Schätzungen schon im Mutterleib getötet. Hier liegt ein Hauptgrund für den Kindermangel in Deutschland. Nachdem die katholische Kirche auf Weisung von Papst Johannes Paul II. aus der Beratung von schwangeren Frauen offiziell ausgestiegen ist und keine Tötungslizenzen mehr ausstellt, fühlt sich die evangelische Kirche weiter verpflichtet, „Frauen im Konfliktfall" beizustehen, wie Margot Käßmann betonte. Um den Abtreibungen entgegenzuwirken, fördert sie die Einrichtung von Babyklappen. Allerdings berichtete die Landesbischöfin selbst, dass in einer von ihr vor fünf Jahren eingeweihten Einrichtung in Hannover nur insgesamt fünf Findelkinder abgegeben worden seien.
Wer ist schuld am demographischen Desaster? Hier kamen von evangelischer Seite die altbekannten Verdächtigen wieder zum Vorschein: Die zeugungsunwilligen Männer oder das negative gesellschaftliche Umfeld. Die Kosten für die Kinder würden privatisiert, der Nutzen sozialisiert. Das bewirke die Verarmung der Familien und hindere die Eltern an der Fortpflanzung. Diese Art von Argumentation ist zwar populär,kann sich aber anscheinend nicht auf Forschungsergebnisse stützen. Die materielle Besserstellung von Familien oder die Bereitstellung von Betreuungsangeboten führen in städtischen und pluralen Gesellschaften gerade nicht zu einer höheren Geburtenzahl pro Frau. Entscheidend ist ein zweites, ein ideelles Motiv, wie Gisela Trommsdorff betonte: Wenn es als schön und sinngebend empfunden werde, Kinder zu bekommen, dann lassen sich die aufgezeigten materiellen Hindernisse auch überwinden. Hier rückt eine spannende Frage in den Vordergrund: Was machen die großen Familien eigentlich richtig? Was ist vorbildhaft bei den Gläubigen?
In den kinderreichen Gegenden Deutschlands, beispielsweise in Vechta und Cloppenburg, wachsen die Kinder in einem guten nachbarschaftlichen Umfeld auf. Die Familien helfen sich gegenseitig, Kinder können in der eher dörflichen Atmosphäre problemlos andere Familien besuchen oder werden willkommen geheißen, wenn die Eltern arbeiten müssen. Die Vereinbarkeit von Familienleben und Berufstätigkeit ist für die Frauen hier offensichtlich einfacher.
Die Kirche versäumt es, ideelle Motive zu vermitteln
Die Zahl der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, ist in dieser Gegend besonders hoch, wie Christoph Keese berichtete. Viele der Betriebe sind kleine Familienfirmen, die selbst Wert darauf legen, dass die Arbeitszeiten auch familienfreundlich sind. Hier geht ein Wirtschaftsaufschwung mit einer hohen Kinderzahl Hand in Hand, weil die ideelle und religiöse Motivation ein völlig neues Klima schafft. Die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe, zur Kooperation unter den Familien, ist hier signifikant höher als in anderen Gegenden Deutschlands. Diese Haltung der Nächstenliebe ist durch staatliche Betreuungsprogramme oder Kinderhorte allerdings nicht zu erzielen, andere Kräfte sind gefordert.
Für die Vermittlung dieser ideellen Motive rückt die Kirche in eine zentrale Rolle. Gerade weil der weltanschaulich neutrale Staat selbst keine Werte vermitteln kann, müssen dies die christlichen und kirchlichen Gemeinschaften übernehmen. Offensichtlich besteht hier von kirchlicher Seite her ein Versäumnis. Bei der Vermittlung der Zehn Gebote, der biblischen Wahrheiten über Ehe und Familie ist es ihre Aufgabe und Chance, führend tätig zu werden. „Gott möchte glückliche Menschen und das sind Menschen, die Kinder haben", fasste Christoph Bockamp diese Sicht zusammen.
Kinderkriegen ist Glaubenssache, ohne Frage, aber dieser Glaube will auch offensiv verkündigt und praktisch gelebt werden. Daher wäre eine notwendige Konsequenz, dass die Kirchen sich in der Ehevorbereitung und Begleitung von Ehepaaren verstärkt investieren.