Betrachtungstext: 6. Sonntag des heiligen Josef

Schwierigkeiten und Kreativität in Josefs Leben – Die Haltung gegenüber den Herausforderungen in einer ganz normalen Familie – Das Licht Gottes im Alltag annehmen

DAS LEBEN des heiligen Josef war geprägt von mehreren großen Herausforderungen. Die Tradition, sich an den sieben Sonntagen vor seinem Fest besonders auf ihn auszurichten, entstand, um seine sieben Freuden, aber auch seine sieben Leiden zu betrachten. Eine davon erlebte er, als Jesus mit zwölf Jahren ohne das Wissen seiner Eltern im Tempel von Jerusalem blieb. Als sie ihn nach drei Tagen endlich fanden, rief Maria aus: Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht (Lk 2,48). Die Heilige Schrift lässt keinen Zweifel: Josef hatte unzählige Stunden in großer Sorge verbracht, gequält von der Angst, das Kostbarste in seinem Leben verloren zu haben.

Da ist aber auch sein Kummer, als der Engel ihm sagt: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten (Mt 2,13). Diese Worte sind eindringlich, ja beängstigend – umso mehr, wenn man sie wie Josef in der Dunkelheit der Nacht vernimmt.

Warum musste ein gerechter Mann wie Josef solche Prüfungen durchstehen? Warum scheint es oft so, dass gerade jene, die mit größter Ehrlichkeit und Hingabe handeln, besonders viele Schwierigkeiten erfahren? Wenn wir an die Herausforderungen denken, die Josef bewältigen musste – eine Unterkunft für Jesus finden, als Fremder in einem unbekannten Land leben –, dann stellen wir uns dieselbe Frage, die auch Papst Franziskus aufwirft: „Warum ist Gott nicht direkt und klar eingeschritten?“ Gott ist eingeschritten, doch er wirkt durch Menschen und Geschehnisse. Josef war gerade der Mann, durch den Gott für die Absicherung der Anfänge der Erlösung Sorge trug. Josef selbst war das „Wunder“, durch das Gott das Kind und seine Mutter rettete. Der Himmel griff ein – nicht durch ein spektakuläres Zeichen, sondern indem er auf den kreativen Mut dieses Mannes vertraute.1

Josef wusste, dass Schwierigkeiten keine Fremdkörper in Gottes Plan sind. Im Gegenteil, sie können Momente des Wachstums sein – in der Beziehung zu Gott, aber auch in der eigenen Persönlichkeit. Der heilige Patriarch ist ein inspirierendes Vorbild und ein kraftvoller Fürsprecher. Er kann uns lehren, Mut und Kreativität aus uns selbst zu schöpfen, um unsere Umgebung und unser Herz immer mehr zu einem Ort Gottes zu machen. Denn oft sind es gerade die Herausforderungen, durch die der Herr uns mit einer besonderen Aufgabe betraut – auch wenn wir sie nicht immer sofort verstehen.


DIE HERAUSFORDERUNGEN der Heiligen Familie waren die alltäglichen Probleme einer gewöhnlichen Familie – Herausforderungen, die auch wir kennen und die manchmal schwer auf uns lasten: Umzüge, Wohnungswechsel, Einkommensverlust, Bedrohungen, Zweifel … In vielerlei Hinsicht führte der heilige Josef ein ganz normales Leben – und genau das macht ihn uns so nah.

Denken wir auch an dieses von Papst Franziskus angeführte Beispiel: „Das Evangelium gibt keine Auskunft über die Zeit, in der sich Maria und Josef und das Kind in Ägypten aufhielten. Sicherlich mussten sie essen, eine Bleibe finden und Arbeit suchen. Es braucht nicht viel Phantasie, um das diesbezügliche Schweigen des Evangeliums zu füllen. Die Heilige Familie musste sich den gleichen konkreten Problemen stellen wie jede andere Familie.“2 Gott hätte viele dieser Herausforderungen direkt lösen können – damals wie heute. Doch in seiner göttlichen Weisheit hat er es anders gewollt: Er hat uns Menschen die Verantwortung überlassen. Bei ihm allein sind Weisheit und Heldenkraft, bei ihm sind Rat und Einsicht (Hiob 12,13). Sein größtes Wunder sind die Fähigkeiten, die er uns geschenkt hat – bereichert durch die Gaben des Heiligen Geistes.

