Betrachtungstext: 2. Woche der Fastenzeit – Mittwoch

Die Größe des Dienens – Der Dienst als Ruf Gottes – Jesus möchte uns mit seinem Leiden vereinen

JEDE MUTTER wünscht das Beste für ihre Kinder. Daher ist verständlich, dass die Mutter von Jakobus und Johannes an Jesus herantritt und ihn bittet: Versprich, dass meine beiden Söhne in deinem Reich rechts und links neben dir sitzen dürfen! (Mt 20,21). Doch zugleich überrascht diese Bitte, weil sie im Widerspruch zu dem steht, was der Messias die Apostel von Anfang an gelehrt hat. Kein Wunder also, dass die anderen zehn Apostel empört reagierten – auch wenn sie tief in ihrem Herzen vielleicht denselben Wunsch hegten.

Wie so oft nutzt Jesus die Gelegenheit, um die Herzen seiner Jünger zu formen. Wer ist der Wichtigste? Seine Antwort ist ebenso schlicht wie herausfordernd: Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein (Mt 20,26-27). Mit göttlicher Geduld korrigiert er ihre menschlichen Ambitionen und kehrt ihre Werteskala radikal um: Die Ersten werden die Letzten sein, und die Letzten die Ersten.

Wer sich an diesen Maßstab hält und nach diesem Prinzip lebt, steht wahrhaftig in der Nachfolge des Herrn. „Er hat den letzten Platz in der Welt – das Kreuz – eingenommen, und gerade mit dieser radikalen Demut hat er uns erlöst und hilft uns fortwährend1, schreibt Benedikt XVI. in Deus Caritas est. Der Dienst Jesu gipfelt in der völligen Hingabe seiner selbst: Das ist mein Leib, das ist mein Blut (Mt 26,26-27).

Papst Franziskus ergänzt: „Wer groß sein will, soll den anderen dienen – und nicht sich der anderen bedienen. Das ist die große Paradoxie Jesu. Während die Jünger darüber stritten, wer den wichtigsten Platz einnehmen würde, kehrt Jesus ihre Logik um und zeigt ihnen, dass wahres Leben in der konkreten Hingabe an den Nächsten besteht. Das heißt: indem man dient.“2


IN DER HEILIGEN SCHRIFT ist das Dienen eng mit einer Sendung Gottes verbunden. Wir sehen dies an Jesus, der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele (Mt 20,28). Er wusch seinen Aposteln die Füße und und nahm den Heilsplan des Vaters an – bis hin zum Tod am Kreuz. Johannes Paul II. fragt dazu: Wie könnte man in der Geschichte des ,Knechtes Jesus‘ nicht die Geschichte jeder Berufung wiedererkennen – eine Geschichte, die unweigerlich über den Ruf zum Dienen führt?“3

Dienen ist das Merkmal all jener, die an der Seite des Herrn gehen wollen. „Während die Großen der Erde sich ,Throne‘ für ihre eigene Macht aufbauen, wählt Gott einen unbequemen Thron, das Kreuz, von dem aus er herrscht und das Leben schenkt.“4 Wer in dieser Haltung dient, eignet sich den Lebensstil Jesu an. Dienen ist keine Erniedrigung, sondern die höchste Berufung des Menschen. Es ist eine Kunst, die nur jene verstehen, die sich als Empfänger der Liebe des gekreuzigten Christus erkannt haben und in ihrem Herzen seinen Ruf spüren.

„Dienen ist etwas Wunderbares“, sagte der heilige Josefmaria, „Es ist der Stolz meines Lebens, Diener aller zu sein. Ich will Gott dienen und aus Liebe zu ihm allen Geschöpfen der Erde.5 Die Entdeckung dieser Wirklichkeit öffnet unser Herz für die Bedürfnisse der anderen, besonders der Bedürftigsten. In einer Fastenbotschaft rief Benedikt XVI. dazu auf: Angesichts einer Welt, die von den Christen ein erneuertes Zeugnis der Liebe und Treue zum Herrn fordert, mögen alle spüren, dass sie sich dringend bemühen müssen, einander in der Liebe, im Dienst und in den guten Werken zu übertreffen (vgl. Hebr 6,10).“6


NACHDEM Jesus die Bitte ihrer Mutter gehört hatte, sprach er zu Jakobus und Johannes: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie sagten zu ihm: Wir können es. Da antwortete er ihnen: Meinen Kelch werdet ihr trinken (Mt 20,22-23).

Dieses Gespräch findet auf dem Weg hinauf nach Jerusalem statt. Jesus weiß, was ihn dort erwartet, und hatte es seinen Jüngern bereits angekündigt: Der Menschensohn wird den Hohepriestern und Schriftgelehrten ausgeliefert; sie werden ihn zum Tod verurteilen und den Heiden ausliefern, damit er verspottet, gegeißelt und gekreuzigt wird (Mt 20,18-19).

Es ist die dritte und letzte Ankündigung seiner Passion. Die Jünger jedoch sind verängstigt und verwirrt. Sie verstehen die Ablehnung des Meisters und die bevorstehenden Leiden nicht – oder wollen sie nicht verstehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass das Reich Gottes über ein Scheitern am Kreuz errichtet wird. Und auch heute noch brauchen wir eine Bekehrung des Herzens, um die Wege des Herrn zu begreifen. Die Fastenzeit bietet uns eine erneute Gelegenheit, unser Verständnis von Jesus zu vertiefen, unseren Blick auf die Welt zu hinterfragen und die Werte zu überdenken, die unsere Beziehungen bestimmen – um sie mit seinen erlösenden Augen zu sehen.

Das Bild des Kelches steht für Schmerz und Tod (vgl. Joh 26,39). Meinen Kelch trinken bedeutet, an Jesu Leidensweg für die Erlösung der Welt teilzuhaben – ein Dienst, der uns zur höchsten Höhe seines Reiches führt. In der Eucharistie erneuern wir diesen Weg. Dort begegnen wir Christus, dem gebrochenen Brot, das sein Blut für alle vergossen hat. Maria, die ihren Sohn bis zum Kreuz begleitete, schenkt uns in dieser Fastenzeit ihre Nähe als Mutter, die für ihre Kinder nur das Beste will – damit auch wir mit Christus den Weg der Liebe und Hingabe gehen.


1 Benedikt XVI., Deus Caritas est, Nr. 35.

2 Franziskus, Predigt, 20.9.2015.

3 Hl. Johannes Paul II., Botschaft, 11.5.2003.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 21.10.2018.

5 Hl.Josefmaria, Brief, 29.7.1965.

6 Benedikt XVI., Botschaft zur Fastenzeit 2012.