Ich bin Ärztin und keine Expertin in Theologie oder Philosophie, und ich kannte den hl. Josefmaria nie persönlich. Allerdings betrachte ich mich in Sachen Stress als Sachverständige. Wie viele meiner Kollegen kenne ich mich mit Stress gut aus. Es gibt eine Speiseeisfirma in den Vereinigten Staaten, die sich ‚Baskin-Robbins’ nennt. Sie verkauft 31 Geschmacksrichtungen, und wenn Stress in so vielen Geschmacksrichtungen vorkäme, würde ich jede einzelne davon probiert haben. Bei der letzten Umfrage stehen Krankenhausärzte unter den fünf meist gestressten Berufen in den USA.
Der Berufseinstieg, eine harte Erfahrung
Am 1. Juli begann meine Assistenzzeit im Krankenhaus, und die einzigen Menschen, die noch aufgeregter sind als die neuen Ärzte, sind die Patienten, die wissen, dass sie jetzt von den Neulingen umsorgt werden, die frisch von der Universität kommen. Während meines ersten Nachtdienstes wurde ich per Funk von einer ängstlich klingenden Schwester gerufen, die sagte: "Kommen Sie schnell, das Herz von Herrn Jones schlägt 200 Mal in der Sekunde und ich kann seinen Puls nicht finden." Ich rannte sofort hin und blätterte derweil in einem kleinen Buch, das mir sagen sollte, was in einem solchen Notfall getan werden muss, während mein Herzschlag mit dem von Herrn Jones wetteiferte. Meine Verlegenheit verstärkte sich noch, als ich über ein Kabel stolperte und die letzen Meter auf meinem Bauch rutschte. Ich habe mir flüchtig das EKG angeschaut und dann meine erste Anweisung als Arzt gegeben: "Wir bereiten eine Elektroschockmassage vor." Zu meiner großen Erleichterung kam der diensttuende Arzt ganz gelassen herein und half mir bei der Wiederbelebung.
Das war der Anfang einer Hassliebe zu meinem Funkgerät. An Tagen mit viel Arbeit ertönte das Gerät 40 bis 50 Mal, um mich zu Notfällen oder zwecks Verteilung von Tabletten oder Spritzen zu rufen. Ab und zu erhielten wir eine willkommene Botschaft von einem Freund: "Kommt, wir gehen essen!" So eine Nachricht nannten wir: ‚angenehmer Alarm’. Essen, Schlafen und andere Funktionen, die wir früher als lebensnotwendig betrachtet hatten, wurden unter das Diktat des Funkgerätes und des Befindens unserer Patienten gestellt. Während des ersten Jahres im Krankenhaus war es die Regel, 30 Stunden Schicht pro Tag und 120 Stunden in der Woche auf der Intensivstation zu arbeiten, wo wir die schwerkranken Patienten aus der Stadt behandelten. Dabei sprangen ein paar Stunden Schlaf oder auch keine einzige heraus. Wir hielten uns mit Koffein und Adrenalin wach und auch mit der Angst, einen Fehler zu machen.
Nach ein paar Monaten Assistenzarztzeit weicht der anfängliche Idealismus, den Assistenzärzte für ihre Aufgabe mitbringen, oft einer Art von Zynismus. Das spiegelt sich in einer Art Slang wider, der in der Subkultur des Krankenhauses allgemein verwendet wird. Patienten, die sehr krank waren und das Hospital so schnell nicht verlassen würden, nannte man ‚Felsen’. Es konnte vorkommen, dass jemand den Assistenzarzt in der Geriatrie fragte: "Wie groß ist dein Felsengarten?" Wenn man beim Nachtdienst einen neuen Patienten von der Notfallstation bekam, nannte man das ‚einen Schlag abbekommen’. Wir haben sogar begonnen, analoge Wörter zu ‚Tortur’ zu gebrauchen, um unsere Arbeit zu umschreiben. "Letzte Nacht bin ich wirklich mit Anrufen geprügelt worden..." Oder: "Ich bin hart geschlagen worden."
