Wege ans Licht

Fausta, verheiratet und Mutter von 9 Kindern, schreibt aus der Schweiz. Sie berichtet über ihren Kampf als Jugendliche, in einer ideologisch stark geprägten Umwelt die wahre Freiheit zu finden.

Niemals hätte ich vermutet, dass mein Leben eine solch Kehrtwendung nehmen würde, seit ich an einem Nachmittag 1968 Volleyball trainierte. Endlich fand ich die Richtung, die ich seit langem suchte. An jenem Nachmittag stieß zu unserer Mannschaft Maria, eine Studentin aus Sizilien, die im Studentinnenheim Residencia Viscontea, in Mailand wohnte.

Von da ab unterhielten wir uns oft in der Umkleide über das, was alle Studenten in Mailand in diesem Jahr besonders berührte: die Proteste und Streiks, die soziale Gerechtigkeit, der Marxismus, der Klassenkampf....

Studentenproteste in Mailand, 1968

Eine christliche Erziehung

Meine Familie bestand aus meinen Eltern, die den Zweiten Weltkrieg mit allen seinen schrecklichen Erfahrungen miterlebt hatten, und aus ihren vier Töchtern, die sich ihr eigenes Bild vom Leben machen wollten und Freiräume auch außerhalb der Familie suchten.

Meine Eltern hatten uns eine christliche Bildung vermittelt, die auf dem Vertrauen auf den guten, barmherzigen und gerechten Gott beruhte. Sie lehrten uns die Achtung vor jedem Menschen, gleich ob reich oder arm, da jeder ein Kind Gottes ist, den Wert des Opfers und der Mühe in der Arbeit und Studium. Diese Erziehung erfuhren wir in einer einigen und gleichzeitig allen gegenüber offenen Familie.

Während des Semesters studierten wir eifrig. Dann kamen die Ferien, die wir immer sehr genossen. Wir trieben Sport, fuhren Ski, gingen schwimmen, machten Bergtouren und spielten begeistert Volleyball. Mich fesselte vor allem die Natur und ich verbrachte oft viele Stunden damit, ihre Schönheit in einem Zustand der Verzauberung in mich aufzunehmen.

Mailand, 1960. Foto: Nick Giordano

Verwirrung

Zuhause hörte ich, dass Freiheit mit Verantwortung zu tun hat; dass man Gerechtigkeit schaffen muss, bevor man die Nächstenliebe praktiziert; dass wahre Liebe treu ist, und dass es nur eine Wahrheit gibt, die sich nie ändern wird. Aber das alles stimmte mit dem, was ich um mich herum wahrnahm, nicht überein. Es waren schwierige Jahre für den Staat und auch für die Kirche. Ich empfand angesichts all dieser Missstände eine große innere Unruhe und konnte nicht klar erkennen, was das Richtige war. Die Argumente meiner Eltern reichten mir nicht, obwohl sie gut und richtig waren. Das führte dazu, dass es zu häufigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen und mir kam.

Auf der Suche nach der Wahrheit

Maria, meine Sportskollegin, lud mich eines Tages nach einem Volleyballtraining zu einer Vorlesungsreihe über den Marxismus ein, die ein Priester des Opus Dei in ihrem Studentinnenwohnheim durchführte. In meinem Kopf kreisten die Slogans, die uns beständig in der Schule und auf der Straße begegneten. Es waren Ideen, die scheinbar soziale Gerechtigkeit versprachen, aber die in Wirklichkeit Lügen und Gewalt verbreiteten.

Politische Propaganda in Mailand, 1960

Die Argumente des jungen Priesters waren dagegen rein philosophisch. Das brachte mich nach und nach dazu, die Wahrheit wieder erkennen und ihr frei zustimmen zu können. Damals verstand ich plötzlich, dass nur die Wahrheit den Menschen wirklich frei machen kann. Ich stand ergriffen vor diesem inneren Weg, voller Dankbarkeit den Menschen gegenüber, die mich aus dem Nebel in die helle Klarheit geführt hatten. Logische Folge davon war, dass sich nun auch die Kommunikation mit meinen Eltern verbesserte, die ich immer mehr schätzte und liebte, da ich nun verstand, wie sie gelebt hatten und wie gut sie uns erzogen hatten.

Glauben als Folge einer freien Entscheidung

Wie viele Jugendlichen in der damaligen Zeit sehnte ich mich nach Gerechtigkeit und Freiheit. Plötzlich entdeckte ich, dass „die Freiheit der Kinder Gottes” eine große Leidenschaft des hl. Josefmaria war. Ohne Freiheit kann es keine Liebe und keinen Glauben geben - was meine Eltern mir vermittelt hatten, erschien mir in einem neuen Licht. Mein Glaube wurde nun Folge einer freien und persönlichen Entscheidung, die mir ermöglichte zu lieben und auf den Ruf Gottes zu antworten.

Claudio und Fausta in der Schweiz, wo sie ihre Familie gründeten

Als ich mich weiter in die Gedankenwelt des hl. Josefmaria vertiefte und nach seiner Spiritualität zu leben begann, gelang es mir, einen intensiveren Kontakt zu Gott aufzubauen. Im Studentinnenheim Viscontea erhielt ich eine umfassende christliche Bildung, die meinen Universitätsstudien im Fach Architektur entsprach, das ich am Polytechnikum in Mailand absolvierte.

Claudio

Einige Zeit später lernte ich Claudio kennen, einen Medizinstudenten aus der italienischen Schweiz, aus Lugano. Ich verliebte mich in ihn, und schon kurz nachdem wir uns kennen gelernt hatten, unterhielten wir uns häufig darüber, dass wir eine große Familie haben wollten.

Claudio und Fausta mit ihren neun Kindern, 2005 in Lugano.

Die Liebe zur Freiheit und folglich zu der entsprechenden Verantwortung brachte mich dazu, Claudio zu bitten, die Homilie des hl. Josefmaria „Die Ehe, eine christliche Berufung“ zu lesen. Gleichzeitig ließ ich ihn wissen, dass ich mir mein Leben nur auf dieser Grundlage vorstellen könne. Ich sehnte mich von Herzen danach, diesen Wunsch mit ihm teilen zu können und war nicht bereit eine Ehe einzugehen, ohne dass wir in diesem Punkt übereinstimmten.

Er las sie und sagte mir am nächsten Morgen:“Ich habe lange darüber nachgedacht; ich konnte kaum schlafen. Eine solche Ehe wird nicht einfach sein, aber ich weiß, dass sie sicher sehr schön sein wird!“.

Kurze Zeit später heirateten wir und zogen nach Lugano.

Fausta mit ihrem Mann und fünf von 12 Enkelkindern.

39 Jahre später

Nun sind wir seit mehr als 39 Jahren verheiratet und haben neun Kinder, von denen jedes einen anderen Beruf gewählt hat. Trotzdem sind sie eng miteinander verbunden, weil alle den Glauben praktizieren, der das Bindeglied ist. Ich habe jetzt zwölf Enkelkinder, eine 20jährige Tochter, die noch bei uns wohnt, und einen Ehemann, der als Gynäkologe in seiner beruflichen Laufbahn einen wirklichen Kampf zur Verteidigung des Lebens geführt hat und nun endlich in den Ruhestand geht. So blicken wir gemeinsam dankbar und staunend auf das, was Gott uns geschenkt hat.