ES IST ganz natürlich, dass wir das Bedürfnis haben, mit Jesus, unserem besten Freund, im Gebet über die Dinge zu reden, die uns wichtig sind, über die Menschen, die unserem Leben einen Sinn geben, oder über die Sorgen und Freuden, die unser Dasein ausmachen, in einem manchmal schwer verständlichen Geflecht. Wenn wir umgekehrt das Leben Jesu betrachten, versuchen wir, uns auch in ihn hineinzuversetzen, um seine Sorgen zu erahnen, um zu verstehen, wie er denkt, um seine göttliche Logik in uns aufzusaugen und die Absichten hinter jeder seiner Gesten zu entdecken. Die betrachtende Lesung des Evangeliums hilft uns, nach und nach Christi Inneres zu verstehen.
So versuchten die Apostel wiederholt, den Sinn hinter Jesu Lehren zu ergründen. Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen? (Mt 13,10), fragen sie ihn mit leisem Protest. Denn sie hatten bemerkt, dass die Gleichnisse eine gewisse Mehrdeutigkeit aufwiesen: Einerseits knüpfte Jesus darin an die Interessen und Vorstellungen seiner Zuhörer an, andererseits schien er mit diesen Geschichten tiefere Wahrheiten verhüllen zu wollen. Die geheimnisvolle und indirekte Art der Rede widersprach dem Wunsch der Apostel, der Herr möge sich der Welt klar und deutlich offenbaren. Und als die Apostel ihn zweifellos aus Zuneigung und Bewunderung bitten, in seinen Worten ausdrücklicher zu werden, dürfte die Antwort des Herrn ihre Erwartungen erneut enttäuscht haben: Deshalb rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen und hören und doch nicht hören und nicht verstehen (Mt 13,13).
Von seinem Publikum hörten manche Jesus vielleicht nur oberflächlich zu. Andere lauschten, um ihre eigene Denkweise bestätigt zu bekommen oder mögliche Ungereimtheiten in seinen Worten zu entdecken. Solche Haltungen verhinderten, dass das Wort Christi ihre Herzen erreichte – und es sind Hörweisen, vor denen niemand völlig sicher ist. Papst Franziskus weist noch auf eine andere Gefahr hin: „Das Wort Gottes zähmen zu wollen, ist eine Versuchung, die tagtäglich auftritt.“1 Wir hören, was wir hören wollen, und nicht, was Gott uns sagen will. Wenn wir uns Jesus wie die Apostel mit offenen Herzen nähern, kann der Herr auch uns sein Inneres zu erkennen geben, das die Erde ständig erneuert.
IN VIELEN anspruchsvollen Sportarten wird betont, dass neben der körperlichen Fitness auch das innere Rennen – das Rennen, das in Kopf und Herz absolviert wird – von größter Bedeutung ist. Ganz ähnlich reicht es auch für unser Gebetsleben nicht aus, dafür eine bestimmte Zeit zu reservieren, um uns Jesus zu widmen, auch wenn dies ein notwendiger Schritt ist, uns für seine Stimme zu öffnen. Vielmehr ist es auch notwendig – wie es der Herr seinen Aposteln nahelegte –, auch auf die inneren Sinne zu achten, das heißt, die Ohren der Seele zu öffnen und die Augen des Herzens möglichst darauf auszurichten, die Nähe Christi wahrzunehmen. Es ist die innere Abtötung, die uns für die Erfahrung der Gegenwart Gottes in unserer Seele bereit macht. Sie ist nicht einfach ein negativer Kampf, um Vorstellungen oder Erinnerungen zurückzuweisen, uns nicht von der Neugier treiben zu lassen oder den Impuls der Augen oder Ohren zu zügeln. Denn all diese Bemühungen zielen auf ein Ziel ab: uns darauf zu fokussieren, was wirklich wichtig ist, was uns glücklich macht: die Gegenwart Christi in unserem Leben zu verkosten; zu hören, zu schauen, uns vorzustellen und uns daran zu erinnern, was uns mit Gott erfüllt.