Was ist der Sinn meiner Arbeit?
Wir haben uns gegenseitig durch Eigenerfahrungen geholfen, zum Beispiel wie man einer jungen Mutter sagen kann, dass sie voller Krebs ist, oder einen Fehler gemacht zu haben, der zum Tod des Patienten führte. Der emotionale, körperliche und existentielle Stress forderte allerdings seinen Tribut. Die Veränderungen in der Persönlichkeit, die durch diesen Stress verursacht wurden, wurden mit ‚toxisch werden’ bezeichnet. Das gehörte wie selbstverständlich zu unserer Arbeit, und wir lernten, die Depressionen und Reizbarkeiten unserer Kollegen als ‚Toxizität’ zu übersehen. Jeder von uns wurde zu guter Letzt mit der Frage konfrontiert: "Warum tue ich das hier? Was ist der Sinn im Leiden meiner Patienten? Welchen Wert hat meine Arbeit?"
Aber es gab keine Zeit, darüber nachzudenken oder eine Antwort auf diese Fragen zu finden. Als Produkte dieser Gesellschaft, die mit ihren wenigen geistlichen Wurzeln enorm herausgefordert ist, was ruhiges Nachdenken, Sinnfindung – Kontemplation – angeht, haben die meisten von uns weiter gearbeitet und gewütet in der Hoffnung, dass die Angst, die die Arbeit mit sich brachte, mit der Zeit vergehen würde. Mein Arbeitsplatz brauchte dringend eine Seele. Die Suche danach fand für mich ihre Antwort in der Lehre des hl. Josefmaria, die mir mitten in einem frenetischen Arbeitsleben die Möglichkeit zur Beschaulichkeit eröffnete und mir half, meine Arbeit von einer Erfahrung von bloßem Stress in einen Ort umzuwandeln, wo ich Gott begegnen kann.
Rückzug in den Himalaya
Meine Erfahrung mit Beschaulichkeit und einem Leben von innen heraus hat auf einem Gipfel im Himalaya in Nordindien begonnen, umgeben von tibetanischen Gebetsflaggen, dünnen Stücken von Stoff, die im Wind tanzten, als gäben sie die Gebete der Pilger zurück, die vor mir auf der Suche nach Frieden und geistlicher Hilfe den Berg erklettert hatten. Ich stellte meine leuchtend bunte Flagge zu den verblassten und zerfetzten hinzu. Ich hatte mein Zuhause, meine Kultur und meine Religion hinter mir gelassen und verbrachte mein erstes Highschool-Jahr in Indien. Ich war ein Vorzeigekind der Generation X, ich wurde zwar katholisch getauft, löste mich aber in der Kindheit von der Kirche, trotz des Beispiels meiner sehr frommen Mutter und meiner katholischen Erziehung. Ich wurde davon abgebracht aufgrund dessen, was ich als "korrupte organisierte Religion" ansah und aufgrund des ausgeprägten Materialismus in der Gesellschaft.
Als ich ins College ging, hatte ich ein Verlangen nach geistlicher Tiefe. Ich schrieb meine Arbeiten über -ismen und Indische Studien und sehnte mich danach, der Welt und dem Alltäglichen zu „entfliehen“. Im Fach Existentialismus 101 war ich verwirrt durch Martin Heideggers Entwurf der „authentischen Existenz“, die er versteht als einen Zustand von „Achtsamkeit des Seins" im Gegensatz zur "Vergesslichkeit des Seins", in der man sich der alltäglichen Welt unterwirft und sich in ihren Angelegenheiten verliert. Ich lebte ein Doppelleben: Meine geistigen Interessen bestanden in meinem eigenen privaten Suchen, sie waren nicht integriert in die Wirklichkeit meines sozialen und schulischen Lebens.
