Christlicher Humanismus in der Unternehmens­führung

Ansprache von Bischof Javier Echevarría, Prälat des Opus Dei, zur Eröffnung des Symposiums beim 50-jährigen Jubiläum der IESE Business School (Barcelona, 16.5.2008).

Es freut mich ganz besonders, aus Anlass der Feier zum 50-jährigen Bestehen von IESE („Instituto de Estudios Superiores de la Empresa“, Institut für Höhere Studien zur Unternehmensführung) hier bei euch zu sein.

Ich war Zeuge des wachen Interesses, mit dem der hl. Josefmaria Escrivá dessen erste Schritte begleitete, und des Eifers, mit dem er dessen Entwicklung vorantrieb. Für die bereits geleistete Arbeit danke ich Gott und bitte Ihn zugleich, dass IESE weiterhin reiche Früchte hervorbringen und die Aufgabe erfüllen möge, die es vom hl. Josefmaria bekommen hat.

Anlässlich dieses internationalen Symposiums, das sich um die Suche nach menschlicheren Modellen für die Unternehmensführung auf allen Ebenen des Unternehmens dreht, hat man mir vorgeschlagen, über den christlichen Humanismus zu sprechen. Dieses Thema ist höchst aktuell. Tatsächlich hat der christliche Humanismus viel beizutragen, damit das unternehmerische Handeln nicht aus dem Blick verliert, dass „der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft“ (1) ist. Das hat das 2. Vatikanische Konzil mit diesen Worten erklärt und erinnerte, „Alle wirtschaftliche Tätigkeit ist - nach den ihr eigenen Verfahrensweisen und Gesetzmäßigkeiten - immer im Rahmen der sittlichen Ordnung so auszuüben, daß das verwirklicht wird, was Gott mit dem Menschen vorhat“ (2).

Jeder Humanismus betont die zentrale Stellung des Menschen und versucht, zur individuellen persönlichen Entfaltung eines jeden beizutragen. Im Laufe der Geschichte sind viele Humanismen aufgetreten. Obwohl deren Wertschätzung für das Menschliche als ein vages gemeinsames Element angesehen werden kann, sind sie vom moralischen und sozialen Standpunkt aus gesehen weder gleich noch gleichwertig. Einige von ihnen führen zu einem schlimmen Individualismus, andere unterdrücken oder vermindern die individuelle Freiheit zugunsten des Kollektivs.

Im Gegensatz dazu bietet der christliche Humanismus, wie er sich in den kirchlichen Dokumenten über die Soziallehre (3) darstellt, eine umfassende Sicht der menschlichen Person: eine Sicht, die sowohl die individuelle als auch die soziale Dimension berücksichtigt, und die den Menschen nicht auf eine bloß innerweltliche Sphäre beschränkt, ohne weitere Horizonte als jene der Nützlichkeit und des Hedonismus. Der christliche Humanismus stellt sich sowohl den relativistischen Ideologien entgegen als auch jenen, die sich als „neutral“ deklarieren, die aber im Grunde einige Werte überbetonen, welche schlussendlich leicht dahin führen, dass die Personen zu bloßen Produktionsmitteln oder simplen Konsumenten reduziert und fast ausschließlich nach dem Maß ihrer Fähigkeit zur Gewinnsteigerung des Unternehmens bewertet werden.

Der christliche Humanismus steuert ein solides Fundament bei um eine aktuelle Tendenz zu verändern. „Die gegenwärtige Kultur,“ - wie Papst Benedikt XVI erläutert hat – „die sehr stark geprägt ist von einem Subjektivismus, der nicht selten in einen extremen Individualismus oder in den Relativismus übergeht, verleitet den Menschen dazu, die eigene Person zum einzigen Mass seiner selbst zu machen und dabei andere Ziele aus den Augen zu verlieren, die nicht auf das eigene Ich ausgerichtet sind, das zum einzigen Bewertungsmassstab für die Realität und die persönlichen Entscheidungen geworden ist.“ (4)

