Von Beat Müller
Zur Heiligsprechung von Josemaría Escrivá de Balaguer auf dem Petersplatz werden mehr als 200.000 Menschen erwartet. In einem Forums-Beitrag für die Presseagentur Kipa geht Beat Müller, Informationsbeauftragter der Prälatur Opus Dei in der Schweiz, der Bedeutung dieses Anlasses nach. Der promovierte Germanist ist Priester und arbeitet in der Seelsorge des Opus Dei.
Am 6. Oktober wird mit Josemaría Escrivá ein Mann heilig gesprochen, dessen Lebensgeschichte mit der Entstehung und Ausbreitung des Opus Dei weitgehend identisch ist. Die Heiligsprechung erschöpft sich daher nicht nur in der Erhebung seiner Person zur Ehre der Altäre. Sie bestätigt auch seine Botschaft sowie die neuartige pastorale Organisationsform, die in seiner Gründung Gestalt angenommen hat. Welches sind die markantesten Grundzüge dieser bisher unbekannten Art von kirchlicher Institution?
Das II. Vatikanische Konzil hat festgestellt, „dass alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens berufen sind“ (Lumen Gentium, Nr. 40). Es entwarf die Vision von eigenständigen Weltchristen in allen Lebensbereichen, die als solche im Vollsinn des Wortes Kirche sind. Der Kirche war dieses Programm so wichtig, dass sie zu seiner wirksamen Umsetzung eine spezifische, hierarchisch verfasste Institution errichtet hat. Dabei machte sie sich eine bereits bestehende Realität zu eigen, die dieses Programm lange zuvor formuliert und umzusetzen begonnen hatte: das Opus Dei.
Nicht Gruppe in der Kirche, sondern Pastoralstruktur der Kirche
Das Opus Dei nun hatte seit jeher den Auftrag, die Botschaft von der Heiligung des gewöhnlichen Alltagslebens nicht nur zu verkünden, sondern sie auch selbst auf eine bestimmte Weise zu verkörpern. Deshalb musste seine adäquate rechtliche Fassung eine Grundbedingung erfüllen: seine Laien müssen gewöhnliche Christen sein, mit derselben Identität und derselben Stellung in Kirche und Gesellschaft wie ihresgleichen. Aus diesem Grund konnte das Opus Dei unmöglich als Institut des geweihten Lebens eingestuft werden, in welcher Form auch immer.
Die sachgerechte Lösung war die vom Zweiten Vatikanum eingeführte Rechtsform der Personalprälatur. In der Personalprälatur Opus Dei sind die Laienmitglieder als exakt das definiert, was sie sind: eben als gewöhnliche Weltchristen. Wer ihr beitritt, ändert seinen zivilen und kirchlichen Status ebenso wenig, wie wer neu Mitglied einer Diözese wird. Er wird in keiner Weise zu einer speziell geweihten Person oder zu einem Instituts- oder Vereinsmitglied. Ebenso behalten die Laien – genau wie als Pfarreiangehörige – ihre Autonomie in allen ihren politischen, beruflichen oder gesellschaftlichen Entscheidungen. Und sie können dabei auch zu ganz verschiedenen Ansichten kommen, denn in den wenigsten Dingen gibt es „die“ katholische Lösung.
Kurz: Das Opus Dei ist keine Gruppe oder Bewegung innerhalb der Kirche, sondern eine Seelsorge-Einrichtung der Kirche, ein Element ihrer Selbstorganisation. Die Personalprälatur wurde vom Heiligen Stuhl nicht approbiert, sondern errichtet, gleich wie die Diözesen, Territorialprälaturen, Pfarreien oder Fremdsprachigenmissionen.
Weltchristen als unersetzliche Seelsorger/innen
Bei der Erfüllung seiner Aufgabe hat das Opus Dei eine ganz wichtige Eigenheit: Die Bildung und Seelsorge erfolgt nicht nur durch Priester, sondern auch – und zum grössten Teil – durch Laien. Und zwar durch Laien, die nicht Angestellte der Kirche oder der Prälatur, sondern gewöhnliche Weltchristen sind: Berufsleute, die der Prälatur ihre Zeit in einer Weise zur Verfügung stellen, wie dies etwa Eltern für ihre Familie tun.
Dabei wirken diese Laien mit den Priestern organisch zusammen. Das bedeutet, dass ihre Funktion nicht darin besteht, die Priester zu ersetzen oder zu entlasten oder ein alternatives Priestertum zu begründen; vielmehr sind sie als Weltchristen lebenswichtige Organe des Leibes der Prälatur. Ihr seelsorglicher Beitrag ist durch keine Priester ersetzbar.
Das organische Zusammenwirken spiegelt sich auch in der Leitungsstruktur. In den leitenden Gremien haben nicht nur Priester Einsitz, sondern auch Laien, und zwar auch hier wiederum gewöhnliche Christinnen und Christen. Die Laien haben Stimmrecht und stellen auf allen Ebenen die klare Mehrheit. Die Priester bekleiden lediglich jene Ämter, die in einer kirchlichen Jurisdiktionsstruktur von Priestern besetzt sein müssen, nämlich diejenigen des Prälaten und seiner Vikare, gleich wie in einer Diözese die Ämter des Bischofs und seiner Vikare die Priesterweihe erfordern. Auf der Ebene der einzelnen Zentren, also vor Ort, leiten ausschliesslich Laien; die Priester sind Ausführende ohne Entscheidungsrecht. Darüber hinaus erhalten die Priester in der Regel ihre geistliche Leitung von einem Laien.
Die Bestätigung einer ekklesiologischen Innovation
Josemaría Escrivá hatte dieses pastorale Konzept der Sache nach bereits in den dreissiger Jahren entworfen und auch faktisch realisiert. Rechtlich jedoch liess es sich nicht fassen, denn es war völlig unvereinbar mit dem alten, bis 1982 geltenden Kirchengesetzbuch. In der Tat war und ist es eine ekklesiologische Innovation, was sich auch an den sehr starken, lang anhaltenden Widerständen ablesen lässt. Denn es verleiht den Weltchristen – Frauen wie Männern – in der Kirche eine Stellung, die radikal über das hinaus geht, was bisher in einer hierarchischen Struktur der Kirche möglich war. Die Heiligsprechung Josemaría Escrivás ist von daher zugleich eine endgültige Bestätigung dieser „absoluten Neuheit“ (Kardinal König). Sie sanktioniert gleichsam einen Präzedenzfall, der für die Kirche der Zukunft ohne Zweifel von weitreichender Bedeutung ist.