Ich bin auf den Berg gestiegen, weil ich mich dort weit entfernt von den Sorgen und dem Stress der Welt friedvoll fühlte. Ich konnte die Gegensätzlichkeiten und Unstimmigkeiten meines eigenen Lebens vergessen. Es war einfach, eine Spiritualität zu haben, die nichts von mir forderte, was ich nicht auch zu geben bereit war. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich der Welt und ihren materiellen Dingen mit all den negativen Einflüssen, die sie auf mich hatten, entflohen. Ich habe Momente von Licht und Eingebung gehabt. Einmal, als ich eine Zeit in Dharessalam in Nordindien verbrachte, wo der Dalai Lama im Exil lebte, habe ich bemerkt, dass zu komischen Zeiten Glocken läuteten. Ich überlegte, was das bedeuten konnte. Schließlich ging ich zu einer älteren tibetanischen Frau und fragte sie, welchen Sinn das Glockengeläut habe. Sie lächelte und lachte dann: "Es soll dich daran erinnern, dass es jetzt ist." Zu jener Zeit habe ich den Sinn ihrer Worte nicht verstanden. Erst später, viel später, habe ich sie durch die Worte des hl. Josefmaria verstehen gelernt.
Das Opus Dei - Sinnfindung im Alltag
Kaum war ich von Indien zurück, blätterte mein äußerer buddhistischer Anstrich ab. Während ich mich mit meinen Brüdern zankte und mich über alles beklagte, habe ich mich wirklich nach meinem Berg zurückgesehnt. Ich konnte meine geistige Verfassung nicht in die tägliche Realität integrieren. Es war ungefähr um diese Zeit, als meine Mutter mich mit ein paar Frauen des Opus Dei bekannt machte.
Ich war sofort fasziniert von ihrem Ideal, mitten in der Welt beschaulich zu sein, ich hatte das für einen Widerspruch in sich gehalten. Ich war bewegt von ihrer offensichtlichen Liebe zu Gott und ihrem vertrauten Umgang mit ihm, der für sie eine Person war, jemand, der sie liebte und verstand. Diese Frauen waren Geschäftsleute und stürzten sich täglich in ihre Arbeit, aber dennoch hatten sie genügend Tiefgang und Frieden, der ihnen half, die Schlaglöcher in den Straßen abzufedern, die mich umgeworfen haben. Durch meine Freunde im Opus Dei und durch das Leben und die Lehre des hl. Josefmaria bin ich zu einem tieferen Verständnis des katholischen Glaubens gekommen. Ich habe angefangen zu beten und bin zu den Sakramenten zurückgekehrt. Ich brauchte nicht mehr die Zurückgezogenheit der Berge, um mich Gott nahe zu fühlen. Ich habe ihn im Inneren meiner Seele entdeckt.
Der Wunsch, mit einem beständigen Bewusstsein von Gottes Gegenwart und Vorsehung zu leben, war die "authentische Existenz" nach der ich gesucht hatte. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich mit Sorgen und Stress verbracht, mit dem Versuch, immer alles „unter Kontrolle“ zu haben und im Anrennen gegen meine Grenzen. Ich lebte selten mit Freude im Jetzt. Ich habe die Vergangenheit wiedergekaut und mir über die Zukunft Sorgen gemacht, indem ich unrealistischen Erwartungen pflegte wie etwa, alle meine Patienten zu ‚retten’, niemals Fehler zu machen oder vor anderen immer ‚gut dazustehen’. Ich merkte, wie wenig ich Menschen zuhörte, wie meine Sorgen um die Arbeit und die Menschen, die ich liebte, mein Bewusstsein besetzten.
Das innere Leben und die „authentische Existenz“
Ich fing an, den inneren Kampf zu begreifen, der nötig war, um die Ruhelosigkeit und die Angst, die mein Leben bis zu diesem Zeitpunkt bestimmt hatten, zu überwinden und die verwandelnde Kraft zu verstehen, die darin liegt, sich Kind Gottes zu wissen. Gott war nicht länger ein unpersönlicher Zuschauer oder ein Mann harter Kritik, sondern ein liebender Vater, der ganz eng mit dem Geschehen eines jeden Augenblicks verbunden war. Der hl. Josefmaria hat dieses Wissen darum, Gottes geliebtes Kind zu sein, als "Gotteskindschaft" beschrieben Es ist die Quelle, aus der sein ganzes geistliches Leben floss.
