Die Würde der Familie

Die Familie ist eines der von Gott gewollten Instrumente, damit die Menschen an der Schöpfung mitarbeiten.

Beim Abschließen des Schöpfungswerkes am sechsten Tag, «formte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen» i. Wenn Gott an allen seinen Werken Gefallen gefunden hatte, so freute er sich nach der Erschaffung des Menschen ganz besonders: Er sah, dass das, was er gemacht hatte, “sehr gut” war, wie die Schrift sagt ii, so als wollte der inspirierte Autor die besondere göttliche Handlung bei der Erschaffung des Menschen, der wegen seiner geistigen und unsterblichen Seele nach dem Ebenbild des Schöpfers gebildet wurde, unterstreichen. Nicht zufrieden damit verlieh ihm der Herr als unverdientes Geschenk eine Teilhabe an seinem eigenen inneren Leben: er machte ihn zu seinem Kind und erfüllte ihn mit den so genannten praeternaturalen (außernatürlichen) Gaben.

Damit die Menschen in das Himmelreich gelangen könnten, wollte die göttliche Vorsehung auf deren freie Mitarbeit zählen. Und damit dieses Mitwirken bei der Weitergabe des Lebens nicht dem Auf und Ab zufälliger Launen ausgeliefert bleibt, wollte sie der Herr durch die natürliche Einrichtung der Ehe schützen iii, die später von Christus zur sakramentalen Würde erhoben wurde.

Die Familie — die große Menschheitsfamilie und jede der Familien, die sie bilden sollten — ist einer der gottgewollten natürlichen Wege, um den Menschen auf geordnete Weise eine Mitwirkung an seinem Schöpfungsauftrag zu ermöglichen. Die Absicht Gottes, bei seinem Heilsplan mit der Familie zu rechnen, wird im Laufe der Zeit durch die verschiedenen Bünde bestätigt, die Jahwe mit den alten Patriarchen Noe, Abraham, Isaak und Jakob geschlossen hatte. Bis schließlich die Verheißung des Erlösers dem Haus David zugesagt wird.

Als die Fülle der Zeit gekommen war, verkündete ein Engel des Herrn den Menschen die Verwirklichung des göttlichen Plans: Jesus wird in Nazareth von Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes geboren. Und Gott sieht für seinen Sohn eine Familie vor, mit Josef als Ziehvater und mit Maria, der jungfräulichen Mutter. Der Herr wollte, dass auch dadurch die Art und Weise deutlich wird, in der er seine Kinder, die Menschen, zur Welt kommen und heranwachsen sehen wollte: Es sollte innerhalb einer auf Dauer angelegten Einrichtung geschehen.

«Zu Weihnachten kommen uns die Ereignisse um die Geburt des Gottessohnes wieder ins Gedächtnis; wir verweilen im Stalle von Bethlehem, im Hause von Nazaret, und mehr denn je sind Maria, Josef und ein Kind, Jesus, die Mitte unseres Herzens. Was hat uns das einfache und wunderbare Leben der heiligen Familie zu sagen?» iv. Auf diese Frage, die der heilige Josefmaria an uns richtet, können wir mit Worten des Kompendiums des Katechismus antworten und zeigen, dass, nach dem Vorbild der Familie Jesu, die christliche Familie auch eine Hauskirche ist, weil sie die gemeinschaftliche und familiäre Natur der Kirche als Familie Gottes erkennen lässt v.

Die Würde der Familie ist wegen ihrer natürlichen und übernatürlichen Sendung, wegen ihres Ursprungs, wegen ihrer Natur und ihrer Zielsetzung sehr groß. Jede Familie ist ihrem Wesen nach heilig und verdient Verehrung und Sorgfalt von ihren Mitgliedern, von der Zivilgesellschaft und von der Kirche. Es wäre daher eine tragische Verfälschung ihres Wesens, sie auf die ehelichen Beziehungen zu beschränken, oder auf die Blutsbande zwischen Eltern und Kindern, oder auf eine Art gesellschaftliche Einheit oder des Ausgleichs von Einzelinteressen. Der heilige Josefmaria betonte immer wieder, wir sollten «darauf hinwirken, dass diese christlichen Keimzellen der Gesellschaft mit dem Verlangen nach Heiligkeit entstehen und wachsen» vi.

