Betrachtungstext: 13. Woche im Jahreskreis – Sonntag (B)

Die Notlage der blutflüssigen Frau – Ein konkreter Glaube – Jesus unsere Geschichte erzählen

GELEGENTLICH berichtet das Evangelium Einzelheiten aus dem Leben der Menschen, die Jesus geheilt hat, damit der Leser sich mit dessen Situation befassen kann. Eine solche Passage ist die der blutflüssigen Frau (vgl. Mk 5,25-34). Der heilige Markus stellt sie uns vor als eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutfluss litt (Mk 5,25). Wir können ihre Not erahnen. Zusätzlich zum physischen Leid war die Würde dieser Frau verletzt. Sie galt als unrein und war daher eine Ausgestoßene. Sie war gezwungen, sich außerhalb der Wohngegenden aufzuhalten und Orte aufzusuchen, an denen sie nicht bekannt war. Sie wird fern von ihrer Familie gelebt haben.

Markus berichtet ein weiteres Detail: Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden (Mk 5,26). Die Notlage dieser Frau wird durch die Aussichtslosigkeit verschärft. Sie hatte verschiedene Heilmittel ausprobiert, die eine Besserung versprachen, doch ihr Zustand hatte sich nur verschlechtert. Und dazu hatte sie ihr ganzes Geld verloren. Es ist anzunehmen, dass diese Frau nach so vielen Jahren der Suche nach Heilung kurz davor stand, aufzugeben, um sich mit einem bitteren und einsamen Dasein abzufinden.

Die Geschichte der Frau steht stellvertretend für die vieler Menschen, die heute ebenfalls Schmerzen und Einsamkeit erfahren und keine zufriedenstellende Lösung für ihre Lage finden. Die Erkrankte fasste allerdings noch einmal Hoffnung. Sie hatte von Jesus gehört (Mk 5,27). Dieses Mal beruhte ihre Hoffnung nicht auf einer weiteren Therapie. Ihre Rettung würde nicht durch menschliches Handeln kommen, sondern aus ihrem Glauben an die Kraft des Messias. Die Haltung dieser Frau kann uns helfen, unser Vertrauen auf Christus zu setzen, wenn uns unsere Gebrechlichkeit die Realität pessimistisch betrachten lässt. „In Momenten der Erschöpfung, der Müdigkeit“, riet der heilige Josefmaria, „gehe vertrauensvoll zum Herrn und sage zu ihm, wie unser Freund: Jesus, du wirst sehen, was du ausrichten kannst ...: Ich habe noch nicht einmal angefangen zu kämpfen und bin schon müde. – Er wird dir seine Kraft geben.“1


ALS DIE blutflüssige Frau erfuhr, dass Jesus in der Nähe war, überlegte sie nicht lange: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt (Mk 5,28). Obwohl es um eine einfache Geste ging, waren etliche Komplikationen damit verbunden. Jesus war von Menschen umringt. Um zu ihm zu gelangen, musste sie sich in die Menge hineinbegeben und würde ihnen, rechtlich gesprochen, ihre Unreinheit weitergeben. Sollte einer der Anwesenden sie erkennen, würde sie wahrscheinlich bestraft werden. Aber die Frau wusste, dass nur Jesus sie noch retten konnte. Also näherte sie sich ihm unauffällig von hinten, und kaum hatte sie seinen Mantel berührt, versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war (Mk 5,29).

Durch seine Menschwerdung kam Gott mit unserer Wirklichkeit in Berührung. Und die Liebe, die er zu uns hat, ist nicht abstrakt, sondern zeigt sich konkret. Die blutflüssige Frau wird nicht nur durch einen allgemeinen Glauben an die göttliche Macht geheilt, sondern weil sie ihn durch eine konkrete Handlung beweist: durch die Berührung des Mantels Christi. Wie Papst Benedikt schrieb: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“2 Genau das geschah mit dieser Frau: Die Berührung Jesu schloss die Quelle ihres Übels und verwandelte ihr Leben vollständig.