Ein großer Teil meiner ‚Toxizität’ kam aus einem Mangel an innerem Leben und daraus, dass ich nicht wusste, wie ich zu einem Gleichgewicht in meinem Leben und in meinen Erwartungen kommen konnte. Meiner Ansicht nach war Martha ‚toxisch’, als sie sich bei Jesus beschwerte, dass Maria ihr nicht half. Der Grund lag aber nicht darin, dass Martha arbeitete und Maria liebte, sondern darin, dass Martha nicht gesehen hatte, dass Arbeit auch aus Liebe getan werden kann. Sie hatte vergessen, dass Gott ihr nahe war und dass sie ihm durch ihre Arbeit diente. Sie dachte nur an sich selbst, und das machte sie unglücklich.
In dem wunderbaren Buch von Dr. Coverdale (Uncommon Faith, New Jersey: Scepter 2002) findet sich folgende Beschreibung: In einer Zeit unglaublicher Belastung, als sich alles gegen ihn verschworen hatte, saß der hl. Josefmaria in einer Straßenbahn und wurde dort von einem bleibenden tiefen und vertrauensvollen Wissen um Gottes Liebe durchdrungen. Dieses Vertrauen und diese Erfahrung, ein geliebtes Kind Gottes zu sein, hat ihm erlaubt, weiterzumachen. Das war der Augenblick im Leben des hl. Josefmaria, der alles verwandelte. Er hat ihn befähigt, einen unglaublichen Optimismus und große Spannkraft angesichts aller Enttäuschungen, allen Unheils und allen möglichen Verrats zu entwickeln. Sein ganzes Leben ist ein Zeugnis von der Kraft desjenigen, der es versteht, Kind zu werden.
Friede und Sicherheit durch das Wissen, Kind Gottes zu sein
Diese Kraft ist wunderschön beschrieben in einer Zeitungsnotiz, die ich vor vielen Jahren gelesen habe. Es passierte während des furchtbaren Erdbebens in Armenien, an das sich sicherlich viele von Ihnen noch erinnern. Eine Grundschule wurde dem Erdboden gleich gemacht und eine Vielzahl von Kindern wurde darunter begraben und für tot gehalten. Es gab keine schweren Maschinen, um den Schutt zu entfernen. Lange nachdem andere Eltern vor Erschöpfung aufgegeben haben, buddelte ein Mann wie ein Hund 24 Stunden weiter, bis er endlich die Stimme seines Kindes hörte. Der kleine Junge sagte: "Papa, ich wusste, du würdest kommen, ich wusste, dass du kommen würdest." Das wiederholte er unentwegt. Es hat noch eine Anzahl von Stunden gebraucht, um das Kind ganz frei zu schaufeln, und später haben sich die Helfer gewundert, dass das Kind keine traumatischen Störungen hatte wie so viele Menschen nach einer so schrecklichen Erfahrung wie dieser. Für das Kind war diese Erfahrung nur die Bestätigung der Liebe seines Vaters zu ihm.
Ich erinnerte mich nach dem 11. September an diese Geschichte, als ich den Tribut sah, den das Ereignis von meinen krebskranken Patienten und von ihren Familien gefordert hat. Ein kleines Kind wird lebendig begraben, überlebt aber unverletzt, während Tausende Menschen bis auf die Knochen durchgeschüttelt werden und Antidepressiva und Medikamente gegen Angst benötigen, nur weil sie Zeugen dieses Ereignisses am Fernsehen gewesen sind. An ihren Wurzeln ist Angst eine Furcht vor Verlust, vor Ablehnung und Bedeutungslosigkeit. Sie entsteht, wenn man lebt, ohne an Gottes Vorsehung zu glauben oder diesen Glauben verliert.
