Betrachtungstext: 11. Woche im Jahreskreis – Sonntag (B)

Der Rhythmus Gottes – Die Kraft des Saatkorns – Kontrast zwischen Kleinheit und Größe

„VERNIMM, o Herr, mein lautes Rufen, sei mir gnädig und erhöre mich. Du bist meine Hilfe: Verstoß mich nicht, verlass mich nicht, du Gott meines Heils!“1 Dieser Hilferuf wird dem König David zugeschrieben (Ps 27,7.9), mit ihm nimmt die heutige Liturgie ihren Anfang. Wir bitten Gott voll Vertrauen, sich auch unserer Bedürfnisse anzunehmen und uns in den täglichen Herausforderungen beizustehen. Wie die heilige Thérèse von Lisieux sagte, ist unser Gebet „ein Aufschwung des Herzens (...), ein Ausruf der Dankbarkeit und Liebe sowohl inmitten des Leidens wie inmitten der Freude! Kurz, es ist etwas Erhabenes, Übernatürliches“2, das die Seele weitet und uns mit Gott verbindet.

Das Evangelium enthält zwei kurze Gleichnisse: das vom Samenkorn, das von selbst keimt und wächst, und das vom Senfkorn (vgl. Mk 4,26-34). Es waren vertraute, für die Jünger gut verständliche Bilder aus der bäuerlichen Welt. Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät. Er gleicht einem Senfkorn (Mk 4,26.31). Anhand des Wachstums eines Samenkorns erklärt Jesus, dass das geheimnisvolle Handeln Gottes nicht nach der Kleinheit seiner Anfänge beurteilt werden kann. Auch wenn das Reich Gottes zunächst unscheinbar erscheint, birgt es eine enorme Kraft, die sich im Laufe der Zeit entfaltet.

Der Samen ist klein und für das bloße Auge manchmal kaum wahrnehmbar. Sein Wert scheint unbedeutend. Doch einmal in die Erde gesenkt, wächst er unaufhaltsam und bringt Früchte hervor, die die Erwartungen des Landwirts übertreffen. So ist Gottes Handeln in der Welt und in der Geschichte oft nicht spektakulär und zeigt keine sofortigen Ergebnisse. Manchmal erscheint es sogar als Misserfolg. Doch in diesem kleinen, unscheinbaren Samenkorn ist die Verheißung des Kommenden enthalten. Angesichts dessen, dass die Früchte nur langsam reifen und unsere Wünsche nach Umkehr nicht gleich in Erfüllung gehen, können wir sagen: Es ist wahr, dass die Dinge oft langsamer voranschreiten, als wir es uns wünschen, und dass wir uns allein und ohne menschliche Mittel fühlen, doch wir wollen auf Jesus vertrauen. Und er erinnert uns daran: Die Anfänge sind klein, denn der Same muss zuerst im Verborgenen, im Schoß der Erde, wachsen. Später, wenn Gott will, wird die Zeit kommen, die Früchte zu ernten, denn sein Rhythmus ist nicht unbedingt der unsere.


DAS ERSTE Gleichnis lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Dynamik der Aussaat. Das Samenkorn, das in den Boden gesät wird, keimt und wächst von selbst, ob der Bauer nun schläft oder wacht. Er vertraut darauf, dass seine Arbeit nicht umsonst sein wird, denn er weiß um die Kraft des Samens. Er muss das kleine Samenkorn nur gut in die Erde setzen und gelegentlich gießen. Auch der Boden, in dem das Korn liegt, unterstützt seine Arbeit. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre (Mk 4,28).

Papst Benedikt kommentierte einmal: „Die gegenwärtige Zeit ist Zeit der Aussaat, und das Wachsen des Samens wird vom Herrn verbürgt. Jeder Christ weiß daher, dass er das Möglichste tun muss, das Ergebnis letztlich aber von Gott abhängt: dieses Bewusstsein stützt ihn in der Mühsal des Alltags, besonders in schwierigen Situationen.“3 Die Mitarbeit an der Aussaat des göttlichen Wortes in die Herzen der Mitmenschen ist wie Feldarbeit. Die Früchte sind nicht sofort sichtbar, und vielleicht sehen wir sie nie mit eigenen Augen. Doch wir können sicher sein, dass die Saat auf eine Weise aufgeht, die unsere Erwartungen übertrifft. So sagte Papst Franziskus: „Vergessen wir bei der Verkündigung des Wortes nie, dass auch dort, wo nichts zu geschehen scheint, in Wirklichkeit der Heilige Geist am Werk ist und das Reich Gottes bereits wächst, durch unsere Bemühungen und über sie hinaus.“4

