Wir neigen noch heute dazu, die Heiligkeit für ein utopisches Ziel zu halten, das nur für ganz wenige Männer und Frauen erreichbar ist. Ja, manche fragen sich sogar, ob sie überhaupt erstrebenswert sei, denn sie halten Heilige für fremdartige, unnahbare Gestalten, die in einer Welt fernab der Alltagsrealität leben.
Das Leben von Toni Zweifel hat gezeigt, dass eine solche Vorstellung von Heiligkeit auf einem Irrtum beruht: er war Ingenieur der ETH Zürich und später Initiator und erster Geschäftsführer einer in vielen Ländern tätigen gemeinnützigen Stiftung.
Ingenieur und Christ - und beides mit Leidenschaft
Inmitten der Welt lebte Toni Zweifel den christlichen Glauben mit allem, was dazugehört. Er wollte den Willen Gottes ohne Abstriche in die Tat umsetzen - ein Bestreben, das in der Gewissheit wurzelte, ebendiesen Gott zum liebenden Vater zu haben. So wusste er Ihn, den Schöpfer aller Dinge, gerade auch in der Welt der Technik zu entdecken. Er verrichtete seine wissenschaftlich-technische Arbeit, in der er sich ein beträchtliches Ansehen erwarb, mit Hingabe und beruflicher Kompetenz, um sie Gott als möglichst würdiges Geschenk darzubieten. Konsequent losgelöst vom materiellen Besitztum, war Toni zugleich ein zugänglicher und humorvoller Mensch, selbst dann noch, als er mit dem Schmerz und dem Sterben konfrontiert war.
Die Entdeckung des Opus Dei
Entscheidend für Tonis Lebenshaltung wurde seine Begegnung mit dem Geist des Opus Dei, das er über einen Mitstudenten kennen lernte. Hier öffnete sich ihm ein neuer Horizont: die Möglichkeit, Christus im gewöhnlichen Alltag zu finden, besonders im Studium und in der beruflichen Arbeit - die Einsicht also, dass die normalen Gläubigen in der Welt, zu denen er selbst zählte, dazu bestimmt sind, ihre christliche Berufung nicht „neben“ und „trotz“, sondern in und durch die Arbeit zu verwirklichen.
Toni gewann bald die Einsicht, dass er von Gott auf diesen Weg gerufen war. Noch vor Beendigung seines Studiums bat er um die Aufnahme in das Opus Dei. Diese Entscheidung änderte naturgemäß nichts an seiner Identität als Student und Berufsmann. Doch sie setzte in ihm ein ungeahntes Potential an Großzügigkeit und Hingabe frei und führte ihn so zur vollen Annahme der Herausforderungen seines christlichen Glaubens.
Die erste äußerlich sichtbare Folge war ein Frohmut, die sich auffallend von seinem bisherigen ernsten Wesen abhob. Auch vermied es der Sohn wohlhabender Eltern von nun an, sich Bedürfnisse zu schaffen, und benutzte für sich persönlich nur noch das, was seiner gesellschaftlichen Stellung entsprechend notwendig war.
Mit der Seriosität und Folgerichtigkeit eines Ingenieurs machte sich Toni fortschreitend die Botschaft des Opus Dei zu Eigen, nämlich den Ruf zu einer Arbeit im Geist Jesu Christi. An der ETH wurde er zu einem menschlich und fachlich sehr geschätzten wissenschaftlichen Mitarbeiter. Er entwickelte verschiedene Patente, die während Jahrzehnten Spitzentechnologie darstellen sollten. Parallel dazu vertiefte sich sein Glaubensleben. So intensiv sein Tagesablauf auch sein mochte, täglich reservierte er eine bestimmte Zeit für das Gebet, besuchte die Messe und las das Evangelium und die Klassiker der geistlichen Literatur. Aus dieser engen Verbundenheit mit Gott schöpfte er seinen herzlichen und unkomplizierten Umgang mit den andern und die Motivation für eine Qualitätsarbeit zugunsten immer zahlreicherer Menschen.
Sein Lebenswerk: die Limmat-Stiftung
Nach acht ETH-Jahren brach Toni in aussichtsreicher Position seine akademische Laufbahn ab und begann, sich beruflich für die Bedürfnisse von Unterprivilegierten einzusetzen. Er wurde Geschäftsführer der neu gegründeten Limmat-Stiftung, deren Aufgabe es bis heute ist, Brücken zwischen sozialen Initiativen und Geldgebern zu schlagen. In den siebzehn darauf folgenden Jahren hat Toni vielen Tausenden eine menschenwürdige Existenz ermöglicht, dank einer äußerst gewissenhaften, ganz der christlichen Ethik verpflichteten Verwaltung der ihm anvertrauten Fonds, und dank seines selbstlosen Einsatzes.
Vollendung im Sterben
Noch deutlicher kam der Tiefgang von Tonis Glaubensleben während seiner letzten dreieinhalb Jahre zum Ausdruck, die im Zeichen einer zum Tod führenden Leukämie standen. Zum Zeitpunkt der Diagnose war er gerade achtundvierzig geworden und stand im Zenit seiner Schaffenskraft. Er wusste von Anfang an, dass ihm die Krankheit praktisch keine Überlebenschance ließ. Mit der Gelassenheit, ja dem Humor eines ganz in Gott verankerten Menschen nahm er das langwierige, mit unzähligen Härten verbundene Leiden an. Er sah darin eine Liebkosung Gottes, die ihm Gelegenheit gab, am Kreuz Christi teilzuhaben und sich auf seine endgültige Begegnung mit dem Herrn vorzubereiten. „Wäre die Leukämie ein größeres Leiden als die Kreuzigung“, relativierte er, „dann wäre Jesus Christus an Leukämie gestorben“. Manche seiner Freunde und Bekannten kehrten tief bereichert und in ihrem Glauben gestärkt von seinem Krankenbett zurück.
Das letzte Jahr seiner Berufstätigkeit verwandte Toni größtenteils darauf, einen Nachfolger für die Geschäftsführung der Limmat-Stiftung zu finden und diesem seine Erfahrungen weiterzugeben. Alles, was er hinterließ, war vollständig aufgearbeitet, so dass die anderen ohne Schwierigkeiten dort weitermachen konnten, wo er aufhören musste. Toni starb am frühen Morgen des 24. November 1989, versehen mit den Sakramenten der Kirche, im Frieden mit Gott und in der zuversichtlichen Hoffnung auf das ewige Leben.