Betrachtungstext: 8. Woche im Jahreskreis – Montag

Die Gebote sind der Weg zur Freude – In Christus kommt uns Gott entgegen – Wir können die Einladung Jesu annehmen oder auch nicht

GUTER MEISTER, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? (Mk 10,17). Mit dieser brennenden Frage trat ein junger Mann an Jesus heran, warf sich vor ihm auf die Knie und eröffnete ein Gespräch. Es ist eine Frage, die – wie Papst Johannes Paul II. bezeugte – „unzählige Generationen von Männern und Frauen, junge und alte, im Laufe der Jahrhunderte an Christus gerichtet haben (...). Es ist die grundlegende Frage eines jeden Christen1 – und letztlich eines jeden Menschen. Dieser junge Mann sehnt sich nach dem, wonach wir alle verlangen: glücklich zu sein – hier auf Erden und später im Himmel.

Der Herr antwortet, so fährt der Papst fort, „pädagogisch einfühlend und behutsam. Er nimmt den jungen Mann gleichsam an der Hand und führt ihn Schritt für Schritt zur Wahrheit hin2. Der Weg, der seinen Durst nach Sinn stillen kann, ist vorgezeichnet: Du kennst doch die Gebote (Mk 10,19). Lebe nach ihnen, mache sie zu deinem Lebensstil.

Das Gesetz, das Gott dem Menschen ins Herz geschrieben und seinem Volk offenbart hat, ist der Weg zum Glück, den er für seine Kinder vorgesehen hat. Auch wenn einige Gebote negativ formuliert sind, um die Grenze zwischen Gut und Böse klar zu markieren, sind sie letztlich ein „Ja“ – ein Ja zu Gott, zu seiner Liebe. Sie sind aber ebenso ein „Ja“ zu unseren Mitmenschen, denn wahre Liebe entspringt einem Herzen, das bereit ist, sich hinzugeben. Schließlich sind sie auch ein „Ja“ zu uns selbst. Die Gebote sind mehr als ein Ziel – sie sind, wie der heilige Papst schrieb, die „erste notwendige Etappe auf dem Weg zur Freiheit3. Durch sie will Gott uns zur wahren Freiheit erziehen. Der heilige Josefmaria betonte: „Der Herr lädt uns ein, ja, er drängt uns geradezu, weil er uns innig liebt, das Gute zu wählen.4


DER JUNGE MANN hörte Jesus aufmerksam zu und antwortete voller Eifer: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Da sah ihn Jesus an, so berichtet das Evangelium, gewann ihn lieb (Mk 10,20-21) und begann mit ihm zu reden. In diesem liebevollen Blick Christi spiegelt sich die Zuneigung Gottes zu den Menschen wider – ein Blick, der nach den Worten Johannes Pauls II. „gleichsam eine Zusammenfassung der ganzen Frohen Botschaft5 ist.

Das wahre Glück entspringt der Erkenntnis, dass Gott uns sucht und uns entgegenkommt. In seiner unermesslichen Barmherzigkeit – so erklärte Papst Franziskus – überwindet Gott „den Abgrund des unendlichen Unterschieds zwischen ihm und uns“ und wird Mensch. Denn „es genügt ihm nicht, durch das Gesetz und die Propheten zu uns zu sprechen, sondern er wird gegenwärtig in der Person seines Sohnes, des fleischgewordenen Wortes. Jesus ist der große ,Brückenbauer‘, der in sich selbst die große Brücke der vollen Gemeinschaft mit dem Vater errichtet.6

Eines fehlt dir noch, fährt Jesus fort. Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! (Mk 10,21). Der Herr drängt den junge Mann nicht, er lädt ihn ein. Und er wartet – mit unermüdlicher Geduld – auf unsere Antwort. Es ist immer Zeit, seiner Einladung zu folgen. „Ich möchte, dass ihr glücklich seid“, sagte der heilige Josefmaria bei einem Familientreffen, „und ich bitte unseren Herrn von ganzem Herzen darum. Doch wenn ihr glücklich sein wollt, müsst ihr bereit sein, unserem Herrn zu folgen und eure Füße dorthin zu setzen, wo er seine hingesetzt hat.“7


DER REICHE junge Mann nahm die Einladung Jesu nicht an. Voller Traurigkeit wandte er sich ab und kehrte in sein gewohntes Leben zurück. Die Evangelisten sind sich über den Grund seiner Weigerung einig: Er hatte ein großes Vermögen (Mk 10,22; vgl. Mt 19,22 und Lk 18,23). Seine Anhänglichkeit an seinen Besitz hinderte ihn daran, den Schritt der Liebe zu wagen. Er war nicht frei genug, um seine Güter loszulassen und ein viel größeres Gut zu erwerben. „Wir lesen im Evangelium, dass er traurig davonging: abiit tristis (Mt 19,22). Deshalb habe ich ihn manchmal als Trauerkloß bezeichnet“, sagte der heilige Josefmaria, „er verlor die Freude, weil er sich weigerte, seine Freiheit Gott hinzugeben.8

Über die hoffnungsvolle Szene legte sich ein Schatten der Enttäuschung. „Nur wir Menschen können (...) uns mit dem Schöpfer in Freiheit vereinigen. Wir können dem Herrn die Ehre erweisen, die ihm als dem Schöpfer der Welt zukommt, wir können sie ihm aber auch verweigern. Darin besteht die Ambivalenz der menschlichen Freiheit.9 Die Heiligen ließen sich vom Heiligen Geist leiten – und ihre Freiheit nahm zu. Sie hielten nicht an den Dingen dieser Welt fest und gewannen dadurch eine Leichtigkeit, die es ihnen ermöglichte, in Gottes Fußstapfen zu treten.

Jesus nachzufolgen bedeutet, seine einfache Lebensweise anzunehmen. Die Armut, so schrieb der heilige Franz von Assisi, „begleitete Christus am Kreuz, mit Christus wurde sie begraben, mit Christus wurde sie auferweckt, mit Christus ist sie in den Himmel aufgefahren; die Seelen, die sich in die Armut verlieben, erhalten schon in diesem Leben die Leichtigkeit, in den Himmel zu fliegen.10. Maria, voll der Gnade und voll der Freiheit, möge uns helfen, uns nicht an vergängliche Güter zu klammern, sondern uns an das höchste Gut zu halten: ihrem Sohn Jesus aus der Nähe zu folgen.


1 Hl. Johannes Paul II., Homilie, 12.10.1997.

2 Hl. Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis splendor, Nr. 8.

3 Ebd., n. 13.

4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 24.

5 Hl. Johannes Paul II., Brief an die Jugendlichen, 31.3.1985, Nr. 7.

6 Franziskus, Angelus-Gebet, 6.9.2015.

7 Hl. Josefmaria, Notizen aus einem Familientreffen, 26.5.1974.

8 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 24.

9 Ebd.

10 Hl. Franz von Assisi, Die Blümlein, Nr. 13.