ES FÄLLT uns oft schwer, zu akzeptieren, dass Gott auf manche unserer Gebete nicht sogleich antwortet. In einer Welt, die uns an die Unmittelbarkeit gewöhnt hat, empfinden wir Warten als eine Zumutung. Wir haben gelernt, dass fast jeder Wunsch auf Knopfdruck erfüllt werden kann – und unbewusst erwarten wir manchmal dieselbe Schnelligkeit auch von Gott. Doch das Leben der Heiligen zeigt uns eine andere Logik. Sie haben oft jahrelang, ja jahrzehntelang, für große Anliegen gebetet – in der Gewissheit, dass beharrliches Gebet immer Frucht bringt, auch wenn diese Frucht nicht sofort oder nicht in der erhofften Form sichtbar wird.
Der heilige Josefmaria erinnerte häufig an die Aufforderung Jesu: „Clama, ne cesses“1 – Rufe ohne Unterlass, um zu sagen: Auch wenn die göttliche Antwort auf sich warten lässt, öffnet das beharrliche Gebet immer wieder Wege. Mehr noch, das Warten selbst kann eine Gelegenheit sein, unsere Wünsche zu läutern, unser Vertrauen zu vertiefen und uns inniger mit dem Herrn zu vereinen.
Warum fällt es uns dennoch schwer, Gottes Schweigen als Antwort anzunehmen? Vielleicht erzählt Jesus das Gleichnis vom ungerechten Richter eben deshalb, um seinen Jüngern zu zeigen, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten (Lk 18,1). In diesem Gleichnis steht ein Richter – der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm (Lk 18,2) – einer hilflosen Witwe gegenüber, die ihn unbeirrbar bittet: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! (Lk 18,3). Der Richter gibt ihrer Bitte schließlich nach, nicht aus Gerechtigkeitssinn, sondern weil er ihrer quälenden Hartnäckigkeit überdrüssig ist und sie loswerden will.
Damit macht Jesus deutlich: Beharrlichkeit im Gebet ist unentbehrlich. Wer nicht nachlässt, zeigt, dass sein Bitten aus dem Herzen kommt: nicht aus der Laune, sondern aus der echten Sehnsucht nach Gott. Papst Franziskus sagte in seiner Katechese über das Gebet: „Gott hört den Schrei dessen, der zu ihm fleht; auch unsere gestammelten Bitten; jene, die tief in unserem Herzen geblieben sind; die zum Ausdruck zu bringen, wir uns manchmal schämen. Aber der Vater hört sie und will uns den Heiligen Geist schenken, der jedes Gebet beseelt und alles verwandelt.“2
NACHDEM der Herr die Notwendigkeit der Beharrlichkeit aufgezeigt hat, weist er auf das Fundament des Gebetes hin: den Glauben. Wahre Ausdauer entsteht aus dem Vertrauen in Gott. Sie ist nicht Frucht des Eigensinns, sondern des Glaubens an die göttliche Kraft. Es ist allerdings möglich, dass unsere Schwäche uns manchmal zweifeln lässt, ob diese Kraft wirklich grenzenlos ist. Jesus erkannte diese Versuchung und rief aus: Wird der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?(Lk 18,8)
Gott hat durch seinen Sohn die Tore des Paradieses weit geöffnet und der Menschheit unermessliche Gaben geschenkt. Der Schlüssel, um sie aufzuschließen, ist der Glaube. Der heilige Josefmaria verweist auf einen wichtigen Punkt: „Zuweilen hört man sagen, es gäbe heute weniger Wunder als früher. Ist es nicht vielleicht eher so, dass es heute weniger Menschen gibt, die aus dem Glauben leben?“3 Dies ist nach wie vor aktuell: Woran es fehlt, ist nicht Gottes Macht, sondern unser Vertrauen.