Jesus kommt uns auf verschiedene Weisen entgegen. Wir können ihn im Gebet, in den Werken der Barmherzigkeit, in der Arbeit, in unseren Beziehungen berühren ... In jedem dieser Momente können wir seine Nähe spüren und ihm, wie die blutflüssige Frau, unsere Schwächen anvertrauen. Besonders in den Sakramenten kommen wir in direkten Kontakt mit ihm. Durch diese sinnlichen Zeichen, die uns Menschen zugänglich sind, handelt Christus und teilt uns seine Gnade in konkreten Worten und Taten mit. „Wer sind wir, dass wir ihm so nahe sein dürfen?“, fragte sich der heilige Josefmaria. „Wie dieser armen Frau in der Menge hat er uns eine Gelegenheit geboten. Und das nicht, damit wir ein Stück seines Gewandes berühren oder für einen Moment das Ende seines Mantels. Wir haben ihn bei uns. Er schenkt sich uns ganz und gar, mit seinem Leib, mit seinem Blut, mit seiner Seele und mit seiner Gottheit. Wir essen ihn jeden Tag, wir sprechen vertraut mit ihm, wie man mit dem Vater spricht, wie man mit der Liebe spricht. Und es ist wahr. Es ist keine Einbildung.“3


DIE FRAU dachte, unentdeckt geblieben zu sein. Sie war geheilt worden, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Doch Jesus wusste, dass etwas geschehen war, denn er spürte, dass eine Kraft von ihm ausging. Und er wandte sich an die Menge und fragte: Wer hat mein Gewand berührt? Die Apostel erwiderten auf vernünftige Weise: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt? (Mk 5,30-31). In der Tat waren viele mit Jesus in Kontakt gekommen, aber nur eine wurde geheilt. Christus aber möchte von allen Anwesenden diejenige kennenlernen, die im Glauben, nicht aus Neugier, zu ihm gekommen war, mit dem Wunsch und in der Gewissheit, von Jesus eine rettende Gnade zu erhalten.

Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit (Mk 5,33). In diesem Augenblick vollbringt Jesus das zweite Wunder. Papst Franziskus erklärt: „Er weiß, was geschehen ist, und sucht die persönliche Begegnung mit ihr, was die Frau im Grunde selbst auch wünschte. Das bedeutet, dass Jesus sie nicht nur annimmt, sondern sie dieser Begegnung für würdig erachtet, so dass er ihr sein Wort und seine Aufmerksamkeit schenkt.“4 Christus möchte sich ihre Geschichte anhören. Er begnügt sich nicht damit, sie wieder gesund zu machen, sondern will, dass sie ihre Erfahrungen und Gefühle, ihren Schmerz und ihre Einsamkeit mitteilt, um ihre Ängste und Enttäuschungen mit Licht zu erfüllen. Und so wird das, was einst eine Quelle des Leidens und der Scham war, nun zur Geschichte ihres Heils, zu dem Weg, der sie aus der Anonymität heraus und zu ihm hin geführt hat.

Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein (Mk 5,34). Mit seinem Wunder stellte Jesus nicht nur die physische Integrität der Frau wieder her, sondern gab ihr auch ihre Würde zurück. Der Papst fuhr in seinem Kommentar zur Stelle fort: „Das ,Heil‘ hat zahlreiche Merkmale: Vor allem gibt es der Frau die Gesundheit zurück; dann befreit es sie von den sozialen und religiösen Diskriminierungen; außerdem erfüllt es die Hoffnung, die sie im Herzen trug, und vertreibt ihre Ängste und ihren Kummer; schließlich gibt es sie der Gemeinschaft zurück und befreit sie von der Notwendigkeit, im Verborgenen zu handeln.“5 Unsere Mutter Maria kann uns helfen, uns ihrem Sohn mit dem Glauben der blutflüssigen Frau zu nähern und mit dem Wunsch, eine Beziehung von Du zu Du mit ihm einzugehen.


1 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 244.

2 Benedikt XVI., Deus caritas est, Nr. 1.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 199.

4 Franziskus, Audienz, 31.8.2016.

5 Ebd.