Christus, Maß des wahren Humanismus

Wir Christen haben ein konkretes Vorbild um gut zu handeln und zutiefst menschliche Beziehungen zu gestalten: unser Herr Jesus Christus, der „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist, „das Licht der Welt“ (Joh 8,12), „das Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15), und obwohl er Gott gleich war, „sich erniedrigte und Knechtsgestalt annahm, ...“ (Phil 2,6-7). Er ist „vollkommener Gott und vollkommener Mensch“, wie es in einem alten Glaubensbekenntnis aus den ersten Jahrhunderten heißt (5) und wie es der hl. Josefmaria gerne wiederholte. Christus ist, ohne aufzuhören, Gott zu sein, durch die Inkarnation ein Mensch aus Fleisch und Blut: „Mit Menschenhänden hat er gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem menschlichen Willen hat er gehandelt, mit einem menschlichen Herzen geliebt.“ (6)

Es muss dennoch klargestellt werden, dass die Nachfolge Christi in keiner Weise ein simpler „Humanismus“ist. Jesus Christus kam, um die Erlösung von den Sünden zu bringen, die Menschen mit Gott auszusöhnen, für alle die Pforten des ewigen Lebens zu öffnen. Der jetzige Hl. Vater hat es zutreffend ausgedrückt, als er in seinem Buch „Jesus von Nazaret“ die Frage formulierte, die vielen Nichtchristen über die Lippen kommt: „Was hat denn euer 'Messias' Jesus gebracht? Er hat nicht den Weltfrieden gebracht und das Elend der Welt nicht überwunden.“ Die Antwort des Papstes ist überzeugend in ihrer Einfachheit: „Er hat den Gott Israels zu den Völkern getragen, so dass alle Völker nun zu ihm beten und in den Schriften Israels sein Wort, des lebendigen Gottes Wort erkennen. Er hat die Universalität geschenkt, die die eine große und prägende Verheißung an Israel und an die Welt ist. Die Universalität, der Glaube an den einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs in der neuen Familie Jesu über alle Völker hin und über die fleischlichen Bande der Abstammung hinaus – das ist die Frucht von Jesu Werk.“ (7).

Es gibt, im Gegensatz dazu, andere Humanismen, die nicht nur von Jesus Christus weit entfernt sind sondern sich gegenüber Gott und jeglicher Transzendenz verschließen. Manchmal gehen sie sogar so weit, jeden Gottesbezug als Hindernis für die Betonung der Würde des Menschen zu betrachten oder hinderlich dafür, dass dieser seine Fülle erreiche. In der Tat geschieht genau das Gegenteil: Gott nimmt nicht nur dem Menschen keineswegs seine Würde, sondern verleiht ihr das solideste Fundament und ermöglicht ihre volle und authentische Verwirklichung. Zugleich vermittelt die christliche Offenbarung neues Licht, um das vernunftbegabte Geschöpf in seinen tiefsten Dimensionen zu verstehen.

Jenen „Humanismen“, die Gott und dem Geist gegenüber verschlossen und innerhalb von Ideologien entstanden sind, die dazu führen, dass Bürger dieser Welt unter der Herrschaft anderer stehen, stellen wir Christen Jesus Christus gegenüber in der vollen Überzeugung, dass Er das vollkommene Modell der Humanität darstellt, ein machtvolles Licht um die ganze Gesellschaft und deshalb auch die Welt der Unternehmen und ihrer Beziehungen zu vermenschlichen.