Der hl. Josefmaria wiederholte oft die Worte Omnia in bonum und betrachtete sie in seinem Gebet. „Gott führt bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten“ (Röm 8, 28). Er sagt: "Meine Kinder, seht Gott hinter jedem Ereignis und jeder Situation." Ich habe es immer interessant gefunden, dass die Chinesen ein und dasselbe Schriftzeichen für ‚Krise’ und für ‚günstige Gelegenheit’ haben. Der hl. Josefmaria hat die Ereignisse des Tages als aus dem Willen Gottes kommend und damit in einem anderen Licht gesehen. Jede Krise war nun eine Gelegenheit, mit Gott eins zu sein und in der Tugend zu wachsen.
Eine neue Sicht der Arbeit
Er pflegte zu sagen: "Sage nicht: dieser Mensch Mensch fällt mir auf die Nerven. – Denke: er hilft mir, heiliger zu werden" ( Der Weg, 174). Dieser einfache Ratschlag hat mir geholfen, die schwierigen Situationen, auf die ich in meiner Arbeit traf, als etwas Positives zu sehen, das Gott zulässt, damit ich daran wachsen kann. Es so zu sehen hat meiner Arbeit einen Sinn gegeben. Es hat mir sogar geholfen, mit meinem Funkgerät auf besserem Fuße zu stehen. Statt jedes Mal zu schimpfen, wenn es mich rief, habe ich mit der Zeit gelernt, zu denken: Gott ruft mich.
Wenn ich meine Arbeit für Gott verrichte, nehme ich, in christlichem Sinn verstanden, teil an der Verwirklichung seines Planes, die Welt und mich selbst besser zu machen. Ich beginne, den Wert des Irdischen und Eintönigen zu sehen. Ich bin in der Lage, im Laufe des Tages immer wieder, wenn auch nur für Momente, beschaulich zu sein. Wenn ich Rezepte schreibe, stelle ich mir das Gesicht des Menschen vor, dem ich gerade helfe. Wenn ich mich hinsetze, um Berichte zu schreiben, opfere ich die Stunde als Gebet für den Patienten, dessen Geschichte ich schreibe. Wenn ich einen sterbenden Patienten besuche, nehme ich seine Hand und spende ihm Trost und werde so Veronika, die das Angesicht Christi abgetrocknet hat. Wie der hl. Josefmaria sagen würde, die anfallenden Arbeiten können mich „heiligen“. Mit anderen Worten: Ich denke weniger an mich und mehr an Gott und meinen Nächsten.
Hier ist ein anderes Zitat, das ich liebe: "Bei allem Respekt werde ich niemals die Auffassung derer teilen, die kontemplatives und aktives Leben voneinander trennen, als ob es sich um zwei miteinander unvereinbare Bereiche handelte. Ein Kind Gottes muss kontemplativ sein, das heißt ein Mensch, der mitten im Lärm der Umwelt im ständigen Gespräch mit dem Herrn das Schweigen der Seele zu finden weiß und der auf Ihn schaut wie auf einen Vater oder einen Freund, den man grenzenlos liebt." (Im Feuer der Schmiede, 738).
Ich kämpfe gegen das, was mich von Gott trennen könnte, gegen die Dinge, die mich an vielen Fronten ängstigen und vergiften. Der ständige Emailkontakt ist eine ständige Versuchung und Suchtgefährdung. Ich habe beobachtet, dass er für mich eine Quelle der Angst geworden ist und mich verleitet hat, meine Arbeit zu unterbrechen und nicht gut zu arbeiten. So schaue ich nur noch zwei Mal am Tage nach. Was für ein Sieg! Der tägliche Kampf, mit der Arbeit aufzuhören, wenn es Zeit ist, nach Hause zu gehen, ist eine andere Sache, die ich durch den hl. Josefmaria gelernt habe. So beherrscht mich meine Arbeit nicht mehr.
