Kardinal Julian Herranz, Emeritierter Präsident des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte, Rom

Als "Rebellen" bezeichnet Kardinal Julian Herranz den Papst Johannes Paul II. und den Gründer des Opus Dei, den hl. Josefmaria.

Als "Rebellen" bezeichnet Kardinal Julian Herranz den Papst Johannes Paul II. und den Gründer des Opus Dei, den hl. Josefmaria.

Herranz wurde 1930 in Baena in Spanien geboren. Er war lange Zeit Präsident der Studienkomission für Diziplinarfragen an der römischen Kurie sowie Präsident des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte. In einem Interview mit Zenit äußert er sich über sein kürzlich erschienenes Buch „En las afueras de Jericó“, (noch nicht auf Deutsch erschienen), in dem er Ereignisse und Strömungen aus der Zeit des hl. Josefmaria und des Seligen Johannes Paul II. in Erinnerung ruft bzw. ans Licht der Öffentlichkeit holt und kommentiert. Es waren hochinteressante Jahre an der Seite des Gründers des Opus Dei und einer intensiven Arbeit am Hl. Stuhl im Dienst von Johannes XXIII., Paul VI., Johannes Paul I. und Johannes Paul II sowie Benedikt XVI.

- Sie hatten das Glück, 21 Jahre an der Seite von Josefmaria Escrivá zu verbringen. Waren Sie sich bewusst, dass er nicht nur der Gründer war, sondern dass Sie es mit einem Heiligen zu tun hatten?

- Kardinal Herranz: O ja, denn beide Dimensionen waren in seiner Persönlichkeit untrennbar miteinander verbunden. Gott hatte ihn dazu „benutzt“, das Opus Dei zu gründen gerade weil er ein kontemplativer Mensch war, der in Christus verliebt, eben ein Heiliger war.“

Ausgehend von der heiligen Menschheit Christi, der menschgewordenen göttlichen Liebe, schwang sich der hl. Josefmaria, wie er es selbst nannte, zu einem beständigen vertrauensvollen Umgang mit dem Vater und dem Hl. Geist auf, durch den wir lernen, immer mit den Füssen auf der Erde zu stehen und den Kopf im Himmel zu haben.

In einer persönlichen Aufzeichnung bei einem Aufenthalt in Jerusalem hatte ich Folgendes notiert: „Von einem Olivenbaum, der am Rande des Weges nach Jericho wuchs, habe ich einen kleinen Zweig abgebrochen, um mit ihm den Sarg des hl. Josefmaria in Rom zu berühren. Den Sarg, der die geliebten Überreste jenes Mannes enthält, der das Instrument Gottes war, um meine Seele, die aus dem Dunkel zu Christus rief, schließlich ihn finden zu lassen, sich in ihn zu verlieben und ihm zu folgen.“

- “Mich schmerzt die Kirche!”, so sagte er häufig in den letzten zehn Jahren zwischen1965 und 1975. Was meinte er damit?

- Kardinal Herranz: Er bezog sich dabei auf die sogenannte „Krise der Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil“, die in dem schrecklichen Paradox bestand, dass auf der einen Seite das Wirken des Hl. Geistes war, der die Kirche machtvoll mit den Lehren dieses Konzils bereichert hatte, und andererseits die Kirche sich irrtümlichen Interpretationen gegenüber sah, die viele Seelen in sehr schmerzlichen und überaus traurigen Situationen führte.

Sie äußerten sich z. B. in dem Wunsch den Glauben zu modernisieren, indem sie Gott beiseite ließen und die Botschaft des Evangeliums der Erlösung auf eine rein innerweltliche Interpretation zurückführten. Das führte dazu, dass die priesterliche Identität neu überdacht wurde und viele Priester sich veranlasst sahen, sich laisieren zu lassen. Es kam zu einem Verbluten vieler Berufungen von Priestern und Ordensleuten sowie Experimenten im Bereich der Liturgie, die seltsame Formen annahm und zu einer fortschreitenden Banalisierung der Eucharistie führte.

Der hl. Josefmaria teilte den tiefen Schmerz des Hl. Vaters, Paul VI., angesichts dieser Lage.