Blicken wir auch auf den heiligen Josefmaria. Er erlebte von frühester Kindheit an Prüfungen und Leiden, die ihn zweifellos auf seine Aufgabe vorbereiteten, Vater und geistlicher Führer vieler Menschen zu sein. Der frühe Tod dreier kleiner Schwestern, der wirtschaftliche Ruin der Familie, Missverständnisse mit nahen Verwandten und der Verlust seines Vaters kurz vor seiner Priesterweihe waren sehr schmerzhafte Erfahrungen. Doch zugleich segnete der Herr ihn mit menschlicher und übernatürlicher Kraft, um das Werk zu vollbringen, das ihm anvertraut wurde. So handelt Gott mit den Seinen: Er stellt uns vor Herausforderungen, er stattet uns aber auch mit den nötigen Gaben aus, um sie zu meistern. Der heilige Josefmaria schrieb, dass durch diese Gaben „in den Seelen und in der Gesellschaft Friede und Eintracht befestigt werden: Toleranz, Verständnis, ein Miteinander, Liebe“3.

Am Beispiel des heiligen Josef wollen wir lernen, mutig, tatkräftig und aufmerksam zu sein – immer bereit, die gewöhnlichen Wunder, die Gott von uns verlangt, in die Tat umzusetzen. Auch das Leben des heiligen Josefmaria war nie frei von Problemen, doch sein tiefer Glaube ließ ihn in allem die Hand Gottes erkennen, die uns niemals verlässt.


DER HEILIGE JOSEFMARIA lehrte, dass das gewöhnliche Leben eine Gelegenheit zur Begegnung mit Gott ist: „Jede noch so alltägliche Situation birgt etwas Heiliges, etwas Göttliches in sich, und euch ist aufgegeben, das zu entdecken.“4 Das Leben selbst ist also von einem göttlichen Sinn durchdrungen. Wir können Gott nicht finden, ohne das Wunder des Gewöhnlichen zu erkennen. Der Herr verbirgt sich in den kleinen Dingen des Lebens, ohne sich aufzudrängen, damit wir ihn in Freiheit suchen können. Und zum gewöhnlichen Leben gehören eben auch die kleinen Schwierigkeiten des Alltags: die Dinge, die nicht wie geplant laufen, die zwischenmenschlichen Spannungen, die Probleme in der Arbeit.

„Wenn man vor einem Problem steht, kann man entweder aufgeben und das Feld räumen“, schrieb Papst Franziskus, „oder man kann es auf irgendeine Weise angehen. Manchmal sind es gerade die Schwierigkeiten, die bei jedem von uns Ressourcen zum Vorschein bringen, von denen wir nicht einmal dachten, dass wir sie besitzen.“5

Solche Umstände sind auch eine Gelegenheit, Gott um mehr Licht zu bitten, unsere Beziehung zu ihm zu vertiefen und aus seiner Nähe Kraft zu schöpfen. So wie Josef in den entscheidenden Momenten das richtige Wort vernahm, um seine Familie zu führen und zu beschützen, so können auch wir die Stimme des Herrn in unserem Leben erfahren. Sie ermutigt uns, dort Verständnis, Frieden, Kraft und Mut aufzubringen, wo sie gebraucht werden.

Papst Franziskus gibt uns eine klare Empfehlung: „Von Josef müssen wir Fürsorge und Verantwortung lernen: das Kind und seine Mutter zu lieben; die Sakramente und die Nächstenliebe zu lieben; die Kirche und die Armen zu lieben. Jede dieser Wirklichkeiten ist immer das Kind und seine Mutter.“6


1 Vgl. Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris Corde, Nr. 5.

2 Ebd.

3 Hl. Josefmaria, Brief 3, Nr. 38.

4 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 114.

5 Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris Corde, Nr. 5.

6 Ebd.