Die Beschaulichkeit und ihr Einfluss auf andere
Es gibt viele wunderschöne Geschichten, wie der Geist des Opus Dei Menschen geholfen hat, einen Sinn in ihrer Arbeit zu finden und sie aus Liebe zu Gott und den anderen Menschen zu tun. Eine ist die einer Freundin, die ein großes Hotel in Houston leitet und zum Opus Dei gehört. Sie ist mir besonders im Gedächnis geblieben. Vielleicht wissen Sie, dass es in Houston ein riesengroßes Klinikum gibt, wohin Menschen von überallher auf der Welt zur Behandlung kommen. Meine Freundin hält den Angestellten ihres Hotels jede Woche einen Ausbildungsvortrag, der ihnen helfen soll, ihre Arbeit gern und gut zu tun. Eines Tages sagte eine ihrer Angestellten, die als Zimmermädchen arbeitet, zu ihr: "Ich möchte Ihnen danken, denn seit Sie uns über den Priester und sein Werk berichtet haben, denke ich jedes Mal, wenn ich ein Bett mache, daran, dass ich einer Familie helfe, die hier mit einem kleinen Kind, das Leukämie hat, zur Behandlung ist. Und deshalb liebe ich meine Arbeit jetzt."
Noch eine andere Geschichte habe ich behalten. Wenn du in deiner Arbeit beschaulich bist, hat das eine unglaubliche Wirkung auf die Menschen um dich herum. Das folgende ist eine wahre Begebenheit. Sie spielte sich in einem Gefängnis in China ab. Ein politischer Gefangener war in Einzelhaft und hatte nur ein kleines Fenster zum Hinausschauen, um so versuchsweise mit der Außenwelt in Verbindung zu bleiben. Jeden Tag kam ein Mann und kehrte den Innenhof vor seinem Fenster. Jeden Tag war es derselbe Mann, und die Art, wie er seine Arbeit tat, rettete dem Mann in der Einzelhaft das Leben, denn er behielt seinen gesunden Menschenverstand. Jeden Tag schaute er dem Mann zu, wie er kehrte. Der Mann tat seine Arbeit nicht nur oberflächlich, er kehrte großartig. Wenn er eine Ecke vergessen hatte, ging er zurück und machte sie bewusst und gewissenhaft sauber. Der Mann in Einzelhaft dachte über diese Begebenheit nach: "Hinter dem, was ich hier durchmache, muss mehr stecken, also kann ich bis zum Ende durchhalten." Der Mann selbst hatte keinen bestimmten Glauben. Nachdem sie beide aus dem Gefängnis entlassen worden waren, fand der Mann in Einzelhaft heraus, dass der andere ein Bischof war, der über 20 Jahre im Gefängnis saß. Jeden Tag, während er kehrte, opferte er seine Arbeit Gott auf.
Das Beispiel des Menschen Jesus
Allerdings ist Christsein keine Impfung gegen den täglichen Kampf mit unseren Schwächen, unerwarteten Widersprüchen, Reibungen mit anderen und Müdigkeit. Jesus Christus selbst hat sich mit den Schwierigkeiten des Menschseins konfrontiert und sie angenommen. Ich fühle eine große Zuneigung zum gestressten Jesus, zum müden Jesus, zum ängstlichen Jesus. Das öffentliche Leben Jesu war ähnlich wie das Leben eines Assistenzarztes. Er war die ganze Nacht unterwegs und hatte keine Zeit zu essen oder zu schlafen, er ging von einem Kranken zum anderen. Jesus hat gezeigt, dass er unendlich weise ist, da er die Zeit vor der Erfindung der Funkgeräte wählte, um auf die Erde zu kommen, aber die Menschen haben ihn trotzdem gefunden, auch wenn er sich zu verstecken suchte. Jesus wurde auch ‚toxisch’, um uns seine Menschlichkeit zu zeigen.
Es gibt eine wundervolle Geschichte, wo er mit seinen Aposteln zusammen ist und sie versuchen, jemanden zu heilen und es nicht können, es einfach nicht schaffen. Es gibt eine große Szene, in die sie ihn mit hinein ziehen und fragen: "Warum können wir den Mann nicht heilen?" Und das erste, was Jesus tut, ist, zum Himmel zu blicken und zu sagen: "O du ungläubige und unbelehrbare Generation! Wie lange muss ich noch bei euch sein? Wie lange muss ich euch noch ertragen?" (Mt 17, 17) . Das hat mich sehr getröstet und meine Liebe zur Menschheit Jesu noch verstärkt, der die Erfahrung machen wollte, frustriert zu werden, was auch wir alle jeden Tag erleben.
