Die Tagespost berichtet: Wissenschaft als Weg zu Gott

Ein Vorbild für berufstätige Laien: Am 18. Mai wird die Chemikerin Guadalupe Ortiz in Madrid seliggesprochen. Von José García

Eine weltoffene, moderne Frau: Guadalupe Ortiz de Landázuri (rechts) als Hobbyfliegerin

Der Heiligenkalender der katholischen Kirche kennt Märtyrinnen, Ordensgründerinnen, Mystikerinnen oder auch Äbtissinnen. Königinnen und Adlige gehören ebenfalls dazu. Eine Ausnahme stellt Lydia dar, die erste christliche Europäerin überhaupt, die als Purpurhändlerin in die Geschichte eingegangen ist. Dass die Apostelgeschichte ihren Beruf erwähnt, spricht dafür, dass in den ersten christlichen Jahrhunderten die Ausübung eines weltlichen Berufs nicht als Gegensatz zum Streben nach Heiligkeit wahrgenommen wurde. Auch Paulus übte ein Handwerk, das des Zeltmachers, aus – zuweilen zusammen mit seinen Mitarbeitern in der Glaubensverkündigung und Berufskollegen Aquila und Priscilla.

In diesem Zusammenhang wären auch die sogenannten „heiligen Geldverächter“ zu nennen, die ihren Arztberuf für Arme unentgeltlich ausübten – dazu gehören etwa Kosmas und Damian sowie Pantaleon. Dass später die Ausübung eines weltlichen Berufs offensichtlich für die Heiligkeit keine Rolle mehr spielte, hängt wohl damit zusammen, dass jahrhundertelang Heiligkeit mit „Weltflucht“ in eins gesetzt wurde – eine Ausnahme bildeten wohltätige Adlige oder Kirchen- und insbesondere Klosterstifter. Für den „einfachen“ Gläubigen rückte Heiligkeit in unerreichbare Ferne.

Vor diesem Hintergrund hat die am Samstag in Madrid stattfindende Seligsprechung von Guadalupe Ortiz de Landázuri eine beträchtliche Tragweite. Denn für sie war ihre berufliche Tätigkeit – ob als Chemikerin oder in der Jugend- und Erwachsenenbildung – nicht nur Mittel zum Lebensunterhalt und zum Dienst an den anderen, sondern auch der Ort, an dem sie die natürlichen und die christlichen Tugenden leben konnte. Das hatte sie unmittelbar vom heiligen Josefmaria Escrivá, dem Gründer der Personalprälatur Opus Dei, gelernt. Guadalupe begegnete Escrivá im Januar 1944 erstmals, als sie gerade ihr Chemiestudium beendet hatte. Die Begegnung war für ihr Leben entscheidend. Bald darauf bat sie um die Aufnahme ins Opus Dei. Sie war 27 Jahre alt. Sehr früh übernahm sie Verantwortung in der Arbeit des „Werkes Gottes“. Zwar gab es damals den Begriff nicht, aber es ging dabei um Neuevangelisierung. In dem Zusammenhang sprach Escrivá vom Apostolat. Die Mitglieder des Opus Dei – übrigens wie alle anderen Christen auch – sollen den Aposteln gleich Menschen zu Jesus, zu Gott führen. Gleichzeitig begann sie mit der Doktorarbeit in Chemie.

Eine wichtige Zäsur in ihrem Leben war die Übersiedlung nach Mexiko im März 1950, nachdem der heilige Josefmaria Escrivá sie gefragt hatte, ob sie mit der Arbeit des Opus Dei in dem zentralamerikanischen Land beginnen wolle. Dort eröffnete sie zusammen mit zwei mitgereisten Mitgliedern des Werkes ein Wohnheim für Universitätsstudentinnen, wobei sich Guadalupe um die christliche Bildung der Studentinnen kümmerte. Zusammen mit ihnen erteilte sie Kindern in den ärmsten Vororten Katechismus-Unterricht, und sie nahm sich der Kranken in einer ambulanten Krankenstation an, die sie mit der Hilfe einer befreundeten Ärztin einrichtete. Außerdem engagierte sie sich für die soziale Förderung der Landmädchen im Einvernehmen mit dem Bischof von Tacámbaro im Bundesstaat Michoacán.

Im Jahr 1956 wurde Guadalupe in die Leitung des Opus Dei nach Rom gerufen, aber wenige Monate später erkrankte sie an einem schweren Herzleiden. Nach einer Operation lebte sie ab 1958 in Madrid. Dort setzte sie ihre Lehrtätigkeit in einer Mittelschule und später an der Schule für Industriefachleute fort. 1965 wurde sie in Chemie promoviert. Trotz ihrer schwachen Gesundheit widmete sie sich weiterhin dem Apostolat mit jungen Mädchen – so leitete sie etwa ein Studienzentrum für Hauswirtschaft.

Nach einem schweren Eingriff, den ihr eigener Bruder Eduardo – ein Kardiologe vom Weltrang – am 1. Juli vorgenommen hatte, starb Guadalupe Ortiz im nordspanischen Pamplona am 16. Juli 1975, dem Tag der Muttergottes vom Berge Karmel, „im Ruf der Heiligkeit“.

Die Kirche hatte bereits Josefmaria Escrivá 2002 heiliggesprochen. Sein erster Nachfolger an der Spitze des Opus Dei wurde 2014 seliggesprochen. Die beiden waren allerdings Priester. Insofern bedeutete ihre Kanonisierung kein Novum. Dass aber nun erstmals ein Laienmitglied der Personalprälatur zur „Ehre der Altäre“ erhoben wird, bestätigt den Weg, den Escrivá mit seiner Gründung erschloss – sozusagen nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Die Seligsprechung von Guadalupe Ortiz de Landázuri verdeutlich, dass ein Laie mitten in der Welt kraft der Taufberufung und ohne weitere Weihen ebenso das Ziel der Heiligkeit und der Neuevangelisierung erreichen kann.

Die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse stellte am 4. Mai 2017 in einem Dekret fest, dass Guadalupe Ortiz die „theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zu Gott und zum Nächsten sowie die Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Maß und Tapferkeit und die mit ihnen verbundenen Tugenden“ in „heroischem Grad“ gelebt habe – so zitiert das Dekret Papst Franziskus. Nachdem am 9. Juni 2018 der Heilige Vater die Kongregation beauftragt hatte, das Dekret zu verkünden, demzufolge ein auf die Fürsprache von Guadalupe Ortiz de Landázuri erfolgtes Wunder anerkannt wird, stand ihrer Seligsprechung nichts mehr im Wege.

In der spanischen Hauptstadt, wo sie geboren wurde und tiefe Spuren hinterließ, wird Guadalupe Ortiz de Landázuri stellvertretend für den Heiligen Vater von Kardinal Angelo Becciu am 18. Mai seliggesprochen.

Die Tagespost, 9. Mai 2019

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