Betrachtungstext: 27. Woche im Jahreskreis – Sonntag (C)

Mit Kühnheit und Zuversicht bitten – Menschen, die Senfkörner sind – Beschäftigt sein mit Gott und den anderen

LEHRE UNS beten. Erkläre uns das Gleichnis. Zeige uns den Vater ... mit direkt verblüffender Einfachheit und kühnem Vertrauen wenden sich die Apostel an Jesus Christus. Im Gegensatz dazu ruft der Prophet Habakuk – wir hören es in der ersten Lesung – Gott geradezu anklagend an: Wie lange, Herr, soll ich noch rufen und du hörst nicht? Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! Aber du hilfst nicht (Hab 1,2). Habakuks Verzweiflung steht im auffälligen Kontrast zur Zuversicht der Apostel, die fast im Befehlston fordern: Lehre uns, erkläre uns, zeige uns.

Auch wir dürfen uns dem Herrn mit diesem Vertrauen nähern und getrost auf seine Antwort warten, ohne uns von vorschnellen Ängsten leiten zu lassen. Allzu leicht beten wir mit einer Art Hoffnungslosigkeit, als würde Gott uns nicht erhören – statt mit jener sicheren Hoffnung, dass er unser Gebet bereits vernommen hat. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Form seiner Antwort zu bestimmen; sie ist fast immer anders, als wir es uns ausmalen. Papst Benedikt XVI. sagte einmal in seiner Katechese über das Gebet: „Das Gebet hat seinen Mittelpunkt und seine Wurzeln tief im Inneren der Person; es ist daher nicht leicht zu entziffern und kann Missverständnissen und Täuschungen unterliegen. Auch in diesem Sinne können wir verstehen, was es heißt, dass Beten schwierig ist. Das Gebet ist nämlich der Ort schlechthin der Unentgeltlichkeit, des Strebens nach dem Unsichtbaren, Unerwarteten und Unaussprechlichen. Die Erfahrung des Gebets ist daher für alle eine Herausforderung, eine zu erbittende Gnade, ein Geschenk Gottes, an den wir uns wenden.“1

Im Evangelium hören wir eine weitere Bitte der Jünger: Vermehre uns den Glauben. Und die überraschende Antwort Jesu: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanz dich ins Meer! und er würde euch gehorchen (Lk 17,6). Wieder einmal weicht der Herr jeder Erwartung aus und eröffnet stattdessen eine neue, verwandelnde Perspektive. Jede aufrichtige Bitte wird erhört – doch nicht mit einer Antwort nach menschlichem Maß, sondern mit einer Antwort, die uns verwandeln will. Papst Franziskus schrieb: „Von seinem Wesen her verlangt der Glaube, auf den unmittelbaren Besitz zu verzichten, den das Sehen zu bieten scheint – er ist eine Einladung, sich der Quelle des Lichtes zu öffnen, indem man das Geheimnis eines Angesichts achtet, das sich auf persönliche Weise und zum richtigen Zeitpunkt offenbaren will.“2


DAS SENFKORN: klein und zerbrechlich, aber eine stille Kraft in sich bergend, die es zu einem großen Baum heranwachsen lässt. Jeder von uns wird in seinem Leben schon etlichen Menschen begegnet sein, die wie Senfkörner sind: äußerlich unbedeutend scheinende bescheidene Menschen, deren fester und ausdauernder Glaube es ihnen jedoch erlaubt, in Hoffnung und Liebe schwierige Prüfungen zu bestehen. Sie prahlen nicht mit ihren Verdiensten oder Fähigkeiten, denn sie wissen, dass sie alles von Gott erhalten haben. Vielmehr beschränken sie sich darauf, mit Jesu Worten zu sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan (Lk 17,10). Papst Benedikt XVI. lehrte einmal: „So ist das Reich Gottes: eine im menschlichen Sinn kleine Wirklichkeit, die sich aus jenen zusammensetzt, die arm sind im Herzen, die nicht auf ihre eigene Kraft vertrauen, sondern auf die Kraft der Liebe Gottes, die in den Augen der Welt nicht wichtig sind; und dennoch bricht gerade durch sie die Kraft Christi hervor und verwandelt, was gering erscheint.“3

