VIELE Gleichnisse Jesu enthalten Überraschungen, unerwartete Wendungen, manchmal sogar Verwirrendes. Da ist etwa der Verwalter, der die Güter seines Herrn veruntreut hat und dennoch als Vorbild genannt wird (vgl. Lk 16,1-8). Oder der Sohn, der sein Zuhause verlassen und sein Erbe verprasst hat und bei seiner Rückkehr mit einem Festmahl empfangen wird (vgl. Lk 15,11-32). Ebenso erstaunt der Knecht, dem nicht nur Zahlungsaufschub gewährt, sondern dessen ungeheure Schuld vollständig erlassen wird (vgl. Mt 18,22–35). Und auch der Gutsbesitzer, der allen Arbeitern denselben Lohn zahlt – unabhängig von der Dauer ihrer Arbeit –, widerspricht unserer gewohnten Logik (vgl. Mt 20,1–16).
Über die einzelnen Lehren hinaus macht Jesus deutlich: Für das Leben im Glauben gelten andere Parameter als unsere menschlichen Maßstäbe. Schon der Prophet Jesaja übermittelte Gottes Wort: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege (Jes 55,8). Mit seinem Kommen hat Christus eine neue Werteskala eröffnet. Die Logik der Macht wich der Logik des Dienstes und der Barmherzigkeit. Die Geringsten in der Gesellschaft wurden zu seinen bevorzugten Adressaten. Und das, was grausamen Tod bedeutete – das Kreuz –, wurde zur Quelle des Lebens.
Diese Paradoxien verkörperte er auch selbst, wie der heilige Ambrosius schildert: „Als Wort erniedrigte er sich, indem er Mensch wurde; als Reicher wurde er arm, um uns durch sein Elend zu bereichern; er war mächtig, doch zeigte er sich so schwach, dass Herodes ihn verachtete und verspottete; er hatte die Macht, die Erde zu erschüttern, doch war er an diesen Baum gebunden.“1 Als Jünger Christi sind wir eingeladen, unsere Herzen nach und nach im Rhythmus dieser göttlichen Logik schlagen zu lassen – einer Logik, die unsere Maßstäbe verwandelt und uns die Welt mit neuen Augen sehen lässt.
BEVOR er entlassen und arbeitslos wurde, beschloss der Verwalter, noch eine letzte List anzuwenden, um seine Zukunft zu sichern. Er ließ die Schuldner seines Herrn rufen, ließ sich die Schuldscheine zeigen und korrigierte die Beträge deutlich nach unten. So gewann er ihre Freundschaft, damit sie ihm später helfen würden (vgl. Lk 16,3–8). Jesus hebt nicht die Unehrlichkeit, sondern die Klugheit des Mannes hervor. Angesichts einer drohenden Notlage verstand er es, mit Geschick für das Morgen vorzusorgen.
Christus fordert seine Jünger auf, denselben Verstand und dieselbe Entschlossenheit für das Reich Gottes einzusetzen. Der heilige Josefmaria gibt zu bedenken: „Welche Energien verwenden die Menschen auf ihre irdischen Angelegenheiten. (...) Wenn du und ich die gleiche Energie in die Angelegenheiten unserer Seele stecken, werden wir einen Glauben haben, der lebt und wirkt. Dann wird es bei unserem apostolischen Unternehmen kein Hindernis geben, das wir nicht überwinden können.“2
Dabei geht es nicht um eine rechnerische Empfehlung – Gott ebenso viel Zeit zu widmen wie anderen Dingen –, sondern darum, zu entdecken, dass unsere Beziehung zu Jesus das Wichtigste ist, das allein uns glücklich macht und all unseren Einfallsreichtum verdient. Das, was wir in unserem Alltagsleben mit Hingabe tun, kann eine Grundlage dafür sein, uns in die Begeisterung für die göttlichen Wirklichkeiten einzuführen. Papst Franziskus hielt fest: „Viele junge Menschen sorgen sich um ihren Körper und versuchen, ihre Körperkraft oder ihr Aussehen zu verbessern. Andere mühen sich um die Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse, um sich sicherer zu fühlen. Einige wollen noch höher hinaus, wollen sich mehr anstrengen und suchen nach geistlichem Wachstum. (...) Aber du wirst mit deinen Kräften und deinem Geist allein nicht im Glück und in der Heiligkeit wachsen. So wie du dafür sorgst, dass deine Internetverbindung nicht abbricht, so achte darauf, dass deine Verbindung mit dem Herrn aktiv bleibt. Das bedeutet, den Dialog nicht zu unterbrechen, ihm zuzuhören, ihm deine Anliegen zu erzählen und, wenn du nicht klar weißt, was du tun sollst, ihn zu fragen: Jesus, was würdest du an meiner Stelle tun?“3 Wenn wir diese Verbindung lebendig halten, wird Gott selbst uns jene Klugheit schenken, die uns stets einen Weg finden lassen wird.
JESUS schließt das Gleichnis mit den Worten: Kein Sklave kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben. (...) Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Lk 16,13). Im Leben mag es oft klug sein, einen Plan B in der Hinterhand zu haben. Der Herr lädt uns jedoch ein, mit unserem Leben nur auf eine Karte zu setzen: auf Gottes Karte. Papst Benedikt XVI. erklärt: „Wenn die Liebe zu Christus und den Brüdern nicht als etwas Nebensächliches und Oberflächliches betrachtet wird, sondern als der wahre und letzte Zweck unseres ganzen Daseins, muss man es verstehen, Grundsatzentscheidungen zu fällen, bereit zu sein zu radikalen Verzichten, wenn notwendig bis hin zum Martyrium. Heute wie gestern erfordert das Leben des Christen Mut.“4 Sich für die Liebe zu entscheiden, bedeutet loszulassen, was uns fesselt, um frei zu werden für den großherzigen Einsatz für die anderen.
Doch auch nach einer klaren Entscheidung für Gott erleben wir die Spannung, nicht so zu leben, wie wir es uns wünschen. Paulus bekannte: Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich (Röm 7,19). Der heilige Josefmaria tröstet: „Du sagst, dass in deiner Brust Feuer und Wasser, Kälte und Wärme, ungeordnete Neigungen und Gott nebeneinander wohnen: Eine Kerze brennt für den heiligen Michael und eine andere für den Teufel. Sei ganz ruhig: Solange du den Kampf nicht aufgibst, brennen nicht zwei Kerzen in deiner Brust, sondern nur eine, die des Erzengels.“5
Maria zeigt uns den Weg. Ihr Ja war wie das „vieler junger Menschen“, so Papst Franziskus, „die etwas riskieren und auf etwas setzen, weil sie einer Verheißung folgen“.6 Sie wird uns zu der Gewissheit verhelfen, dass es keine bessere Wahl gibt, als mit Gott als Hauptbegleiter auf unserem Weg zu leben.
1 Hl. Ambrosius, Kommentar zum Psalm 118.
2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 317.
3 Franziskus, Christus vivit, Nr. 158.
4 Benedikt XVI., Predigt, 23.9.2007.
5 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 724.
6 Franziskus, Ansprache, 26.1.2019.