Am Tag vor seiner Wahl zum römischen Pontifex erwähnte Kardinal Joseph Ratzinger in einer bemerkenswerten Homilie die Versuchung des Fundamentalismus und verwies zugleich auf eine andere Gefahr: jene der „Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und die als letztes Maß nur das eigene Ich und seinen Willen gelten lässt. Wir aber haben einen anderen Maßstab: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist der Maßstab für den wahren Humanismus.“ (8). Wenige Tage später, inzwischen bereits als Nachfolger Petri, insistierte er erneut darauf, Christus als „Maß des wahren Humanismus“ ((9)) zu bezeichnen. Und in seiner Enzyklika „Spe salvi“ hat er dieselbe Idee von einer anderen Warte aus betont. Er ging dabei von einer Darstellung Jesu aus, wie sie auf einigen antiken Sarkophagen zu finden ist: als der wahre „Philosoph“. Mit diesem Bild haben die ersten christlichen Intellektuellen Jesus Christus mit den großen Denkern der Antike verbunden, die über den Menschen lehrten und über die Kunst, ein würdiges Leben zu führen. „Christus ist der wahre Philosoph“, betont der Papst, und fügt hinzu „Er sagt uns, wer der Mensch wirklich ist und was er tun muß, um wahrhaft ein Mensch zu sein.“ (10).

Die christliche Botschaft ist somit nicht losgelöst vom gewöhnlichen Alltag des Menschen auf der Erde. Jesus „macht ... dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung.“ (11), durch seine Gegenwart in der Welt und durch seine Worte. Er zeigt uns eine neue Weise, die Person und das Menschliche zu verstehen. Er bringt uns einen attraktiven Humanismus, der alle Wechselfälle und Phasen unserer Existenz erhellt, einen Humanismus universaler Reichweite zum Wohle aller.

Vielleicht könnte man fragen: „Jesus Christus heutzutage als Maß für den wahren Humanismus zu sehen, bedeutet das nicht, sich auf die Vergangenheit zu berufen? Ist das nicht anachronistisch in einer Gesellschaft, die von manchen als post-christlich bezeichnet wird?“ Die klare, freudige Antwort zeigt sich in einem deutlichen„Nein“. Nein, Christus lebt! Das ist die große Wahrheit, die unserem Glauben das Fundament gibt.“ (12), rief der hl. Josefmaria aus. Und er fügte seinem Kommentar zum Hebräerbrief hinzu: „Christus ist nicht eine Gestalt, die vorübergegangen ist, nicht eine Erinnerung die im Lauf der Geschichte verblasst“ (13). Christus lebt für immer: gestern, heute und in alle Ewigkeit (Hb 13,8) (14). Weit entfernt davon, eine Persönlichkeit vergangener Zeiten zu sein, ist Jesus Christus zu allen Zeiten gegenwärtig. Wir Christen wissen durch die Gnade Gottes, dass Er lebt und für alle das vollkommene Maß des wahren Humanismus ist.

Christlicher Humanismus im Unternehmen

Sprechen wir jetzt vom Humanismus in der Unternehmensführung. Wie bei jeder Art von Machtausübung über andere Menschen liegt auch in diesem Bereich eine bestimmte Sicht der Person, des Unternehmens und dessen Auftrag in der Gesellschaft zu Grunde. Der christliche Humanismus und seine Aussagen, die eine großartige Bereicherung für die Erkenntnis unseres menschlichen Seins darstellen, liegt nicht nur der Unternehmensführung nicht fern, sondern erschließt ihr eine wirklich menschliche Sichtweise, die sich dem Dienst am anderen öffnet und neue Horizonte aufzeigt. Seine Inhalte schließen konkrete moralische Normen und Prinzipien mit ein, aber letztlich besteht der hauptsächliche Bezugspunkt in den Taten und Worten Jesu Christi. Er gibt sich uns zu erkennen als lebendiges und ewig gültiges Vorbild, als wesentliche Norm des moralischen Verhaltens. Auf ganz besondere Weise zeigt das sein Gebot der Nächstenliebe, dessen Beispiel und Maß Jesus selbst ist (Joh 15,12).