Der heilige Josefmaria drückte dies in aller Kürze aus: „Wenn du dich nicht abtötest, wirst du nie ein Mensch des Gebetes.“2 Einige von denen, die Jesus folgten, konnten in seine Worte nicht tiefer eindringen, weil ihre Ohren und Augen voll von Ablenkungen waren – sie waren es müde, Gott nicht sinnlich wahrnehmen zu können. Auch uns kann es passieren, dass die Bilder des Tages und die Geräusche, die in unserem Kopf widerhallen, es uns schwer machen, Christus zu betrachten, trotz unseres aufrichtigen Wunsches, auf den Herrn einzugehen. So aber wie es regelmäßige Übung braucht, um körperlich fit zu bleiben, kann auch die Aufmerksamkeit trainiert werden. Mit jeder kleinen Anstrengung, Ablenkungen abzuwehren oder umzuleiten – sei es bei der Arbeit, im sozialen Leben oder beim Gebet –, üben wir diese Kraft, die uns hilft, im greifbaren Hier und Jetzt zu leben, denn darin ist Gott gegenwärtig. Auf diese Weise wird es uns leichter fallen, das Antlitz Christi in allen Situationen des täglichen Lebens zu betrachten.
AMEN, ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte haben sich danach gesehnt zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört (Mt 13,17). Der Herr könnte dieselben Worte an die Menschen aller Zeiten und Orte richten. Tatsächlich konnten jene Propheten und Gerechten Gott nicht so betrachten, wie wir es im Tabernakel tun können, und ihn auch nicht wie wir sakramental in ihre Seelen aufnehmen. Wenn sich im Zentrum unseres Gebets die Eucharistie befindet, führt es uns in eine enge und vertraute Beziehung zum Herrn ein. Papst Franziskus sagte in seiner Katechese über das Gebet: „Die Menschen waren es von jeher gewohnt, sich Gott etwas eingeschüchtert zu nähern, etwas erschreckt von diesem faszinierenden und furchtbaren Geheimnis. (…). Die Christen dagegen wagen es, sich vertrauensvoll mit dem Namen ,Vater‘ an ihn zu wenden.“3
Daher ist das Gebet nicht so sehr eine menschliche Anstrengung als vielmehr ein Geschenk, das der Herr uns gemacht hat. Jeder Augenblick, den wir mit ihm teilen, ist ein unverdientes Privileg. Nicht wir tun Gott einen Gefallen, wenn wir ihm ein paar Minuten unseres Tages widmen, sondern er ist es, der uns in seiner unendlichen Barmherzigkeit einlädt, seine Gegenwart zu genießen, und uns das kostenlose Geschenk seiner Freundschaft anbietet.
Unser Bedürfnis, uns in dieses Geschenk zu flüchten, wächst, je mehr wir uns unserer Zerbrechlichkeit bewusst werden. So lehrte Papst Benedikt in seiner Predigtreihe über das Gebet: „Im Gebet erfahren wir, mehr als in anderen Dimensionen des Lebens, unsere Schwachheit, unsere Armut, unsere Geschöpflichkeit, da wir der Allmacht und der Transzendenz Gottes gegenüberstehen. Und je mehr wir im Hören auf Gott und im Gespräch mit ihm fortschreiten, damit das Gebet zum täglichen Atem unserer Seele wird, desto mehr werden wir uns auch unserer Grenzen bewusst, nicht nur gegenüber den konkreten Situationen des Alltags, sondern auch in der Beziehung zum Herrn. Dann wächst in uns das Bedürfnis, auf ihn zu vertrauen, uns ihm immer mehr anzuvertrauen. Wir verstehen dieses Wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen (Röm 8, 26).“4 Maria, Lehrerin des Gebets, möge uns helfen, das Geschenk des Gebetes, das ihr Sohn uns gemacht hat, mit offenem Herzen zu empfangen.
1 Franziskus, Predigt, 27.1.2019.
2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 172.
3 Franziskus, Audienz, 13.5.2020.
4 Benedikt XVI., Audienz, 16.5.2012.