Diese Tatsache überraschte: Ansätze zum Feminismus gab es schon im Spätmittelalter. Da gab es Traktate mit dem Titel „Ob die Weiber Menschen seien“. Kein Wunder, dass sich der Kampf um die Durchsetzung von Frauenrechten bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte. Die treibende Kraft hinter dieser historischen Entwicklung liegt für Hanna Barbara Gerl-Falkovitz auf der Hand: „Ohne Christentum wäre es dazu nicht gekommen.“ betonte die Professorin an der TU Dresden in ihrem Vortrag zum Thema: Der Feminismus – ein babylonischer Turmbau? „Hätten wir die Bibel nicht, wäre es nie zu einer Frauendebatte gekommen.“ Erst durch das christliche Erbe kam der Durchbruch, Frauen nicht bloß als Pendant zum Mann oder von ihrer Biologie her zu sehen. „Das biblische Vermächtnis der Gottesebenbildlichkeit beider Geschlechter war entscheidend für diesen Schritt.“
Die Abschaffung des Geschlechts als Sackgasse
Knüpfen die heutigen Feminismusströmungen an die damalige Frauenrechtsbewegung an? Gerl-Falkovitz verneint: Seit dem Zweiten Weltkrieg stehen nicht mehr die Rechte der Frau oder die Frage, wer die Frau sei, im Mittelpunkt der Debatte, sondern die Frage, „wie man zur Frau wird“. Der „Egalititätsfeminismus“, der eine klare Vermännlichung der Frau forderte, tauchte auf. Diese Position, die allen voran von Simone de Beauvoir vertreten wurde, hält Gerl-Falkovitz in der gegenwärtigen philosophischen Debatte jedoch für überwunden. „Dass Frauen Männer werden müssen, diesen Punkt haben wir heute überholt.“ Die Nachwehen seien aber immer noch spürbar: Immer noch wird die Selbstverwirklichung des Frauseins ganz traditionell an die Aufhebung von Bindung – an ein Kind, einen Ehepartner – geknüpft. Als zweite Position etablierte sich der so genannte „Differenzfeminismus“: „Frau muss nicht Mann werden. Aber was ist dann Frau?“ Antworten gab es ansatzweise, etwa in der Beschreibung der „Wir-Begabtheit und Wir-Betontheit“ der Frau gegenüber dem Mann. Die Frau habe bestimmte Fähigkeiten kulturell eingelernt, warum sollte sie diese Eigenarten über Bord werfen?, heißt es etwa in der amerikanischen „care-ethics“-Theorie. Inzwischen ist eine dritte Theorie aufgetaucht, die Gender-Theorie, die für Gerl-Falkovitz einige „verborgene Sprengkörper“ enthält. Sie zerschmettere alle bisherigen Ansätze.“ Bis jetzt ging es darum, das Verhältnis zwischen Mann und Frau zu arrangieren. Jetzt wird die Kategorie Geschlecht überhaupt für obsolet erklärt. „Das Geschlecht, das ich bin, das ich habe, ist nur noch eines, das mir von anderen zugewiesen worden ist. Hat man sich einmal so weit von seinem Leib entfernt, bleibt vom eigenen Ich auch nicht mehr viel übrig. Leibferne ist das Stichwort des konstruierten Geschlechts. Nicht wer bin ich, ist die Frage, sondern was ich will, losgelöst von jeder Identität. Was will ich morgen sein? Will ich einen männlichen, weiblichen oder geschlechtsneutralen Vornamen – so würde man als Anhänger der „flowing identiy“ fragen. Eine Sackgasse, denn aus dem Leib kann man nicht wie aus einer Rolle herausschlüpfen.
Christlicher Feminimus: Der Leib als Gabe und Aufgabe
Gerl-Falkovitz arbeitete spannend heraus, welchen Beitrag das Christentum zum Begriff des Frau-Seins geleistet hat.
Auch Papst Johannes Paul II. sprach von einem „christlichen Feminismus“. Die Dresdner Professorin ermutigte das breit gefächerte Publikum, sich um eine tiefere Argumentation zu bemühen und brachte dazu Denkansätze von Romano Guardini, Hannah Arendt und vor allem von Edith Stein ein. Frau-Sein bedeute nicht einfach ein dumpfes, biologisches Auf-der-Welt-Sein. Stein unterscheidet im Frau-Sein einerseits die biologische Vorgabe, ein „datum“, gleichsam eine Mitgift, die aber seelisch verarbeitet und gestaltet werden muss. Es kann nur in der vitalen Spannung zur Aufgabe verstanden werden. Die Mutterschaft müsse auch in ihren geistigen Dimension, als Weise des Füreinander-Daseins neu bewertet werden, forderte Gerl-Falkovitz. Was die besonderen sozialen Fähigkeiten der Frau betrifft, gäbe es zweifellos auch Parallelen zu gewissen Positionen des Feminismus: Wie sehr ist es etwa heute notwendig, dass eine Frau in Führungspositionen andere Prioritäten setzt als ein Mann!
Demografie zwingt zum Nachdenken
In der rege geführten Diskussion ging es um aktuelle Fragen: etwa den Gleichheitsbegriff in der EU-Verfassung oder eine Kultur, in der offenbar nur die Totalität der Arbeitswelt etwas zählt. Wie sonst könnte man bei Frauen, die sich der Erziehung ihrer Kinder widmen von einer „Babypause“ sprechen. Als ob Kinderaufzucht mit Freizeit gleichzusetzen wäre…
Kann man das Geschlecht wirklich als irrelevant ansehen? Kann man sich seine Mutter aussuchen – vom virtuellen Raum und gewissen medizinischen Experimenten einmal abgesehen? Hat uns die moderne Version des babylonischen Vorbilds doch zu sehr beeindruckt, auch wenn dieses heute bereits mit Getöse einstürzt? Die demografische Situation Europas wird hier in vielem ein Umdenken erzwingen. Gerl-Falkovitz' Appell: Die Christen sollten offensiv diese Chance nützen, um eine neue Kultur aufzubauen.