Unser Optimismus und Engagement beruhen auf diesem festen Vertrauen. Wir hören, wie der Apostel Paulus an die Christen in Korinth schreibt: zweifelt nicht, nur Gott ist es, der wachsen lässt (1 Kor 3,7), wir sind nur einfache „Diener“ Gottes (vgl. 1 Kor 3,6-9). Zu wissen, dass die Frucht nicht allein von unseren bescheidenen Kräften abhängt, ist für uns beruhigend. Gott erwartet nur, dass wir unser Möglichstes tun. Der heilige Josefmaria ermutigt uns, alle menschlichen Mittel zu nutzen, als ob es keine übernatürlichen gäbe, und umgekehrt alle übernatürlichen Mittel zu nutzen, als ob es keine menschlichen gäbe.5


DAS ZWEITE Gleichnis erzählt, dass das kleine Senfkorn, einmal gesät, aufgeht und größer wird als alle anderen Gewächse und große Zweige treibt, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können (Mk 4,32). Diese winzige Saat wächst im Laufe der Zeit zu etwas Erstaunlichem heran. Ein Korn, das voller Leben ist, durchbricht den Boden, tritt ins Sonnenlicht und wird zu einem Baum von bis zu drei Metern Höhe. Der heilige Ambrosius bemerkte, dass das Senfkorn, obwohl klein und unscheinbar, einen würzigen Duft verströmt, aufblüht und ein Baum wird, der sich zum Himmel erhebt, wenn es gerieben, gepresst und gesät wird: „Wer das Senfkörnlein sät, sät das Himmelreich.“6

Wie im ersten Gleichnis zeigt sich auch hier der Kontrast zwischen der Kleinheit des Samens und der Größe dessen, was er hervorbringt. Vielleicht erleben wir dies in unserem eigenen Leben. Wir wissen, dass der Herr uns zu Großem berufen hat, fühlen uns aber oft unzureichend. Christus beruft uns jedoch nicht wegen unserer Verdienste, sondern einfach, weil er es will. Er erwartet nicht, dass wir außergewöhnliche Dinge tun, sondern dass wir die Demut haben, ihn in unserem Leben wachsen zu lassen und täglich auf seine bedingungslose Liebe zu vertrauen. Papst Benedikt beruhigt: „So ist das Reich Gottes: eine im menschlichen Sinn kleine Wirklichkeit, die sich aus jenen zusammensetzt, die arm im Herzen sind, die nicht auf ihre eigene Kraft vertrauen, sondern auf die Kraft der Liebe Gottes, die in den Augen der Welt nicht wichtig sind; und dennoch bricht gerade durch sie die Kraft Christi hervor und verwandelt, was dem Anschein nach unbedeutend ist.“7

Unsere Kleinheit spielt keine allzu große Rolle, unsere Schwächen sind keine unüberwindliche Hindernisse für die Gnade. Gott lässt Großes durch die Überfülle seiner Gaben wachsen. Wir erinnern uns an die Überlegungen des heiligen Josefmaria: „Wirf diese Hoffnungslosigkeit von dir, die das Wissen um dein Elend in dir hervorruft. Es ist wahr: Deinem Vermögen nach bist du eine Null …, deinem gesellschaftlichen Ansehen nach wieder eine Null, deinen Tugenden nach noch eine Null und noch eine deiner Begabung nach. Aber links von all diesen Nullen steht Christus. Was für eine unermessliche Zahl ergibt das!“8

Maria nahm das göttliche Wort als „gute Erde“ auf. Wir bitten sie, unser Vertrauen zu stärken angesichts des offenkundigen «Missverhältnisses“, wie Don Javier in einem Hirtenbrief schrieb, „zwischen den Mitteln und den Früchten, die Gott hervorbringt. Seine rettende Kraft hat nicht nachgelassen, aber er erwartet von uns und von den Menschen, die im Schatten dieses Baums Zuflucht suchen, eine großzügige Antwort auf seine Hilfe, so weit wir dazu in der Lage sind.“9


1 Eingangsvers.

2 Hl. Thérèse de Lisieux, Geschichte einer Seele, Kap. 11.

3 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 17.6.2012.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 16.7.2023.

5 Vgl. Ernst Burkhart - Javier López, Alltag und Heiligkeit in der Lehre des heiligen Josefmaria, Studie zur spirituellen Theologie, Adamas, Köln 2017, Bd. III, S. 187.

6 Hl. Ambrosius, Lukaskommentar, VII, 182.

7 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 17.6.2012.

8 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 473.

9 Mons. Javier Echevarría, Hirtenbrief, 1.10.2016.