Wie hat er es geschafft? Christus hat seine Kraft aus seinem reichen inneren Gebetsleben gezogen. Er sah die Dinge aus einer übernatürlichen Sicht und wurde von seiner Sendung, die Menschheit aus Liebe zu erlösen, angespornt. Für ihn war jeder Augenblick voller Bedeutung und er sah ihn mit Blick auf die Ewigkeit.
Leben für andere im Alltag
Durch meine Freunde vom Opus Dei habe ich die Freude und das Abenteuer des inneren Lebens kennen gelernt. Ich habe begonnen, mir Zeit zum Beten zu nehmen und Kraft aus den Sakramenten zu schöpfen. Ich habe begonnen, meinen Schreibtisch als Altar zu sehen, als den Ort, an dem ich mich für andere aufopfere, den Ort, wo ich Gott begegnen kann. An einem guten Tag akzeptiere ich als von Gott zugelassen doppelte Buchführung, Notfälle am Freitag um 17.00 Uhr, Patienten, die eine Stunde später kommen, und Dienstunfähigkeitsfälle. An meinen schlechten Tagen ist meine Arbeit nur ‚Prügel’ und ich kann am Ende ziemlich ‚giftig’ sein. Jeden Tag fange ich wieder von vorne an.
Meine Arbeit bringt mich nicht nur näher zu Gott, sie gibt mir die Möglichkeit, anderen näher zu sein. Ich tue das mehr durch mein Beispiel als durch meine Worte. Da die meisten meiner Patienten Krebs haben, ergeben sich viele Gelegenheiten, ihre Würde zu achten und mit ihnen über ihre geistlichen Belange zu sprechen. Sie kennen sicher das alte Sprichwort: Es gibt keine Atheisten in Fuchshöhlen. Nun, ich kann Ihnen versichern, dass es wenige Atheisten unter denen gibt, die an Krebs erkrankt sind. Als bekennende Katholikin in einem agnostischen akademischen Umfeld versuche ich, meinen Kollegen den Gott, der die Liebe ist, und die Möglichkeit des inneren Lebens näher zu bringen. Durch meinen Beruf als Onkologin und Lehrerin versuche ich, Respekt vor den Alten und Sterbenden zu vermitteln. Manchmal finde ich es hart, gegen den Strom zu schwimmen und muss dann um mehr Mut bitten.
Es gibt ein wunderbares Zitat in einem Artikel von Kardinal Ratzinger, der um die Zeit der Heiligsprechung von Josemaría Escrivá geschrieben wurde. Er beschreibt dort den Sinn der Gotteskindschaft und die Wirkung, die sie auf den einzelnen Menschen und die Welt haben kann. Er schreibt: „Die sich mit Gott verbunden fühlen, die ein ununterbrochenes Gespräch mit ihm führen, können es wagen, auf Herausforderungen zu antworten; sie leben nicht länger in Angst und Furcht, denn diejenigen, die in Gottes Händen sind, werden immer wieder in Gottes Hände fallen. So verschwindet die Furcht und wird der Mut geboren, auf die jetzige Welt zu antworten.“
Ich bin dem hl. Josefmaria ewig dankbar, dass er mir geholfen hat zu verstehen, dass ich nicht auf den Gipfel eines Berges zu steigen brauche, um Gott zu finden, dass ich ihn im Inneren meiner Seele habe finden können. Ich möchte gerne mit Worten von ihm schließen: "Meine Kinder, Himmel und Erde scheinen sich am Horizont zu vereinigen; aber nein, in euren Herzen ist es, wo sie eins werden, wenn ihr heilgmäßig euren Alltag lebt." (Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer, 116)
Artikel aus dem Buch Women of Opus Dei in Their Own Words, Verlag M. T. Oates, New York, Crossroad Publishing Company, 2009