Der Kreis der Familie soll die erste und vorrangige Schule sein, in der Kinder die menschlichen und christlichen Tugenden erlernen und leben. Das gute Beispiel der Eltern, der Geschwister und der übrigen zur Familie gehörenden Personen ist unmittelbar anhand der Gestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen zu erkennen, die jedes der Familienmitglieder neu aufbaut. Das Interesse der Kirche an einer entsprechenden Entfaltung dieser Schule der Tugenden, die das Zuhause sein soll, ist daher kein Zufall. Sie ist aber nicht nur daran interessiert: durch die großherzige Mitarbeit der christlichen Eltern bei den göttlichen Plänen ist es Gott selbst, der «seine eigene Familie immer mehr vergrößert und bereichert» vii. Der Mystische Leib Christi auf Erden wächst nach Zahl und Tugenden, und von den christlichen Familienheimen wird Gott eine besonders wohlgefällige Opfergabe dargebracht viii.

Die Familie begründet einige Rechte und einige Pflichten. Vor allem Pflichten: alle Familienmitglieder sollen sich der Würde dieser Gemeinschaft, der sie angehören, klar bewusst sein, und auch der Sendung, zu deren Verwirklichung sie berufen sind. Alle sollen ihre Pflichten mit einem lebendigen Verantwortungsbewusstsein erfüllen, auch wenn dazu Opfer notwendig sind. In Bezug auf die Rechte verlangt die Familie den Respekt und die Aufmerksamkeit des Staates, und das aus zwei Gründen: die Familie hat ihn einerseits entstehen lassen, und die Gesellschaft wird andererseits so sein, wie die Familien sind ix.

Um allen diesen Pflichten nachkommen zu können, ist es unbedingt notwendig, dass die Familienmitglieder ihrer Zuneigung eine übernatürliche Ausrichtung geben, so wie die Familie selbst übernatürlich zu sehen ist. Diese gleichzeitig zarte und fordernde Liebe ist die Quelle der Aufmerksamkeiten, die das Familienleben zu einem Vorgeschmack des Himmels werden lassen. «Die auf einer ausschließlichen und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnisses Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: die Art, wie Gott liebt, wird zum Maßstab menschlicher Liebe» x.

Die heutigen Umstände des gesellschaftlichen Lebens machen es besonders dringend, die christliche Einstellung wieder in den Schoß vieler Familien hineinzutragen. Die Ausführung ist nicht einfach, aber spannend. Um zu dieser gewaltigen Arbeit, die der Aufgabe gleichkommt, der Gesellschaft wieder eine christlichen Gesinnung zu geben, etwas beizutragen, muss jeder einzelne damit beginnen, vor seiner eigenen Türe „zu kehren“.

Beim Verwirklichen dieses Vorhabens kommt der Kindererziehung eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt des Familienlebens. Um dieser großen Herausforderung — in einer weitgehend entchristlichten Gesellschaft zu erziehen — zu entsprechen, ist es unerlässlich, zwei Grundwahrheiten zu bedenken: «Die erste ist, dass der Mensch zum Leben in der Wahrheit und in der Liebe berufen ist; die zweite Grundwahrheit besagt, dass sich jeder Mensch durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst verwirklicht» xi. Bei der Erziehung sind sowohl die Kinder als auch die Eltern, die die Ersterzieher sind, mit beteiligt. Sie kann nur zustande kommen durch «die gegenseitige Gemeinsamkeit der Personen»; der Erzieher ist eine «zeugende» Person im geistigen Sinn und aus «dieser Sicht kann die Erziehung als echtes und eigentliches Apostolat angesehen werden. Sie ist eine Leben schaffende Verbindung, die nicht nur eine tiefgehende Beziehung zwischen Erzieher und zu Erziehendem herstellt, sondern diese beiden auch an der Wahrheit und an der Liebe teilhaben lässt, dem Endziel, zu dem jeder Mensch von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist berufen ist» xii.

i Gen 2,7.

ii Vgl. Gen 1,31.

iii Vgl. Gen 1, 27.

iv Hl. Josefmaria, Christus begegnen , Nr. 22.

v Vgl. Kompendium des Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 350.

vi Hl. Josefmaria, vgl. Gespräche, Nr. 91.

vii II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonst. Gaudium et spes , Nr. 50.

viii Vgl. Kompendium des Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 188.

ix Vgl. Kompendium des Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 457-462.

x Benedikt XVI., Enz. Deus caritas est , Nr. 11.

xi Johannes Paul II., Brief an die Familien, (2.2.1994), Nr. 16.

xii Ebd.