Die wahre Philanthropie (Liebe zu den Menschen in der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Begriffes, manchmal missdeutet durch Gebrauch und Missbrauch) führt dazu, die Personen um ihrer selbst willen zu schätzen, jenseits irgendwelcher Überlegungen, wie viel sie produzieren oder zur Gesellschaft beitragen. Von vielen Menschen und auch auf internationalen Foren und Konventionen wird heutzutage anerkannt, dass jede Person Wertschätzung und Respekt verdient. Diese Überzeugung ist tief verwurzelt – mindestens in der Theorie – und ist großteils Frucht des christlichen Einflusses. Der Römische Pontifex verwies auf diese Tatsache bei seinem jüngsten Vortrag vor der UNO-Vollversammlung, aus Anlass des 60-jährigen Bestehens der Menschenrechtserklärung. (15)

Die Betonung der Würde jeder Person findet besondere Resonanz und ihren konkretesten Ausdruck im christlichen Glauben. Wie es der hl. Josefmaria betonte, ist das die große Kühnheit des christlichen Glaubens: den Wert und die Würde der menschlichen Natur zu verkünden und zu bekräftigen, dass wir geschaffen sind, um mittels der Gnade, die uns zur übernatürlichen Ordnung erhebt, die Würde der Kinder Gottes zu erreichen. Eine sicherlich unfassbare Kühnheit, würde sie sich nicht auf den Heilswillen Gottes des Vaters stützen, und wäre sie nicht bestätigt durch das Blut Christi und bekräftigt und ermöglicht durch das beständige Wirken des Hl. Geistes. (16).

Der christliche Humanismus verlangt, die Struktur des Egoismus zu überwinden, des bloßen Nützlichkeitswahns, und sie zu ersetzen durch jene der Gegenseitigkeit und der Hingabe. Es stimmt, dass die Logik des Marktes und die kontraktuellen Beziehungen auf dem Austausch beruhen, aber dieser Handel und dieser Umgang müssen zur Reziprozität führen, sodass beide Seiten gewinnen. Im Unternehmen, in dem Personen gemeinsam Ziele anstreben, bilden die Unternehmer und die Angestellten eine Gemeinschaft, in der es Gegenseitigkeit geben muss, und die, wie in jeder menschlichen Beziehung, die gegenseitige Hingabe erleichtern und den Dienst im besten Sinne des Wortes bestärken muss, wie wir es im Alltag Jesu Christi betrachten können.

Von der Soziallehre der Kirche aus gesehen ist das Unternehmen vor allem eine Gemeinschaft von freien und verantwortlichen Personen, die gemeinsam Ziele anstreben, arbeiten, sich mit ihren Fähigkeiten einbringen, sich in ihrem Menschsein entwickeln und wirksam zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen beitragen. Papst Johannes Paul II bemerkte: Das Unternehmen darf nicht ausschließlich als "Kapitalgesellschaft" angesehen werden; es ist zugleich eine "Gemeinschaft von Menschen", zu der als Partner in je verschiedener Weise und mit spezifischen Verantwortlichkeiten sowohl jene beitragen, die das für ihre Tätigkeit nötige Kapital einbringen, als auch jene, die mit ihrer Arbeit daran mitwirken. (17)

Wenn wir auf diese Weise die vielfältigen sozialen Funktionen des Unternehmens betrachten, entdecken wir den stets relativen Wert des Gewinns, der ihm außerdem nur durch die Hinordnung auf ein höheres Ziel zukommt. Papst Johannes Paul II zögert nicht mit der Feststellung, Die Kirche anerkennt die berechtigte Funktion des Gewinnes als Indikator für den guten Zustand und Betrieb des Unternehmens;. aber ergänzt unmittelbar, der Zweck des Unternehmens ist nicht bloß die Gewinnerzeugung, sondern auch die Verwirklichung als Gemeinschaft von Menschen, die auf verschiedene Weise die Erfüllung ihrer grundlegenden Bedürfnisse anstreben und zugleich eine besondere Gruppe im Dienst der Gesamtgesellschaft bilden. (18)

