Der Historiker John F. Coverdale hat dies ausführlich untersucht. In seinem Buch heißt es dazu: „Die Falange beherrschte nach Ende des Bürgerkrieges das politische Leben Spaniens. Ähnlich wie bei vielen Staatsbürgern schlossen sich einige Mitglieder des Opus Dei der Falange oder deren studentischem Zweig an, während andere das nicht taten. Escrivá hatte den Angehörigen des Opus Dei klar gemacht, jeder sei in politischen Angelegenheiten völlig unabhängig. Sollte die kirchliche Hierarchie Anweisungen zu politischen Entscheidungen geben, weil diese wesentliche spirituelle Werte gefährden könnten, müssten die Mitglieder als loyale Christen diese Anweisungen selbstverständlich befolgen. Aber das Opus Dei selbst – so Escrivá – würde ihnen keine politische Direktive erteilen.
Zwar war es bekannt, dass einige Bischöfe die Falange unterstützten, aber die kirchliche Hierarchie hatte den Katholiken keinerlei Empfehlung zugunsten der Falange gegeben. Und deshalb genossen die Mitglieder des Opus Dei volle Freiheit, zu dieser Partei zu gehören oder nicht.
Das Opus Dei hat seine Mitglieder und die ihm nahe Stehenden ermuntert, in Verantwortung ihre Freiheit in politischen Fragen auszuüben, es hat jedoch niemals versucht, die Entscheidung einzelner irgendwie zu beeinflussen. Als ein Bewohner des Studentenheims Jenner einmal dem Leiter vorschlug, im Hause eine Aktion zugunsten des studentischen Zweigs der Falange zu organisieren, teilte ihm der Leiter mit, dies sei nicht möglich, weil man dort die politische Freiheit eines jeden Hausbewohners zu respektieren hatte.
Jeder Angehörige des Opus Dei ist nicht nur frei in seinen Äußerungen, dies ist ja selbstverständlich, er ist auch frei in der Art, wie er, falls es ihm liegt, politisch aktiv ist. Ein Beispiel aus der damaligen Zeit ist Juan Baptista Torelló, ein junger Intellektueller aus Barcelona, der zu einer extremen katalanischen Kulturvereinigung gehörte. Diese war aus der Sicht des Regimes eine feindlich gesinnte Geheimgruppe. Torelló erzählte Escrivá davon. Dieser bekräftigte, dass die Mitglieder des Werkes bei Entscheidungen in Fragen kultureller und politischer Art frei seien, daher würde keiner in leitender Funktion im Opus Dei ihm etwas dazu sagen. Escrivá fügte noch sinngemäß hinzu: „Mach also, was du willst, schau aber nur, dass du nicht erwischt wirst und im Gefängnis landest, denn ihr seid in Barcelona nur sechs Leute, wenn dann noch einer im Gefängnis säße, wäre das recht ungünstig für die Arbeit des Werkes in Barcelona.“
Als Haupt des Opus Dei und als Priester war Escrivá sehr sorgfältig darauf bedacht, keine eigene Meinungen in politischen Angelegenheiten zu äußern. In den Jahren unmittelbar nach dem Bürgerkrieg war es üblich, beim Spielen der Nationalhymne den Arm auszustrecken, wie dies von der Falange und vom Franco-Regime propagiert wurde. Auch viele Bischöfe und Priester richteten sich danach. Escrivá hat es nie getan, nicht so sehr als oppositionelle Geste, sondern um jede Form von Identifikation mit einer politischen Richtung zu vermeiden. Dies war für ihn die beste Art, für alle Ratsuchenden, egal welcher politischen Richtung, in spirituellen Angelegenheiten ansprechbar zu bleiben.
Escrivá hatte keine Bedenken, Umgang mit Menschen zu haben, die dem Regime kritisch oder feindlich gegenüberstanden. Die Witwe einer Person, die wegen vermuteter Zugehörigkeit zu den Freimaurern ins Gefängnis gekommen war, bedankte sich in einem Brief an Escrivá für die Freundschaft und Anteilnahme, die er ihrem verstorbenen Ehemann gezeigt hatte zu einer Zeit, da auch Freunde den Umgang mit ihm mieden.
Escrivás Wertschätzung der persönlichen Freiheit erschien in den von der Falange geprägten Milieus als verdächtig und als Angriff auf das Bestreben, jede Form von Gruppierung irgendwie zu kontrollieren. Falangistisch orientierte Medien ritten mit Einverständnis der offiziellen Zensur harte Attacken gegen das Werk und seinen Gründer.
Der mit Escrivá eng befreundete Augustinermönch Fray José López Ortiz erhielt eines Tages von einem Bekannten, der im Generalsekretariat der Falange tätig war, einen Bericht über „die Geheimorganisation Opus Dei“. In diesem vom Informationsdienst der Falange veranlassten Bericht wurden dem Opus Dei außerdem Internationalismus, Opposition gegenüber der Nation und dem Regime und unpatriotische Gesinnung vorgeworfen. Das Opus Dei wurde dann angeklagt, Gegner der Falange zu sein und geheimer Antreiber von Versuchen, die Kontrolle der Universität zu erlangen.
Pater López Ortiz war sehr betroffen. Viele Jahre später erzählte er, wie er seinem Freund weinend die von Verleumdungen strotzende Anklage vorlas. Und er registrierte staunend dessen Reaktion. Escrivá blickte ihn lächelnd an und sagte: »Mach dir keine Sorge, José, denn alles was hier behauptet wird ist Gott sei Dank falsch. Aber wenn sie mich richtig kennen würden hätten sie mit Recht viel schlimmere Dinge sagen können, denn ich bin nur ein armer Sünder, der Christus wahnsinnig liebt.« Statt das Papier zu zerreißen gab er es seinem Freund zurück, damit dieser es dem Informanten zurückgebe, um ihm mögliche Unannehmlichkeiten zu ersparen.“ (Vgl. COVERDALE, J. F., La Fundación del Opus Dei, Ariel, Barcelona 2002, S. 314-316)
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