Betrachtungstext: 2. Woche der Fastenzeit – Freitag

Der Weinberg, ein Bild für Israel – Misserfolge sind Chancen der Erlösung – Unsere Früchte sind Verherrlichung Gottes

EIN MANN legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land (Mt 21,33). Als die Zeit gekommen ist, schickt er seine Diener, um die Ernte zu holen, die ihm gehört. Unerwartet misshandeln und töten die Winzer seine Gesandten. Der Besitzer des Weinbergs beschließt daraufhin, seinen Sohn zu senden, da er annimmt, dass sie auf diese Weise Achtung haben werden (Mt 21,37). Doch die Landwirte führen anderes im Schilde. Da es sich um den Erben handelt, denken sie, dass sie durch seine Ausschaltung sein Erbe für immer an sich reißen können. Und so schreiten sie zur Tat.

In diesem Gleichnis beschreibt Jesus die Geschichte des Volkes Israel, das „seine Hände“, mit Worten von Johannes Chrysostomus, immer wieder mit Bluttaten“ gegen die von Gott gesandten Propheten „befleckte1. Das Bild vom Weinberg verweist einerseits auf die ständigen Bemühungen des Herrn, sein Volk Früchte bringen zu lassen, andererseits auf die wiederholte Ablehnung des Herrn durch die Menschen, vor allem durch die Führenden des Volkes. Die anwesenden Hohepriester und Pharisäer verstanden sofort, dass er von ihnen sprach (Mt 21,45). Und sie reagieren ganz ähnlich wie die Bauern im Gleichnis: Sie suchten ihn zu ergreifen; aber sie taten es in diesem Moment nicht, denn sie fürchteten die Menge, weil sie ihn für einen Propheten hielt (ebd.).

Doch die Enttäuschung Gottes über das böse Verhalten der Menschen ist nicht das letzte Wort!“, versichert Papst Franziskus bei einem Angelus-Gebet, „Hier liegt die große Neuheit des Christentums: ein Gott, der sich trotz aller Enttäuschung über unsere Fehler und Sünden an sein Wort hält, der uns nicht aufgibt und der sich vor allem nicht rächt! (...) Die Dringlichkeit, mit Früchten des Guten auf den Ruf des Herrn zu antworten, der uns beruft, sein Weinberg zu werden, hilft uns zu verstehen, was da im christlichen Glauben an Neuem und Originellem vorhanden ist.“2


UM DEN SINN des Gleichnisses zu offenbaren, verweist Jesus auf den Psalm 117: Ein Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn her ist dies gewirkt, ein Wunder in unseren Augen (Ps 117,22-23). Es ist der Osterpsalm schlechthin, der in der Liturgie der Osternacht gesungen oder gebetet wird. Der Tod des Sohnes, der endgültig und unbegreiflich erscheint, wird zum Weg der Auferstehung. In Gottes Plänen sind Misserfolge auch Chancen für Heil und Leben.

So ist die Geschichte von Joseph etwa die Geschichte einer Ablehnung und Misshandlung. Auch wenn seine Brüder ihn nicht töten, wird er verraten und für zwanzig Silberstücke an Kaufleute verkauft. Diese Umstände dienen Joseph dazu, nach Ägypten zu gelangen, ein einflussreicher Mann zu werden – und Jakobs Söhne können die Hungersnot überleben. In der Erzählung kommt die Untreue Israels zum Vorschein, vor allem aber wird offenbar, wie Gott aus Bösem Gutes macht. Was bloß sinnlose Schandtat zu sein schien, wird zuletzt entscheidend für die Rettung Israels.

Dies wiederholt sich bei Jesus. Es gibt einen göttlichen Plan, den der Mensch verrät, doch Gott sucht nach einer neuen Lösung, um uns zu retten. Sooft wir stürzen, wird der Herr einen Weg suchen, um uns wieder aufzurichten. „Wenn wir uns reuig an unseren Vater Gott wenden, macht er aus unserem Elend Reichtum und aus unserer Schwachheit Stärke“, schreibt der Gründer des Opus Dei. „Was wird er uns wohl bereiten, wenn wir ihn nicht verlassen, wenn wir täglich bei ihm sind, wenn wir Worte der Liebe, mit Taten bekräftigt, an ihn richten, wenn wir im Vertrauen auf seine Allmacht und Barmherzigkeit alles von ihm erbitten?3


DAS GLEICHNIS ruft uns das Lied vom Weinberg des Propheten Jesaja in Erinnerung (vgl. Jes 5,1-7). Der Weinberg, der sorgsam gepflegt wurde, trägt nicht die erwarteten Früchte: Dann hoffte er, dass der Weinberg Trauben brächte, doch er brachte nur faule Beeren (Jes 5,2). Statt wohlschmeckender Trauben trugen seine Zweige nur bittere Frucht. Da fragt sich Gott: Was hätte es für meinen Weinberg noch zu tun gegeben, das ich ihm nicht getan hätte? (Jes 5,4). Ein Kirchenvater kommentierte: „Wie undankbar ist doch die Erde! Sie hätte ihrem Herrn süße Trauben schenken sollen, doch sie durchbohrte ihn mit spitzen Dornen. (...) Achtet also darauf, dass auf eurem Weinberg nicht Disteln wachsen statt Trauben, und dass ihr nicht Essig erntet statt Wein.“4

Gott erwartet Frucht von uns, jedoch nicht, weil er sie braucht, sondern weil seine Herrlichkeit im Glück der Menschen besteht. Das, wonach ihn am meisten verlangt, ist zweifellos unsere Liebe. Doch sicher waren auch wir bei vielen Gelegenheiten wie der Weinberg im Lied des Propheten oder wie die Winzer im Gleichnis. Papst Franziskus lädt uns ein, uns zu prüfen: „Wenn jeder von uns sein Gewissen erforscht, wird er sehen, wie oft er die Propheten verjagt hat, wie oft er zu Jesus gesagt hat: ,Geh weg!‘, wie oft er sich selbst retten wollte, wie oft wir dachten, gerecht zu sein.5

Aus diesem Grund schrieb der heilige Josefmaria: „Lasst mich nochmals darauf bestehen: Seid treu! Das ist etwas, das mir auf der Seele brennt. Wenn ihr treu seid, wird unser Dienst an den Seelen und an der Heiligen Kirche überreich sein an geistlichen Früchten.6 Wenden wir uns an Maria, die eine fruchtbare Mutter ist, weil sie gefügig ist gegenüber dem Geist des Herrn, der immer neue Wege findet, um Früchte hervorkommen zu lassen.


1 Johannes Chrysostomus, Homilien über das Matthäus-Evangelium, 68, 1-2.

2 Franziskus, Angelus-Gebet, 8.10.2017.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 309.

4 Hl. Maximus von Turin, Predigt zum Fest des heiligen Cyprian.

5 Franziskus, Predigt, 1.6.2015.

6 Hl. Josefmaria, Briefe 2, Nr. 46.