Der heilige Josefmaria verteidigte äußerst energisch die Bedeutung der menschlichen Arbeit, die über den ökonomischen Wert weit hinausreicht, obschon sie ihn einschließt: Es wird Zeit für uns Christen, laut und deutlich zu verkünden, daß die Arbeit eine Gabe Gottes ist und daß es unsinnig ist, die Menschen nach der Art ihrer Arbeit in verschiedene Gruppen einzuteilen, indem man ihre Tätigkeit je nachdem als mehr oder weniger würdig einstuft. Die Arbeit - jede Arbeit - zeugt von der Würde des Menschen und seiner Herrschaft über die Schöpfung. Sie ist ein Feld, auf dem wir unsere Persönlichkeit entwickeln. Sie verbindet uns mit den anderen Menschen, sie schafft die Mittel zum Unterhalt der eigenen Familie, sie läßt uns mithelfen an der Verbesserung der gesellschaftlichen Bedingungen und am Fortschritt der ganzen Menschheit. (19)

Diese anspruchsvolle und umfassende Sicht jeglicher ehrbaren beruflichen Tätigkeit verlangt eine adäquate Organisation des Unternehmens und bestimmte Arbeitsbedingungen. Sie fordert einerseits von den Führungskräften, das Unternehmen derart zu gestalten, dass Würde und Menschenrechte aller Personen geachtet und gefördert werden; sie verlangt außerdem, den entsprechenden Einsatz an den Tag zu legen, sowie die Bildung von Strukturen, die der individuellen persönlichen Entfaltung aller Menschen im Unternehmen zuträglich sind. Diese die Führungsarbeit prägende Dimension stellt ein wahres ethisches Gebot dar und steht der Effizienz der Produktion und den wirtschaftlichen Ergebnissen in keiner Weise entgegen. Im Gegenteil: zahlreiche Studien belegen, dass die Sorge um die Mitarbeiter und ihre gesamtheitlich-menschliche Entwicklung der wesentliche Schlüssel für das gelingende Funktionieren des Unternehmens ist.

Christlicher Humanismus in der Unternehmensführung

Jenseits dieser strukturellen Dimension der Führungsarbeit in Organisationen muss sich der christliche Humanismus vor allem in den Personen heranbilden. Ich beziehe mich hier auf Personen mit Leitungsaufgaben in Unternehmen. Ihre Arbeit erfordert Bildung, Erfahrung, technische Fähigkeiten und, nicht zuletzt, die Einübung der Tugenden.

Der christliche Glaube lehrt alle den Weg dieser guten wirksamen „Gewohnheiten“ und ihre Übung; im besonderen – das kann man wirklich behaupten – jene, die Führungsaufgaben innehaben. Die Tugenden bereichern sie nicht nur persönlich, sondern auch als Führungskräfte. Die Übung der menschlichen Tugenden (die beim Christen durch die Liebe geprägt sind) stellt sich in der Führungsarbeit als äußerst wichtig heraus. Ich beschränke mich darauf, die Notwendigkeit kurz zu betrachten, die anderen zu lieben und ihnen zu dienen.

Die Menschen zu lieben, alle und jeden einzelnen, sie zu respektieren wie sie es verdienen, verlangt an erster Stelle, jedes Individuum in seiner Einzigartigkeit zu entdecken: seine Bedürfnisse, seine Art und Weise zu sein, seine Talente, seine Lebensumstände. Niemals können sie als bloßes Mittel, oder als Zahlen in einer Statistik, oder als bloße Figuren für strategische Schachzüge betrachtet werden. Wenn man ihnen, z.B., eine Verantwortung oder die Erfüllung einer Aufgabe überträgt, verdienen sie immer Respekt für ihre Intelligenz und Initiative. Unabhängig von ihrer Situation als Arbeiter, Klienten, Aktionäre oder Lieferanten müssen alle empfinden, dass man ihnen mit Freundlichkeit und Verständnis begegnet: gegenüber allen muss die Goldene Regel beachtet werden, die uns Christus hinterlassen hat: Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! (Mt 7,12)

In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dem persönlichen und individuellen Dialog Raum zu geben. Das Leben in einem Unternehmen bietet andauernd Gelegenheiten, um auch in diesem Punkt Jesus Christus nachzuahmen, der immer bereit war, sich allen zu widmen, die seine Hilfe suchten. Dieser persönliche Umgang ist die Voraussetzung für echte Hilfe und Dienst, und stellt einen sehr wichtigen Teil des wahren Humanismus dar.

