Mehr Tugend für die Jugend: Was kann Schule dazu leisten?

Der Ruf nach den Social Skills macht die Tugenden auch in der außerfamiliären Erziehung wieder salonfähig. Der Salzburger Philosoph Clemens Sedmak sprach am 4. Dezember 2008 im Wiener Kulturzentrum Währing über Kernfragen schulischer Erziehung.

Wien, 4. Dez. 2008. „Ein Mensch ohne Tugenden hat keine Identität“, erklärte Clemens Sedmak seinen Zuhörern gleich zu Beginn des Vortrags. Denn ohne Tugend fehlen jene inneren, positiven Verhaltensdispositionen, fehlt jene Verlässlichkeit, die für das persönliche Wachstum, die Bindungs- und letztlich auch die Liebesfähigkeit des Menschen nötig sind. Die gute Nachricht, so Sedmak, Professor für Philosophie und Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg: Jeder Mensch kann positive Charakterhaltungen einüben. „Wir sind unserer Natur nicht einfach ausgeliefert.“ Die schlechte Nachricht: Der Weg dorthin ist harte Arbeit. Wer ein Instrument spielen lernen will, zitiert er einen traditionsreichen Vergleich, muss anfangen zu spielen. Mit der Übung fällt es ihm dann zunehmend leichter, und das auf einem immer höheren Niveau. Analog müsse die Einübung in gute Gewohnheiten und charakterliche Haltungen gesehen werden, die einem so „zur zweiten Natur“ werden, was er am Beispiel der Selbstdisziplin und der Höflichkeit erläuterte. 

Wie muss ein guter Lehrer und Pädagoge sein? Den Eltern legte der Salzburger Philosoph nahe, ihren Kindern zu vermitteln, Lehrern immer mit Achtung zu begegnen. Gleichzeitig sind sie selbstverständlich moralische Autoritäten, gute oder weniger gute. Seit den 1990er Jahren ist die Glaubwürdigkeit ein Kernstück der Ethik, erklärt Sedmak, wer von Schülern verlangt, muss zuerst von sich selbst fordern: „Junge Menschen sind sehr sensibel für Eintrittsstellen zur Unglaubwürdigkeit.“ Als weitere Faktoren für gute Bildungsarbeit nannte er – in Anlehnung an Augustinus – die Liebe zum Menschen, Taktgefühl und die Fähigkeit, im anderen den Sinn für das Geheimnis zu erschließen. Dazu kommt hohe Selbstmotivation, ein langer Atem, starke Überzeugungen, Freude am Blühen anderer sowie Sinn für die Gemeinschaft. In der Schule gehe es darum, die Freude an kooperativen Gütern zu vermitteln, erklärte der dreifache Vater. Die Bildung ist ein kooperatives Gut: Wenn es geteilt wird, wird es mehr, im Unterschied zu den kompetitiven Gütern, die durch Teilen weniger werden. 

In den gegenwärtigen Trends zu Benimmregeln und Beratungsfirmen sieht Sedmak die Gefahr, dass die Formung von Persönlichkeit vor allem „zweckrational“ betrieben wird: Tugend als ein „Remedium für Verhaltensauffälligkeiten“ oder eine „Technik, um im Klassenzimmer mehr Frieden zu haben“. Die Tugend gehe aber tiefer, mit äußeren Methoden allein sei es nicht getan. Bereits in den 1950er Jahren hatte die britische Philosophin und Wittgenstein-Schülerin Elizabeth Anscombe eingefordert, man müsse wieder „die Frage nach dem guten Menschen“ zulassen. Dem schließt sich Sedmak an: Die Aufgabe der Schule liegt unter anderem darin, am Aufbau einer menschlicheren Gesellschaft mitzuwirken. Daher brauche es eine klare Besinnung auf die ursprüngliche Frage der Ethik, nämlich was der gute Mensch sei. 

Studentinnenheim & Kulturzentrum Währing