WIR BEGINNEN die heutige Messe mit Worten aus dem Buch der Weisheit. Sie spannen den Themenbogen zwischen Sünde, Umkehr und Barmherzigkeit Gottes und stimmen uns ein auf die Fastenzeit: „Du erbarmst dich aller, o Herr, und hast Nachsicht mit den Sünden der Menschen, damit sie sich bekehren; denn du bist der Herr, unser Gott.“1
Während der liturgischen Feier treten wir nach vorn, um vom Priester ein Kreuz aus Asche auf die Stirn oder das Haupt gezeichnet zu bekommen. Dabei erklingen entweder die Worte Jesu: Tut Buße und glaubt an das Evangelium (Mk 1,15), oder der Mahnruf aus dem Buch Genesis: Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst (Gen 3,19). Die eindrückliche Geste ruft uns einerseits die Vergänglichkeit unseres Lebens ins Bewusstsein, andererseits aber auch die zärtliche Liebe Gottes, der uns beständig sucht. Der heilige Josefmaria kommentierte einmal: „Die Liturgie der Fastenzeit trägt bisweilen tragische Züge, da wir betrachten, was es für den Menschen bedeutet, sich von Gott zu trennen. Doch dies ist nicht das letzte Wort. Das letzte Wort spricht Gott selbst: Es ist das Wort seiner erlösenden und erbarmenden Liebe, das Wort unserer Gotteskindschaft.“2
Es gibt Momente in unserem Leben, in denen wir uns unserer Hinfälligkeit schmerzlich bewusst werden: Schwierigkeiten in der Familie oder am Arbeitsplatz, gesundheitliche Probleme, unerwartete Schicksalsschläge – vor allem aber die Erfahrung der Last der Sünde in uns. In solchen Augenblicken fühlen wir uns vielleicht tatsächlich wie „Staub und Asche“. Doch der christliche Glaube schenkt uns die Gewissheit, dass Gottes Barmherzigkeit größer ist als unsere Schwäche. Auch in unserer Begrenztheit können wir mit dem Psalmisten jubeln: Erfüllt von der Huld des Herrn ist die Erde (Ps 33,5). Gottes Güte ist außerdem so groß, dass er uns gerade dann, wenn wir uns von ihm entfernen, eine tiefe Sehnsucht nach seiner Liebe ins Herz legt. Die Fastenzeit ist ein günstiger Moment, diese Sehnsucht in Umkehr zu verwandeln – in eine Rückkehr zum Vater, um seine Liebe neu zu erfahren.
OBWOHL wir unser Leben eingehüllt in die Barmherzigkeit Gottes leben, kann es geschehen, dass wir ihn aus den Augen verlieren. Das ist umgekehrt nicht der Fall, Gott verliert uns nie aus den Augen und sieht sogar im Verborgenen (Mt 6,4): Er kennt auch das Innerste unseres Herzens. Jesus mahnt daher, Almosen, Gebet und Fasten nicht zur Schau zu stellen. Denn wer auf menschliche Anerkennung aus ist, stellt Gott hintan und seine guten Taten verlieren an Wert. Die Fastenzeit ist eine Einladung, weniger nach außen gekehrt zu leben und stattdessen unser Inneres neu auszurichten – um die Wirklichkeit in ihrer ganzen übernatürlichen Tiefe zu erfassen.
Der heilige Papst Johannes Paul II. sagte über die Fastenzeit: „Wir reifen geistlich, wenn wir uns zu Gott bekehren, und diese Bekehrung geschieht durch das Gebet sowie durch ein richtig verstandenes Fasten und Almosengeben. Es handelt sich dabei aber nicht nur um vorübergehende ,Praktiken‘, sondern um bleibende Haltungen, die unserer Bekehrung zu Gott Bestand verleihen. Die Fastenzeit dauert liturgisch nur vierzig Tage im Jahr, unsere Hinwendung zu Gott ist hingegen ein fortwährender Prozess. Die Fastenzeit sollte eine tiefe und bleibende Prägung in unserem Leben hinterlassen.“3
Gebet, Almosengeben und Fasten – ein Weg, der auf unsere persönlichen Umstände zugeschnitten ist, wird uns dazu führen, unseren Blick in diesen Tagen zu heben. Papst Franziskus lehrte: „Wenn wir dem Gebet mehr Raum geben, erkennen wir die verborgenen Lügen, mit denen wir uns selbst täuschen, und können endlich nach Gottes Trost suchen. (...) Das Almosengeben befreit uns von der Habsucht und öffnet uns für die Erkenntnis, dass der andere unser Bruder ist: Was ich besitze, gehört nie allein mir. (...) Das Fasten rüttelt uns auf, es macht uns aufmerksamer für Gott und den Nächsten, es erneuert unseren Willen zum Gehorsam gegenüber Gott, der allein unseren Hunger stillt.“4
„SCHAUEN WIR auf den verlorenen Sohn“, machte Papst Franziskus ein anderes Mal Mut, „Dann verstehen wir, dass es auch für uns an der Zeit ist, zum Vater zurückzukehren. Wie der verlorene Sohn haben auch wir den Geruch von Zuhause vergessen und für belanglose Dinge kostbare Güter verschleudert. Nun stehen wir da mit leeren Händen und einem unzufriedenen Herzen. Wir sind gefallen – wie kleine Kinder, die das Laufen lernen und von ihrem Vater aufgehoben werden müssen.“5
Die Erkenntnis, dass die Barmherzigkeit des Herrn die ganze Erde erfüllt, dass er ein Vater ist, der unermüdlich auf uns wartet, lässt uns nicht untätig bleiben. Im Gegenteil, sie weckt in uns den Antrieb, Wege zu finden, um zu Gott zurückzukehren. Ein bevorzugter Weg ist dabei das Sakrament der Versöhnung. Papst Franziskus bekräftigt: „Die Vergebung Gottes, die Beichte, ist der erste Schritt auf unserem Weg der Rückkehr.“6 In ihr begegnen wir dem väterlichen Antlitz Gottes, der uns ermutigt und uns als seine Kinder liebt.
Der heilige Josefmaria sah im menschlichen Leben gewissermaßen „eine ständige Rückkehr in das Haus unseres Vaters“. Es ist ein Heimkehren durch Reue, dieser Umkehr des Herzens, die den Wunsch einschließt, uns zu ändern und unser Leben zu bessern. Die Reue drückt sich daher stets in Werken des Opfers und der Hingabe aus.7 Wir legen unseren Wunsch nach Umkehr und Heimkehr in die Hände Marias, um dem Osterfest ihres Sohnes mit geläutertem Herzen und neuer Freude entgegenzugehen.
1 Messe vom Aschermittwoch, Eröffnungsvers.
2 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 66.
3 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 14.3.1979.
4 Franziskus, Botschaft für die Fastenzeit, 6.2.2018.
5 Franziskus, Predigt, 17.2.2021.
6 Ebd.
7 Vgl. hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 64.