Der Heilige des Alltäglichen in einer neuen Buchpublikation

Der dritte Band mit einer systematischen Erklärung der Lehren des heiligen Josefmaria ist in Deutsch erschienen. Was unter Heiligung des Alltags zu verstehen ist, steht im Vordergrund. von Harm Klueting

Über die Theologie des heiligen Josefmaria Escrivá

Bei der Rezension des ersten Bandes der großartigen dreibändigen Monographie über die Theologie des Gründers des Opus Dei (Tagespost vom 1. Oktober 2016) wurde eine Parallele zwischen Martin Luther und dem 2002 heiliggesprochenen Josefmaria Escrivá aufgezeigt. Hatte der deutsche Reformator in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ von 1520 mit seiner Lehre vom Allgemeinen Priestertum den Unterschied von Klerus und Laien und das Weihepriestertum verworfen und die Arbeit im weltlichen Beruf als Gottesdienst im Sinne des Dienstes an der Gesellschaft bezeichnet, so schrieb der spanische Priester, dass „Heiligkeit nicht eine Sache für Privilegierte ist“, dass Menschen, die nach Heiligkeit streben, „normale Menschen sind, die einer normalen Arbeit nachgehen“, und „sich mit vollem Einsatz ihrer beruflichen Arbeit widmen und in den verschiedensten bürgerlichen und weltlichen Angelegenheiten verantwortlich ihren Mann stehen“ und „in und durch die weltlichen Tätigkeiten“ Christus in voller Hingabe nachfolgen. Es wurden aber auch die Unterschiede herausgestellt und deutlich gemacht, dass Escrivá, anders als Luther, den Ordensstand – das Opus Dei ist kein Orden, sondern eher das Gegenteil –, das Papstamt, den Klerus, den hierarchischen Charakter der Kirche oder die Tradition nicht verwirft.

Auch Ernst Burkhart und Javier López, beide Priester der Personalprälatur Opus Dei und Theologieprofessoren der Universität „Santa Croce“ in Rom, stellen in ihrer ausgezeichneten „Historischen Einführung“ in dem hier anzuzeigenden dritten Band diesen Unterschied heraus. Sie zitieren Martin Rhonheimer – auch er Priester des Opus Dei und Professor der Philosophie –, der von der „ersten Wiederentdeckung des gewöhnlichen Lebens“ durch den Protestantismus des 16. Jahrhunderts spricht, die der „Wiederentdeckung des Alltags in der katholischen Kirche um Jahrhunderte“ vorausliege, machen aber die fehlende Kontinuität und die unterschiedlichen theologischen Grundlagen deutlich: „Die Reformatoren leugnen bekanntlich wesentliche Aspekte der Vermittlung der Kirche für das Heil der Menschen. Für sie gibt es weder das Weihepriestertum noch Sakramente, die wirksame Zeichen einer heiligmachenden Gnade wären.“ Auch gelte für Luther, dass die Arbeit im weltlichen Beruf für die Menschen „im Grunde völlig bedeutungslos für ihre Heiligung“ bleibe, „wenn man diese katholisch als echte innere Umwandlung, als ,Vergöttlichung‘“ verstehe, wobei die beiden Verfasser Escrivás Heiligung durch Erfüllung der weltlichen Tätigkeiten Luthers „sola fide“ – allein durch Glaube – und seine Verdienstfeindlichkeit entgegenstellen, wobei Luthers „sola gratia“ – allein durch Gnade – zu ergänzen wäre.

