IM HEUTIGEN Evangelium hören wir, dass Jesus die ganze Nacht im Gebet verbrachte, bevor er seine Apostel erwählte. Wie andere Male auch sucht der Herr vor bedeutenden Ereignissen den innigen Dialog mit seinem Vater. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist sein Gebet im Garten Getsemani Jahre später: Angesichts seiner bevorstehenden Passion bittet Jesus seinen Vater um die Kraft, stets seinen Willen zu erfüllen.
Es bereitet Mühe, eine ganze Nacht im Gebet zu verbringen. Doch offenbar hatte Christus das Bedürfnis, sich in wichtigen Momenten tief mit seinem himmlischen Vater zu verbinden, um Licht, Trost und Kraft zu empfangen. Der heilige Josefmaria erinnert uns daran, dass das Gebet unseren Alltag in „ein einziges vertrauensvolles Gespräch“ verwandeln kann: „Ich habe es oft gesagt und geschrieben, und ich wiederhole es gerne: Der Herr hat uns durch sein eigenes Beispiel gezeigt, wie unsere Beziehung zu ihm aussehen sollte: ein ständiges Gebet, von morgens bis abends und von abends bis morgens. Wenn alles gut läuft, danken wir: Danke, mein Gott! Wenn wir auf Schwierigkeiten stoßen, bitten wir: Herr, verlass mich nicht!“1
Ein Vater interessiert sich selbst für die kleinsten Begebenheiten im Leben seines Kindes. Und auch wenn ihm vieles schon vertraut ist, zeigt er immer wieder aufs Neue Freude und Anteilnahme. Diese Haltung dürfen wir ebenso von unserem himmlischen Vater erwarten. Wenn wir ihm die kleinen Überwindungen unseres Alltags anvertrauen, nimmt er sie an und verleiht ihnen durch das Opfer seines Sohnes unendlichen Wert. Der Katechismus der Kirche sagt: „Alle unsere Bitten sind ein für allemal in seinen Schrei am Kreuz hineingenommen und vom Vater in seiner Auferstehung erhört worden. Deshalb hört Jesus nicht auf, beim Vater für uns einzutreten.“2
AUCH WENN wir den Inhalt jener Gebetsnacht Jesu nicht kennen, können wir uns leicht vorstellen, dass er an die Apostel dachte, die er am nächsten Tag erwählen wollte. Wahrscheinlich betrachtete er ihre Stärken und Schwächen und wünschte sich von ganzem Herzen, dass sie bei der Verbreitung der Botschaft der Erlösung sehr fruchtbar und glücklich würden. Benedikt XVI. vertiefte sich in dieses Geschehen und schrieb: „Die Berufung der Jünger ist ein Gebetsereignis; sie werden gleichsam im Gebet gezeugt, im Umgang mit dem Vater. So erhält die Berufung der Zwölf weit über alles bloß Funktionale hinaus einen zutiefst theologischen Sinn: Ihre Berufung kommt aus dem Dialog des Sohnes mit dem Vater heraus und ist dort verankert. Von daher muss man auch das Wort Jesu verstehen: Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende (Mt 9,38). Die Erntearbeiter Gottes kann man nicht einfach aussuchen, wie sich ein Arbeitgeber seine Leute sucht; sie müssen immer von Gott erbeten und von ihm selbst für diesen Dienst gewählt werden.“3
Der Mensch ist von Natur aus nicht für das Alleinsein geschaffen, sondern braucht Beziehungen zu Seinesgleichen. Es ist daher nur logisch, dass uns im Gebet oft Namen und Gesichter in den Sinn kommen – vor allem von Menschen, die uns nahe stehen und deren Glück uns am Herzen liegt. Indem wir unsere Mitmenschen ins Gebet hineinnehmen, öffnen wir diese Beziehungen für das göttliche Wirken und bitten unseren Vater, unter uns gegenwärtig zu sein. So erfahren wir eine Freude, die – wie Papst Franziskus es ausdrückt – „nicht dem Zufall oder Glück überlassen“, sondern „Frucht der tiefen Harmonie zwischen den Menschen ist“ und „die Schönheit des Zusammenseins und der gegenseitigen Unterstützung auf dem Lebensweg“ spürbar macht.4
Es ist zwar normal, dass wir zu manchen Menschen leichter Zugang finden als zu anderen – etwa aufgrund von ähnlichen Interessen oder Charakterzügen. Doch das Bewusstsein, dass wir alle Kinder desselben Vaters sind, „wird uns anspornen“, wie der Prälat des Werkes schrieb, „die Beziehungen zu unseren Brüdern und Schwestern zu vertiefen, indem wir uns nicht bloß von Gemeinsamkeiten bestimmen lassen, sondern alle menschlichen Barrieren überwinden und in jedem Menschen Christus selbst erkennen.“5
WENN WIR die Kommunion empfangen, ist dies der beste Augenblick, um für jedes Anliegen bei Gott im Namen seines Sohnes Fürbitte einzulegen. Wir können dabei selbst erleben, was der heilige Lukas berichtet: Die ganze Menge versuchte, ihn zu berühren, denn von ihm ging eine Kraft aus, die alle heilte (Lk 6,19). Dieser Moment kann eine Gelegenheit sein, wie Jesus an die Menschen zu denken, denen wir helfen wollen, oder unser Herz in Dankbarkeit zu erheben – dafür, dass er uns als seine Werkzeuge erwählt hat und uns die Gnade schenkt, sagen zu können: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast (Joh 11,41). Gleichzeitig können wir, ähnlich wie der Hauptmann, der Jesus bat, seinen Diener zu heilen, unsere eigene Unwürdigkeit und unsere Grenzen anerkennen: Sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund! (Mt 8,8).
Wenn wir von einer wichtigen Persönlichkeit empfangen werden, überlegen wir uns meist schon im Vorfeld genau, was wir sagen wollen, um im entscheidenden Moment nicht sprachlos dazustehen. Ähnlich können wir uns auch auf den Empfang der Eucharistie vorbereiten, indem wir tagsüber öfter daran denken. Der heilige Josefmaria fragte: „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie du dich auf den Empfang der Kommunion vorbereiten würdest, wenn du sie nur einmal im Leben empfangen könntest?“6 Und an anderer Stelle sagte er: „Wir sollten ihn empfangen wie die Großen der Welt: mit Reinheit, Schmuck und Lichtern. Und wenn ihr fragt, welche Reinheit, welchen Schmuck und welche Lichter, antworte ich: Reinheit in euren Sinnen, einem nach dem anderen; Schmuck in euren Kräften, einer nach der anderen; Licht in eurer ganzen Seele.“7
Maria hat Jesus als erste empfangen. Bitten wir sie, uns die Gnade zu schenken, ihren Sohn mit der gleichen Reinheit, Demut und Hingabe in uns aufzunehmen, wie sie es getan hat.
1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 247.
2 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2741.
3 Benedikt XVI., Jesus von Nazaret, I, S. 207.
4 Vgl. Franziskus, Angelus-Gebet, 27.12.2015.
5 Msgr. Fernando Ocáriz, Beisammensein, 25.6.2022.
6 Hl. Josefmaria, Betrachtung, 14.4.1960.
7 Ebd.