Nach dem Vorbild des Menschensohnes, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen sondern um zu dienen (Mt 20,28), hat der christliche Humanismus eine große Wertschätzung für den Dienst, für den Wunsch zu arbeiten, um zum Wohl der anderen beizutragen.

Dieser Geist des Dienstes zeigt sich zunächst durch eine gute Vorbereitung auf den eigenen Beruf, und führt dann dazu, die realen Bedürfnisse der anderen zu entdecken und alles zu unternehmen, um ihnen entgegenzukommen. Im Unternehmen, wie in jeder Organisation oder menschlichen Gemeinschaft, bieten sich dauernd Gelegenheiten, den anderen zu dienen. Weder hat es einen Sinn, alles zu regeln, das wäre unmenschlich, noch lässt sich das Ambiente und die gute Entwicklung eines Unternehmens auf eine akribische Liste von Rechten und Pflichten reduzieren. Wie jede auf das Wohl von Menschen ausgerichtete Gesellschaft wird auch das Unternehmen dank der freudig und großzügig hingegebenen Personen aufgebaut und weiterentwickelt, die von einem Geist des Dienstes beseelt sind, der sich in der Zusammenarbeit mit den anderen ausdrücken muss indem man bereit ist zur gegenseitigen Solidarität und Unterstützung, um einmal den rechten Rat zu geben, eigene Erfahrungen mitzuteilen, in einem Wort, um niemanden im Regen stehenzulassen.

Ein anderer Wesenszug, den der hl. Josefmaria besonders liebte und oft hervorhob und der eine wichtige Rolle im christlichen Humanismus spielt, ist die persönliche Kohärenz: Unser Leben bildet eine Einheit, die all unser Tun trägt und durchdringt. (20)

Die Einheit des Lebens stellt sich jenem Zwiespalt entgegen, auf der einen Seite eine Beziehung zu Gott zu pflegen, und auf der anderen, getrennt davon, das berufliche, familiäre und soziale Leben. Das christliche Verhalten eines Unternehmers muss sich bei seiner Führungstätigkeit bemerkbar machen, ohne in materialistische Haltungen oder in falsche Spiritualismen zu verfallen. Der hl. Josefmaria sagte seit den Anfängen seiner pastoralen Tätigkeit zu denjenigen, die sich seiner priesterlichen Arbeit näherten, sie müssten lernen, das geistliche Leben zu materialisieren (21). Er stützte diese seine Aussage vor allem auf den christlichen Glauben an die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Aufgrund dieses großen Liebeserweises des Herrn an seine Geschöpfe bestand er darauf, dass es möglich sei, allem materiellen einen geistlichen, ewigen Sinn zu verleihen. Deshalb zögerte er nicht mit der Behauptung, man müsse, in aller Kohärenz, einen christlichen Materialismus pflegen: Ja, es ist durchaus berechtigt, von einem christlichen Materialismus zu sprechen, der sich mutig allen geistverneinenden Materialismen entgegenstellt.(22).

Das Institut IESE soll durch seine Bildungstätigkeit dazu beitragen, dass sich dieses schöne Ideal in vielen Männern und Frauen verwirklicht. In seinem priesterlichen Eifer sehnte sich der hl. Josefmaria schon vor fünfzig Jahren danach, als IESE unter seinem Antrieb die ersten Schritte unternahm.

Als Großkanzler der Universität von Navarra danke ich Gott, denn Er bediente sich während dieser Jahrzehnte, um diese Ideale vielen Menschen zu vermitteln, eurer im Geist des Dienstes und mit beruflicher Kompetenz durchgeführten Arbeit sowie der Arbeit jener, die uns vorangegangen sind und uns jetzt vom Himmel aus zusehen. Und, da Gott sich an Großzügigkeit nicht übertreffen lässt, wie es der hl. Josefmaria gerne ausdrückte, hat der Herr diese Ideale in vielen Seelen und an den unterschiedlichsten Orten Frucht bringen lassen.

