„DU BIST wahrhaft erwählt, denn der Herr der Welt hat dir seinen Sohn und seine Mutter anvertraut.“1 So besingt der Hymnus Te Ioseph seit Jahrhunderten die großen Stationen des Lebens des heiligen Patriarchen. Schon bald dürfen wir den Bräutigam Marias mit gutem Grund bitten, uns zu lehren, das Jesuskind mit derselben Zärtlichkeit zu tragen und zu wiegen wie er.
Die Freuden des heiligen Josef waren hier auf Erden allerdings nicht frei von Bedrängnis: Noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes (Mt 1,18). Josef begegnete dieser Erkenntnis mit der Treue und Loyalität eines Mannes, der tief mit Gott verbunden ist. Um Maria – abgesehen von seiner eigenen Abwesenheit – keine zusätzliche Last aufzubürden, beschloss er, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Man kann somit wirklich sagen: In dieser Familie wird alles den göttlichen Plänen untergeordnet, wird alles dem Willen Gottes angepasst.
Auch wenn es wohl nur wenige Stunden der Beklemmung waren, litt der heilige Josef. Er verstand nicht, was geschah, doch er zweifelte keinen Augenblick an seiner Braut oder an Gott. Er war, so der heilige Thomas von Aquin, „erfüllt von einer heiligen Furcht, an der Seite einer so großen Heiligkeit zu leben“2. Ein Engel wurde gesandt, um ihn aufzuklären und zu trösten und ihm seine eigene Sendung zu offenbaren: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen, denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen (Mt 1,20-21).
Die Freude Josefs über die doppelte Ankündigung lässt sich leicht erahnen. Der Messias war da – und ihm war die Aufgabe anvertraut, ihn und seine gesegnete Mutter zu beschützen. Zur Freude, Maria wieder an seiner Seite zu haben, trat das unermessliche Glück, zu wissen, dass die Fülle der Zeit gekommen war. Für einen Sohn Davids war dies die Erfüllung aller Hoffnungen: Der Erlöser war unter ihnen. Nie hätte Josef sich ein so großes und zugleich so unverdientes Glück erträumen können. Er wollte jubeln über das, was Gott ihm zugedacht hatte, auch wenn ihm noch verborgen war, wie sich all dies erfüllen würde. Wahrscheinlich suchte Josef sogleich seine Braut auf, um ihr von der Offenbarung zu berichten.
VOR DEM EMPFANG der Engelsbotschaft verfolgte Josef, wie Papst Franziskus bemerkt, ein gutes und ehrbares Lebensprojekt. „Doch Gott hatte einen anderen Plan, eine größere Sendung für ihn vorgesehen. Josef war ein Mann, der der Stimme Gottes stets Raum gab (…). So wurde Josef noch freier und größer. Weil er seine Rolle dem Plan des Herrn gemäß annahm, fand er seine wahre Identität und wuchs über sich hinaus.“3 Seine Freiheit, auf eigene Vorstellungen zu verzichten, und seine innere Verfügbarkeit für den Willen Gottes fordern auch uns heraus und weisen uns den Weg.
Im heutigen Evangelium wird ein Wort mehrfach wiederholt: zu sich nehmen. Es beschreibt nicht nur Josefs Handeln gegenüber Maria, sondern auch die Beziehung, zu der wir selbst berufen sind. Zu sich nehmen heißt, einer Person Raum zu geben – im eigenen Haus, im eigenen Leben. Fast scheint es, als hätte Gott auch Josef um Erlaubnis gebeten, in die Welt eintreten zu dürfen. Jesus drängt sich nicht auf; er bittet um Aufnahme. Er sucht ein Herz, das ihm Zuflucht gewährt.
Erstaunlicherweise vertraute Gott dem heiligen Josef die beiden kostbarsten Wesen an, die es je auf Erden gab. Josef nahm diese Gabe dankbar an und zeigte damit, dass Gottes Großzügigkeit keine Grenzen kennt. Auch uns bietet der Herr immer wieder große und kleine Gelegenheiten an, ihm und Maria Raum zu geben. Der heilige Josefmaria war tief bewegt von der Einfachheit dieses Patriarchen: „Der heilige Josef ist wunderbar! Er ist der Heilige der ergebenen Demut …, des ständigen Lächelns und der steten Bereitschaft.“4
MÖGLICHERWEISE spürte Josef oft staunend die Herrlichkeit, Jesus und Maria in seiner Obhut zu haben, und empfand sein Leben als reich gesegnet. Sicher ließen sie ihn in jedem Augenblick erfahren, wie bedeutend seine Sendung war. Umso schmerzlicher war es für ihn, als der junge Jesus ohne Vorankündigung im Tempel blieb. Papst Benedikt XVI. deutet diese Begebenheit so: „Sie offenbart die wahrste und tiefste Berufung der Familie: nämlich die Berufung, jedes Mitglied auf dem Weg der Entdeckung Gottes und des Planes, den er für ihn vorgesehen hat, zu begleiten.“5 Als die Eltern den Knaben nach drei Tagen fanden, mag es Josef getröstet haben, dass auch Maria nicht alles verstand. Sie an seiner Seite zu wissen, war für ihn der Schlüssel zur Überwindung all seiner Zweifel und Unsicherheiten. Mit Maria wurde alles leichter.
Was hätte er sich auf Erden mehr wünschen können? Die Liebe eines so erhabenen Wesens zu empfangen und es stets an seiner Seite zu wissen, war für Josef wie ein Stück Himmel auf Erden. Ob auf der Flucht nach Ägypten oder in der Werkstatt von Nazareth, ob in Sorgen oder im Alltag – das Lächeln seiner geliebten Ehefrau machte alles erträglich. Möge Gott uns die Gnade schenken, seine Pläne mit derselben Hingabe anzunehmen wie Maria und Josef. Papst Franziskus schloss einmal seine Christmette mit den tröstlichen Worten: „Wenn deine Hände dir leer erscheinen, wenn du dein Herz arm an Liebe siehst, so ist die heutige Nacht deine Nacht. Die Gnade Gottes ist erschienen, um dein Leben zu erhellen. Nimm sie an, und das Licht der Weihnacht wird in dir erstrahlen.“6
1 Stundenbuch, Hymnus Te Ioseph, der in der Vesper des Hochfests des heiligen Josefs gebetet wird.
2 Hl. Thomas von Aquin, Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus, lib. 4, d. 30, q. 2, a. 2, ad. 5.
3 Franziskus, Angelus, 22.12.2013.
4 A. Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Bd. 3, Adamas, Köln 2008, S. 660, Anmerkung 170.
5 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 31.12.2006.
6 Franziskus, Homilie, 24.12.2019.