Deshalb erscheint uns die Heiligkeit manchmal als ein unerreichbares Ideal. Wir spüren die Kluft zwischen dem, was Gott verlangt, und dem, was wir aus eigener Kraft vermögen. Die Heiligen lehren uns jedoch, dass für ihre Heiligkeit nicht ihre Leistungen entscheidend waren, sondern ihr Vertrauen in die Gnade. Die heilige Therese von Lisieux bezeugt dies mit entwaffnender Einfachheit: „Ich fühle weiterhin dieselbe unbeirrbare Zuversicht, eine große Heilige zu werden. Denn ich setze nicht auf meine Verdienste – habe ich doch kein einziges –, sondern ich hoffe auf den, der die Tugend, die Heiligkeit selbst ist. Er gibt sich mit meinen schwachen Bemühungen zufrieden, und er allein ist es, der mich bis zu sich erheben und mich zur Heiligen machen wird, indem er mich mit seinen unendlichen Verdiensten umgibt.“4
NEBEN Beharrlichkeit und Vertrauen besitzt das christliche Gebet noch ein weiteres Merkmal: Es ist gemeinschaftlich. Papst Franziskus erinnerte daran: „Obgleich das Gebet des Jüngers sehr innig ist, wird es dennoch nie zur reinen Innerlichkeit. In der Verborgenheit des Gewissens lässt der Christ die Welt nicht draußen vor der Tür seiner Kammer, sondern er trägt die Menschen und die Situationen, die Probleme, viele Dinge im Herzen.“5
Als die Apostel Jesus baten, ihnen das Beten beizubringen, schenkte er ihnen ein Gebet, das diese Gemeinschaftlichkeit deutlich macht: das Vaterunser. Es ist kein einsames, sondern ein gemeinsames Gebet. Wir bitten nicht um mein, sondern um unser Brot, wir sprechen auch nicht von meiner Schuld und meinem Heil, sondern von unserer Schuld und unserem Heil. So soll unser Dialog mit Gott Vater sein – und unser Herz nach dem Herzen Jesu formen. Papst Leo XIV. erinnerte: „Wir können nicht zu Gott als ,Vater‘ beten und dann anderen gegenüber hart und gefühllos sein. Vielmehr sollen wir uns von seiner Güte, seiner Geduld und seiner Barmherzigkeit verwandeln lassen, damit sein Antlitz in uns wie in einem Spiegel sichtbar wird.“6
Die christlichen Gemeinden wussten von Anfang an um die Kraft der gemeinschaftlichen Dimension des Gebets. Ein Kirchenvater berichtet etwa nach einer Taufe, „wie wir den, der gläubig geworden und uns beigetreten ist, zu denen brachten, die wir Brüder nennen, (…) um gemeinschaftlich für uns (…) und für alle anderen auf der ganzen Welt inbrünstig zu beten, damit wir (…) gewürdigt werden, auch in Werken als tüchtige Mitglieder der Gemeinde und als Beobachter der Gebote erfunden zu werden und so die ewige Seligkeit zu erlangen.“7
Das Bewusstsein der Gemeinschaft ist auch in der Liturgie deutlich spürbar. So tritt die Kirche in jeder Eucharistiefeier mit einem flehenden Gebet an Gott heran, das das Vertrauen des ganzen Gottesvolkes zusammenfasst: „Schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche und schenke ihr nach deinem Willen Einheit und Frieden.“
An der Spitze dieser betenden Gemeinschaft steht Maria. Mit ihrem demütigen Mir geschehe, wie du es gesagt hast (Lk 1,38) hat sie ihren Weg des Glaubens eröffnet und ist ihn bis zum Kreuz gegangen. In ihr erkennen wir das vollkommen vertrauende Herz, das Gott ganz überlässt, was er in seiner Liebe schenken will.
1 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit Gott, Nr. 86.
2 Franziskus, Audienz, 9.12.2020.
3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 190.
4 Hl. Thérèse von Lisieux, Gesamtwerk.
5 Franziskus, Audienz, 13.2.2019.
6 Leo XIV., Angelus-Gebet, 27.7.2025.
7 Hl. Justin, Apologie 1, 65.