Ich weiß sehr gut, dass ihr ein lebendiges Gespür dafür habt und das Ziel nicht aus den Augen verliert, in diesem euren Arbeitsbereich alles im Dienst an den Menschen auf Gott auszurichten, wie es ja auch die Organisation dieses Symposiums deutlich zeigt. Mittels unterschiedlicher Programme und diverser Medien bemüht ihr euch, diesen geistigen Reichtum weiterzugeben und an der Verbesserung und Humanisierung breiter Bereiche der Gesellschaft mitzuwirken.

Zugleich wollen wir voller Optimismus bedenken, dass noch vieles zu tun bleibt, dass der Horizont einer noch profunderen Hingabe an die anderen sehr weit ist und auch höchst attraktiv.

Vieles bleibt also zu tun. Es ist notwendig, noch weit mehr zu erreichen. Deshalb ist es entscheidend, dass ihr vor allem in der Verwirklichung des christlichen Humanismus beispielhaft voranschreitet, dessen Reichtum unerschöpflich ist. Eine sehr deutliche Aussage des hl. Josefmaria kann praktisch das zusammenfassen, was ich euch in Erinnerung rufen wollte: ich messe die Wirksamkeit der apostolischen Unternehmungen – in diesem Fall von IESE – am Grad der Heiligkeit der Personen, die dort arbeiten.

Zweifeln wir nicht daran, auch IESE kann und muss eine Schule der Heiligkeit sein, durch das Streben nach menschlicher und christlicher Vollkommenheit in den Arbeiten, die ihr vollbringt. Mit großer Treffsicherheit erinnerte euch der hl. Josefmaria bei seiner Reise hierher im Jahr 1972 – und er untermauerte es mit dem Evangelium in der Hand – , dass der Herr als Vorbild den ehrlichen und treuen Verwalter – den Manager – hinstellte.

Der Heiligen Jungfrau vertraue ich auf die Fürsprache des hl. Josefmaria alle Professoren, Direktoren, Angestellten, Schüler und ehemalige Schüler von IESE mit ihren Familien an.

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(1) Vaticanum II, Gaudium et spes, n. 63.

(2) Ibid., n. 64.

(3) Siehe z.B. Kompendium der kirchlichen Soziallehre, publiziert von der päpstlichen Kommission “Justitia et Pax”, Libreria Editrice Vaticana, Rom 2004.

(4) Benedikt XVI, Botschaft an die Teilnehmer der X. öffentlichen Sitzung der Päpstlichen Akademien, 5-XI-2005.

(5) Vgl. Symbolum Athanasianum (Quicumque).

(6) Vaticanum II, Gaudium et spes, n. 22.

(7) Joseph Ratzinger-Benedikt XVI, Jesus von Nazaret, 2007, Herder, Seite 149

(8) Kard. Joseph Ratzinger, Homilie in der Messe „pro eligendo Pontifice“, 18-IV-2005.

(9) Benedikt XVI, Ansprache an den römischen Klerus, 13-V-2005.

(10) Benedikt XVI, Spe salvi, 30-XI-2007, n. 6.

(11) Vaticanum II, Gaudium et spes, n. 22.

(12) hl. Josefmaria, Christus begegnen, n. 102.

(13) hl. Josefmaria, Der Weg, n. 584.

(14) hl. Josefmaria, Gespräche, n. 72.

(15) vgl. Benedikt XVI, Ansprache vor der UNO-Vollversammlung, 18-IV-2008.

(16) hl. Josefmaria, Christus begegnen, n. 133.

(17) Johannes Paul II, Centesimus annus, 1-V-199l, n. 43.

(18) Ibid., n. 35.

(19) hl. Josefmaria, Christus begegnen, n. 47.

(20) hl. Josefmaria,Christus begegnen, n. 126.

(21) hl. Josefmaria, Homilie „Die Welt leidenschaftlich lieben“, 8-X-1967; in “Gespräche”, n. 114

(22) Ibid., n. 115.