Im zweiten und dritten Band ihres zuerst in spanischer Sprache veröffentlichten Werkes setzen die Verfasser ihre vorzügliche Nachzeichnung der Theologie Escrivás fort. Dabei kommen sie im dritten Band im Kapitel „Die Heiligung der Berufsarbeit und des familiären und gesellschaftlichen Lebens“ auf den Punkt bei Escrivá, von dem sie selbst sagen, es handele sich „nicht um ein Thema mehr innerhalb seiner Lehre, sondern um deren Zentrum. ,Der heilige Josefmaria wurde von Gott dazu auserwählt‘, so hat Papst Johannes Paul II. erklärt, ,die allgemeine Berufung zur Heiligkeit zu verkünden und aufzuzeigen, dass das Alltagsleben, die gewöhnliche Beschäftigung, Weg der Heiligkeit ist. Man könnte sagen, dass er der Heilige des Alltäglichen war‘.“ Gelungen und überzeugend ist ihre Herausarbeitung der biblischen Verankerung der Alltags- und Berufstheologie Escrivás – fast verborgene Stellen der Evangelien, die der auf Menschwerdung Gottes in Jesus Christus oder Geburt Jesu, Bergpredigt, Gleichnisse vom Reich Gottes, Passion und Auferstehung sowie vielleicht noch Endzeitrede Jesu konzentrierte Bibelleser leicht übersieht: „Die knappen Bemerkungen der Evangelisten über das Leben Jesu in Nazaret“ – „Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam“ (Lukas 2, 51); „Ist das nicht der Zimmermann?“ (Markus 6, 3); „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“ (Matthäus 13, 55) – „weckten im heiligen Josefmaria die Überzeugung, dass dieses so verlaufen sein muss wie das gewöhnliche Leben der Menschen“, was Burkhart und López bezogen auf den Opus Dei-Gründer schlussfolgern lässt: „Josefmaria Escrivá sieht im verborgenen Leben Jesu“ in der Zimmermannswerkstatt in Nazaret „in der Tat das Vorbild für den einfachen Gläubigen“, und bezogen auf Jesus: „Er ist den Schwierigkeiten nicht ausgewichen, die mit der laufenden Erfüllung der Pflichten verbunden waren – die Mühsal der Arbeit, die Ermüdung, die Armut … Sein Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters war in Nazaret nicht geringer als auf Kalvaria. Es war derselbe unbedingte Gehorsam, der ihn zur Lebenshingabe am Kreuz führte. Die auf Golgota in der Vergießung seines Blutes sich offenbarende völlige Identifikation mit dem göttlichen Willen war sozusagen nichts Neues. Sie hatte sich schon Tag für Tag und Augenblick für Augenblick in der Normalität des Dorflebens in Galiläa vollzogen.“ Das Ergebnis lautet: „Um zur Heiligkeit zu gelangen, genügt es, die Pflichten jedes Tages getreu wahrzunehmen, wie das Jesus in den dreißig Jahren der Stille getan hat“.. von daher versteht Escrivá das Wort von der Kreuzesaufnahme (Lukas 9, 23): „Wer Christus nachfolgen will, muss ,das Kreuz jeden Tages‘ auf sich nehmen. Er muss den Willen Gottes im Alltag erfüllen.“

Gewöhnliche Berufstätigkeit als Weg der Heiligkeit bedeutet nicht, von vornherein Heiliges oder Sakrales zu tun, sondern bedeutet Verwandlung der profanen Tätigkeit in Gebet, was dadurch geschieht, dass diese Tätigkeit von Liebe getragen und damit sakrale Tätigkeit wird. Das kann sich allerdings nicht auf „in sich schlechte Handlungen“ – betrügerische, korrupte, menschenfeindliche und ähnliche –, sondern nur auf „rechtschaffene“ und auf solche Tätigkeiten beziehen, die „Gott erwartet“. Dazu gehört tatsächliche Pflichterfüllung – „Sei ganz in dem, was du tust“ – im Sinne einer Erfüllung der Alltagspflichten „in größtmöglicher Liebe zu Gott, zu eigener Heiligung, zur Heiligung der Anderen und zur Verwandlung oder Heiligung der Welt“. Escrivá spricht von „Sorgfalt“ auch und gerade bei den „kleinen materiellen Dingen“. Statt von „Sei ganz in dem, was du tust“ könnte man auch von „Hingabe“ sprechen – wie bei einer Ordensfrau in der ewigen Profess. Für Escrivá wird mit dieser Hingabe der profane Alltag zum sakralen Sein und zum „Ort der Begegnung mit dem Göttlichen“.

Es ist zu hoffen, dass dieses auf höchstem Niveau stehende Werk einen Zugang zum theologischen Denken Josefmaria Escrivás und – jenseits der von sich für kritisch haltenden Intellektuellen immer noch vorgetragenen Polemik gegen das Opus Dei – zu seiner auch im 21. Jahrhundert nicht modernistischen, aber hochmodernen Theologie der Arbeit und des Alltags öffnet.

Ernst Burkhart/Javier López: Alltag und Heiligkeit in der Lehre des heiligen Josefmaria. Studie zur spirituellen Theologie. Bde. 2 und 3, Adamas Verlag, Köln 2017, 533 und 675 Seiten, ISBN 978-3-937-626-28-4 und 9878-3-937-626-29-1, je EUR 36,–

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