JESUS IST AUF DEM WEG nach Jerusalem, wo ihn der Kalvarienberg erwartet. Um ihn herum gehen seine Jünger – nicht ohne ein Gefühl der Besorgnis. Unterwegs schließen sich ihnen immer wieder Menschen an, getragen von der Begeisterung über den neuen Meister. Ein Mann bekennt ihm: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst (Lk 9,57). Doch Jesus, der weiß, was für jeden Menschen in jedem Moment das Beste ist, bremst seinen Eifer: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann (Lk 9,58).
Jesus lebte leicht beladen, mit nichts mehr bei sich als dem, was er für seine Sendung brauchte, aber ganz hingegeben an den Willen seines Vaters. Jeder, der sein Jünger werden wollte, war zu diesem Lebensstil eingeladen. Ihm zu folgen, erfüllte mit Freude – aber bequem war es nicht. Die Weisheit vieler Jahrhunderte aufgreifend erinnerte der heilige Josefmaria an Folgendes: „Um das Glück zu finden, bedarf es nicht eines bequemen Lebens, sondern eines verliebten Herzens!“1 Die tiefste Sehnsucht des Menschen ist zu lieben und geliebt zu werden; deshalb können materielle Güter das Herz nie ganz erfüllen.
Ein maßvolles Leben zu führen, die geschaffenen Dinge frei zu genießen, ohne sich an sie zu klammern, hilft uns, alles in den Dienst dessen zu stellen, den wir lieben. Es geht dabei nicht um bloße Willensanstrengung, um auf das zu verzichten, was uns nicht weiterhilft, sondern darum, die Liebe, die uns bewegt, stets lebendig zu halten und alles, was uns zur Verfügung steht, in unsere christliche Sendung einzubringen. So wird jede freiwillig angenommene Anstrengung zur Erinnerung daran, dass das größte Glück allein in Gott liegt.
DANN IST ES Jesus, der die Initiative ergreift und zu einem Menschen sagt: Folge mir nach! (Lk 9,59). Wir erfahren nichts Näheres über diesen Mann und wissen auch nicht, warum der Herr auf ihn aufmerksam wurde. Doch wissen wir sicher: Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1 Tim 2,4). Es gibt keinen Menschen, dem Gott seine Zuneigung verweigert: Jeder ist berufen, ihn eines Tages von Angesicht zu Angesicht im Himmel zu schauen – dafür wurden wir geschaffen. Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert: „Alle Christgläubigen sind in allen Verhältnissen und in jedem Stand je auf ihrem Wege vom Herrn berufen zu der Vollkommenheit in Heiligkeit, in der der Vater selbst vollkommen ist.“2
Heiligkeit ist kein Vorrecht für wenige Auserwählte mit gewissen Eigenschaften. Papst Franziskus schrieb: „Wir sind alle berufen, heilig zu sein, indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönliches Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet.“3 Der heilige Josefmaria lehrte häufig, dass die große4 Heiligkeit gerade in den kleinen Aufgaben liegt: darin, diese Tätigkeiten zusammen mit Jesus durchzuführen und ihm dabei immer ähnlicher zu werden. „Wie oft habe ich das Beispiel von König Midas gebracht, der alles, was er berührte, in Gold verwandelte! Auch wir können dies, trotz unserer persönlichen Unzulänglichkeiten: Wir können alles, was wir berühren, in das Gold übernatürlicher Verdienste verwandeln.“5 Und wenn wir auf diesem Weg unsere Schwäche erfahren, werden wir lernen, dass die Heiligkeit Demut und Hoffnung erfordert – denn es ist Jesus, der in uns wohnt und uns führt.
JESUS ist immer gut für eine Überraschung. Als die Apostel sich entschieden, ihm nachzufolgen, ahnten sie kaum, was auf sie wartete. Vielleicht wollten sie seine Lehre aufsaugen, um sie anderen weiterzugeben; ganz sicher aber rechneten sie nicht damit, selbst Wunder zu wirken und die Freude des Evangeliums bis an die Grenzen der Erde zu tragen. Papst Franziskus erinnert: „Gott hält immer das Beste für uns bereit. Aber er verlangt, dass wir uns von seiner Liebe überraschen lassen, dass wir seine Überraschungen annehmen.“6
Doch nicht alle ließen sich darauf ein. Manche wandten sich enttäuscht ab – wie jene, die die Rede vom „Fleisch und Blut des Menschensohnes“ nicht annehmen konnten: Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher (Joh 6,66). Ebenso diejenigen, die im Messias nur einen politischen Befreier von der römischen Herrschaft sehen wollten. Gemeinsam war ihnen, dass sie Christus auf ihre eigenen Vorstellungen reduzierten. Und diese Gefahr besteht immer: Wenn wir uns lieber an unseren Erwartungen festhalten, statt uns den überraschenden Horizonten Gottes zu öffnen, verschließen wir uns leicht seinen Gaben.
Die Jungfrau Maria konnte kaum erahnen, was nach der Verkündigung des Engels alles auf sie zukommen würde. Und doch öffnete sie sich im Glauben den Plänen Gottes. Bitten wir sie, uns zu lehren, uns immer neu von der Liebe ihres Sohnes überraschen zu lassen.
1 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 795.
2 II. Vatikanisches Konzil, Lumen gentium, Nr. 11.
3 Franziskus, Gaudete et exsultate, Nr. 14.
4 Vgl. hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 817.
5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 308.
6 Franziskus, Predigt, 24.7.2013.
