SELIG DIE Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben (Mt 5,5). Die Heiligen Drei Könige begegneten dieser Tugend auf staunenswerte Weise, lange bevor Jesus sie in der Bergpredigt verkündete. Als sie den Stall von Bethlehem betraten, mag sie die Atmosphäre überrascht haben, die denjenigen umgab, den sie als König verehren wollten. Vielleicht hatten sie erwartet, hochrangige Persönlichkeiten vorzufinden, die voller Erwartung auf den lang ersehnten Retter blickten. Stattdessen fanden sie ein Kind, das friedlich in einer Krippe lag, umgeben von seinen Eltern und ein paar Hirten, die das Wenige darbrachten, was sie besaßen. Das war der königliche Hofstaat des Gottessohnes.
Die Weisen hatten vieles zurückgelassen – Komfort, Besitz, Pläne –, um den Weg zu Christus zu finden. Doch dort, in Bethlehem, wurde ihnen klar, dass sie noch etwas anderes loslassen mussten: ihre Vorstellung von Macht und Größe. Sie waren gekommen, um einen mächtigen Herrscher zu finden; sie begegneten einem Kind. Sie hatten mit Stärke gerechnet; sie fanden Sanftmut. In diesem Kind wurde sichtbar, dass der wahre König nicht mit Gewalt herrscht, sondern durch Liebe und Hingabe. Papst Benedikt XVI. sagte dazu: „Nicht die Gewalttätigen erben das Land, sondern die Sanftmütigen: Ihnen wurde die große Verheißung zuteil. Und so müssen auch wir der Verheißung Gottes vertrauen, dass Sanftmut stärker ist als Gewalt.“1
Diese Erfahrung im Stall von Bethlehem dürfte das Leben der Heiligen Drei Könige tiefgreifend verändert haben. Vielleicht übten sie ihr Königtum fortan anders aus. Möglicherweise war es auch die Haltung Marias, die sie beeindruckte: „Wenn jemand sich wichtig machen darf, dann sie“, könnten sie gedacht haben. Doch stattdessen sahen sie eine Frau, die mit ihrem Sohn in stiller Sanftmut verbunden war. Am dritten Tag der Novene zur Unbefleckten Empfängnis bitten wir Maria, uns eine ebenso sanfte und demütige Haltung zu erlangen.
ALS HERODES hörte, dass die Fremden nach einem König der Juden suchten, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem (Mt 2,3). In seinen Augen bedrohte dieses Kind seine Macht und die Zukunft seiner Dynastie. Diese Angst wuchs so sehr, dass er beschloss, es zu töten. Unter dem Vorwand, den neuen König ebenfalls verehren zu wollen, bat er die Weisen, ihm seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Doch als er erfuhr, dass sie auf einem anderen Weg zurückgekehrt waren, wurde er sehr zornig und er sandte aus und ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten (Mt 2,16).
Herodes war getrieben von Angst und ungezügelter Wut. In dem Versuch, seine Macht zu bewahren, zerstörte er etwas weitaus Kostbareres: den Frieden und die Zuversicht, die er seinem Volk hätte schenken können. Papst Franziskus schildert die zerstörerische Kraft des Zorns: „Der Mensch verliert die Kontrolle und vergisst, was wirklich zählt. So kann er eine Beziehung zu einem Bruder dauerhaft schädigen, oft für immer. (...) Zorn ist das Gegenteil von Sanftmut. Sanftmut verbindet, Zorn trennt.“2
Sanftmut erlaubt uns, Schwierigkeiten in ihrem tatsächlichen Kontext zu sehen ohne zu erwarten, dass Menschen und Umstände immer unseren Erwartungen entsprechen. Ihr Ziel ist nicht die Kontrolle über alles, sondern ein offenes Herz für Gott und die Menschen. Gerade wenn wir uns durch das Verhalten anderer gestört fühlen, befähigt uns die Sanftmut, die Beziehung über das Problem zu stellen, in der Gewissheit, dass die Einheit wichtiger ist als der Unterschied. Sanftmut bedeutet zugleich nicht Gleichgültigkeit oder Passivität gegenüber den Herausforderungen des Lebens. Im Gegenteil, sie kann die Form einer entschlossenen Rebellion annehmen. Der heilige Josefmaria beschrieb diese einmal so: „Ich will nicht protestieren, ohne eine positive Lösung zu suchen. (...) Ich möchte ein Kind Gottes sein, mit Gott Umgang pflegen, mich wie ein Mensch verhalten, der weiß, dass er eine ewige Bestimmung hat, und im Leben so viel Gutes tun, wie ich kann: verstehen, vergeben, verzeihen, das Miteinander leben ... Das ist meine Rebellion!“3
ALS JOSEF durch den Engel erfuhr, dass Herodes das Kind bedrohte, floh er in der Nacht mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten (Mt 2,14). Auf den ersten Blick scheint diese Flucht im Widerspruch zur Verheißung zu stehen, die Jesus später verkünden wird: Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben. In diesem Moment schien die Gewalt zu triumphieren, und die Sanftmütigen waren gezwungen, ihren Ort zu verlassen. Doch Jesus spricht nicht vom Erbe irdischer Besitztümer. Papst Franziskus erklärt: „Der Sanftmütige ist derjenige, der das erhabenste aller Länder erbt. Er ist kein Feigling oder Faulpelz, der Schwierigkeiten ausweicht, sondern jemand, der ein wertvolles Erbe erhalten hat und es nicht verschleudern will. Der Sanftmütige verteidigt nicht Land noch Besitz, sondern seinen Frieden, seine Beziehung zu Gott und die Gaben, die er von ihm empfangen hat.“4 Das Land, das die Sanftmütigen erben, ist Gott selbst. Wie der Psalmist sagt: Der Herr ist mein Erbteil, ... Die Messschnur fiel mir auf liebliches Land. Ja, mein Erbe gefällt mir (Ps 16,5-6).
Maria lebte diese Wahrheit in vollkommener Weise. Obwohl die Flucht nach Ägypten beschwerlich und voller Unsicherheit war, blieb sie im Frieden. Wenn Jesus später von sich sagt: Ich bin gütig und von Herzen demütig, dürfen wir gewiss sein, dass er diese Haltung auch an ihrer Seite gelernt hat. Unsere Mutter lehrt uns, den Herausforderungen unseres Lebens mit Sanftmut und Vertrauen zu begegnen. Sie hilft uns zu erkennen, dass das wahre Erbe nicht in irdischen Dingen liegt, sondern in unserer Beziehung zu Gott – einem Schatz, den keine Gewalt zerstören kann.
1 Benedikt XVI., Zusammentreffen mit Priestern, 23.2.2012.
2 Franziskus, Audienz, 19.2.2020.
3 Hl. Josefmaria, Treffen mit Jugendlichen in Peru, 13.7.1974.
4 Franziskus, Audienz, 19.2.2020.
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