- Sie haben ihr Leben dem Dienst am Hl. Stuhl gewidmet und waren hauptsächlich mit wenig beachteten Gesetzesfragen beschäftigt. Welche Bedeutung haben das Gesetz, die Gerichtshöfe und vor allem das kanonische Recht für das Leben der Kirche?

- Kardinal Herranz: Sie bedeuten Liebe zu Christus und zu seiner Kirche sowie zum Volk Gottes. Die Konstitution „Lumen gentium“ des II. Vatikanischen Konzils erinnert daran, dass Christus seine Kirche als geistliche Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gegründet hat, sie aber zugleich ähnlich wie eine irdischen Gesellschaft mit hierarischen Organen und Gesetzen ausgestattet hat, die die Rechte und Pflichten aller Gläubigen regeln.

Diese Gesetze sind in direkter Weise auf das Ziel der Kirche ausgerichtet: die Verkündigung der Lehre Christi in der Welt und die ewige Seligkeit der Gläubigen.

Die gesellschaftliche Struktur steht ganz im Dienst der Vermittlung der Gnaden und der Gemeinschaft. Deshalb ist es sinnlos und demagogisch von einem Gegensatz zwischen Evangelium und Gesetz oder von pastoralem Bemühen und kanonischer Anordnung zu sprechen.

- Sie haben während der gesamten Amtszeit Pauls VI. an der Vorbereitung einer neuen Gesetzgebung für die Kirche gearbeitet. Was würden Sie persönlich zu seiner Person sagen?

- Kardinal Herranz: Ich habe ihn als einen heiligen Papst erlebt, der in heroischen Maße christliche und priesterliche Tugenden besaß und das II. Vatikanische Konzil inmitten heftiger und schmerzhafter doktrineller Spannungen in wahrer Weisheit zum Abschluss führte.

Ich bewunderte seine pastorale Sorge, seine aufopfernde Liebe zu Christus und seine leidenschaftliche Liebe zu einer Kirche, die in Treue den Forderungen des Evangeliums gegenüber, einen fruchtbaren Dialog mit der modernen Gesellschaft unterhalten musste. Daher schrieb ich im Mai 1992 an Johannes Paul II. und bat um die Erööfnung seines Seligsprechungsprozesses.

- 27 Jahre lang haben Sie an der Seite von Papst Johannes Paul II. gearbeitet. Er war in gewisser Weise ihr Papst, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten. Was ist Ihnen von diesen Jahren seines Pontifikats in besonderer Erinnerung geblieben?

- Kardinal Herranz: Die Kraft mit der er in der Predigt zur Heiligsprechung von Josemaria Escrivá der Menge der Gläubigen, die ihn in Rom und auf der ganzen Welt zuhörten, zurief: „ Er erinnert uns an die Notwenigkeit uns nicht von einer materiellen Kultur einschüchtern zu lassen, die darauf aus ist, die Identität der Jünger Christi aufzulösen.“

In diesem Moment erkannte ich wie wesensverwandt die großen „Rebellen“ Wojtyla und Escrivá waren: Der Papst, ein leidenschaftlicher Verteidiger der Würde der menschlichen Person angesichts der Utopie „Gerechtigkeit ohne Freiheit“ und der agnostischen Utopie „Freiheit ohne Wahrheit“; und der Gründer, der zu einer spirituellen Rebellion aufrief gegen die Bedrohung durch eine „dreifache Welle“, die antichristlich und menschenunwürdig war: die „rote Welle“ des marxistischen Materialismus, die „schwarze Welle“ des als Laizismus verkleidetes Neuheidentums, und schließlich die „gelbgrüne Welle“ des tierischen Sexualverhaltens.

- Jetzt befinden wir uns in der Zeit unter dem Pontifikat von Benedikt XVI. Sehen Sie bedeutsame Veränderungen im Verständnis der kirchlichen Disziplin?

- Kardinal Herranz: Vielleicht in dem, was das Gebiet der Berufungspastoral und die Disziplin des Klerus betrifft, wo das bekannte pastorale Prinzip neu entdeckt wird: “Wollen wir mehr sein, dann müssen wir besser sein.“

Und auch auf dem Gebiet der Leitung der Kirche. Hier kommt ein dynamischeres und apostolischeres Prinzip zum Tragen, um der wachsenden „Diktatur des Relativismus“ durch eine energische Neuevangelisierung zu begegnen.“