Ein gläubiger Mensch versucht nicht, Gott seine Pläne aufzuzwingen oder ihn zu drängen, nach seinen Vorstellungen zu handeln. Er weiß, dass seine Sicht begrenzt ist und seine Wünsche von Egoismus geprägt sein können. Deshalb hält er nicht an ihnen fest, als wären sie absolut. Seine Haltung ähnelt der eines treuen Dieners: aufmerksam für die Stimme seines Herrn und bereit zu gehorchen, zu warten und zu handeln, wenn nötig. Er weiß, dass seine Größe und alles, was seinem Dasein Sinn verleiht, darin besteht, sich von Gott geliebt und getragen zu wissen. Papst Franziskus sagte: „Der Glaube, der mit dem Senfkorn vergleichbar ist, ist ein Glaube, der nicht stolz und selbstbewusst daherkommt (…). Es ist ein Glaube, der in seiner Demut ein großes Bedürfnis nach Gott verspürt und sich ihm in seiner Kleinheit voll Vertrauen hingibt. Es ist ein Glaube, der uns dazu befähigt, hoffnungsvoll auf die verschiedenen Wechselfälle des Lebens zu blicken, und der uns hilft, auch die Niederlagen und Leiden hinzunehmen, im Bewusstsein, dass das Böse niemals das letzte Wort hat noch haben wird.“4


„DER GLAUBE ist eine persönliche Bindung des Menschen an Gott“5 , so lesen wir im Katechismus der katholischen Kirche. Doch als begrenzte Menschen leben wir diese Verbundenheit nicht immer mit der Beständigkeit und Fülle, wie wir es wünschen. Ablenkungen, Schwäche oder Müdigkeit lassen uns in unserer Suche nach Gott wanken. Der heilige Josefmaria bekannte in einem seiner Briefe: „Die Bilanz, die ich am Ende des Tages bei meiner Gewissensprüfung ziehe, lautet immer: pauper servus et humilis! (…) Doch denke ich auch oft – so wie es euch ergeht –: Herr, ich habe mich ja überhaupt nicht an mich erinnert, ich habe nur an dich gedacht und war nur dahinter, mich für andere einzusetzen! Dann ruft die beschauliche Seele mit dem Apostel aus: vivo autem iam non ego: vivit vero in me Christus; nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“6

So geht es auch uns: Ein Tag vergeht zwischen Arbeit, Familie und unerwarteten Zwischenfällen. Und wenn es Abend wird, denken wir vielleicht, dass wir nicht genug gebetet haben, mehr lieben und großzügiger dienen hätten können. Und vielleicht ist es auch wahr. Aber es kann auch sein, wie der heilige Josefmaria sagte, dass wir unser Leben spontan ganz auf Gott und die anderen ausgerichtet haben und mit Christus eins werden wollten, der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen (Mt 20,28). Das ist im Kern die Freude des demütigen Dieners: seinen Tag – im Auf und Ab der Dinge – damit verbracht zu haben, seinem Herrn zu Diensten zu sein, wie es unsere Mutter getan hat. Der heilige Josefmaria erinnert: „Blickt auf Maria. Niemals hat sich ein Geschöpf mit solcher Demut den Plänen Gottes hingegeben. Die Demut der ancilla Domini (Lk 1,38), der Magd des Herrn, ist der Grund, weshalb wir sie als causa nostrae laetitiae, als Ursache unserer Freude, anrufen. Eva verbarg sich nach ihrer Sünde – als sie in ihrer Verblendung Gott gleich sein wollte – vor dem Herrn und schämte sich: Sie war traurig. Maria hingegen bezeichnet sich als Magd des Herrn, wird zur Mutter des göttlichen Wortes und ist voller Freude.“7Möge diese Freude Unserer Lieben Frau uns alle anstecken: Mögen wir ihr auch in der Demut gleichen, damit wir so Christus ähnlicher werden.


1 Benedikt XVI., Audienz, 11.5.2011.

2 Franziskus, Lumen Fidei, Nr. 13.

3 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 17.6.2012.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 6.10.2019.

5 Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 150.

6 Hl. Josefmaria, Brief 3, Nr. 90.

7 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, n. 109.